Unternehmen müssen lernen, bei der Personalakquise neu zu denken. Der Wunschkandidat von früher – Ende 20, mit schnurgeradem Lebenslauf und ordentlich Berufserfahrung, aber immer noch formbar – wird rar. Tatsächlich bringen auch andere Bewerbergruppen wertvolle Qualitäten mit. Viele Arbeitgeber haben bislang nur noch nicht so genau hingeschaut. Ein paar Erfahrungsberichte von Betrieben aus der Region, die da schon weiter sind.
„Ich glaube, die Erkenntnis, dass wir inzwischen einen Bewerbermarkt haben und dass man sich als Arbeitgeber mehr als früher zur Decke strecken muss, um Mitarbeiter zu gewinnen und zu binden, ist bei den Unternehmen angekommen“, sagt Alexander Graf, Leiter des Geschäftsbereichs Standortpolitik bei der IHK Hochrhein-Bodensee. „Nur vielleicht noch nicht in letzter Konsequenz.“
Tatsächlich lassen die Prognosen des Fachkräftemonitors BW für den Südwesten ein immer härteres Recruiting erwarten: Wird für das kommende Jahr „erst“ eine Fachkräftelücke von rund 15.000 Mitarbeitern in den drei hiesigen IHK-Bezirken erwartet, so sind für 2026 schon 35.000 hochgerechnet – und das über alle Qualifikationen. In vielen relevanten Branchen und Berufen fällt der Mangel deutlich stärker aus. Und Tendenz natürlich steigend.
Veranstaltungen rund um Fachkräfte
IHK Hochrhein-Bodensee
- Fit über 50: 19. Oktober, 9-17 Uhr, Schopfheim. www.ihk.de/konstanz – 9963
- IHK Online Sprint „Nachhaltige Ausbildungspraxis“: 6.-20. November, jeweils 9-10 Uhr, online, www.ihk.de/konstanz.de – 14029
- Gesundheitsfördernde und nachhaltige Verpflegung als Teil der betrieblichen Gesundheitsförderung: 16. November, 11-12 Uhr, kostenlos, online. www.ihk.de/konstanz – 13976
- Betriebliche Gesundheitsförderung – So machen Sie Ihr Unternehmen und Ihre Mitarbeitenden fit für die Zukunft: 12. Dezember, 11-12 Uhr, kostenlos, online www.ihk.de/konstanz.de – 12542
IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg
- Ausbilderarbeitskreis: „Kein Bock auf 08/15-Jobs – Was die Generation Z wirklich will“: 11. Oktober, 12.45-17 Uhr, kostenlos, Villingen-Schwenningen, www.veranstaltungen-ihk-sbh.de/ausbilderarbeitskreiskeinbockauf0815jobswasdiegenerationzwirklichwill
- Image-Turbo für Arbeitgeber – Neue Wege zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität: 25. Oktober. 16 Uhr, Donaueschingen. www.ihk.de/sbh – 5878512
- So nutzen Sie das reformierte Fachkräfteeinwanderungsgesetz: 8. November, 10-11 Uhr, kostenlos, online, www.veranstaltungen-ihk-sbh.de/reformiertesfachkraefteeinwanderungsgesetz
IHK Südlicher Oberrhein
Themenwochen „Fokus Fachkräfte“ der IHK Südlicher Oberrhein. Anmeldung zu den kostenlosen Veranstaltungen unter www.fuerdiewirtschaft.de/fokus-fachkraefte
- Azubis und Fachkräfte aus dem In- und Ausland gewinnen: 4. Oktober, 16-18 Uhr, Eschbach
- Der richtige Umgang mit der Generation Z: 18. Oktober, 17-18.45 Uhr, Lahr
- Schon mal an die Generation 50+ und 60+ gedacht? 8. November, 11-12 Uhr, online
- Inklusion im eigenen Unternehmen voranbringen: 15. November, 11-12 Uhr, online
- Schon mal an „Ausbildung in Teilzeit“ gedacht? 22. November, 11 bis 12 Uhr, online
- Profitieren vom neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz: 23. November, 11-12 Uhr, online
- Wie man andere Menschen zum Lernen motiviert: 30. November, 13-14 Uhr, online
- Worauf man bei der Einstellung von Grenzgängern achten muss: 1. Dezember, 10.15-11.30 Uhr, online
Tue Gutes und sprich vor allem darüber
Was also tun? Alexander Graf beobachtet bereits jetzt am Markt ungewöhnliche Aktionen, „die es früher so nicht gab“, und führt den Bewerbertag bei Osypka in Herten als Beispiel an. Mitorganisiert vom Arbeitgeberservice der Arbeitsagentur in Lörrach präsentierte sich der Medizintechnikhersteller Anfang September 90 jobinteressierten Besuchern quer durch alle Altersgruppen und Qualifikationen. Ein Arbeitgeber-Casting gewissermaßen.
