Mehr als zwei Jahre nach dem Start der Coronapandemie und ein halbes Jahr nach Beginn des Ukrainekrieges gilt es zu prüfen, ob und wie die in „Schönwetter-Zeiten“ abgeschlossenen Verträge den aktuellen Herausforderungen standhalten.
Kann eine Lieferung gar nicht mehr erbracht werden, entfällt die Leistungspflicht (samt der Gegenleistungspflicht) kraft Gesetzes. Das gilt aber nur bei wirklich unüberwindbaren Nachschubproblemen. Solange es alternative Bezugsquellen gibt, trägt der Schuldner grundsätzlich das Beschaffungsrisiko, sprich den Mehraufwand durch einen alternativen Bezug. Es stellt sich dann die Frage, ob der Verkäufer auf der ganzen Welt nach einer alternativen Quelle zu fahnden hat. Die Antwort ist grundsätzlich ja, unterliegt aber einer mehr oder weniger strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Gelingt es dem Verkäufer nicht, den Vertragsgegenstand zu beschaffen, haftet er auf Schadensersatz – vorausgesetzt, dass er das Lieferproblem zu vertreten hat. Hat er das Hindernis nicht zu vertreten, was in aller Regel in den aktuellen Fällen vorliegt, entfällt für den Schuldner die Leistungspflicht; er muss nicht mehr leisten, bekommt aber auch keine Vergütung.
Preissteigerungen sind selten ein Argument
Muss der Verkäufer zwar liefern, aber aufgrund von höheren Energie-, Transport- oder Beschaffungskosten nur zu einem relevant höheren Preis, bleiben die ergänzende Vertragsauslegung und die sogenannte Störung der Geschäftsgrundlage („SGG“) als Lösungen übrig. In diesem Rahmen hat die ergänzende Vertragsauslegung zunächst Vorrang. Dabei wird untersucht, wie sich die Parteien verhalten hätten, hätten sie die Kostensteigerung bereits bei Vertragsschluss erkannt. Praktisch lässt sich dies schwer ermitteln. Zudem muss die Vertragsauslegung im Streitfall gerichtlich eingeklagt werden; eine einseitige Vertragsanpassung ist nicht möglich.
Auch bei den Rechtsgrundsätzen zur Störung der Geschäftsgrundlage sind die Anforderungen hoch: So hat etwa das Reichsgericht dereinst eine Anpassung bei einem Anstieg der Herstellungskosten um das 15-fache oder um 60 Prozent gemeinsam mit einem Existenzrisiko des betroffenen Herstellers angenommen. Für Verträge, die nach Beginn der Pandemie geschlossen wurden, kommt eine Vertragsanpassung kaum in Betracht: denn dann hätten Parteien selbst vertragliche Vorkehrungen treffen können. Ist dies unterblieben, könnten die Gerichte der grundsätzlichen Risikoverteilung folgen und eine Vertragsanpassung ausscheiden lassen.
Neue Verträge mit Klauseln versehen
Fragt sich, was zu bedenken ist, wenn man heute – in Kenntnis der Lieferketten- und Energiepreisproblematik – neue Verträge schließt. In Betracht kommen zuallererst Preisanpassungsklauseln, die unter bestimmten Voraussetzungen eine automatische Preisanpassung vorsehen. Sogenannte „Kostenelementeklauseln“ koppeln den Preis an bestimmte, ausdrücklich in Bezug genommene Kostenelemente. Spannungsklauseln knüpfen demgegenüber an einen Referenzwert, zum Beispiel einen Index oder den Preis gleichartiger Güter ,an. Dazu kommen sogenannte Leistungsvorbehaltsklauseln, die keine automatische Anpassung bewirken, sondern dem Verwender ermöglichen, die neue Höhe der Geldschuld nach Billigkeitsgrundsätzen zu bestimmen.
All diese Preisanpassungsklauseln unterliegen aber hohen Anforderungen von Seiten der Rechtsprechung; insbesondere müssen sie transparent sein und nicht nur zu Gunsten des Verwenders gelten. Bereits bei Vertragsschluss muss der Käufer erkennen können, in welchem Umfang Preiserhöhungen auf ihn zukommen.
Einfacher und auch empfehlenswerter ist die Vereinbarung einer Verhandlungspflicht. Solange diese sowohl Kostenerhöhungen als auch Kostensenkungen erfassen, sind sie rechtlich zulässig. Wichtig ist, dass die maßgeblichen Kostenfaktoren ausdrücklich genannt werden. Ist eine Neuverhandlungspflicht vereinbart, kann die Verweigerung der Verhandlung als Pflicht-verletzung einen Schadensersatzanspruch auslösen. Bei verweigerter Verhandlung kann, je nach Auslegung des Vertrages, aber auch ein unmittelbarer Anspruch auf Anpassung bestehen. Empfehlenswert ist zusätzlich ein Leistungsbestimmungsrecht des Gläubigers, das ihn in die Lage versetzt, im Verhandlungsfall die Leistung zu bestimmen, die allerdings einer Billigkeitsprüfung unterliegt.
Text: Barbara Mayer, Advant Beiten
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