Die Hiobsbotschaften wollen nicht abreißen. Die schlimmste Energiekrise seit Jahrzehnten zehrt an den Nerven. Die Industrie- und Handelskammern und andere Wirtschaftsverbände setzen sich vehement für Entlastungen auch für Unternehmen ein. Gleichzeitig bemühen sich Firmen Strom und Wärme einzusparen, wo es nur geht. Wir haben uns in der Region umgehört, wie Betriebe dem Problem begegnen.
Spätestens seit dem mutmaßlichen Anschlag auf die beiden Pipelines Nordstream 1 und 2 ist klar: Günstiges Gas aus Russland wird es so schnell nicht mehr geben – vielleicht nie wieder. Der Gaspreis ist explodiert, Verbraucher und Handel zahlen inzwischen mindestens den doppelten oft sogar den dreifachen Preis. Im Windschatten der Kosten für Erdgas gehen auch die Preise der restlichen Energieträger durch die Decke, allen voran für Strom. Viele Verbraucher sind verunsichert, wie sie die Heizkosten im Winter stemmen sollen, entsprechend fürchten Einzelhandel und Tourismusbranche, dass weniger konsumiert wird. Das produzierende Gewerbe ächzt ohnehin.
„Die schlimmste Energiekrise seit Jahrzehnten bedroht in kürzester Frist die Existenz einer täglich wachsenden Zahl von Betrieben aus allen Branchen und damit auch eine Vielzahl von Arbeitsplätzen“, heißt es in einer von den 79 Industrie- und Handelskammern (IHKs) mit großer Mehrheit beschlossenen Resolution (Downloadlink siehe oben). „Unsere Wirtschaftsstruktur und unser Wohlstand in Deutschland geraten zunehmend in Gefahr – Produktionsstopps, Wertschöpfungsverluste und die Verlagerung von Produktion ins Ausland sind die Folgen.“ So steige aktuell die Zahl der Unternehmen, die entweder gar keine oder nur noch Energielieferverträge zu Extrempreisen erhielten.
Energiesparprojekte und Ansprechpartner
- Die Bundeskampagne „Energiewechsel“ hält in ihrer Unternehmensrubrik Energiespartipps und einen Förderwegweiser parat. energiewechsel.de
- Die IHK-Plattform „Unternehmensnetzwerk Klimaschutz“ vernetzt Unternehmen, die ihre Klimaschutzmaßnahmen verbessern wollen. Das Netzwerk steht allen Unternehmen unabhängig von Größe und Branche offen, die Teilnahme ist kostenlos. www.klimaschutz.de/de/projekte/unternehmensnetzwerk-klimaschutz
- Die IHKs in Baden-Württemberg bieten das Projekt Energiescouts. Energiescouts sind Auszubildende, die ihre Unternehmen dabei unterstützen, Energieeffizienzpotenziale zu finden, zu dokumentieren und Verbesserungen anzuregen. Ziel ist die Reduzierung des Energieverbrauchs und natürlich die Treibhausgasreduktion. Zudem lernen Azubis dabei in interdisziplinären Teams zu arbeiten, ein Projekt zu strukturieren, umzusetzen und die Ergebnisse zu präsentieren. https://energiescouts.ihk.de
- Die VEA-Initiative „Klimafreundlicher Mittelstand“ hat einen umfangreichen Maßnahmenkatalog, eine Fördermitteldatenbank und Best-Practice-Beispiele zusammengestellt. www.klimafreundlicher-mittelstand.de
- Die Initiative Energieeffizienz- und Klimaschutz-Netzwerke (IEEKN) hat eine Übersicht an Kurzfristmaßnahmen herausgegeben. www.effizienznetzwerke.org – Kurzfristmassnahmenliste
- Die Klimaschutzoffensive des Handelsverbands Deutschland (HDE) bietet eine virtuelle Marktstraße, die Sparpotenziale aufzeigt, einen Benchmarkrechner, einen Investcheck und eine Förderdatenbank mit Programmen speziell für den Einzelhandel. Auf der Webseite finden sich zudem praxisnahe Tipps und Erfahrungsberichte von Handelsunternehmen, die Energieeffizienzmaßnahmen umgesetzt haben. Zudem können die Plakate zur Kampagne „Tür zu, laden auf“ kostenfrei bestellt oder heruntergeladen werden. www.hde-klimaschutzoffensive.de
- Die Initiative „3 Grad Jetzt“ bietet Tipps zum Stromsparen speziell am Arbeitsplatz www.3gradjetzt.de
Konkrete Vorschläge der Politik stehen noch aus
Vehement fordern die IHKs in einer gemeinsamen Resolution von der Politik, „rasch die richtigen Rahmenbedingungen für den Weg durch die Energiekrise zu schaffen“. Dafür listen die IHKs zehn aus ihrer Sicht kurzfristig wirkende Sofortmaßnahmen auf. Sie fordern unter anderem, alle verfügbaren Kohle- und Ölkraftwerke in den Markt zurückzuholen sowie verfügbare Kernkraftwerke bis zum Ende der Krise weiterzubetreiben.
