Immer mehr Lieferverkehr bedeutet zusätzliche Belastung der Innenstädte. Um Stress für Anwohner, Fahrer und Klima gleichermaßen zu reduzieren, arbeiten viele Unternehmen an neuen Konzepten für die „letzte Meile“. Vier Beispiele aus der Region.
Halb elf Uhr morgens, Rafiullah Faqiri fährt einen mittelgroßen, elektrisch angetriebenen Lkw mit Branding des Logistikdienstleisters Dachser nahezu geräuschlos in der Freiburger Neunlindenstraße vor. Dort, im Microhub der Roc-Ket Cargo Bikes, stapeln sich bereits zahlreiche Kartons, Kisten sowie kleine und große Paletten mit Stückgut. Viele von ihnen werden auf Lastenräder verladen und von den Fahrern mit Muskelkraft und elektrischer Unterstützung in der Freiburger Innenstadt an die Endkunden verteilt.
Die Lastenradmanufaktur Roc-Ket Cargo Bikes ist auf emissionsfreie Innenstadtlogistik, die sogenannte „letzte Meile“, spezialisiert: Kurzstrecken, Just-in-time, Logistik auf und zwischen Betriebsgeländen sowie Lieferungen bis in die Ortsgebiete um Freiburg. Die Spediteursarbeit startete 2018, damals noch in Zusammenarbeit mit dem Pionier Velo Carrier aus Tübingen, deren Logistik Software weiterhin im Gebrauch ist.
„Wir sind kein Radlkurier, sondern Fahrradspediteure“, betont Thomas Ketterer, Geschäftsführer und Gründer von Roc-Ket Cargo Bikes. Was er meint, wird mit Blick auf die Räder sofort deutlich. Das hier hat nichts mehr mit normalen Lastenrädern für den Privatgebrauch zu tun. Seit dem Start seiner Manufaktur 2015 entwickelte er die Räder kontinuierlich weiter. „Der ist unplattbar“, sagt Ketter und zeigt auf ein neues Laufrad. Denn wer mit einem Cargo Bike unterwegs ist – Fahrer, Fracht und Rad wiegen insgesamt bis zu einer halben Tonne – kann eines nicht brauchen: Eine Reifenpanne. Felgen, Reifen, Speichen, Bremsen sind kein Fahrradzubehör, sondern stammen aus der Motorradtechnik. Bis zu 300 Kilogramm lassen sich aufladen, die Paletten direkt aufschieben, eine Hubtechnik ist nicht notwendig. Auch der Akku ist wesentlich leistungsfähiger als bei einem Freizeitrad. Etwa 20 Räder produziert der Freiburger Spezialist pro Jahr, die je nach Ausstattung zwischen 9.500 und bis zu 19.500 Euro kosten. Um weiter zu wachsen, sucht Ketterer nach einem Investor.
Lieferung trotz Wind und Wetter
„Porzellan“ ruft Ketterer einem Cargobike hinterher, das aus der Auffahrt biegt und mit fachmännisch gestapelten Plastikboxen auf der Lieferfläche Richtung Innenstadt fährt. Hier geht nichts kaputt, will der 55-Jährige damit sagen. Überhaupt: Sensible Pharma- und Medizintechnik, Institutsausstattungen, Fahrstuhlteile, Solarpanels, Zementsäcke, Lampen, Elektronik – es gibt fast nichts, was die Lastenradfahrer nicht transportieren. Nur bei einer 600 Kilogramm schweren Maschine, die sich nicht auseinanderbauen ließ, mussten sie kürzlich die Waffen strecken. Überzeugungsarbeit muss das Unternehmen nach eigenen Angaben nicht mehr leisten, insgesamt bewegen die Lastenradler bei Wind und Wetter zuverlässig zwischen drei bis 3,5 Tonnen bei 120 bis 150 Abladestellen am Tag. Neben den Lastenrädern hat Roc-Ket auch Streetscooter im Einsatz, jene vollelektrischen Kleintransporter, die ursprünglich für DHL produziert wurden. Größter B2B-Endkunde ist die Uniklinik Freiburg – eilige Lieferungen werden sogar bis an den OP-Tisch gebracht. Auch für Pfizer, die Stadt Freiburg, Bauhaus, Badenova, UPS und Dachser wird die letzte Meile ausgeliefert oder auf der ersten Meile abgeholt.
„Mit dem Thema emissionsfreie Zustellung haben wir 2018 an unserem alten Standort in Hochdorf begonnen“, berichtet Michael Gaudlitz, Niederlassungsleiter des Dachser Logistikzentrum Freiburg, der das Microhub von Roc-Ket nutzt. Damals sei das Ziel zunächst gewesen im Freiburger PLZ-Gebiet 79098 emissionsfrei auszuliefern. Die Anlieferung zum Hub erfolgte damals noch per Diesel-Lkw. „Das war noch nicht ganz das Gelbe vom Ei“, sagt Gaudlitz. Deswegen wurde nach dem Umzug in das Gewerbegebiet Breisgau im Juli 2019 ein erster E-Lkw mit 7,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht in Betrieb genommen. Inzwischen besteht der elektrische Fuhrpark aus noch drei weiteren 16-Tonnern. Der Bau einer PV-Anlage auf dem Hallendach ist geplant, weitere Stromtankstellen bereits in Umsetzung.
