1946 startete der Wirtschaftsverband Industrieller Unternehmen Baden als Rohstofftauschbörse für die Eisen- und Metallindustrie. Heute fördert der WVIB ganz im Sinne des 21. Jahrhunderts andere wertvolle Rohstoffe: Wissen und Kontakte. – Ein Gespräch mit den Verbandsspitzen über den Wert regionaler Netzwerke in digitalen Zeiten und über Unternehmertum
gestern und heute.
Es hätte so schön sein sollen. Große Sommerparty mit einigen hundert Gästen im Innenhof der Merzhauser Straße 118, gute Musik, deftiges Essen – Netzwerken mit Blick auf die Weinberge. Man wird schließlich nicht jedes Jahr 75. Aber Pustekuchen. Dank Corona wird es der Wirtschaftsverband Industrieller Unternehmen Baden e.v., kurz WVIB, nun halten müssen wie die Stadt Freiburg und „+1“ feiern. „Das ist aktuell zwar sehr schade“, meint Hauptgeschäftsführer Christoph Münzer. „Aber wir holen die Party ganz sicher nach. Mit einer fulminanten Post-Coronaveranstaltung, bei der man sich dann endlich auch wieder nah sein kann.“
Als der WVIB kurz nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Taufe gehoben wurde, gab es wenig zu feiern, dafür stand Netzwerken auch damals schon auf dem Programm. Knapp vier Dutzend Unternehmen aus der Metall verarbeitenden Industrie taten sich damals zusammen, um sich bei der Rohstoffversorgung unter die Arme zu greifen.
Heute, 75 Jahre später, zählt der Verband 1.028 Mitglieder quer durch alle Industriebranchen. Die Unternehmen beschäftigen im Verbandsgebiet Baden-Württemberg, der Schweiz und dem Elsass 237.000 Mitarbeiter, zuzüglich 125.000 in ihren Auslandsniederlassungen. Der Verband selbst arbeitet mit inzwischen mehr als 60 Mitarbeitern in Freiburg und Stuttgart.
Zum Kerngeschäft des WVIB gehören Netzwerkangebote etwa über „Erfa“-Gruppen sowie Weiterbildung. Alle zwei Jahre steht in Freiburg die Industriemesse IE auf dem Programm, das nächste Mal vom 16. bis 18. März 2022. Zudem verleiht er gemeinsam mit den drei IHKs der Region und der Badischen Zeitung jedes Jahr den Jobmotor für besondere Arbeitgeberleistungen.
So ganz ohne Geschenk begeht der WVIB seinen runden Geburtstag aber dann doch nicht: Anfang Mai schenkt er sich und seinen Mitgliedern eine runderneuerte Webseite (www.wvib.de).
uh
Die Pandemie verhagelt Ihnen leider ein bisschen das Jubiläum. Wie kommt der WVIB insgesamt mit Corona zurecht?
Münzer: Wir sind an sich ganz gut in die Onlinemeeting-Welt umgezogen. Aber wir leben natürlich – wie eine IHK auch – von der Begegnung. Und wenn die nur virtuell stattfindet, leidet da schon ein bisschen was. Für mich ist Online wie Dosenravioli. Schmecken dann gut, wenn es nichts anderes gibt. Ich glaube, nach der Pandemie wird es wohl auch weiter hin und wieder Dosenravioli geben, aber in jedem Fall wird man wieder frisch gekocht haben wollen.
Der WVIB blickt auf 75 Jahre zurück. Wie hat sich Deutschland in dieser Zeit als Wirtschaftsstandort verändert?
Burger: Unser Ziel als Verband ist ja, den unternehmerischen Gedanken frisch zu halten. Das wird heutzutage immer schwieriger. Anders als in unserem Gründungsjahr ist die Aufbruchstimmung im Land verflogen, man hat eher das Gefühl, wir sind nicht mehr da, wo wir mal waren. Der Standort verkrustet. Deutschland wird risikoaverser, bürokratisiert. Corona hat das offengelegt. Der Unternehmer, der einfach Lust hat, etwas zu tun, dem macht man es immer schwerer. Das fängt bei Grenzwertschwellenorgien an und hört beim Lieferkettengesetz längst nicht auf.
Firmenchefs verdrahten sich mittlerweile sehr rege rund um den Globus via Xing, Linkedin & Co. Warum braucht es dennoch nicht virtuelle Unternehmerkreise?