Die vom DIHK geforderte Preisbremse für die Wirtschaft ist von der Politik inzwischen angeschoben worden. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte einen „Doppel-Wumms“ in Form von 200 Milliarden Euro Unterstützung sowie eine Gaspreisbremse an. Die Gaspreiskommission hat einen Vorschlag vorgelegt, wie diese ausgestaltet werden soll. Zum Redaktionsschluss stand noch nicht fest, welche Ideen es schließlich in die Praxis schaffen.
Angesichts der angespannten Gasversorgungslage und stark gestiegener Erdgas-, Strom- und Kraftstoffpreise stehen viele Unternehmen unter Druck, ihren Energiebedarf kurzfristig zu reduzieren. „Es gibt unzählige kleine Maßnahmen, mit denen man den Energieverbrauch senken kann“, sagt Jelena Nikolic. Sie ist Projektleiterin der Klimaschutzoffensive des Handelsverbands Deutschland (HDE). Die Initiative bietet umfangreiches Material zum Energiesparen an, das kostenfrei genutzt werden kann (mehr siehe Infokasten Seite 8).
Klassiker unter den unnötigen Energiefressern sind laut den Experten der Initiative verdreckte Klimaanlagen: Schmutzige Filter blockieren den Luftstrom, weswegen der Motor mehr arbeiten muss. „Die Reinigung ist einfach und amortisiert sich richtig schnell“, sagt Nikolic. In diesem Zusammenhang weist sie auch darauf hin, dass man genau hinschauen sollte, ob Wartungsunternehmen diese Aufgabe tatsächlich ausführen und nicht einfach nur einen Wartungsaufkleber platzieren.
Sparen mit LEDs
Der Löwenanteil – nämlich rund 55 Prozent – des Stromverbrauchs im Non-Food-Handel – entfällt auf die Beleuchtung. „Ich höre immer ‚Beleuchtung hat doch schon jeder gemacht‘. Das stimmt nicht. Bei uns kommen jeden Tag Leute zur Beratung, die noch die ganz alten Leuchten drin haben“, sagt Marcel Riethmüller, Geschäftsführer der Ecogreen GmbH, die Unternehmen zu Energieeffizienzfördermitteln berät. Selbst für Betriebe, die bereits auf energieeffiziente Beleuchtung umgestellt haben, könnte sich ein weiteres Upgrade lohnen. „Wir tauschen sogar bereits LEDs wieder aus, weil die neue Generation nochmal viel weniger Verlustleistung hat. Zudem ist das Licht besser zu lenken und es gibt schönere Farbtemperaturen.“ Wenn sich Ladenbesitzer entschließen zu investieren, sollte es eine verkaufsfördernde Beleuchtung sein. „Ansonsten kann man das Licht auch einfach ausschalten.“
Messen, steuern, regeln
Moderne Heizungs-, Klima- und Lüftungsanlagen verfügen über Zeitsteuerungen, die viel Energie sparen können – sofern man sie richtig nutzt. Riethmüller berichtet von einem Praxisbeispiel, bei dem im Sommer eine Nachtlüftung einprogrammiert wurde, die dann im Winter einfach weiterlief und nachts die Fenster öffnete. So etwas kostet Geld und Energie. „Reden Sie mit dem Heizungsbauer, lassen sie sich alles ganz genau erklären“, so sein Rat. Lüftungsanlagen oder Heizungen müssen nachts, an Sonntagen oder Feiertagen nicht laufen. Die Abschaltung können die allermeisten Anlagen automatisch regeln. „Und wenn sie das nicht kann, ist es eventuell Zeit für eine neue Anlage“, so der Experte.
