Über das Produkt der „Eurofins LifeCodexx GmbH“ reden derzeit viele. Das Unternehmen kennen weniger Menschen: Die Konstanzer haben 2012 einen Bluttest für Schwangere entwickelt, mit dem ohne Gefahr für das Ungeborene verschiedene Chromosomenstörungen diagnostiziert werden können. Etwa in einem Jahr soll dieser nicht invasive pränatale Test Kassenleistung werden. Die Firma, Marktführer in Deutschland, rechnet mit einem Wachstumsschub.
Konstanz. Laborleiter Stephan Busche zeigt auf den Bildschirm eines Sequenziergeräts: Darauf sind Kurven in verschiedenen Farben zu sehen. Was einfach aussieht, ist das Ergebnis eines komplizierten biotechnologischen Prozesses. An dessen Anfang steht eine Blutprobe der Schwangeren. Diese geben die Labormitarbeiter der Konstanzer „Eurofins LifeCodexx GmbH“ in eine Zentrifuge, in der die roten Blutkörperchen und das Blutplasma voneinander getrennt werden. Roboter extrahieren anschließend aus dem Plasma zellfreie DNA, die mit einer fluoreszierenden Flüssigkeit vermischt wird. „Die Farbstoffe werden an die Chromosomen angebunden und so lange vervielfältigt, bis sie auf dem Bildschirm zu sehen sind“, erklärt der promovierte Biochemiker Busche. Im Fall einer Trisomie wachsen diese Chromosomen schneller und werden folglich zuerst sichtbar. Zwei bis drei Tage dauert es mit diesem Verfahren, bis feststeht, ob der Embryo, von dessen Mutter die Blutprobe stammt, beispielsweise eine Trisomie 21 hat oder nicht. Das Ergebnis schicken die Mitarbeiter dann an den Gynäkologen, der es seiner Patientin mitteilt und sie berät.
175.000 Blutproben aus 50 Ländern hat das Unternehmen seit der Markteinführung seines Pränataltests Anfang 2012 bereits analysiert (Stand September 2019) und dabei insgesamt rund 50 Millionen Euro umgesetzt. Gut 60 Prozent der Proben stammen von Kunden aus Deutschland, gefolgt vom restlichen Europa sowie dem Mittleren Osten und Asien.
Entstanden ist das Unternehmen im Jahr 2008 als Spin-off der Konstanzer GATC Biotech AG, eine auf DNA-Sequenzierungen für Hochschulen und Pharmaunternehmen spezialisierte ehemalige Ausgründung aus der Universität Konstanz mit rund 100 Mitarbeitern. Ziel von „LifeCode“, wie das Unternehmen bei der Gründung hieß, war es, interessierten Personen genetische Informationen bezüglich möglicher Krankheiten zur Verfügung zu stellen. Anders als in den USA, wo das sogenannte Consumer Genomics verbreitet ist, stießen die Wissenschaftler hier auf wenig Resonanz. Daher sattelte das Unternehmen um: Nachdem Ende 2008 zwei Forschergruppen in Hongkong und in den USA unabhängig voneinander nachgewiesen hatten, dass Trisomie 21 der Embryos mit neuartigen Sequzenziergeräten im Mutterblut nachgewiesen werden kann, machte sich das Unternehmen in Kooperation mit der GATC daran, solche Tests zu entwickeln. 2010 wurde „LifeCode“ zu „LifeCodexx“. Michael Lutz, promovierter Chemiker und bis Oktober Geschäftsführer, sowie zwei Mitarbeiter führten zusammen mit GATC klinische Studien durch. Anfang 2012 brachte „LifeCodexx“ als erstes europäisches Unternehmen einen nicht invasiven Pränataltest auf den Markt, den „PraenaTest“. „Vor allem in Deutschland, Österreich und der Schweiz wurden wir von sehr viel Medieninteresse begleitet. Und auch von Kritik“, berichtet Michael Lutz.
Beides begleitet das Unternehmen seitdem. Kritiker werfen diesem und anderen Anbietern, die es inzwischen auch in Deutschland gibt, vor, sie würden die Selektion von Menschen fördern und Abtreibungen von Embryos mit Trisomie 21 erleichtern. Michael Lutz hält dem entgegen: „Unser Antrieb ist, das, was in der Pränataldiagnostik seit über 25 Jahren üblich ist, in einem für Mutter und Kind sicheren Verfahren anzubieten.“ Er spielt dabei auf die Fruchtwasseruntersuchung und die Biopsie der Plazenta an, die die gesetzlichen Krankenkassen in bestimmten Fällen zahlen und mit der Trisomie 21 ebenfalls festgestellt werden kann, die aber im Gegensatz zum „PraenaTest“ invasiv sind und das Risiko einer Fehlgeburt bergen. Heinz Oehl, promovierter Mediziner und seit Oktober Geschäftsführer, sagt: „Die bisherigen Methoden haben auch zu einer Entscheidung geführt, aber bei einem deutlich höheren Risiko.“
Mit dem „PraenaTest“ können die Trisomien 13, 18 und 21 sowie viele weitere chromosomale Veränderungen festgestellt werden. Der nach und nach erweiterte Test kostete zu Beginn rund 1.200 Euro. Dies zahlten die Schwangeren selbst oder in bestimmten Fällen ihre Krankenkassen. Seit der Einführung eines schnelleren Verfahrens im Jahr 2016 gibt es den Trisomie-21-Test für 129 Euro. Im September hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), das höchste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen, entschieden, dass die gesetzlichen Krankenkassen den nicht invasiven Pränataltest zur Bestimmung der Trisomien 13, 18 und 21 Frauen mit Risikoschwangerschaft in begründeten Einzelfällen und nach ärztlicher Beratung als Regelleistung bezahlen. Michael Lutz rechnet damit, dass der Beschluss Ende 2020 umgesetzt wird. In der Schweiz ist das bereits seit 2015 der Fall, dort habe das Unternehmen, so wie auch in Deutschland, den Prozess mit angestoßen, sagt Michael Lutz. Ziel sei es seitdem gewesen, dies auch hier zu erreichen.
Die Folgen für die Konstanzer: „Wir erwarten für 2021 ein massives Wachstum des Marktes“, sagt Heinz Oehl. „Wir denken, dass wir in Deutschland die Nase vorn haben werden, da wir dank unseres neuesten Verfahrens in Deutschland Preisführer sind.“ Er geht davon aus, dass die Umsätze weiter zweistellig wachsen werden – so, wie sie das seit 2012 bereits tun. Außerdem plant Oehl, weitere Standorte aufzubauen. Bislang werden die „PraenaTests“ von Schwangeren weltweit alle in Konstanz durchgeführt. Am Firmensitz im Stromeyersdorf verfügt das Unternehmen über etwa 500 Quadratmeter Laborfläche und etwa ebenso viel Platz für die Verwaltung. Rund 50 Mitarbeiter sind beschäftigt, die meisten von ihnen im Labor sowie in Forschung und Entwicklung. Seit 2018 gehört „LifeCodexx“ – so wie auch die Firmenmutter GATC – zu Eurofins, einem weltweiten Verbund von 800 Laboren mit Zentrale in Brüssel, insgesamt rund 45.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 3,7 Milliarden Dollar (2018). Das von „LifeCodexx“ entwickelte Verfahren wird nun auch in anderen Laboren des Verbunds unter anderem Namen angewendet. Die Konstanzer haben indes einen weiteren Pränataltest für Schwangere mit negativem Rhesusfaktor auf den Markt gebracht. Außerdem vertreiben sie den Test eines Spin-offs der Uni Kiel zur Früherkennung von Osteoporose bei Frauen.
mae