Münzer: Ich würde Xing et cetera gar nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung, als eine Art Außenradar oder verlängerten Arm für uns sehen. Ein stets aktuelles Onlineadressbuch. Aber schafft man sich dort wirklich ein Netzwerk? Das entsteht doch, indem man sich regelmäßig sieht und spricht. Indem man Freud und Leid teilt. Indem man zu Weggefährten wird. So etwas initiiert man nicht übers Internet. Bei uns nennen wir das Wissen und Wärme.
Macht Ihnen als Verband für die Industrie der stetige Wandel zur Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft Kopfzerbrechen?
Burger: Dienstleistung braucht Industrie. Sonst kocht man im eigenen Sud und hat nichts zu verkaufen. Es braucht den Industriestandort Deutschland. Nur, wenn wir die eigene Wertschöpfung ein Stück weit im Haus haben, können wir sie beeinflussen und verbessern. Wir brauchen die Industrie als Kern. Sie hält uns auch jetzt während der Pandemie wieder gesamtwirtschaftlich über Wasser. Und Industrie ist ganz klar eine Stärke von Baden-Württemberg.
Münzer: Zudem wandelt sich ja auch die Industrie. In ihr selbst steckt immer mehr Dienstleistung und Information. Ein CAD-Arbeitsplatz ist de facto nichts anderes als eine interne Dienstleistung. Und der Mitarbeiter, der vor 30 Jahren noch im Blaumann im Öl stand, ist heute ein Technologe.
Wie hat sich das Unternehmertum in den vergangenen fünf bis zehn Jahren in der Region verändert?
Burger: Wir sehen, dass die Zahl traditionell familiengeführter Unternehmen abnimmt. Dafür kommen immer mehr Fremdgeschäftsführungen hinzu. Andere verkaufen ihre Unternehmung auch ganz, und sie findet sich dann in einer internationalen Holdingstruktur wieder. Das wird mittel- und langfristig möglicherweise die Zusammensetzung der Wirtschaftsregion verändern.
Wir leben in einer globalisierten Wirtschaft. Was können regionale Verbände da leisten?
Münzer: Sie vereinen das Beste aus beiden Welten: Im Gegensatz zu früher, wo es Wochen dauerte, bis Informationen von global zu lokal durchgereicht waren, haben regionale Verbände nun dank des Internets im Nu den gleichen Wissensstand wie übergeordnete Institutionen. Damit steht die ganze Welt quasi auf der Türschwelle. Und zugleich sind es die Vereinigungen vor Ort, in denen man sich kennt, trifft und austauscht.
Interview: uh
Meilensteine in der WVIB-Geschichte
- 9. Mai 1946: Gründung als übergreifende Fachvereinigung der Metallindustrie in der französischen Besatzungszone. Der WVIB ist Ansprechpartner der Franzosen und Rohstofftauschbörse.
- 1957: Die Freiburger Volkswirtin Magda Scheffelt übernimmt für die folgenden 28 Jahre die Hauptgeschäftsführung. Sie ist in der Nachkriegszeit eine der ersten Frauen an der Spitze eines bundesdeutschen Verbandes.
- 1965: Die ersten vier Gruppen, in denen sich Unternehmenslenker austauschen, entstehen. Heute sind es 51 Erfa-Gruppen mit rund 800 Chefs.
- 1970: Aus dem „Wirtschaftsverband Eisen- und Metallindustrie Baden (französische Zone)“ wird der „Wirschaftsverband Industrieller Unternehmen Baden e.V.“ – kurz WVIB.
- 1983: Die Industriemesse IE geht erstmals an den Start, mit
35 Ausstellern und 1.100 Besuchern, heute sind es rund 350 Aussteller und 10.000 Besucher. - 1999: Der WVIB bezieht einen eigenen Campus in der Merzhauser Straße in Freiburg.
- 2017: Der WVIB setzt sich mit der Kampagne „Einigkeit.Recht.Freiheit“ für Demokratie und Rechtsstaat angesichts populistischer Tendenzen in Europa ein. Außerdem nennt er sich um in WVIB Schwarzwald AG.
- 2018: Der WVIB führt erstmals über 1.000 Veranstaltungen pro Jahr für seine Mitglieder durch.
- 2021: Der WVIB gründet ein Netzwerk für Frauen in der Industrie.