2.000 Quadratmeter für Rösterei, Lager, Vertrieb und Verwaltung, ein Flagshipstore in der Freiburger Innenstadt sowie 60 Mitarbeiter: Das nicht mehr ganz so junge Start-up Fairfood Freiburg ist zuletzt rasant gewachsen. Seine Ursprünge liegen im Jahr 2014 in Konstanz. Die Werte von Gründer Amos Bucher und seinen Mitstreitern sind heute dieselben wie damals: „Bio, fair, unverpackt, vegan und eine hohe Wertschöpfung im Herkunftsland“, zählt er auf. „Aus Überzeugung.“
Freiburg/Konstanz. Der Duft von frisch gerösteten Cashewnüssen steigt einem in die Nase, sobald man das Firmengebäude der Fairfood Freiburg GmbH betritt. Er wird stärker beim Weg durchs Lager, vorbei an Paletten voller Gläser und Eimer mit Nüssen und Trockenfrüchten. Ein Hauch von Rosmarin und Thymian mischt sich unter die kräftige Nussnote. Neben der Abfüllanlage geben große Fenster den Blick frei in die Küche. Fünf Frauen und Männer rösten Nüsse – wenden sie in der Gewürzmischung für die „Wilde Rosmarie“, schieben sie in den Ofen, holen sie heraus oder schütten sie in Wannen. Aus denen wiederum füllen sie andere Mitarbeiter in Pfandeimer oder -gläser, die an Unverpacktläden, den Biogroßhandel und darüber vor allem an Alnatura-Filialen vertrieben werden oder über den Onlineshop an Endverbraucher gehen. Dass es Nüsse, Nussmus und Trockenfrüchte in Pfandbehältern zu kaufen gibt, gehört zu den Verdiensten von Fairfood. Dass ein großer Teil der Wertschöpfung im Anbauland bleibt, ebenfalls.
Beispiel Cashewnüsse: Die wachsen vor allem in Nigeria und Anrainerstaaten. Aber etwa 95 Prozent der Ernte wird in Containern nach Indien und in andere asiatische Länder gebracht, dort geknackt und weiterverarbeitet, wie Fairfood-Geschäftsführer Amos Bucher berichtet. Dies fand er schon lange ungerecht. Er war der Ansicht, dass dies auch im Erzeugerland geschehen und der heimischen Bevölkerung zu mehr Arbeit und Verdienst verhelfen solle. Darüber unterhielt er sich Anfang 2014 mit Okey Ugwu immer wieder in der Mittagspause. Damals arbeitete der Maschinenbauingenieur Bucher bei einem mittelständischen Industriebetrieb am Bodensee, bei dem der gebürtige Nigerianer Ugwu seine Bachelorarbeit im Fach Elektrotechnik schrieb. Gemeinsam fassten sie den Plan, im Erzeugerland von Hand geknackte Cashews übers Internet zu verkaufen. Zusammen mit Buchers Bruder Tobias, heute stiller Teilhaber, und dem damals schon in Freiburg lebenden, für Produktion und Versand zuständigen Julian Bletscher gründeten sie Ende 2014 in Buchers Wohnort Konstanz das Unternehmen Cashew 4U. Anfang 2015 bauten sie in Nigeria, auf dem Hof von Ugwus verstorbenem Vater, eine Produktion auf und gründeten dafür vor Ort eine eigene Firma. All dies nebenberuflich und ohne daran zu verdienen. Die ersten 200 Kilogramm vor Ort geernteten und geknackten Nüsse verschifften sie im Mai 2015 nach Deutschland, füllten sie in Buchers Wohnung ab und verkauften sie an Freunde, Bekannte und das nach und nach wachsende Netzwerk. Das kam an, und das Unternehmen wuchs. Im Oktober trafen weitere 1,2 Tonnen Nüsse aus Nigeria ein. Tendenz steigend. 2016 folgte die Bio-, 2017 die Fairtrade-Zertifizierung sowie der erste Vollzeitmitarbeiter. Auch als in diesem Jahr der erste Unverpacktladen Freiburgs öffnete, waren Bucher und seine Mitstreiter mit dabei. Sie entwickelten ein Pfandsystem mit Plastikeimern, mit denen sie die immer beliebter werdenden Geschäfte belieferten – damals gab es etwa 50 in Deutschland, inzwischen sind es mehrere hundert. Mit deren Zahl stieg auch der Absatz der Nüsse. Zu den unbehandelten kamen geröstete Nüsse sowie weitere Sorten, stets von Bio- und Fairtradekooperativen weltweit.
