Kleine und mittelständische Betriebe haben meist einen anderen Informationsbedarf als große Unternehmen. Kleine Tipps können deshalb schon einen großen Nutzen bringen. Hier möchten wir Ihnen wertvolle Hinweise geben – und sind Ihnen dankbar für Ihre Fragen, die wir Ihnen gerne beantworten (ratgeber@vs.ihk.de).
Welchen Status hat der Geflüchtete?
Zunächst stellt sich die Frage, ob der Geflüchtete eine Bleibeperspektive hat oder die Abschiebung droht.
Wie gut sind seine Deutschkenntnisse?
Sehr wichtig! Deutschkenntnisse müssen für eine Ausbildung ausreichend vorhanden sein, um für den Arbeitgeber sowie den Auszubildenden einen zufriedenstellenden Ausbildungsverlauf zu gewährleisten. Viele Geflüchtete sind im Betrieb in der praktischen Arbeit sehr gut, haben aber in der Berufsschule große Schwierigkeiten, da sie mit sprachlichen Problemen kämpfen und dem Unterricht nicht folgen können. Für die Berufsschule ist im Normalfall mindestens B2 erforderlich. Das gilt für den Sprachgebrauch und vor allem für das Textverständnis. Wenn der Geflüchtete den deutschen Text nicht versteht und den Inhalt nicht erfassen kann, ist eine erfolgreiche schulische Ausbildung nicht möglich. Das lässt sich im ersten Lehrjahr meist noch einigermaßen ausgleichen, aber sobald es Richtung Zwischenprüfung oder erweiterter Abschlussprüfung Teil 1 geht, werden die Probleme offensichtlich. Viele Geflüchtete brechen die Lehre dann ab, weil sie einfach überfordert sind.
Hilfe ja, aber an der richtigen Stelle
Des Öfteren werden Betriebe von ehrenamtlichen Betreuern oder generell angesprochen, dass sie unbedingt einen Geflüchteten in Ausbildung nehmen sollen, weil ihm ansonsten die Abschiebung droht. Da viele Chefs empathisch und fürsorglich sind – insbesondere bei kleinen Betrieben – stoßen sie dabei auf positive Resonanz. Dies ist vorbildlich und menschlich hoch anzurechnen. Allerdings sollten sich alle Beteiligten im Vorfeld Gedanken darüber machen, ob es sinnvoll ist, den Geflüchteten in Ausbildung zu nehmen, ob der junge Mensch schon in der Lage ist, eine Ausbildung zu meistern, oder ob es nicht sinnvoller wäre, erst die Sprache besser zu erlernen. Denn wenn die Ausbildung abgebrochen oder die Prüfung nicht geschafft wird, entfällt der Schutzstatus. Sollten sich Arbeitgeber dazu entschließen, einen Geflüchteten in Ausbildung zu nehmen, muss immer klar sein, dass dieser mehr Hilfe benötigt als nur einen Ausbildungsplatz.
Praktikum und EQ empfehlenswert
Um die Kompetenzen von Geflüchteten einschätzen zu können, empfiehlt es sich auf alle Fälle, den Geflüchteten ein Praktikum absolvieren zu lassen, um zu sehen, ob es von beiden Seiten her passt. Mit der sogenannten Einstiegsqualifizierung (EQ) haben Geflüchtete für sechs bis zwölf Monate die Möglichkeit, im Rahmen eines sozialversicherungspflichtigen Vollzeitpraktikums im Betrieb zu arbeiten und die Berufsschule zu besuchen. Beide Seiten können dann entscheiden, ob die Berufswahl die richtige war und wie das Verständnis in der Berufsschule ist. Nach diesem Jahr kann dann entschieden werden, wie es weitergehen soll. Wenn der Geflüchtete richtig gut war, kann sich der Betrieb dazu entschließen, die EQ als erstes Lehrjahr anzuerkennen. Sollte es noch Schwächen geben, beginnt der Geflüchtete ganz normal im ersten Lehrjahr und hat somit den Vorteil, alles schon einmal gehört zu haben. Allerdings ist die EQ nicht geschützt, im Gegensatz zur Ausbildungsduldung.
Ausbildungsduldung
Wenn sich ein Geflüchteter in Ausbildung befindet und die Abschiebung droht, kann bei der Ausländerbehörde eine Ausbildungsduldung beantragt werden. Sollte dieser Ausbildungsduldung zugestimmt werden, ist der Azubi während seiner Ausbildung geschützt. Bei erfolgreich abgeschlossener Ausbildung wird ein Aufenthaltstitel für zwei weitere Jahre gewährt, wenn die Tätigkeit in dem Ausbildungsberuf fortgeführt wird.
