Sie machen die Mehrheit der IHK-Mitglieder aus, haben es aber häufig schwer, sich in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen: die Einzel- und Kleinstunternehmen mit null bis neun Mitarbeitern. Sie sind divers, reichen vom Kosmetikstudio über Gastronomen und Händler bis zum Versicherungsmakler. So heterogen die Kleinen sind, so unterschiedlich sind sie von der Coronakrise betroffen, und so verschieden sind auch sonst ihre Anliegen und Probleme. Wir geben einen Einblick in die Welt der Einzel- und Kleinstunternehmen anhand von sechs Beispielen aus dem Regierungsbezirk Freiburg – vom Einpersonen- bis zum neunköpfigen Unternehmen. Mitte November haben wir mit ihnen gesprochen.
Sie gehört zu den Dienstleistern und damit zur größten Gruppe unter den Einpersonen- und Kleinstunternehmen: Patricia Winter (54) betreibt in Durbach seit 16 Jahren die „P:W Agentur für Dialogmarketing“. Diese ist auf den telefonischen Kontakt mit Geschäftskunden spezialisiert. Ihre Kunden sind kleine und mittlere Unternehmen, die über keinen inneren Vertrieb verfügen. „Für diese baue ich langfristige und nachhaltige Kundenbeziehungen auf, pflege und reaktiviere sie“, sagt Patricia Winter. Mit Dialogmarketing hat sie bereits nach ihrem Jurastudium Erfahrungen gesammelt, als sie sich nebenberuflich zur Diplom-Fachwirtin für Dialogmarketing weiterbildete. Bei F&S Dialogmarketing in Offenburg, wo sie als Team- und Projektleiterin arbeitete, und bei der Call Connexxion GmbH in Offenburg, deren Geschäfte sie führte, vertiefte sie ihr Wissen. 2004 machte sie sich selbstständig. „Ich wollte schon immer mein eigener Herr sein“, sagt Patricia Winter.
Im Frühjahr hatte sie geplant zwei Mitarbeiter einzustellen, schob dies wegen der Coronapandemie aber auf. Im März fielen zwei ihrer Aufträge weg, seit Mai hat Patricia Winter wieder mehr Anfragen und ist daher bislang gut durch die Pandemie gekommen. „Wo Messen wegfallen und die persönliche Ansprache fehlt, wird Dialogmarketing übers Telefon wichtiger“, ist ihre Erfahrung. Ihr Ziel sei es nie gewesen, zu wachsen und möglichst viele Mitarbeiter zu beschäftigen. „Ich nehme nur Aufträge an, die zu meinen Werten passen“, führt Patricia Winter aus und nennt Ehrlichkeit, Vertrauen und Zuverlässigkeit als Beispiele. Sie rechnet nach einem festen Stundensatz ab und vereinbart mit neuen Kunden stets einen Vorschuss. Am Anfang habe sie dies nicht getan und dafür Lehrgeld bezahlt. Patricia Winter berichtet von anderen kleinen Unternehmen vor allem aus der Werbebranche, die in der Hoffnung auf Aufträge Leistungen erbringen, dann aber weder den Auftrag noch Geld für ihre getane Arbeit erhalten. „Viele kleine Unternehmen kommunizieren dies nicht klar, weil sie die Aufträge brauchen“, sagt Patricia Winter. Ihr ist es wichtig, dass den kleinen Unternehmen Wertschätzung entgegengebracht wird, sie politisches Gehör finden und bei den Förderprogrammen in der Coronakrise nicht durchs Raster fallen, weil sie beispielsweise keine Fixkosten haben. Deshalb engagiert sie sich im Einpersonen- und Kleinunternehmensausschuss (EKU-Ausschuss) der IHK Südlicher Oberrhein.