All dies war bald nebenberuflich und in provisorischen Räumlichkeiten und Strukturen nicht mehr zu stemmen. 2018 kündigten Bucher und fast alle Mitgründer – 2015 war der für Kundenbindung und Marketing zuständige Mark Schwippert als fünfter Gesellschafter dazubekommen – ihre Jobs. Aus der Cashew 4U UG machten sie die Fairfood Freiburg GmbH, verlegten den Firmensitz an Bletschers Wohnort, da sie in Freiburg die besten Wachstumschancen für ihr junges Unternehmen sahen, bezogen ihre erste eigene Rösterei (als Mieter bei einem anderen Start-up) und die ersten Büroräume. „Im Herbst 2019 ging es richtig los“, erinnert sich Bucher. Die Mitarbeiterzahl stieg auf 15 Anfang 2020, um sich in den nächsten beiden Jahren auf nun 60 jeweils zu verdoppeln. 2022 sollen 20 weitere Kollegen folgen. „Alle zwei bis drei Monate mussten wir die Strukturen ändern. Das war sehr anstrengend“, erinnert sich Bucher an die Anfangszeit. Aber auch der Umsatz wuchs entsprechend, verdoppelte oder verdreifachte sich jedes Jahr und gelangte 2020 erstmals in den einstelligen Millionenbereich. Über 100 Tonnen Nüsse rösteten die Mitarbeiter 2021. Dazu kamen 150 Tonnen naturbelassene Trockenfrüchte und Nüsse, die sie ebenfalls vertrieben. Einen Teil der Nüsse verarbeiten die Mitarbeiter inzwischen zu Nussmus, -bolognese oder Pastatopping. Weitere neue Produkte wie Hafermilchpulver und veganes Eis sollen Anfang des Jahres beziehungsweise im Sommer auf den Markt kommen.
„Auch wenn es abgedroschen klingt: Wir wollen einen Betrag für eine enkeltaugliche Welt leisten“, sagt Bucher. Ihm ist wichtig, zu einer veganen und nachhaltigen Lebensweise beizutragen. So freut es ihn besonders, dass es ihnen 2020 gelungen ist, die Nüsse auch in Pfandgläsern, wie sie für Joghurt schon lange zu haben sind, zuerst bundesweit in Alnatura-, dann in weiteren Bioläden und inzwischen auch in einzelnen Edeka-Märkten zu vertreiben. Seit Oktober gibt es das Fairfood-Sortiment im eigenen Flagshipstore in der Freiburger Fischerau zu kaufen.
Investitionen stemmte Fairfood bislang mit Crowdfunding, -investing und Darlehen der GLS Bank. Allein eine halbe Millionen Euro waren fürs Einrichten des ersten eigenen Standortes an der Merzhauser Straße im Frühjahr 2021 nötig. Gleichwohl herrscht dort Start-up-Atmosphäre: Das Eingangstor haben die Mitarbeiter aus Paletten gebaut, Bar und Sitzgelegenheiten im Hof ebenfalls.
mae
Bilder:
Fairfood-Mitarbeiter rösten Nüsse in der Freiburger Zentrale (oben).
Nigerianische Frauen knacken Cashews in ihrem Heimatland (unten).