Im Mai hat das „Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts“ den Bundesrat passiert. Dadurch wird unter anderem die Ausgleichsabgabe deutlich steigen, wenn Betriebe zu wenig Menschen mit Handicap beschäftigen. Ein guter Anlass für Arbeitgeber sich mehr mit dem Thema zu befassen? Schließlich fehlt allerorten Personal. Unternehmer aus der Region, die sich in Sachen Inklusion bereits engagieren, machen Mut.
Die Welt ist manchmal schon ein bisschen widersinnig. Da herrscht in der Region ein stattlicher Arbeitskräftemangel quer durch alle Branchen – Tendenz steigend – und Unternehmen können ihren Personalbedarf kaum decken, obwohl sie Himmel und Hölle in Bewegung setzen. Gleichzeitig sind im Südwesten nach Angaben der Landesbehindertenbeauftragten gut 15.200 Menschen mit Handicap arbeitslos gemeldet, etwa die Hälfte von ihnen verfügt über eine schulische, berufliche oder akademische Ausbildung. Da stellen Bund, Land und Kommunen jede Menge Ansprechpartner und Fördermittel für die Inklusion in den Arbeitsmarkt zur Verfügung – und die Angebote werden von den Arbeitgebern längst nicht ausgeschöpft.
Das sieht das neue Gesetz vor
Nach wie vor gilt: Nach § 154 des SGB IX sind alle privaten und öffentlichen Arbeitgeber ab 20 Mitarbeitern verpflichtet, mindestens fünf Prozent der Stellen mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen. Für jeden nicht besetzten Platz wird eine Ausgleichsabgabe fällig. Mit dem neuen „Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts“ soll unter anderem diese Abgabe steigen: Je nach Erfüllungsquote (ab drei Prozent/zwischen zwei und drei Prozent/von Null bis unter zwei) steigt sie von 125/220/320 Euro monatlich auf neu 140/245/360 Euro. Hinzu kommt eine vierte Stufe: Betriebe, die gar keinen Gehandicapten beschäftigen, obwohl sie müssten, haben künftig 720 Euro pro Monat und pro verpasstem Platz abzuführen. Für kleine Firmen gelten niedrigere Sätze: Bei unter 40 Mitarbeitern gelten 140 und 210 Euro, wenn man im Schnitt unter einem behinderten Beschäftigten oder bei null bleibt. Bei unter 60 Mitarbeitern gelten Sätze von 140 Euro (bei weniger als zwei Behinderten)/245 und 410 Euro.
Vorteile gibt’s für Unternehmen im Gesetz auch: Braucht die Genehmigung vom Integrationsamt für Leistungen länger als sechs Wochen, gilt die Leistung automatisch als erteilt. Und: Lohnkostenzuschüsse beim Budget für Arbeit sind nicht mehr zwingend auf 40 Prozent gedeckelt.
Mitte Mai hat der Bundesrat das Gesetz beschlossen, es muss nun noch veröffentlicht werden und soll ab 2024 gelten.
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Inklusion ist nicht gerade das Trendthema bei der breiten Masse der Unternehmen. So beschäftigen gut 6.200 Betriebe in Baden-Württemberg keinen einzigen schwerbehinderten Mitarbeiter, obwohl sie es per Sozialgesetzbuch müssten. Keiner der Stadt- oder Landkreise im Regierungsbezirk Freiburg erreicht die für schwerbehinderte Menschen angepeilte Beschäftigungsquote von fünf Prozent. Nur die Landkreise Rottweil und Tuttlingen kommen mit 4,7 und 4,4 Prozent immerhin in die Nähe.
Da es auch in anderen Ecken Deutschlands nicht besser aussieht, hat die Bundesregierung vor Kurzem ein neues Gesetz auf den Weg gebracht, das dem inklusiven Arbeitsmarkt auf die Sprünge helfen soll, etwa indem die Ausgleichsabgabe erhöht wird. Die zu erwartenden höheren Kosten sollen Unternehmen animieren, sich des Themas doch mal stärker anzunehmen.
Unternehmen fehlt Erfahrung
Das kann klappen, viele Inklusionsexperten aus der Region glauben indes nicht daran. Sie machen andere Gründe aus, warum Unternehmen Menschen mit Handicap so selten auf dem Zettel haben, wenn es um die Besetzung von Stellen geht. Berührungsängste beispielsweise. „Wir sind es in unserem Alltag einfach nicht gewohnt, mit Menschen mit Behinderung zusammenzuarbeiten“, stellt Esther Weber, Leiterin der Geschäftsstelle für Menschen mit Behinderung im Landkreis Emmendingen, fest. „Uns fehlen für bestimmte Behinderungen schlicht die Basics. Wie gehe ich mit einem blinden Menschen um, wie begegne ich einem Autisten?“ Das führt zu Vorurteilen und nicht zuletzt zu einer Verunsicherung in den Betrieben, ob sie das überhaupt leisten können, erlebt Weber.