Lernzprozess durchlaufen
Neue, funktionierende Abläufe zu etablieren, sei durchaus ein Lernprozess gewesen, so Gaudlitz: Weil der erste E-Lkw noch keine so große Reichweite hatte, muss er nachts an der hauseigenen Stromtankstelle geladen werden. Vergisst jemand, den Ladevorgang abends zu beginnen, kann man morgens nicht losfahren. „Es gibt immer tausend Gründe, wieso irgendwas nicht funktioniert. Man braucht Leute, die sich für ein Thema begeistern und einfach mal anfangen. Diesen Change im Kopf muss man hinbekommen“, sagt Gaudlitz. Seine Initiative und dadurch gewonnene Erfahrung hilft inzwischen deutschlandweit Dachser-Standorten auf dem Weg zur klimaneutralen Spedition.
Die anfänglichen Kinderkrankheiten sind passé, das Liefergebiet massiv gewachsen – rund sieben Tonnen und 50 Sendungen werden in die emissionsfreie Zone täglich geliefert. Routine ist eingekehrt: Die E-Trucks werden im Gewerbepark beladen und je nach Gutstruktur und Zielgebiet im City Hub entladen oder stellen die Waren direkt bei den Empfängern zu. Fahrer Rafiullah Faqiri ist hörbar begeistert, Teil der emissionsfreien Lieferkette zu sein. „Mega-angenehm“ sei das Fahren; im Vergleich zum herkömmlichen Diesel-Lkw sehr leise, kein Rütteln des Motors unter dem Fahrersitz oder lästiger Diesel-Gestank, berichtet der 22-jährige Berufskraftfahrer, der seine Ausbildung bei Dachser Freiburg 2021 erfolgreich abgeschlossen hat. Genau das erklärt er auch den vielen Freiburgern, die ihn regelmäßig auf seinen Touren ansprechen und zu Fahrgefühl und Reichweite befragen.
Die Partnerschaft mit einem Fahrradspediteur ist für Gaudlitz naheliegend: „Bei Emissionsminderung geht es ja nicht nur um CO2, sondern auch um Feinstaub, Reifenabrieb und Lärm. Das Fahrrad ist da eine gute Alternative. Mit so kleinen Gefährten kann man in der Innenstadt besser rangieren als mit einem großen Lkw. Und wir können in die Fußgängerzone fahren, ohne Sorge zu haben, dass wir Menschen gefährden.“
Die letzte Meile outsourcen
Mit diesen Argumenten will auch David Hansen überzeugen. Er tourt mit der „Lastenrad B2B Roadshow“ (Termine: https://lastenradb2b.de/roadshow) durch Südbaden. Unternehmen können hier zum einen eine große Auswahl von Lastenrädern ausprobieren, sowie im Anschluss kostenlos für bis zu vier Wochen im betrieblichen Alltag testen.
Wie dynamisch sich das Thema „letzte Meile“ entwickelt, zeigt das Beispiel der Konstanzer Südkurier CityLogistik. Das Unternehmen ist ein Corporate Start-up des gleichnamigen Medienhauses, das seine Geschäftsfelder diversifiziert. „Wir bieten einen kostengünstigen und schnellen Lieferservice für viele kleine Unternehmen, die diese Leistung zusätzlich offerieren, aber nicht selbst organisieren wollen“, sagt Lukas Bauer, Marketing-Chef von CityLogistik. Er vergleicht die Dienstleistung mit der „Lieferung am gleichen Tag“ von Amazon – nur schneller, emissionsfrei und mit regionalen Produkten aus Läden aus der Innenstadt. Um auch über den Bezirk hinaus emissionsfrei liefern zu können, hat CityLogistik den Lastenrad-Fuhrpark um ein E-Auto erweitert. Inzwischen operiert das Unternehmen neben Konstanz auch in Allensbach und Reichenau, Villingen- Schwenningen, Singen, Überlingen sowie Radolfzell.
Über 50 Radler beschäftigt das Start-up. Ein bunter Strauß an Dienstleistungen ist hinzugekommen: Zeitungszustellungen, Paketlieferungen für GLS und für zahlreiche Institutionen wie etwa das Finanzamt übernehmen die Lastenradkuriere die Postfachleerung. Eine lokale Konstanzer Kaffeerösterei lässt inzwischen nicht mehr nur ihre Produkte an Kunden ausliefern, sondern zwei- bis dreimal die Woche 150 Kilo frisch gerösteten Kaffee von der Produktion in die Filialen liefern. „Die Beweggründe sind ganz unterschiedlich: Für einige steht der Effizienzgedanke im Vordergrund. „Mit dem Auto in die Innenstadt zu fahren, macht keinen Spaß. Mit Stau und Parkplatzsuche verbraucht man jede Menge Zeit. Viele schätzen das Angebot, das gegen einen kleinen Betrag outsourcen zu können“, sagt Bauer. Anderen Kunden sei Nachhaltigkeit enorm wichtig. Das bestätigt auch Michael Gaudlitz von Dachser: „Emissionsfreie Lieferung wird von immer mehr Kunden aktiv nachgefragt.“ Die nächsten E-Trucks sind schon bestellt.
Daniela Becker
Bilder: Bis zu 300 Kilogramm Fracht rollen hier auf drei Rädern durch die Freiburger Innenstadt (oben). Mit elektrischen Streetscootern fährt Roc-Ket emissionsfrei unter anderem für Pfizer (Mitte). Gestartet als Lieferservice in der Konstanzer Innenstadt, ist Südkurier CityLogistik inzwischen in zahlreichen weiteren Städten der Region unterwegs (unten).