Gesunde Luft zum Atmen wird in Zeiten der Coronapandemie vom Luxus zur Notwendigkeit. Schließlich hängt gerade jetzt im Herbst und Winter die Gesundheit vieler Menschen davon ab, dass die Belüftung in Großraumbüros, Gaststätten, Produktionshallen und anderen Gebäuden richtig funktioniert. Dazu kann die Simulation von Luftströmungen beitragen.
Es ist inzwischen hinlänglich bekannt, dass sich das Coronavirus vorwiegend über kaum sichtbare Schwebeteilchen, sogenannte Aerosole, in der Luft verbreitet. Wenn eine Person durch Niesen, Husten oder auch beim Sprechen infektiöse Aerosole freisetzt, verteilen sich diese als feiner Nebel im Raum. Eine einfache physikalische Berechnung der Bewegung von Teilchen in der Luft (Stokes’sches Gesetz) ergibt, dass sogar große Aerosoltröpfchen von circa 20 Mikrometer Durchmesser etwa sieben Stunden brauchen würden, um von der Kopfhöhe einer Person auf den Boden zu sinken, wenn keine sonstige Luftbewegung herrscht.
So wird klar, welche entscheidende Bedeutung der genauen Kenntnis der Strömung im Raum zukommt. Fliegt das Virus zu mir oder in die Filteranlage? Gerade in öffentlichen Räumen, in denen sich viele Menschen aufhalten, spielen daher Lüftungsanlagen für den Infektionsschutz eine bedeutende, wenn nicht zentrale Rolle. Nur ein optimal ausgelegtes Lüftungssystem sorgt für eine schnelle Verdünnung des Aerosolnebels, für einen raschen Austausch verbrauchter Luft und nur richtig platzierte Zuluft und Abzüge führen die Aerosole vom Ort ihres Entstehens ab und verhindern damit deren Ausbreitung im Raum. Das bloße Aufstellen einer Lüftung mit Filter macht nicht alles coronafrei. Die Luft mit ihrer eventuellen Virenlast muss schließlich, um in den Filter zu gelangen, erstmal den ganzen Raum durchqueren und passiert dabei auch Personen im Raum.
Aber wie können Bauherren und Planer der technischen Gebäudeausrüstung (TGA) sichergehen, dass die Lüftungsanlage entsprechend der individuellen räumlichen Gegebenheiten funktioniert? Wie lässt es sich vermeiden, dass ein Mehr an Infektionsschutz nicht zu erhöhtem Technikeinsatz führt, der einerseits den Raumkomfort durch Zugluft vermindert und andererseits den Energieverbrauch erhöht?
Weil klassische Auslegungsmethoden Raumströmungen und Aerosolverbreitung nicht exakt abbilden und vorhersagen können, werden bei der Planung von Gebäuden, bei denen es sowohl auf Raumkomfort als auch auf Infektionsschutz ankommt, die virtuellen Planungsmethoden bereits partiell eingesetzt. Durch die detaillierte Computersimulation des gesamten Innenraums, die alle Einflüsse der Lüftungsanlage, die räumlichen Gegebenheiten und das Beisein von Menschen berücksichtigt, erhält man ein sehr genaues Bild des Luft- und Wärmeverhaltens. Man sieht, wie sich die Tröpfchen ausgehend von einer Person im Raum ausbreiten, und wie sich die Aerosole in einem normalen Büroraum bei ‚falscher‘ Belüftung verteilen – nämlich überall im Raum. Sie können sich auch in strömungsarmen Ecken ansammeln. Mit dem Einsatz von Strömungssimulationen – sogenannten CFD-Simulationen – können Absaugung und Frischluftzuführung entsprechend dem Bedarf optimal im Raum positioniert und dimensioniert werden. Die Wirksamkeit einer geplanten Lüftungsanlage kann also bereits im Vorfeld virtuell getestet und an die örtlichen Bedingungen angepasst werden.
Am besten ist es natürlich dafür zu sorgen, dass verbrauchte Luft und damit auch Aerosole schnell und kontrolliert in die Filtersysteme geleitet werden. Dies ist aber gar nicht so einfach, weil Strömungen sich nie so verhalten, wie man denkt. Es entstehen immer Wirbel oder „Totzonen“, die man mit den herkömmlichen Methoden in der Planungsphase nicht vorhersagen kann. Mit viel Technik erreicht man nicht unbedingt viel Leistung. Wenn aber die Schadstoffpartikel durch falsche Positionierung der Absaugvorrichtungen unzureichend erfasst werden oder durch die Raumströmung daran vorbeigeleitet werden, dann ist selbst die leistungsstärkste und teuerste Technik für die Katz und somit im Hinblick auf Corona auch der Infektionsschutz nicht sicher gegeben.
Raumströmungen sollte man bereits grundsätzlich in der Planungsphase mittels Simulation untersuchen. Der Zusatzaufwand lohnt sich allemal, da die TGA-Planer mit der Strömungsanalyse die nötigen Informationen an die Hand bekommen, die Funktionalität ihrer Planung zu sichern, eine effizientere Auslegung zu ermöglichen und in fast allen Fällen aufgrund der besseren Effizienz auch Energiekosten zu sparen. Nur mithilfe der Simulation lassen sich bereits während der Planung exakte Aussagen treffen, wie die Luftströmung im Raum bei einem geplanten Belüftungskonzept aussehen wird und welche Maßnahmen dazu vorteilhaft sind. Dadurch kann vermieden werden, dass leistungsstarke und meist auch teure Lüftungstechnik an Effizienz verliert, weil sie durch ungünstige Positionierung und durch die Wechselwirkungen mit Wänden, Menschen und Möbeln gestört wird. Eine mittels Simulation optimierte Belüftung garantiert gleichermaßen gute Frischluft und Infektionsschutz und gibt dem Bauherrn die Sicherheit, dass sich die Menschen in seinem Gebäude wohlfühlen und gesund bleiben.
Text: Axel Müller -Der Autor ist
promovierter Physiker und Geschäftsführer des auf Strömungssimulationen spezialisierten Ingenieurbüros HTCO GmbH in Freiburg
Zu den Bildern: Das Bild oben zeigt die Konzentration von Aerosolen ausgehend von der infizierten Person in der Mitte (rot). Im mittleren Bild sieht man die
Bahnen der Aerosolpartikel im Raum bei ungünstiger Frischluftzufuhr. Und das Bild unten zeigt dieselben Bahnen bei optimierter Frischluftzufuhr.