Auch Lilli Junker (47) ist Mitglied des EKU-Ausschusses der IHK Südlicher Oberrhein. Sie möchte dazu beitragen, dass die Politik die Bedürfnisse der Kleinen im Blick hat. „Wir können oft nicht leisten, was von allen Unternehmen verlangt wird“, sagt sie und nennt die Datenschutz-Grundverordnung als Beispiel. Auch viele Förderprogramme, nicht nur während der Coronapandemie, würden am Bedarf der Kleinen vorbeigehen. Sie findet die Vielfalt der Kleinunternehmen spannend, die große Spannbreite zwischen denen, die sehr gut und denen, die wie sie relativ wenig verdienen. Und ihr gefällt, dass die Selbstständigkeit es vielen Frauen ermöglicht, Beruf und Familie zu verbinden. Lilli Junker selbst ist angesichts der Corona-krise froh, dass sie auf zwei Standbeinen steht: Für das Freiburger Studierendenwerk leitet sie eine Cafeteria. Die ist allerdings seit März coronabedingt geschlossen, und Lilli Junker ist in Kurzarbeit. Ihr damals zweites Standbein brach im Frühjahr komplett ein: Seit 2008 verkauft sie normalerweise beim Freiburg-Marathon, bei Straßen-, Wein- und Firmenfesten sowie auf dem Weihnachtsmarkt mit einem mobilen Stand Crêpes. Dies ist nach wie vor nicht möglich. Seit Mitte Juni hat sie dafür einen festen Standort: Aus einem Pavillon in der Freiburger Günterstalstraße zog eine Eisdiele aus. „Wir haben die Chance genutzt“, sagt Lilli Junker, die das „Crêpes und Apéro“ gemeinsam mit ihrem Partner Anthony Martinez, der zugleich ihr einziger Mitarbeiter ist, betreibt. Sie verfügen über zehn Tische auf der Terrasse und betreiben zudem einen Straßenverkauf. Obwohl ihr nun die Einnahmen aus dem abgesagten Weihnachtsmarkt fehlen, hofft sie, dass sie und Martinez ab kommendem Frühjahr von der Crêperie leben können. Ihre Festanstellung will sie dann aufgeben und freut sich auf die komplette Selbstständigkeit: „Das Schöne ist gleichzeitig die Herausforderung: dass man alles selbst entwickeln und verwirklichen kann“, sagt Lilli Junker. Man brauche aber ein gutes Netzwerk und dürfe sich von den vielen bürokratischen Anforderungen nicht erdrücken lassen. „Das Schwierige ist, dass alles, was man nicht selbst kann, liegen bleibt oder man Geld dafür in die Hand nehmen muss.“
Viele kleine Unternehmen vernachlässigen die IT-Sicherheit und schützen ihre Daten nur ungenügend vor Hackerangriffen – diese Erfahrung mache er immer wieder, berichtet Detlef Noeldechen (61). Er ist Inhaber des IT-Dienstleisters Netz5 in Villingen-Schwenningen mit den Geschäftsfeldern IT-Consulting und -Dienstleistungen, Speicherlösungen, Virtualisierung, Datenschutz und Datenschutz-Grundverordnung. Außerdem testen Noeldechen und seine derzeit drei Mitarbeiter IT-Systeme ihrer Kunden mit fingierten Hackerangriffen auf Schwachstellen. Sein Wissen gibt der Diplom-Wirtschaftsinformatiker und IT-Sicherheitsbeauftragte als Dozent an der IHK Akademie der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg, der Dualen Hochschule Villingen-Schwenningen und der Hochschule Furtwangen University weiter. Seine Kunden reichen vom kleinen Ingenieurbüro bis zum Unternehmen mit 500 Mitarbeitern. Seit 1991 ist Noeldechen selbstständig und will dies nicht missen: „Es ist schön, dass man relativ frei ist, sofern das möglich ist“, sagt er. Wenn einer seiner Kunden, wie erst neulich geschehen, Opfer eines Hackerangriffs sei, müsse er natürlich auch am Wochenende oder abends ran. Ein Problem: „Manche Aufträge kriegen wir nicht, weil wir zu klein sind, obwohl wir sie lösen könnten“, sagt er. Sein größtes Anliegen an die Politik ist die flächendeckende Versorgung mit schnellem Internet. Außerdem wünscht er sich europäische Cloudlösungen, um die Abhängigkeit von US-amerikanischen Anbietern zu verringern. Wegen der Coronakrise haben einige seiner Kunden vor allem aus der Automobilindustrie Aufträge zurückgezogen – „aber ich kann mich nicht beklagen, wir haben noch Arbeit“, sagt Noeldechen.
Kaum hatte sich Benedikt Wagner (37) mit dem Fachhandelsgeschäft Bettenland Trossingen selbstständig gemacht, musste er es schließen: Fünf Jahre lang hatte der gelernte Industriekaufmann und Textilbetriebswirt als Assistent des damaligen Inhabers und Geschäftsführers André Alesi gearbeitet. Zum 1. Januar dieses Jahres hatte er das Geschäft samt Inventar – also Bettgestellen, Matratzen, Bettwäsche, Decken et cetera – sowie zwei Mitarbeitern von seinem ehemaligen Chef übernommen. Zweieinhalb Monate später kam der Lockdown, und Wagner musste sein Geschäft sechseinhalb Wochen schließen. „Mein Banker und mein Steuerberater haben mich vorgewarnt, dass es bei jeder Gründung Tiefschläge geben kann. Aber dass es so ein Hammer wird, hat keiner gedacht“, sagt er. Zum Glück sei er schwäbisch erzogen, haushalte sparsam und habe erst nach und nach neue Sortimente angeschafft. Dank Kurzarbeit und seinem Ersparten habe er den Lockdown überstanden. „Natürlich fehlt mir Umsatz, selbst zum Worst-Case-Szenario“, sagt Wagner. Er sei aber kein Mensch, der meckere. Vielmehr habe er die Zeit genutzt, das Geschäft zum Schlafraumeinrichter weiterzuentwickeln. Zum 1. September hat Wagner zudem einen Azubi eingestellt. Allerdings merkt er immer noch, dass seinen Kunden die Freude am Bummeln fehlt. Die, die kommen, kämen aber gezielter. „Sie sind sensibler geworden, achten mehr darauf, wo die Ware herkommt, wer sie liefert und nicht nur auf den Preis.“ Um Themen aus Sicht eines kleinen Händlers darzulegen, engagiert sich Benedikt Wagner im Handelsausschuss der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg. „Wir haben einen guten Austausch mit der Politik, unsere Anliegen werden gehört, und wir bekommen Unterstützung“, sagt er.
