Der Region werden mittelfristig tausende Beschäftigte fehlen. Ein großes Problem für die heimische Wirtschaft. Auch jetzt schon. Arbeitnehmer aus dem Ausland werden ein Teil der Lösung sein. Was das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz, an dem die Bundesregierung arbeitet, vorsieht und welche Erfahrungen Unternehmen machen, die bereits jetzt schon Mitarbeiter aus dem Ausland anwerben und integrieren.
Es ist schwer zu sagen, wer sich gerade mehr über die Anwesenheit des jeweils anderen freut: Roland Kehrer, technischer Produktionsleiter und Prokurist bei der LSM Matzka GmbH, oder sein neuer Zerspanungsmechaniker Hasan Makasci. Seit wenigen Tagen erst arbeitet der Mitdreißiger aus Izmir bei dem Formen- und Werkzeugbauer in Deisslingen. Eine glückliche Fügung? Eine mutige Entscheidung? In jedem Fall eine Novität. Denn Hasan Makasci ist für das 28 Mitarbeiter zählende Unternehmen die erste Fachkraft, die direkt aus dem Ausland kommt.
Weil der Betrieb im vergangenen Jahr durch Rente, Jobwechsel und Wegzug dringend Stellen nachzubesetzen hatte, machte sich Roland Kehrer nach den Sommerferien per Stellenanzeige und Co. auf die Suche nach Zerspanungsmechanikern, Fräsern und Drehern. Nicht mit dem gewünschten Erfolg. Ein kostenloses Häkchen bei der Jobbörse der Arbeitsagentur brachte die Wende. Über das Portal „Make it in Germany“ wurde das Jobinserat in die Welt gepostet. „Ich war total baff. Da kamen tatsächlich Bewerbungen aus dem Ausland“, erinnert sich Kehrer, der im Betrieb auch für Personalthemen zuständig ist. Man sichtete, lud zu Onlinegesprächen, Kollegen mit entsprechenden Sprachkenntnissen übersetzten. „Die Qualität der Bewerbungen war ein Stück weit schockierend“, gibt er zu. „Wer sich so alles Zerspanungsmechaniker nennt und beim Nachbohren doch keine Ahnung hat…“ Dann meldete sich Hasan Makasci. „Er hatte sich mit dem gesamten Prozess nach Deutschland zu kommen, bereits intensiv beschäftigt und konnte mir genau sagen, was ich tun muss, damit er kommen darf. Das hat mir extrem imponiert“, sagt Kehrer. Ein Gespräch mit Ramona Shedrach vom Welcome Center Schwarzwald-Baar-Heuberg, das Unternehmen bei der Fachkräfteeinwanderung berät, bestätigte, dass Makasci gut recherchiert und schon die richtigen Dokumente und Vollmachten mitgeschickt hatte. Landrats-amt, Arbeitsamt, Ausländerbehörde waren zu Kehrers großer Freude – und Überraschung – beim beschleunigten Verfahren „superkooperativ“ und hilfsbereit. Kurz vor Weihnachten konnte Hasan Makasci sein Visum im Konsulat in Izmir abholen, keine zwei Wochen später betrat er zum ersten Mal seinen neuen Arbeitsplatz.Weil ihm die Gleichwertigkeit seiner türkischen Ausbildung zu 100 Prozent bescheinigt wurde, sind für die Arbeitserlaubnis keine Deutschkenntnisse nötig – brauchen tut er sie natürlich trotzdem. Ein Onlinesprachkurs von der VHS machte den Anfang, weitere werden folgen.
„Mit Englisch, einem türkischsprachigen Kollegen und mit Händen und Füßen kommen wir schon recht weit“, stellt Kehrer fest. Für Werkzeuge und Vorgänge, für die es keine englisch-türkische Entsprechung gibt, wird man mit Bildern und Begriffserklärungen arbeiten. Denn natürlich seien künftig für ein effizientes und qualitatives Arbeiten gute Sprachkenntnisse absolut notwendig.
