Heißbegehrt und schwer zu kriegen: Mitarbeiter sind die wertvollste Ressource eines Unternehmens. Von Instastorys fürs gute Image bis zu geselligen Pizzarunden mit der Belegschaft: Die Kreativität der Unternehmen kennt kaum Grenzen. Notgedrungen. Die Gewinner des Wettbewerbs „Jobmotor 2021“ zeigen, was sie sich einfallen lassen.
Auf Socialmediaplattformen wie Insta-gram und TikTok versucht Melissa Vögele, Personalleiterin beim Sanitär-, Heizungs- und Solarexperten Walter Vögele GmbH in Freiburg, gegen das vermeintlich verstaubte Image des Anlagenmechanikers anzuposten. „Das ist ein hochtechnologisierter Beruf, der im Zuge der Energiewende immer wichtiger wird und große Zukunft hat“. Vögele, die mit dem Familienunternehmen auch in diesem Jahr wieder zu den Gewinnern des Jobmotor-Wettbewerbs gehört (mehr dazu Seite 9), macht das, um potenziellem Nachwuchs das richtige Bild vom Arbeitsalltag der jungen Monteure und Auszubildenden beim Unternehmen zu vermitteln. „Ausbildung ist das Einzige, was wirklich hilft. Es bringt nichts, wenn wir uns hier gegenseitig die Mitarbeiter abwerben“, so ihre Meinung. Seit 2020 bildet der 50-Mitarbeiter-starke Betrieb deshalb jährlich drei statt zwei Azubis aus.
Fachkräftemangel ist in der Region schon lange Thema. „Dennoch konnte man viel Personalwachstum der vergangenen Jahre immer noch mit Kandidaten aus der näheren Gegend stemmen. Das wird aber zunehmend schwieriger“, weiß Alexander Graf, Leiter des Geschäftsfelds Standortpolitik bei der IHK Hochrhein-Bodensee. Denn der demografische Wandel verschärft die Fachkräftesituation immer weiter. Selbst in den „düstersten Zeiten der Pandemie“, also im April und Mai 2020, gab es in der Region immer deutlich mehr Ausbildungsplätze als Bewerber, berichtet auch Simon Kaiser, Geschäftsführer Aus- und Weiterbildung bei der IHK Südlicher Oberrhein. „Wir können schon seit einer Weile beobachten, dass sich der Arbeitsmarkt von der Konjunktur entkoppelt hat“, sagt er.
Wie dem begegnen? Das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (Kofa) hat in einer gemeinsamen Studie mit der Jobbörse Indeed und der Fachzeitschrift Personalwirtschaft im Jahr 2019 über 400 Unternehmen, die bereits unter dem Fachkräftemangel leiden, dazu befragt, wie sie neue Mitarbeiter suchen.
Strategische Personalplanung für den Blick in die Zukunft
Demnach betreiben lediglich 43 Prozent der befragten Unternehmen eine strategische Personalplanung. Vorausschauende Annahmen über Personalengpässe, Talentbedarf, Fluktuation und Pensionierungen werden nur von einer Minderheit getroffen. Doch Unternehmen müssten unter den heutigen Bedingungen langfristig planen und können nicht mehr erwarten, dass der gezielte Recruitingprozess ein Selbstläufer ist, so die Autoren der Studie.
Strategische Personalplanung ist natürlich keine neue Methode. „Durch die immer stärkere Personalknappheit muss aber eine Professionalisierung auch im Instrumentenset des HR-Bereichs stattfinden“, sagt Jutta Rump, Geschäftsführerin des Instituts für Beschäftigung und Employability (IBE) in Ludwigshafen. Inzwischen gibt es zahlreiche kostenfreie Softwares, um die einzelnen Schritte abzuarbeiten. „Das ist kein Hexenwerk“, sagt Rump. Letztlich geht es darum, einen qualifizierten Blick in die nähere Zukunft zu werfen: Welche technologische, demografische, sozioökonomische und gesellschaftliche Entwicklung erwartet ein Unternehmen in seiner Region und global für die nächsten drei Jahre? Was tut sich im Produktbereich? Diese Analyse sollte man dokumentieren, mit dem Mitarbeiterbestand abgleichen und entsprechend den Bedarf in jedem Unternehmensbereich festlegen, rät die Expertin. Für mittelgroße Unternehmen veranschlagt sie für den gesamten Prozess etwa zwei Tage.
Jobmotor 2021 Verliehen
Bereits zum 16. Mal wurde von der Badischen Zeitung, den drei Industrie- und Handelskammern im Regierungsbezirk Freiburg sowie dem Wirtschaftsverband Industrieller Unternehmen Baden (WVIB) der „Jobmotor“ vergeben. Ausgezeichnet wurden Unternehmen aus Südbaden, die 2021 besonders viele Jobs geschaffen haben: Bei den sieben prämierten Betrieben sind im zweiten Jahr der Pandemie insgesamt über 1.200 Arbeitsplätze entstanden. In der Spezialkategorie wurden zudem besonders kreative Konzepte, neue Mitarbeiter zu finden, gekürt.