Im Tourismusausschuss des Deutschen Industrie- und Handelskammertages engagiert sich Markus Bumiller (39), der Inhaber von MB Events & Adventures in Moos am Bodensee. So wolle er auf die Politik Einfluss nehmen, frühzeitig über Neuerungen informiert werden und seine Branche, die Outdoor-Eventanbieter, vertreten. Beispielsweise setzt sich Bumiller, der bei der Landtagswahl nächstes Jahr für die FDP antritt, für eine einheitliche Ausbildungsstruktur für Erlebnisguides ein. Das IHK-Zertifikat, das mit der Tourismusakademie Schwarzwald der IHKs geschaffen wurde, hebt er als einen wichtigen Schritt dabei hervor. „Die Sicherheit der Kunden ist aber überall in Deutschland wichtig“, sagt er und nennt Klettern, Wasserrafting, Segeln und Kanufahren als Beispiele. Diese und andere sportliche Outdoorevents oder -erlebnisse bietet Bumiller seit elf Jahren seinen Kunden in Moos am Bodensee und in Immenstadt im Allgäu an. „Unabhängig zu agieren, sich selbst kreativ zu entfalten ohne Hierarchien über einem“ – dies schätzt er an der Selbstständigkeit. Normalerweise macht Bumiller etwa die Hälfte seines Umsatzes mit Firmenevents, etwa 40 Prozent mit Einzelkunden sowie circa zehn Prozent mit Schulkassen und Azubis. Das war in diesem Jahr coronabedingt anders: Während des Lockdowns konnte er nicht arbeiten. Sobald die Regeln gelockert wurden, boomte auf einmal das Geschäft mit den Einzelkunden – vor allem mit Urlaubern aus ganz Deutschland. Ohne die zwei Studenten, die er im Mai und Juni jeweils auf 450-Euro-Basis angestellt hatte, und seine vielen Aushilfen hätte er dies nicht stemmen können, berichtet Bumiller. Die zusätzlichen Raftingboote und Neoprenanzüge, die er vergangenen Winter angeschafft hatte, hätten dabei ebenfalls geholfen. Bei den Einzelkunden verbuchte Bumiller im Juli und August ein Plus von 250 beziehungsweise 320 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. „Das war ein Glückstreffer“, sagt er. So habe er die Einbrüche im April, Mai und Juni kompensieren können. Nun hofft Bumiller, dass er auch im Winter gute Geschäfte machen kann und die Regeln entsprechend gelockert werden.
Auch wenn sie ihre Einzelhandelsgeschäfte während des Teillockdowns öffnen dürfen, macht dieser Thomas (47) und Anette Wartner (46) zu schaffen: Das Ehepaar betreibt in der Waldshuter Innenstadt drei Concept Stores. Unter dem Motto „Mode. Genuss. Leben“ bieten sie Damen- und Herrenmode, Wohnaccessoires, Feinkost sowie Bücher an und beschäftigen drei feste Mitarbeiter sowie vier Aushilfen. Wartners setzen auf die Verweildauer ihrer Kunden und darauf, Erlebnisse zu schaffen. Beides ist zurzeit schwierig: Im Frühjahr waren Wartners wegen der Grenzschließung, die länger als der Lockdown dauerte, doppelt betroffen. Von Juni bis Oktober ging es wieder bergauf. Seit dem Teillockdown sei die Waldshuter Innenstadt wie ausgestorben, die Zahl der Schweizer sei trotz offener Grenzen stark zurückgegangen, berichtet Thomas Wartner.