Hier gibt es Unterstützung
- Welcome Center Schwarzwald-Baar-Heuberg: Beratungsstelle der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg und der Wirtschaftsförderung. Ramona Shedrach, Telefon: 07721 922 239, Mail: welcome@vs.ihk.de https://wirtschaftsfoerderung-sbh.de/welcomecenter
- Welcome Center Südlicher Oberrhein: startet in 2023
- Fachberater für Zugewanderte und Geflüchtete bei der IHK Südlicher Oberrhein Ibrahim Sarialtin, Telefon: 0761 3858-175, Mail: ibrahim.sarialtin@freiburg.ihk.de und Sabrina Branner, Telefon: 07821 2710-654, Mail: sabrina.branner@freiburg.ihk.de
- Integrations-Kümmerer bei der IHK Hochrhein-Bodensee (Ausbildung für junge Geflüchtete): Sven Ness (für Landkreis Lörrach) Telefon: 07622 3907-225, Mail: sven.ness@konstanz.ihk.de und Hina Raza (für Landkreise Konstanz und Waldshut), Telefon: 07531 2860-181, hina.raza@konstanz.ihk.de
- „Fachkräfteeinwanderung – Orientierung über Prozesse und Anlaufstellen für Unternehmen in den Landkreisen Lörrach und Waldshut“: Wegweiser/Spickzettel der Fachkräfteallianz Südwest zum Download, hilfreich für Betriebe aus der ganzen Region. www.fachkraefteallianz-suedwest.de/projekt/die-richtige-spur-finden
- Regionale Koordinationsstelle Fachkräfteeinwanderung Freiburg/ IQ Netzwerk BW: für Unternehmen. Olga Kuchendaeva, Telefon: 0171 2136322, Mail: olga.kuchendaeva@arbeitsagentur.de, Leyla Scherer, Telefon: 0171 3043468, leyla.scherer@arbeitsagentur.de
- Merkblatt zum neuen Chancen-Aufenthaltsrecht: www.unternehmen-integrieren-fluechtlinge.de – Neues Infopapier zum Chancen-Aufenthaltsrecht
- Make it in Germany: Infoportal der Bundesregierung für Fachkräfte aus dem Ausland, Unternehmen, Azubis, Studenten, in diversen Sprachen. www.make-it-in-germany.com
Das Interesse der Unternehmen steigt
Roland Kehrer ist sich der Größe der Aufgabe für beide Seiten sehr bewusst. Integration geht nicht im Handumdrehen. „Aber mal ehrlich, wir hatten doch gar keine Alternativen und brauchen Personal. Und wenn die Sprache jetzt die Hürde ist, dann versuchen wir sie zusammen so gut wie möglich zu nehmen, auch wenn wir zu kämpfen haben.“ Kehrer ist entschlossen, die Motivation und das Engagement seines neuen Mitarbeiters zu honorieren: „Wir ziehen das jetzt erstmal durch. Ich bin zuversichtlich. Das wird was. – Auch wenn das alles für ein Unternehmen unserer Größe wahrscheinlich ein komplett ungewöhnlicher Weg war.“
Ungewöhnlich vielleicht, aber längst nicht mehr die Ausnahme, beobachtet Ramona Shedrach vom Welcome Center. Immer mehr auch kleine Handwerks- und Industriebetriebe suchen das Gespräch. „Viele kommen dann zwar ernüchtert zu dem Schluss, dass Rekrutieren aus dem Ausland deutlich aufwändiger ist als in der Nachbargemeinde“, berichtet Shedrach. „Aber mangels anderer Optionen probieren es jetzt auch öfter die kleinen und nicht nur die großen Unternehmen.“
Tatsächlich spielt jedes zweite Unternehmen in der Region mit dem Gedanken, sich um Fachkräfte aus dem Ausland zu bemühen, oder tut es sogar bereits. Das ergab eine Unternehmensumfrage der IHK Südlicher Oberrhein und der Handwerkskammer Freiburg, die bei der Kick-Off-Veranstaltung fürs neue Welcome Center Südlicher Oberrhein, das 2023 starten soll, vorgestellt wurde (siehe Grafik Seite 7). Besonders in Hotellerie und Gastronomie sind fast 50 Prozent der Betriebe schon konkret dabei, in Verkehr und Logistik sind es kaum weniger, gefolgt von der Informationswirtschaft mit rund 28 Prozent. Weitere 20 bis 25 Prozent der Betriebe aus HoGa und Logistik, aus dem Handwerk und dem produzierenden Gewerbe kämen hinzu, so die Studie, wenn es entsprechende fachliche Unterstützung gäbe. – Die gibt es und sie ist auch dringend nötig.