Stimmen aus Unternehmen
- Bodenseeschiffs-Betriebe (BSB), Konstanz – Suche nach alternativen Technologien
Frank Weber, Geschäftsführer: „Sämtliche Bereiche der BSB sind von den Preissteigerungen betroffen. Der Schiffs- und Fährbetrieb ist … - Badische Staatsbrauerei Rothaus AG, Grafenhausen – Regenerative Energie am Start
Vorstand Christian Rasch: „Für unser Ziel, bis 2030 klimapositiv zu werden, modernisieren wir … - „blumen bär“ GmbH, Bad Krozingen – Transportwege verkürzen, wo es geht
Dieter Bär und Nicole Oberfell, Geschäftsleitung: „Die Produktionskosten steigen beträchtlich, ob … - Herrenknecht GmbH, Schwanau – Energieeffizienz wird fortlaufend optimiert
David Eisenmann, Head of Logistics & Sourcing: „Die Herrenknecht AG ist aktuell stark von der Energiekrise betroffen. Zunächst …
Mieter-Nutzer-Dilemma überwinden
Viele Händler betreiben ihr Geschäft in gemieteten Immobilien. Das „Nutzer-Mieter-Dilemma“ gilt als eine der größten Effizienzbremsen. „Der Gedanke ‚Ich bin ja nur Mieter, deswegen kann ich nichts machen‘ ist in vielen Köpfen fest abgespeichert. Aber auch das stimmt nicht“, sagt Marcel Riethmüller. Viele Immobilienfonds, Investoren und Eigentümer reagierten positiv, wenn der Mieter Gebäudetechnik auf den neuesten Stand bringen möchte. „Nebenkosten spielen inzwischen eine große Rolle beim Verkaufswert.“
Tipps zum Energiesparen
Lüftungs- und Klimaanlage
- Bei der Nutzung der Klimaanlage Fenster und Türen schließen. Die Luftströme erhöhen sonst den Energieverbrauch.
- Regelmäßig Filter, Wärmetauscher und Lüftungsgitter reinigen lassen.
- Bei Klimaanlagen sollten jeden Monat die Kondensatoren gereinigt werden, um Verstopfungen zu verhindern. Verunreinigungen senken die Effizienz erheblich.
- Jährliche Reinigung der Verdampferelemente der Klimaanlage. Laut Energieeinsparverordnung müssen Klimaanlagen regelmäßig von zugelassenem Fachpersonal gewartet werden.
- Zeitschaltuhren für Lüftungs- und Klimatisierungsanlagen nutzen. Überprüfen Sie regelmäßig, ob das eingestellte Programm noch auf Ihre Anforderungen passt.
Beleuchtung
- Licht aus in Bereichen, in denen sich keine Personen aufhalten. Nach Büroschluss Beleuchtung ausschalten. Erinnern Sie Ihre Mitarbeiter daran.
- Nach Büroschluss PCs, Bildschirme, Drucker, Kassen, Ausstellungsstücke, Kaffeemaschinen ausschalten. Längst nicht alle Geräte benötigen einen Standby-Betrieb.
- Installieren Sie Zeitsteuerungen, Dämmerungsschalter, Bewegungsmelder und tageslichtgesteuerte Lampen – damit lassen sich viele Kilowattstunden einsparen.
Heizung
- Jedes Grad Raumtemperatur weniger spart rund sechs Prozent Heizkosten.
- Reinigen Sie Ihren Heizkessel vor Beginn der Heizperiode. Ein stark verschmutzter Kessel braucht bis zu 20 Prozent mehr Energie. Machen Sie einen hydraulischen Abgleich – dieser spart bis zu 20 Prozent Energie und wird staatlich gefördert.
- Heizung und Klimaanlage sollten nicht gegeneinander arbeiten. Stellen Sie die Kontrolltemperatur für die Klimaanlage fünf Grad Celcius oberhalb der gewünschten Raumtemperatur für die Heizung ein.
- Dämmen Sie die Heizungsrohre. Sind 20 Meter Leitung nicht gedämmt, verbraucht das etwa 2.000 Kilowattstunden im Jahr zusätzlich.
- Checken Sie, ob die Vorlauftemperatur Ihres Heizkessels dem tatsächlichen Bedarf angepasst ist. Was zeigen die Thermometer auf den Verkaufsflächen an?
- Nach Büro- und Ladenschluss hilft Regelungstechnik, die Temperatur abzusenken. Andernfalls die Mitarbeiter zum Heizungrunterdrehen anhalten.
Er rät, Vermieter mit konkreten Ideen und Vorhaben anzusprechen. Viele seien bereit für Maßnahmen etwa an der Klima- und Lüftungsanlage einen Baukostenzuschuss zu zahlen. Je nach Länge des Mietvertrags lohnt die Investition auch für den Mieter. Eine Win-Win-Situation.
