Mit * oder großem i? Männliche und weibliche Form verwenden? Oder einfach weiter wie bisher mit dem generischen Maskulin? Unternehmen aller Branchen und Größenklassen stehen inzwischen vor der Gretchenfrage. Alle Versionen haben Vor- und Nachteile, eine Patentlösung gibt es nicht. Ohne eine Entscheidung geht es aber auch nicht. Wie Firmen zu ihrer individuellen Lösung finden.
„Sehr geehrte Kundinnen und Kunden“, „liebe Kolleg:innen“, oder auch „liebe MitarbeiterInnen“ sowie „Werte Besuchende“: Beim Gendern konkurrieren unterschiedliche Möglichkeiten um die Gunst der, tja: Adressat:*_Innen. Dabei sind Genderstern und Unterstrich keine regulären Sprachzeichen im Deutschen, so hat es der Rat für deutsche Rechtschreibung – eine gewichtige Instanz für das Thema – jüngst bestätigt, indem er Genderzeichen weiterhin nicht zum Kernbestand der deutschen Orthografie zählt. Auf der anderen Seite lässt sich beobachten, dass immer mehr Unternehmen, Medien, Hochschulen, Kommunen und Behörden gendergerecht kommunizieren, obwohl sie dazu – außer in Jobausschreibungen – nicht verpflichtet sind.
Die drei IHKs im Regierungsbezirk verwenden das generische Maskulin ebenso wie die neutralisierende Version und manchmal kommt, wie bei der Lufthansa, auch der Doppelpunkt zum Einsatz. Microsoft benutzt das Sternchen. Audi bevorzugt den Unterstrich. Und in dem steckt eine Menge Hirnschmalz: Ein Jahr lang arbeiteten bei dem Automobilhersteller die Abteilung Diversity-Management und eine Projektgruppe „gendersensible Sprache“ unter dem Titel „Vorsprung beginnt im Kopf“ intensiv an den Gender-Empfehlungen. Diese will der Konzern als Bekenntnis für Chancengleichheit von LGBT-Personen am Arbeitsplatz und gegen Homo- und Transphobie in der Arbeitswelt verstanden wissen. Audi geht es demnach um mehr, als „nur“ das weibliche Geschlecht sichtbar zu machen, sondern will per Unterstrich auch solche Menschen ansprechen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht angehörig fühlen.
Aussitzen ist keine Lösung
Die Themen Diversität und Vielfalt haben vor allem bei größeren Unternehmen an Bedeutung gewonnen. Nicht jeder Betrieb verfügt allerdings über die entsprechenden Ressourcen, um sich in aller Tiefe mit ihnen zu beschäftigen. Persönlich kann jeder zur Sprachgestaltung stehen, wie er will – die Diskussion ist aufgeladen und manche möchten sich (vielleicht gerade deshalb) erst gar nicht damit beschäftigen. Fakt aber ist: Unternehmen bleibt über kurz oder lang keine Wahl, sich – ergebnisoffen – des Themas anzunehmen. Denn: Wer sich vermeintlich raushält, kommuniziert ja trotzdem mit einer Sprachvariante – an der er möglicherweise gemessen wird, obwohl er sich nicht extra dafür entschieden hat. Wie heißt es so schön: Keine Antwort ist auch eine Antwort.
Je nach Größe, Branche und Kundenstamm treffen Unternehmen auf unterschiedliche Einstellungen und Erwartungen. Werden die einen vom Gendern abgeschreckt, empfinden es die anderen als unzeitgemäß, wenn ein Betrieb es in seiner Kommunikation nicht tut.
Rund zwei Drittel der wahlberechtigten Deutschen lehnen laut Meinungsumfragen eine gendersensible Sprache ab. Unternehmen müssen daher gut recherchieren und abwägen, wie ihre Zielgruppe „tickt“ und was Kunden, Lieferanten, Endverbraucher, Mitarbeiter und mögliche Bewerber goutieren. Sind Hochschulen und Kommunen eher progressiv, müssen andere Branchen das nicht sein.
Eine weitere Frage ist, wie konsequent gendersensible Sprache verwendet wird. Reicht es, nur nach außen entsprechend zu kommunizieren? Dann kommt möglicherweise die Frage auf, warum man es in den eigenen Firmenwänden nicht tut. Will man als Überzeugungstäter glaubhaft sein, müssen – streng genommen – alle Geschäftsdokumente wie Verträge, Anordnungen, Vorlagen, Berichte angepasst werden.
Gendern lernen und ausprobieren
- Schwerpunktseiten der Gesellschaft für deutsche Sprache: Standpunkt und Leitlinien zum Gendering https://gfds.de/schwerpunkt-gendering
- Geschicktgendern: Gender-Wörterbuch mit Formulierhilfen und Links zu Handreichungen https://geschicktgendern.de
- Onlineportal „Gendern in Leichter Sprache – eine Anleitung“: Projekt des Journalistinnenbundes mit Tipps und Übungen www.genderleicht.de/gendern-in-leichter-sprache-anleitung
Mit Leitfaden gegen Kraut und Rüben
Rainer Witt, Texter und Inhaber der Werbeagentur „agenturwitt“ in Schallstadt-Mengen, merkt an: „Überall, wo Unternehmen kommunizieren, braucht es dafür klare Regeln.“ Diese sollten unbedingt für alle Mitarbeiter praktikabel sein – nicht nur für die Sprachprofis aus den Kommunikationsabteilungen. Ein Beispiel: „Häufig bespielen die Azubis die Social-Media-Kanäle mit Inhalten aus ihrem Alltag“, weiß Rainer Witt. „Dafür müssen sie wissen, ob gegendert wird und wenn ja, wie.“ Er rät dazu, in die Erarbeitung eines eigenen Sprachleitfadens oder Sprachleitbilds mit einem Kapitel zum Gendern zu investieren – und sich dafür gegebenenfalls professionelle Unterstützung zu holen.