NiS
Bild: iStock – SolStock
Weitere Informationen gibt es beim Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge (NUiF): www.unternehmen-integrieren-fluechtlinge.de
Nachgefragt
bei Ellen Boettcher vom Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge
Frau Boettcher, wie ist die generelle Bereitschaft der Wirtschaft, Flüchtlingen eine Ausbildung anzubieten?
Die Bereitschaft ist weiterhin groß. Laut der jüngsten DIHK-Ausbildungsumfrage vom August 2019 bilden im IHK-Bereich rund 16 Prozent der ausbildenden Unternehmen Geflüchtete aus. Hochgerechnet bedeutet dies, dass sich momentan rund 25.000 Geflüchtete in einer IHK-Ausbildung befinden. Tendenz steigend. Für einige Unternehmen ist der Treiber gesellschaftliches Engagement, für andere die Möglichkeit, dringend benötigte Fach- und Arbeitskräfte zu finden oder auszubilden. Nicht selten ist es eine Mischung aus beidem.
Welches Risiko gehen Unternehmen dabei möglicherweise ein?
Bevor eine Person mit Fluchthintergrund beschäftigt werden kann, muss ihr Status geklärt sein, da dieser den Arbeitsmarktzugang definiert. In der Praxis ist es jedoch häufig so, dass Unternehmen Geflüchtete kennenlernen und erst im zweiten Schritt an den rechtlichen Rahmen denken. Gerade für Mittelständler ist es eine unheimliche Entlastung, sich durch bereits existierende Angebote Hilfe bei der Anstellung Geflüchteter zu holen. Neben den Kammern und uns bieten sich auch regionale Initiativen an, um Fragen etwa zu rechtlichen Rahmenbedingungen oder Fördermöglichkeiten zu klären.
Welche Rolle spielt die Ausbildungsduldung? Wie häufig wird sie gewährt?
Die Ausbildungsduldung, die sogenannte 3+2-Regelung, ist eine gute Möglichkeit für Unternehmen und Auszubildende mit Fluchthintergrund, Planungs- und Rechtssicherheit für die Zeit der Ausbildung und die daran angeschlossenen zwei Jahre Beschäftigung zu erhalten. Der hier stattfindende Wechsel in einen rechtmäßigen Aufenthalt zur Erwerbstätigkeit bietet Geflüchteten in Duldung außerdem eine langfristige Perspektive in Deutschland. Das Problem ist, dass die Ausbildungsduldung in den verschiedenen Regionen noch ganz unterschiedlich angewendet wird. Die neuen Gesetze im Migrationspaket sollen hier für mehr Einheitlichkeit in der Anwendung sorgen. Wie die Umsetzung in der Praxis funktioniert, wird sich in den kommenden Monaten und Jahren zeigen.
Was kann auf Unternehmen zukommen, wenn sie Flüchtlingen eine Ausbildung anbieten?
Prinzipiell berichten uns viele Betriebe, dass die Ausbildung von Geflüchteten aufgrund eines höheren Betreuungsaufwandes arbeitsintensiv ist, aber alle sind sich einig: Es lohnt sich. Betrachtet man die Herausforderungen, vor denen die Unternehmen bei der Ausbildung von Geflüchteten stehen, so werden uns die folgenden drei regelmäßig genannt: die häufig schwer nachvollziehbaren bürokratischen Verfahren, mangelnde Sprachkenntnisse und die Bewältigung der Berufsschule, wobei sich Herausforderung zwei und drei gegenseitig bedingen. Außerhalb der betrieblichen Abläufe bieten viele Unternehmen aber bereits eine breite Palette an Unterstützung an, etwa bei Behördengängen und der Wohnungssuche oder mit Sprachkursen und Mentoren- oder Patenprogrammen. Und das zahlt sich auch aus.
Gibt es Fördermöglichkeiten?
Es gibt verschiedene Regelförderinstrumente der Agentur für Arbeit, die auch für Geflüchtete geöffnet wurden und in der Praxis häufig Anwendung finden. So zum Beispiel die ausbildungsbegleitenden Hilfen (abH), die Assistierte Ausbildung (AsA), die Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) oder die Einstiegsqualifizierung (EQ). Eine Liste aller bundesweiten Fördermöglichkeiten gibt es auch auf unserer Website: www.nuif.de/aktiv-werden/foerdermoeglichkeiten
Interview: Christian Beck