Rund 500 Gäste aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung waren der Einladung der Konstanzer Handwerkskammer (HWK) und der IHK Hochrhein-Bodensee gefolgt: Beim Frühjahrs-Apéro im Bodenseeforum blickten die beiden Kammern kritisch zurück und zuversichtlich nach vorn. Abgerundet wurde der Abend durch einen spannenden Vortrag des Politikwissenschaftlers Karl-Rudolf Korte.
Die Welt sei im Umbruch, ordne sich neu, konstatierte HWK-Präsident Werner Rottler in seiner Begrüßung: „Sicherheiten lösen sich auf, wir müssen neu denken und vieles neu wagen.“ Einer der Punkte sei die Energie- und Wärmeversorgung. Man stecke mitten in der Energiewende: „Wir installieren, sanieren und beraten im großen Stil“, fasste er die aktuelle Lage zusammen – und nannte auch gleich einen der größten Hemmschuhe: Denn für die Wende fehlten häufig die handwerklich geschulten Hände. Rund 100.000 zusätzliche Arbeitskräfte seien notwendig, um hier voranzukommen. Der Fachkräftemangel war ein Thema von vielen an diesem Abend, das HWK und IHK verbindet. Das machten beide Präsidenten deutlich. Daher wollten sie den gemeinsamen Jahresempfang auch als Signal verstanden wissen, „dass die Wirtschaft in der Region und über die Region hinaus zusammensteht“.
Mit Zuversicht in die Zukunft
Thomas Conrady, Präsident der IHK Hochrhein-Bodensee, bezeichnete die aktuelle Lage für die Unternehmen als eine in vielerlei Hinsicht „herausfordernde Situation“. Er plädierte dennoch dafür, weiterhin optimistisch zu bleiben. In seiner Ansprache legte er Wert auf die Feststellung, dass doch alle Zutaten vorhanden seien, um die Zukunft zu gewinnen – „die Erkenntnis, die Einsicht, die Fähigkeiten und die Mittel.“ Hinzu komme eine widerstandsfähige und resiliente Wirtschaft, die es, auch aufgrund eines wirksamen Maßnahmenkatalogs der Politik, insgesamt gut durch die Jahre der Coronapandemie geschafft habe. „Wir sind auch gut durch den Winter gekommen, das Gas wurde nicht knapp, der Strom fiel nicht aus, die angekündigte Rezession wurde abgesagt“, fasste er zusammen. Auch wenn die Aufgaben vor uns groß seien, dürften wir sie mit Zuversicht angehen.
Lob und Kritik an der Politik der Bundesregierung
Nach ihren Ansprachen baten die beiden Kammerpräsidenten den Gast des Abends auf die Bühne des Bodenseeforums: Karl-Rudolf Korte. Der 64-Jährige ist seit 2002 Professor an der Universität Duisburg-Essen und für seine Wahlanalysen bekannt. Gleich zu Beginn knüpfte er an die Ausführungen von Werner Rottler an: „Der Klimawandel ist in unseren Kellern angekommen.“ Von dieser politischen Entscheidung – weg von der herkömmlichen Öl- und Gasheizung – ausgehend, filetierte Korte mit spitzer Zunge und markantem Sprachwitz die Arbeit der politisch Handelnden. Die habe und werde sich weiter ändern, machte er deutlich und lobte in diesem Zusammenhang Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck – im Gegensatz zum Kanzler. Während Olaf Scholz ein „Einsamkeitsgigant“ sei, der bei Diskussion strittiger Themen zu nachgerade „aggressivem Schweigen“ neige, schaffe es Habeck, „Widersprüche zu umarmen“ und Menschen mitzunehmen. Man könne ihm gleichsam „beim Denken zuschauen“. Nicht nur bei diesen Charakterisierungen erhielt der Gast aus Nordrhein-Westfalen heiteren Beifall.
Korte rückte mehrere Thesen in den Mittelpunkt seiner Ausführungen, um Lage und Zukunft verständlicher zu machen: Zum einen gelte, dass da, wo früher Sicherheit geherrscht habe, nun die Unberechenbarkeit das Maß sei: „Die Politik bleibt im Modus des Ausprobierens und Nachbesserns. Planbarkeit ist eine gefährliche Illusion geworden.“ Daher müsse die Gesellschaft „überraschungsfest“ werden. Als zweiten Punkt brachte er die Mitte-Zentriertheit ins Spiel: Die politisch extremen Positionen würden zwar immer lauter und auch aufdringlicher, doch „der Parteienwettbewerb konzentriert sich immer mehr auf die Mitte, zwischen FDP und Grünen“. Dazu trage bei, dass man im politischen Deutschland das Risiko scheue. Langeweile sei geradezu ein Erfolgsfaktor für politische Karrieren, administrative Akribie zeichne die Deutschen aus. So habe man beim Bau von Impfzentren eher darauf geachtet, die Brandschutzordnung penibel einzuhalten, als ausreichend Impfstoff zu beschaffen.
Mehr Mut zum Risiko und eine Entbürokratisierung waren daher Wünsche, die Korte in seinem Vortrag immer wieder durchblitzen ließ. Dem stimmten sowohl Werner Rottler für die HWK als auch Thomas Conrady für die IHK gerne zu. Sie dankten ihrem Gast für seine Ausführungen, die auf ein großes, positives Echo gestoßen waren. Dass das Bodenseeforum dabei als ein Ort für „Festspiele des Denkens“ gelobt wurde, dürfte allen Anwesenden gefallen haben.
Das Trio „4fun“ aus Tuttlingen, das den Abend bereits professionell musikalisch begleitet hatte, spielte im Anschluss weiter im Foyer auf und gab damit den vielen Gesprächen einen beschwingten Background. Bei Häppchen und Getränken nutzten Haupt- und Ehrenamt den Abend zu Gesprächen mit Mitgliedern beider Kammern und politischen Vertretern.
Patrick Merck
Bild oben: IHK-Präsident Thomas Conrady bei seiner Eröffnungsansprache.
Bild Mitte: (Von links) Claudius Marx (IHK-Hauptgeschäftsführer), Thomas Conrady (IHK-Präsident), Karl-Rudolf Korte (Gastredner, auch unteres Bild), HWK-Präsident Werner Rottler und HWK-Hauptgeschäftsführer Georg Hiltner.