Medial stärker nach draußen zu gehen und über die Benefits des eigenen Unternehmens zu sprechen – an denen zu feilen sich im Sinne der Bewerber und der aktuellen Belegschaft auch sehr lohnt –, ist eine Option im Ringen um mehr Fachkräfte. Eine weitere: Neue Personengruppen erschließen.
In Zeiten, in denen die Bewerbungsmappenstapel noch hoch waren, haben viele Betriebe verständlicherweise eher den unkomplizierten Weg genommen. Nun, da das Fachkräfte-Recruiting ohnehin aufwendiger wird, lohnt es, sich mit Zielgruppen zu befassen, die vielleicht noch einige betriebliche Umstellungen nötig machen oder für die man möglicherweise noch ein eigenes Angebot und ein ausgefeilteres Onboarding konzipieren muss.
Neue Kollegen aus dem Ausland
Prominentestes Beispiel dürfte im Moment das Gewinnen von Fachkräften aus dem Ausland sein. Im Juli hatten Bundestag und Bundesrat dazu das Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschlossen (mehr siehe auch WiS 2/2023). „Ich habe zu den neuen Regeln schon einiges an Anfragen erhalten“, berichtet Ramona Shedrach, die das Welcome Center in der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg verantwortet. „Die Unternehmen wollen wissen, wann es losgeht.“ Die neuen Regelungen zur sogenannten blauen Karte starten im November, der Rest erst ab März 2024.
Häufiger dagegen rekrutieren hiesige Hotel- und Gastrobetriebe und auch die Industrie schon Azubis aus dem Nicht-EU-Ausland und ersparen sich damit das (noch) aufwendige Anerkennungsprozedere bei den Fachkräften. Und doch, so betont Ramona Shedrach, dürfe man das Rekrutieren aus dem Ausland nicht auf die leichte Schulter nehmen. „Die Firmen werden die neuen Kollegen bei Behördengängen, Wohnungssuche und Spracherwerb intensiv unterstützen und zudem die übrige Belegschaft mitnehmen müssen.“
Frauen besser einbinden
Ein weitaus größeres Fach- und Führungskräftepotenzial ließe sich heben, wenn es für den weiblichen Teil der Erwerbsbevölkerung überzeugendere Angebote gäbe. Frauen sind heutzutage ausgesprochen gut ausgebildet – und doch verschwinden sie allzu oft rund um die Familiengründung in (Teilzeit-)Jobs unterhalb ihrer Qualifikation oder sind mangels Kinderbetreuung sogar gezwungen, längere Auszeiten zu nehmen als ihnen lieb ist. Arbeitgeber können sich hier mit intelligenten Angeboten zur besseren Vereinbarkeit – und ein Betriebskindergarten allein ist nicht die Lösung –profilieren. Über kurz oder lang werden Betriebe ohnehin nicht mehr die Wahl in Sachen echter Familienfreundlichkeit haben. Denn der Druck und die Erwartungshaltung von Seiten der jungen Generation – und da speziell auch von den jungen Vätern – wird zunehmen.
Mitarbeiter weiterentwickeln
Einen weiteren Schatz könnten viele Betriebe durch die gezielte Weiterentwicklung ihrer aktuellen Belegschaft heben. „Nur ein Beispiel: Wenn Sie aus Ihrem Maschinenbediener per Nachqualifizierung einen Maschinen- und Anlagenführer machen, kann er viel anspruchsvollere Aufgaben übernehmen“, erklärt Andreas Klöble, Leiter der IHK-Akademie Südlicher Oberrhein. „Die ganz einfachen Tätigkeiten werden irgendwann sowieso automatisiert.“
Dass der Mitarbeiter für die Theoriephase im Job ausfällt, macht es für Unternehmen mit dünner Personaldecke zwar kompliziert, darf aber nicht das Argument gegen – oft sogar staatlich bezuschusste – Höherqualifizierung der Belegschaft sein. Nur darüber sichert man die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens und gewinnt neue Fachkräfte beziehungsweise bindet bisherige Mitarbeiter. „Das ist ein Wahnsinnspotenzial, das in den Unternehmen schlummert“, ist sich Klöble sicher.