Kategorie „Arbeitsplatzzuwachs“
Kleine Firmen (bis 19 Mitarbeiter):
- Stay Informed GmbH (Freiburg)
Mittlere Firmen (20-199 Mitarbeiter):
- Cytena GmbH (Freiburg)
Große Firmen (über 200 Mitarbeiter):
- Jobrad Gruppe (Freiburg)
- Inituitive Surgical (Emmendingen)
Kategorie „Konzepte Mitarbeiter finden“
Mittlere Firmen (20 – 199 Mitarbeiter):
- STS Spezial-Transformatoren-Stockach GmbH & Co. KG (Stockach)
- Walter Vögele (Freiburg)
Große Firmen (über 200 Mitarbeiter):
- Testo Industrial Services (Freiburg)
Stärken offensiv verkaufen
Ist die Bedarfsanalyse erfolgt, gilt es, um die gesuchten Mitarbeiter zu werben. Am besten frühzeitig. Viele Unternehmen bieten laut dem Kofa stark umworbenen „Engpass-Talenten“ monetäre und nicht-monetäre Extras an, wie etwa Umzugshilfen. Allerdings macht derzeit nur jedes vierte befragte Unternehmen seine besonderen Leistungen und Vorzüge auch öffentlich, etwa in der Stellenausschreibung. 41 Prozent der befragten Unternehmen benennen diese speziellen Anreize im ersten persönlichen Gespräch, weitere 16 Prozent in einem Folgetermin und 13 Prozent der Unternehmen nur auf explizite Anfrage. Dabei wäre es wichtig, diese Anreize auch nach außen zu kommunizieren, damit potenzielle Bewerber aufmerksam werden, so die Autoren der Studie. Egal, ob klein oder groß, es sei nötig, die eigenen Stärken als Arbeitgeber herauszuarbeiten und sie offensiv zu kommunizieren, rät auch Alexander Graf. Und das gelte nicht nur für Benefits, die die Firma bietet, sondern auch die der Region.
Mit allen Vorzügen werben
Schöne Gegend, aber keine hochqualifizierten Jobs? Das ist ein Vorurteil, dem der Schwarzwald wie die Bodenseeregion oft ausgesetzt sind. Auch, wenn etwa hiesige Medizintechnik- und Automobilcluster eine ganz andere Sprache sprechen und die Jobmotorgewinner Belege für eine dynamische Entwicklung sind. „Die Gegend ist vor allem für den Tourismus bekannt, weniger als starke Arbeitgeberregion“, erkennt Alexander Graf trotzdem. Umso wichtiger sei es, mit dem Pfund zu wuchern, das man hat: „Dort arbeiten, wo andere Urlaub machen.“ Kommunikation, nicht nur über den Standort, sondern auch über die eigene Unternehmenskultur ist wichtig. „Viele machen das schon ganz hervorragend, aber manchmal habe ich den Eindruck, einigen ist es noch unangenehm, anzugeben, was sie alles Großartiges zu bieten haben. Man darf sich nicht zu sehr auf Mund-zu-Mund-Propaganda verlassen“, sagt Graf. Schon gar nicht, wenn es darum geht, überregional um Personal zu werben. Die am häufigsten von Unternehmen genannte Strategie im DIHK-Fachkräftereport 2021 gegen den Fachkräftemangel, ist, die Arbeitgeberattraktivität zu erhöhen. „Das ist auch gut und richtig, aber das wird nicht langen“, sagt Simon Kaiser von der IHK Südlicher Oberrhein. Um den kommenden Herausforderungen Herr zu werden, bedarf es laut Kaiser mehr Zuwanderung, mehr Qualifizierungsmaßnahmen und einer höheren Erwerbsbeteiligung von Frauen.
Neue Mitarbeiterpotenziale heben
Zwar erreicht die Erwerbstätigenquote von Frauen in Baden-Württemberg mit nahezu 75 Prozent durchaus internationale Spitzenwerte. Allerdings arbeitet mehr als die Hälfte der erwerbstätigen Frauen (51,8 Prozent)nach wie vor in Teilzeit. Bei den Männern sind es lediglich 8,2 Prozent. Das geht aus einem Diskussionspapier zum Strukturwandel in Baden-Württemberg des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aus dem Jahr 2021 hervor. Im Zuge der Coronapandemie ist die durchschnittliche Erwerbsarbeitszeit von Frauen laut Hans-Böckler-Stiftung stärker gesunken als die von Männern. Dadurch hat sich die schon vorher bestehende Lücke noch weiter vergrößert. Bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie scheint also während Corona noch Luft nach oben gewesen zu sein – trotz zunehmender Homeofficeangebote.Befragt man Jutta Rump nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie sagt sie: „Der Begriff hat ausgedient“. Die sprachliche Fixierung auf Familie grenze andere Lebensentwürfe aus. Egal, ob der private Bereich von einem Ehrenamt, einem Hobby, der Pflege von Angehörigen oder der Kindererziehung bestimmt wird – es gilt, ein Gleichgewicht zu schaffen. „Lebensphasenorientierte Personalpolitik dreht sich darum, dass Menschen in Bewegung bleiben, ohne die Balance zu verlieren“, sagt Rump. Als einer der zentralen Vorteile einer lebensphasenorientierten Personalpolitik ist die Reduzierung von Stressfaktoren bei den Beschäftigten, verursacht insbesondere durch Zeitdruck und Betreuungsprobleme, zu sehen. Insbesondere die jüngere Generation fordert eine ihren Vorstellungen entsprechende Work-Life-Balance auch immer selbstbewusster ein.