Viele Köche – machen das Kochen zäh
Das Anheuern von Mitarbeitern aus dem Nicht-EU-Ausland ist in der Tat ein komplexes Unterfangen mit einer unglaublichen Zahl an Mitspielern. Eberhard Liebherr, Präsident der IHK Südlicher Oberrhein, führte beim Neujahrsempfang einige Zahlen an: In Deutschland seien mehr als 1.000 Behörden für die inhaltliche Überprüfung ausländischer Abschlüsse zuständig, allein in seinem Kammerbezirk gebe es elf Ausländerbehörden.
Eine Erfahrung, die Gudrun Gempp, Unternehmerin aus Efringen-Kirchen und Mitglied in der Vollversammlung der IHK Hochrhein-Bodensee, nur bestätigen kann. Für die Fachkräfteallianz Südwest hat sie das aktuell geltende Fachkräfteeinwanderungsgesetz von 2020 aufgearbeitet und auf zwölf Seiten in eine verständliche, grafische Form übersetzt, quasi einen Einwanderungsspickzettel für Betriebe aus der Region (Adresse siehe Infokasten): „Damit können sich Unternehmen leichter orientieren, an welcher Stelle im Einwanderungsprozess sie sich gerade befinden und welche Schritte als nächste einzuleiten sind“, erklärt Gempp. Ihre Gespräche mit Firmen hätten gezeigt, dass der größte Frust dadurch entsteht, dass keiner überblickt, wie das Procedere genau abläuft, welche Informationen wann von wem benötigt werden, wie lange es dauert und was es letztlich kostet. Ihre viel beachtete Infografik versucht, den Dschungel zu lichten, und liefert die passenden Kontaktpersonen gleich mit.
Denn Hilfestellungen gibt es reichlich, „sodass man eigentlich keine eigene Stelle dafür im Unternehmen schaffen muss“, meint Olga Kuchendaeva, die bei der Regionalen Koordinationsstelle Fachkräfteeinwanderung (RKF) in Freiburg Arbeitgeber zum Thema berät. „Es gibt uns, es gibt die Welcome Center. Und bei Bedarf auch gute Agenturen zum Anheuern.“ Der Aufwand lohne, sagt sie: „Wir haben immer wieder Rückmeldungen von Unternehmen, die mit dem Hereinholen zwar argen Aufwand hatten, die aber letztlich begeistert sind, weil sich die neuen Mitarbeiter gut machen.“
Trotzdem, wenn Deutschland ein echtes Zuwanderungsland werden will, wie es sich die Bundesregierung vorgenommen hat, muss vieles einfacher werden. Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll es richten (mehr dazu im Kasten). Aber kann das klappen?
Ramona Shedrach hegt zumindest die Hoffnung. „Wenn zum Beispiel die Anerkennungsverfahren künftig hier stattfinden können, ist das für alle schon mal eine Erleichterung.“ Trotzdem teilt sie die Bedenken von Ibrahim Sarialtin und Sabrina Branner, die bei der IHK Südlicher Oberrhein Zugewanderte und Unternehmen beraten. „Wir begrüßen das neue Gesetz sehr, hoffen aber auch, dass zugleich die Personalsituation in den Ämtern deutlich verbessert wird, dass noch stärker entbürokratisiert wird, und der Spracherwerb im Ausland mehr gefördert wird“, stellt Sarialtin fest. „Aktuell brauchen Unternehmen Stehvermögen, wenn sie Mitarbeiter reinholen wollen.“
Pragmatische Lösungen wären hilfreich, meint auch Alexander Graf, Geschäftsführer der IHK Hochrhein-Bodensee: „Vielleicht schraubt das Gesetz die Hürden ja so weit runter, dass es die Firmen einfach mal versuchen. Vielleicht kommt der große Wurf auch erst in einer späteren Version – für die uns aber eigentlich die Zeit fehlt.“
Text: Ulrike Heitze