Auch alte Besen kehren gut
Mit ein Grund für den Fachkräftemangel ist der bevorstehende Renteneintritt der Babyboomergeneration. Was aber, wenn man diese Generation motivieren könnte, noch ein bisschen länger zu bleiben? Oder auch bei Neueinstellungen berücksichtigt? In wirtschaftlich schwierigen Zeiten waren die Kollegen jenseits der 50, 55 oder 60 immer die ersten, die freigesetzt wurden – meist ihrer hohen Gehälter wegen. Nun gilt: Junge Fachkräfte gibt es auch nicht mehr so ohne weiteres – und zum Nulltarif schon gar nicht…
Text: Ulrike Heitze
Bild: Adobe Stock/QatlasMap
Erfahrungsberichte von Betrieben aus der Region:
- Katja v. Glinowiecki, Partnerin parents@work, Rielasingen: Frauen als Chance sehen
- Freiburger Verkehrs AG, Freiburg: Wachsen mit Quereinsteigern
- Heinrich Kipp Werk, Sulz am Neckar: Bereicherung Spitzensportler
- Chemie und Pharma am Hochrhein e.V., Lörrach: Schweizpendler zurückholen
- Volksbank Breisgau Nord, Emmendingen: Neue Bewerber durch Teilzeit
- Hekatron Unternehmen, Sulzburg: Lebensphasen gestalten
Kontakte und Services rund um Fachkräfte
Allgemein
- Fachkräfteallianzen in der Region: www.fachkraefteallianz-suedwest.de, https://wirtschaftsfoerderung-sbh.de/fachkraefteallianz und
https://www.fachkraefte-allianz-oberrhein.de/ - Onlineseminarreihe der IHKs in BW zur Fachkräftesicherung. Themen und Termine unter www.ihk.de/stuttgart – 4986630
- Demografierechner des „WifOR“-Instituts unter Mitarbeit der IHKs ermöglicht Unternehmen eine Altersstrukturanalyse und ein Demografiemanagement. www.demografierechner.de
Speziell zum Thema
… Inklusion
- Die Agentur für Arbeit mit ihrem Arbeitgeberservice für Unternehmen: www.arbeitsagentur.de/unternehmen
- Das KVJS-Integrationsamt vom Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS): www.kvjs.de
- Die Integrationsfachdienste (IFD): www.ifd-bw.de
- Die Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA): www.ifd-bw.de/arbeitgeber/einheitliche-ansprechstelle
… Integration ausländischer Mitarbeiter
- Welcome Center Schwarzwald-Baar-Heuberg: Beratungsstelle der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg und der Wirtschaftsförderung. Ramona Shedrach, Telefon: 07721 922-239 Mail: welcome@vs.ihk.de www.welcome-sbh.de
- Welcome Center Südlicher Oberrhein: Beratungsstelle der IHK Südlicher Oberrhein und der Handwerkskammer. Sophie Figueredo-Hardy, Telefon: 0761 3858 198 Mail: Sophie.Figueredo-Hardy@freiburg.ihk.de, Olga Kuchendaeva, Telefon: 0761 3858 197 Mail: Olga.Kuchendaeva@freiburg.ihk.de
- Integrations-Kümmerer bei der IHK Hochrhein-Bodensee (Ausbildung für junge Geflüchtete): Sven Ness (für Landkreis Lörrach), Telefon: 07622 3907-225 Mail: sven.ness@konstanz.ihk.de, Hina Raza (für Landkreise Konstanz und Waldshut), Telefon: 07531 2860-181 Mail: hina.raza@konstanz.ihk.de
- Merkblatt zum neuen Chancen-Aufenthaltsrecht: www.unternehmen-integrieren-fluechtlinge.de
- Make it in Germany: Infoportal der Bundesregierung für Fachkräfte aus dem Ausland, Unternehmen, Azubis, Studenten, in diversen Sprachen. www.make-it-in-germany.com
… Frauenkarrieren, Vereinbarkeit und Co.
- Kontaktstellen Frau und Beruf BW: www.frauundberuf-bw.de
… Höherqualifizierung
- Nachqualifizierung: Staatlich gefördertes Programm, um An-/Ungelernte oder Quereinsteiger höherzuqualifizieren, etwa vom Maschinenbediener zum Maschinen- und Anlagenführer. www.ihk.de/freiburg – 5386578
- Aufstiegsfortbildung: Per Aufstiegsbafög gefördertes Programm, die Mitarbeiter mit abgeschlossener Ausbildung weiterqualifiziert. www.aufstiegs-bafoeg.de
- Valikom Transfer: Programm, um Kompetenzen an-/ungelernter Mitarbeiter zertifizieren zu lassen. www.ihk.de/freiburg – 4428838
- Berufliche Weiterbildung: Staatliche Förderung aus dem ESF-Fonds, bis zu 70 Prozent unter anderem für Ältere. www.esf.de
… Betriebliche Gesundheit, Beschäftigungsfähigkeit
- Test, wo Unternehmen in Sachen Gesundheitsförderung stehen. Interaktive Checkliste der IHKs Baden-Württemberg. https://gesundheitsbewusster-betrieb.de