Eine nicht unberechtigte Überlegung, denn Mitarbeiter, die eine Behinderung haben, – sei es körperlich, geistig, seelisch, sozial oder in Form einer Sinnesbeeinträchtigung – bringen immer eine Einschränkung mit, erklärt Stefan Listl, der beim Integrationsfachdienst (IFD) in Freiburg die „Einheitliche Ansprechstelle für Arbeitgeber (EAA)“ aufbaut. Die EAAs sind seit 2022 beschlossene Sache und sollen bundesweit als niederschwelliges Angebot rund um Inklusion genau das leisten, was ihr Name besagt, nämlich als Lotse Unternehmen und gehandicapte Arbeitnehmer beraten, begleiten und mit den richtigen Stellen zusammenbringen.
„Einschränkungen bedeuten in der Regel, dass im Unternehmen irgendetwas geändert und angepasst werden muss. Das können Umbauten sein, Teamstrukturen, Kommunikationswege oder das Stellenprofil, weil der Mensch trotz aller Anpassungen nicht alle vorgesehenen Aufgaben abdecken kann“, sagt Listl. Das macht erstmal Arbeit – und kann einen – wenn es nicht rund läuft – auch länger beschäftigen.
Esther Weber rät deshalb beiden Seiten, dem Unternehmen wie dem Bewerber, zu Offenheit und Ehrlichkeit. „Der Mitarbeiter muss realistisch sein, bei dem, was er schaffen kann, und der Betrieb muss für sich prüfen, ob ihm das weiterhilft. Wenn es nicht passt, passt es nicht.“ Solche Stellenbesetzungen brauchen stets eine individuelle Betrachtung. Fixe Jobbeschreibungen sind eher hinderlich, je flexibler ein Arbeitgeber agieren kann, desto besser.
Das alles müssen inklusionswillige Firmen aber auf gar keinen Fall allein stemmen, das ist allen Gesprächspartnern – von IFD und EAA bis zur Agentur für Arbeit – wichtig zu betonen: „Ein Unternehmen wird nie allein gelassen. Es wird immer Hilfe haben,“ erklärt Susanne Müller, Berufsberaterin im Team berufliche Rehabilitation und Teilhabe der Agentur für Arbeit Rottweil-Villingen-Schwenningen, energisch. Egal, ob es sich um Ausbildungs- oder Arbeitsplätze dreht, die Experten helfen bei der Einschätzung, ob und welche Form von Beschäftigung für den Behinderten im Betrieb passen kann. Sie unterstützen bei der Vermittlung von Fördermitteln und auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis mal nicht rund läuft oder sogar eine Auflösung im Raum steht.
Auch Kündigung ist möglich
Ein weiterer Mythos, der wohl manche Unternehmen vom Einstellen gehandicapter Bewerber abhält: die Vorstellung von der Unkündbarkeit. Das stimmt so nicht, erklärt Stefan Listl von der EAA: „Auch ein Mitarbeiter mit Behinderung ist kündbar, wenn dem Betrieb die Weiterbeschäftigung – kontextabhängig – nicht mehr zuzumuten ist. Der Unterschied ist, dass die Kündigung beim Integrationsamt zu beantragen ist.“ Es gehe nicht darum, ein Beschäftigungsverhältnis bis zum bitteren Ende aufrechtzuerhalten, ergänzt Susanne Müller. „Die Agentur für Arbeit kann auch hier unterstützen.“ Und weil tatsächlich so viele Fachleute bereit stehen, um die Unternehmen bei Bedarf engmaschig und dauerhaft mit Rat und Tat zu begleiten, ermuntert Müller die Betriebe, es doch einfach mal mit einem gehandicapten Bewerber zu versuchen.
Text: Ulrike Heitze
Bild: Adobe Stock – Yakobchuk Olena
Wir stellen sieben Unternehmen aus der Region vor, die sich in Sachen Inklusion bereits engagieren, teilen ihre Erfahrungen und machen Mut:
- Galabau Gass, Kippenheim
- Aha Factory GmbH, Weil am Rhein
- SD Software-Design GmbH, Freiburg
- Edeka Baur, Konstanz
- Schmolck GmbH & Co. KG, Emmendingen
- Druckerei Kesselring & Caritasverband Freiburg-Stadt
- Maertin & Co. AG, Freiburg
Infos & Ansprechstellen
- Die Agentur für Arbeit mit ihrem Arbeitgeberservice für Unternehmen: www.arbeitsagentur.de/unternehmen
- Das KVJS-Integrationsamt vom Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS): www.kvjs.de
- Die Integrationsfachdienste (IFD): www.ifd-bw.de
- Die Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA): www.ifd-bw.de/arbeitgeber/einheitliche-ansprechstelle
- Rehadat, Wissensportal des IW Köln: www.rehadat.de und talentplus.de
- Die IHKs (speziell auch bei Ausbildungsfragen):
- IHK Hochrhein-Bodensee: Alexandra Thoß, Telefon: 07531 2860-131, Mail: alexandra.thoss@konstanz.ihk.de
- IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg: Klaus Ringgenburger, Telefon: 07721 922-191, Mail: ringgenburger@vs.ihk.de
- IHK Südlicher Oberrhein: Katja Weis, Telefon: 0761 3858-109, Mail: katja.weis@freiburg.ihk.de