Unterstützung
- Strategieprojekt Fachkräftesicherung. Projekte der IHK Südlicher Oberrhein zur Gewinnung zusätzlicher Fachkräfte www.suedlicher-oberrhein.ihk.de – fachkraefteprojekt
- Welcome Center Schwarzwald-Baar-Heuberg & Hochrhein-Bodensee. Einrichtung der Wirtschaftsförderung Schwarzwald-Baar-Heuberg und der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg für KMU zur Gewinnung internationaler Fachkräfte. www.schwarzwald-baar-heuberg.ihk.de – 4628594
- Kümmerer-Programm. Netz von regionalen Ansprechpartnern für Zugewanderte zum Thema Jobperspektiven. www.baden-wuerttemberg.de – Kümmerer-Programm
- IHK-Beratung. Experten unterstützen Unternehmen bei der professionellen Gestaltung ihres Azubi-Recruitings (Kontakte siehe unten)
Neue Benefits gefragt
Das Jobportal Kununu und die ETH Zürich haben gemeinsam 2,8 Millionen Gehalts- und Bewertungsdaten ausgewertet, um den Einfluss von Arbeitskriterien auf die Gehaltszufriedenheit zu untersuchen. Die Höhe des Einkommens und die Zufriedenheit stehen demnach – wenig überraschend – in einem weitgehend linearen Zusammenhang. Je mehr Benefits im Spiel sind, desto wahrscheinlicher sei, dass Menschen mit ihrem Gehalt zufrieden sind, so die Autoren der Studie. Oft setzen Unternehmen allerdings auf die falschen Anreize (siehe auch Grafik Seite 6). Besonders großer Beliebtheit erfreuen sich Angebote zu flexiblen Arbeitszeiten oder Coachings. Für erheblich weniger relevant halten Jobsuchende eine Kantine, den Betriebsarzt oder ein Diensthandy. Wenn das Firmenimage, die Kommunikation oder das Vorgesetztenverhalten als positiv empfunden werden, sind die Beschäftigten eher auch mit ihrem Gehalt zufrieden als ohne diese Pluspunkte. „Ein gutes Gehalt wird im Grunde vorausgesetzt. Und dann wird geprüft, was sonst noch geboten wird“, sagt dazu Alexander Graf von der IHK Hochrhein-Bodensee. Insbesondere für die sogenannte „Generation Z“, die ab der Jahrtausendwende zur Welt gekommen ist, spielt das Gehalt zumindest keine alleinige Rolle. „Sinnstiftende Arbeit und eine harmonische Unternehmenskultur haben ebenfalls große Bedeutung“, sagt Graf. Auch Vollzeitbeschäftigung ist für viele nicht mehr erstrebenswert. „Früher war das die absolute Ausnahme, aber heute fragen selbst immer mehr junge Menschen nach einer Teilzeitausbildung. Das geht inzwischen auch ohne nähere Begründung“, sagt Simon Kaiser. Manche Unternehmen seien von solchen Ansprüchen noch eher überrascht. Natürlich gebe es bei lebensphasenorientierter Personalplanung immer wieder Zielkonflikte, sagt Jutta Trump. Nicht in jedem Bereich lässt sich ohne Weiteres Arbeitszeit flexibel gestalten oder reduzieren – insbesondere nicht, wenn ohnehin schon Personalknappheit herrscht.
Führungskräfte benötigen Verhandlungsgeschick
Rump rät dazu, die Gestaltung der Arbeitsbedingungen und Wünsche im Mitarbeitergespräch abzufragen. „Oft hilft es, wenn man den Mitarbeiter die Situation im Unternehmen darlegt und dann gemeinsam eine Lösung erarbeitet“, sagt sie. Das bedeute auch, dass Führungskräfte entsprechend geschult seien, um in diesem Bereich unabhängig vom Alter oder der Lebenssituation des Betreffenden offen und nicht konfrontativ in das Gespräch hineinzugehen. Verhandlungsgeschick ist gefragt, so dass am Ende alle das Gefühl haben, einen guten Kompromiss gefunden zu haben und gerne im Unternehmen bleiben.
Text: Daniela Becker
IHK Hochrhein-Bodensee:
Alexander Graf
Telefon: 07622 3907-213
Mail: alexander.graf@konstanz.ihk.de
IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg:
Wolf-Dieter Bauer
Telefon: 07721 922-168
Mail: bauer@vs.ihk.de
IHK Südlicher Oberrhein:
Simon Kaiser
Telefon: 0761 3858-150,
Mail: simon.kaiser@freiburg.ihk.de