Witt hat sich auf die Entwicklung von Markensprache spezialisiert und unterstützt Unternehmen dabei, solche Leitfäden für Sprachregeln zu entwickeln, mit denen sie nach innen und außen kommunizieren. Dazu gehört auch das Gendern – wobei Witt lieber von „inklusiver Sprache“ spricht. „Viele Unternehmen tun sich schwer“, berichtet er, weil „Gendern Sprache politisch auflädt. Firmen sollten sich bewusst darüber sein, dass sie sich mit der Art und Weise, wie sie kommunizieren, immer positionieren – ob sie es wollen oder nicht“. Eine Patentlösung gebe es nicht. „Letztendlich müssen die Argumente abgewogen werden und die Gründe, warum man sich für oder gegen das Gendern entschieden hat, bekannt sein“, so Witt.
Der Experte rät, die eigene Belegschaft mit den Leitfäden nicht zu überfordern, optimal sei, sie in den Entscheidungsprozess einzubinden: „Holen Sie Ihre Mitarbeitenden ins Boot. Alle sollten die Regeln klar erfassen können.“
Verschiedene Varianten abklopfen
Auf dem Weg zu einer Entscheidung und einer probaten Handhabung hilft es, die verschiedenen Formen des Genderns genauer unter die Lupe zu nehmen und gedanklich wie praktisch an Kommunikationsbeispielen aus dem Unternehmensalltag durchzuspielen. Grundsätzlich gibt es drei Kategorien jenseits des generischen Maskulins:
- Die Feminisierung: Beide Geschlechter werden genannt, etwa „Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, wobei bei geschriebener Sprache oft die weibliche Form durch eine Abkürzung hinzugefügt wird (Mitarbeiter/-innen oder MitarbeiterInnen).
- Die Neutralisierung: Die männliche Form, zum Beispiel „Mitarbeiter“ wird, wenn möglich, durch geschlechterneutrale Formen „Mitarbeiterschaft“ oder durch Substantivierung, etwa „Mitarbeitende“, ersetzt.
- Die Gender-Zeichen: Für die mehrgeschlechtliche Schreibweise wird zwischen männlicher Form und weiblicher Endung ein Sternchen, Unterstrich oder Doppelpunkt ergänzt, zum Beispiel Mitarbeiter*Innen, Mitarbeiter_Innen, Mitarbeiter:Innen. Die Sonderzeichen sind Platzhalter für alle, die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnen.
Lesen mit Bremsklötzen
Ein gewichtiges Argument, beim generischen Maskulinum zu bleiben: Eine verständliche, lesbare und zugängliche Sprache wird durch Gendern nicht gewährleistet. Sternchen und Passivkonstruktionen machen Texte länger, komplexer und leseunfreundlicher. Außerdem irritieren Genderzeichen, die Sprachästhetik leidet und die gesprochenen Pausen klingen unnatürlich. Kurz: Gendern macht Sprache komplizierter. Das wäre der Preis, der zu zahlen wäre.
Viele Unternehmen, wie auch die „Wirtschaft im Südwesten“ – möchten sprachlich niemanden benachteiligen und kommunizieren dies auch ausdrücklich so, entscheiden sich aber aus Gründen der Barrierefreiheit trotzdem gegen Zusatzzeichen und Binnengroßbuchstaben, weil das den Lesefluss stört und die Auffindbarkeit durch Suchmaschinen beeinträchtigt.
Dass man beim Thema Gendern vermintes Gebiet betritt, zeigt das Beispiel Audi. Ein VW-Mitarbeiter störte sich derart daran, gendersensibel angesprochen zu werden, dass er gegen die Konzerntochter Audi klagte. Seine Begründung: Er wolle in Ruhe gelassen werden mit der Gendersprache, auch wenn er für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung sei. Seine Klage ging bis zum Oberlandesgericht München, wo sie Mitte Juli mangels Erfolgsaussichten final zurückgewiesen wurde. Die Richter befanden, dass es für Gegner von Gendersprache kein Recht gebe, „in Ruhe gelassen zu werden“. Ob so eine öffentliche Auseinandersetzung allerdings zur innerbetrieblichen Akzeptanz von – wie auch immer gearteten – Genderlösungen beiträgt, ist zu bezweifeln. Sie zeugt eher davon, dass im Vorfeld die Mitarbeiter nicht ausreichend abgeholt wurden – oder dass die ausgearbeitete Lösung noch nicht das Gelbe vom Ei ist.
Text: Nina Lipp
Bild: Adobe Stock/diuno