Die Unternehmen in unseren Innenstädten, allen voran der stationäre Einzelhandel, haben eines gemeinsam: Sie können sich – genau das meint ja der Begriff „stationär“ – nicht auf ihre Kunden zubewegen. Vielmehr sind sie darauf angewiesen, dass der Kunde sich seinerseits bewegt, dass er zu ihnen kommt, die Städte und ihre Zentren aufsucht und als Aufenthaltsort schätzt. Sie brauchen ihre gewohnte, hohe Kundenfrequenz, damit das mit hohen fixen Kosten belastete Geschäftsmodell funktioniert.
Die Coronakrise, die Folgen des Lockdowns und die – ganz unabhängig davon schon seit Jahren wachsende – Onlinekonkurrenz setzen den stationären Einzelhandel massiv unter Druck. Das Geschäft leidet darunter, dass Menschen um ihre Arbeit fürchten oder kurzarbeiten und ihr Geld eher zusammenhalten. Und zur wirtschaftlich bedingten Kaufzurückhaltung kommt noch hinzu, dass die Angst vor Ansteckung für viele ein Grund ist, Geschäfte, die sie nicht aufsuchen müssen, erst einmal zu meiden: Das Konsumverhalten wird vorerst auf das Notwendige beschränkt. Und das ist deutlich weniger als das, was aus Freude an der Abwechslung, am Neuen oder einfach spontan gekauft wird. Auf das gesamte Einkaufsgeschehen wirkt das wie eine angezogene Handbremse. Sie zu lösen, ist das Gebot der Stunde.
Damit die Kunden die Innenstädte wieder als gleichermaßen sicheren wie attraktiven Aufenthaltsort wahrnehmen, hat die IHK Hochrhein-Bodensee mit der Projektgruppe „Einkaufsstandorte stabilisieren“ eine Initiative gestartet. Gemeinsam mit den Kommunen, Gewerbevereinen, Wirtschaftsförderern, Händlern und Gastronomen werden Strategien zur Innenstadtentwicklung erarbeitet. Weil sich die Herausforderungen gleichen, unterstützen sich die Städte gegenseitig, vernetzen sich untereinander und tauschen Strategien und Erfahrungen, Erfolge und Misserfolge aus. Was wirkt, kann so schneller implementiert werden, Fehler werden nicht an anderer Stelle wiederholt. Dass der Ansatz überzeugt, lässt sich an der Teilnehmerliste ablesen. Mit dabei sind Bad Säckingen, Konstanz, Singen, Waldshut-Tiengen, Rheinfelden, Radolfzell, Lörrach, Schopfheim, Engen, St. Blasien, Stockach und Wehr – und damit (fast) die ganze Region.
Die erste Phase der Projektgruppe ist inzwischen abgeschlossen. Gemeinsam wurde ein Leitfaden mit Maßnahmen zur Innenstadtentwicklung entwickelt. Jede Stadt kann sich aus diesem Leitfaden die für sie opportunen Maßnahmen herauspicken. Auch, weil die Rückmeldungen dazu so positiv waren, wird die Projektgruppe „Einkaufsstandorte stabilisieren“ – über die ersten Planungen hinaus – fortgeführt.
Warum müssen sich die Städte gerade jetzt und mehr denn je mit ihren Innenstädten befassen? Warum ist es die große Herausforderung der Stadtentwicklung in den kommenden Jahren, die vitalen Funktionen einer Stadt als Marktplatz, als kulturelles Zentrum, als Ort eines breiten Dienstleistungsangebots, der Kommunikation und des sozialen Miteinanders zu erhalten und zu stärken? Die Antwort ist glasklar: Weil wir in einer Zeit leben, in der es für alle genannten Funktionen einer Stadt digitale Alternativen gibt – vom Onlineshopping und Onlinebanking über die digitale Verwaltung bis zur Versorgung durch Lieferdienste und zum Streaming kultureller Inhalte. Nahezu alle Bedarfe des Alltags lassen sich stadtfern organisieren – die Stadt, die über Jahrhunderte gleichsam ein Monopol hatte als Marktplatz im weitesten Sinne, ist genau mit dieser Funktion „optional“ geworden: man kann sie nutzen, muss aber nicht.
Wer diese Entwicklung ignoriert, wird mit Leerständen in den Innenstädten rechnen müssen. Wer nur darauf vertraut, dass unsere Zentren aus Gewohnheit weiter besucht werden, lebt riskant. Es hängt an den Kommunen und am Handel vor Ort, wie der digitale Strukturwandel für sie ausgehen wird. Eine erfolgreiche Einzelhandels- und Gastronomieszene kann und muss dabei immer nur ein Baustein in einem koordinierten Gesamtkonzept sein, an dem sich die politischen Entscheidungsträger und wirtschaftlichen Akteure ebenso beteiligen wie die Kulturschaffenden und – nicht zuletzt – die Einwohner selbst. Im besten Fall erlangt eine Innenstadt so einen eigenen Charakter, einen authentischen Auftritt, der den Besuch zu einem einzigartigen, unverwechselbaren und bleibenden Erlebnis werden lässt. Zum bloßen „Erledigen von Geschäften“, das in der Tat zunehmend online gelingt, muss der Aufenthalt in der Innenstadt als Teil der persönlichen Lebensgestaltung kommen. Dazu kann eine gute Gastronomie ebenso beitragen wie etwa ein Wochenmarkt auf einem historischen Platz.
Je mehr wirtschaftliche, gesellschaftliche und soziale Funktionen eine Innenstadt abbilden kann, desto sicherer und stabiler wird sie sich in einer zunehmend digital organisierten Welt behaupten. Menschen sind einerseits bequem – weshalb sie Orte meiden, die schwer erreichbar sind und/oder keinen angenehmen Aufenthalt versprechen; Menschen sind aber andererseits auch soziale Wesen, die den Kontakt mit anderen pflegen, sich austauschen, treffen, feiern und vergnügen wollen. All diese Dinge leistet eine virtuelle Welt nur rudimentär. Darin liegt die Chance der (Innen-)Stadt. Eine kluge Stadtentwicklung greift beide Bedürfnisse auf – die Bequemlichkeit und das Bedürfnis nach Gemeinschaft – und hat auf beide eine Antwort.
Text: MX
Bild: Tourismus- und Kulturamt Bad Säckingen
Onlinekonferenz „Standorthelden“
21. Oktober, 9 bis 11 Uhr
Anmeldung und Informationen:
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Mail: birgitt.richter@konstanz.ihk.de
Telefon: 07531 2860-139