Mitarbeiter motivieren
„Kein Betrieb ist perfekt. Jeder noch so eingespielte betriebliche Ablauf lässt sich noch verbessern“, sagt Frederik Richau, Projektleiter der Initiative „Klimafreundlicher Mittelstand“ vom Bundesverband der Energie-Abnehmer e.V. (VEA). „Wer noch keine hat, sollte jetzt eine Task Force für Energiethemen einberufen“, sagt Richau. Wichtig sei, so Richau, alle Mitarbeiter bei der Energiesparreise mitzunehmen. „Belobigungen und kleine Geschenke können Anreize zum Energiesparen für Mitarbeitende schaffen.“ Wichtig sei auch, die Energiesparziele und deren Fortschritte, ebenso wie die Erdgas- und Strompreise regelmäßig an die Mitarbeiter zu kommunizieren.
Von anderen lernen
Natürlich haben schon längst viele Unternehmen die Gelegenheit ergriffen, ihr Energiesparpotenzial unter die Lupe zu nehmen. Eindrucksvoll zeigt das eine Liste mit Praxisbeispielen, die die VEA zusammengetragen hat.
Ein Beispiel aus der Kunststoffbearbeitung: Dort sorgen hohe Betriebsdrücke für beträchtliche Wärmeentwicklung und dadurch bedingt zu hohen Energieverlusten, wenn Wärme in die Umgebung entweicht. Mittels Dämmung des Schneckenzylinders einer Extrusionsmaschine und einer Verbrauchsmessung konnte in dem Beratungsfall der Wärmeverlust durch Strahlung und Konvektion bis zu 40 Prozent verringert werden.
Die VEA listet zu jedem Fallbeispiel die konkrete Investitionssumme, die Investitionsdauer und Effizienzgewinne auf. Für Rentabilität und Amortisationszeit wurden die ökonomischen Kennzahlgrößen bereits auf das Jahr 2022 umgerechnet, sowie steigende Investitionskosten als auch die aktuellen Energiepreise einkalkuliert. „Natürlich müssen die Unternehmen für das Berechnen der unternehmenseigenen Rentabilität jeweils eigene Kennzahlen und individuelle Energiepreise berücksichtigen“, sagt Frederik Richau. Ein guter erster Input für Ansatzpunkte ist die Liste mit Sicherheit. Bis Ende des Jahres möchten wir den Katalog auf 1.000 erweitern“, sagt Richau und bittet daher um weitere Einreichungen – falls gewünscht auch anonymisiert.
Auch die Initiative Energieeffizienz- und Klimaschutz-Netzwerke (IEEKN) hat Maßnahmen zur Energieeinsparung und -substitution in Unternehmen entwickelt, die sich kurzfristig umsetzen lassen. Eine Checkliste zählt eine Reihe von gering-investiven technischen Maßnahmen mit Kosten unter 1.000 Euro auf, die einen recht hohen Effizienzgewinn bedeuten, etwa das Optimieren von Heiz- und Kühlsystemen sowie Druckluftanlagen.
Jetzt investieren lohnt
Den Winter aussitzen und auf bessere Zeiten hoffen? Für Marcel Riethmüller ist das keine ökonomisch sinnvolle Option: „Die Energiepreise werden dauerhaft auf hohem Niveau bleiben. Wer jetzt nicht handelt, wird irgendwann das Nachsehen haben.“ Nicht nur der Russlandkrieg wird fossile Brennstoffe teuer halten, sondern auch die gesetzlich vorgesehene CO2-Bepreisung. Er hat eine klare Botschaft: „Trotz gestiegener Preise und Mangel an Handwerkern sollte man jetzt investieren“. Der Staat stellt für Effizienzmaßnahmen Fördermittel zur Verfügung. Allerdings: „Was gestern noch förderfähig war, kann es morgen schon nicht mehr sein“. Deswegen ist es wichtig, up-to-date zu bleiben und erfahrene Berater zu Rate zu ziehen. Auch die IHKs halten eine entsprechende Expertise für ihre Mitgliedsunternehmen vor.
Energiesparen war schon immer sinnvoll. In diesem Jahr geht es aber ums Ganze. Wenn Haushalte und Industrie jeweils etwa gut 20 Prozent ihres Energieverbrauchs reduzieren, kommt Deutschland ohne Abschaltungen durch diesen Winter, so die Bundesnetzagentur.
Text: Daniela Becker
Bild: Adobe Stock – vladislav1
IHK-Ansprechpartner rund ums Energiesparen sowie zum Projekt EnergieScouts
IHK Hochrhein-Bodensee
Saskia Weide
Telefon: 07531 2860-172
Mail: saskia.weide@konstanz.ihk.de
IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg
Marcel Trogisch
Telefon: 07721 922-170
Mail: trogisch@vs.ihk.de
IHK Südlicher Oberrhein
André Olveira-Lenz
Telefon: 0761-3858-260
Mail: andre.olveira-lenz@freiburg.ihk.de
Die IHK-Resolution zur Energiekrise – Link