Bevor die beiden gelernten Einzelhändler im Jahr 2008 das Modegeschäft Stulz von Anette Wartners Eltern übernommen, zuerst um- und später ausgebaut haben, hatten sie bereits in Nürnberg einen Concept Store kreiert – als „rechte und linke Hand“ ihres damaligen Chefs und Leiter der Damen- beziehungsweise Herrenmodeabteilung, wie Thomas Wartner berichtet. „Es war immer unser Plan, zusammen ein eigenes Geschäft zu führen. Wir haben viele eigene Ideen und ergänzen uns gut“, sagt er. Engagiert sind sie ebenfalls beide: Anette Wartner ist beispielsweise Mitglied der Vollversammlung und des Handelsausschusses der IHK Hochrhein-Bodensee, und Thomas Wartner ist unter anderem im Netzwerk Standorthelden der drei IHKs der Region aktiv. Beiden ist es ein Anliegen, „die Region nach vorne zu bringen und die Städte besonders am Hoch- und Oberrhein auch für kommende Generationen attraktiv zu machen“, sagt Thomas Wartner. Für ihn „gibt es nichts Schöneres als eine lebendige Stadt mit schönen Restaurants und Geschäften“. Er hofft, dass die Politik dies mit Abstands- und weiteren Regeln bald wieder möglich macht und es gelingt, mit dem Coronavirus zu leben.
Susanne Maerz
IHK-Ausschuss
„Die Kleinen haben keine Stimme“, sagt Thomas Kaiser, der den Einpersonen- und Kleinunternehmensausschuss (EKU-Ausschuss) der IHK Südlicher Oberrhein betreut, der für Unternehmen mit bis zu 20 Mitarbeitern zuständig ist. Er ist einer von zwei Ausschüssen dieser Art in Baden-Württemberg – den anderen gibt es bei der IHK Reutlingen – und wurde 2019 auf Initiative der Medienunternehmerin Alexandra Beinert aus Teningen gegründet. Ziel ist es laut Thomas Kaiser, den EKU eine Stimme zu geben, politische Meinungsbildung aus ihrer Sicht zu betreiben und ihnen IHK-Dienstleistungen näherzubringen, die im Unternehmensalltag helfen. Die EKU wünschten sich mehr Aufmerksamkeit und mehr Wertschätzung von Politik, Behörden und Öffentlichkeit, mehr Entlastung bei der Bürokratie sowie mehr Förderung, berichtet er. Die IHKs im Land planen, mit den Anliegen der Kleinen an die Landespolitik heranzutreten. Zurzeit werden die Positionen abgestimmt.
www.freiburg.ihk.de 4472664
Zahlen
Von den rund 37.500 Mitgliedern der IHK Hochrhein-Bodensee sind etwa 25.700 Kleingewerbetreibende (KGT). Die IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg (SBH) hat knapp 36.000 Mitglieder, von denen fast 18.500 Kleinstunternehmen mit null bis neun Beschäftigten sind. Von den etwa 74.500 Mitgliedern der IHK Südlicher Oberrhein haben schätzungsweise rund zwei Drittel zwischen null und neun Mitarbeiter.
- Bei den Branchen dominieren bei den Kleinen in allen drei IHK-Bezirken der Region Dienstleistungen mit über der Hälfte, gefolgt von Handel, Gastwirtschaft und Industrie. In der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg sind 61,5 Prozent der Kleinstunternehmen Dienstleister, 24,5 Prozent Händler, 7,2 Prozent Gastronomen und 6,8 Prozent Industriebetriebe.
- Schätzungsweise die Hälfte der Kleinstunternehmen ist im
- Nebenerwerb tätig – darunter viele Frauen, die so Beruf und Familie vereinen.
- Zahlreiche IHK-Mitglieder sind keine Unternehmer oder Selbstständige, sondern beitreiben zum Beispiel eine Photovoltaikanlage, die eine Leistung über zehn Kilowatt hat.
- Viele IHK-Mitglieder zahlen keinen IHK-Beitrag. Dieser fällt bei einem Gewinn von über 5.200 Euro im Jahr an. So müssen rund 40 Prozent der Mitglieder der IHK Südlicher Oberrhein keinen IHK-Beitrag bezahlen. Schaut man nur auf die Kleingewerbetreibenden, steigt deren Anteil auf 60 Prozent. Bei der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg sind rund 60 Prozent der Kleinstunternehmen vom Beitrag befreit.
mae
IHK-Ansprechpartner
für Kleinstunternehmen:
IHK Hochrhein-Bodensee:
Alexander Vatovac
Telefon: 07531 2860-135
Mail alexander.vatovac@konstanz.ihk.de
IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg:
Anne Spreitzer
Telefon: 07721 922-156
Mail: spreitzer@vs.ihk.de
IHK Südlicher Oberrhein: Thomas Kaiser
Telefon: 07821 2703-640
Mail: thomas.kaiser@freiburg.ihk.de