Schneller, höher, weiter: Tipps, wie Firmen ihre Gewinne ein ums andere Mal überbieten, gibt es zuhauf. Doch am unkontrollierten Wachstum hat sich auch schon so manches Unternehmen ordentlich verschluckt. Wie man zukunftsfähig größer wird, darüber berichten IHK-Experten und Betriebe aus der Region.
So verlockend eine rasant steigende Nachfrage im ersten Moment klingen mag: Zum Bersten gefüllte Auftragsbücher müssen kein Segen sein. „Unternehmen scheitern, wenn sie zu schnell wachsen“, sagt Alexander Vatovac aus dem Geschäftsfeld Existenzgründung und Unternehmensförderung der IHK Hochrhein-Bodensee. Und mit dieser Einschätzung ist er nicht allein: Auch Christian Müller, Start-up- und Existenzgründungsberater der IHK Südlicher Oberrhein, sitzen regelmäßig junge wie gestandene Unternehmer gegenüber, denen der Wachstumsprozess ihrer Firma Sorgenfalten auf die Stirn treibt.
Vorsicht: Verzettelungsgefahr
Ob fehlendes Kapital, Personalmangel oder Probleme bei der Standortsuche: Die Gründe für erste Bremsspuren schon in der Startphase sind vielfältig. Am meisten leiden Unternehmen in dieser Phase aber unter den Folgen einer vernachlässigten Organisationsentwicklung, da sind sich Vatovac und Müller einig. Am gravierendsten sei, wenn Strukturen, feste Zuständigkeiten und transparente Prozesse fehlen. Oder: Wenn alle alles machen. „Letzteres sehen wir bei Gründerteams häufig. Kommen mehrere erfolgskritische Themen parallel auf den Tisch, verzetteln sich viele und es wird hektisch, wenn Entscheidungen getroffen und wichtige Schritte in die Wege geleitet werden müssen. Dann rächt es sich, dass internes Expertenwissen fehlt“, sagt Alexander Vatovac.
Um die Entwicklung des Unternehmens beobachten, Potenziale sowie Risiken frühzeitig erkennen und vorausschauend handeln zu können, rät er, neben dem Businessplan auch ein Monitoringsystem, eine Art Unternehmenscockpit, zu etablieren. Und Verantwortliche für die Bereiche der „internen Schaltzentrale“ zu definieren – etwa für Kapitalbedarf, Liquidität, Personal, Vertrieb, Produktion und Organisationsstruktur. „Ein engmaschiges Reporting sorgt dafür, dass diese Themen im Arbeitsalltag präsent bleiben“, sagt der IHK-Berater.
„Die Vogelperspektive auf das eigene Unternehmen hilft auch dabei, eine weitsichtige Personalstrategie zu entwickeln“, sagt Christian Müller von der IHK Südlicher Oberrhein und betont, dass ohne diese ein gesundes Wachstum kaum möglich sei. Seine Erfahrung zeigt, dass Gründungen mit skalierbarem Geschäftsmodell direkt nach Markteintritt besonders steile Expansionskurven verzeichnen. Um liefern zu können, holten sich Gründer meist mehr Mitarbeiter an Bord als für den Normalbetrieb nötig. „Traditionell flacht das Interesse mit der Zeit ab, die hohen Personalkosten bleiben.“ Müller empfiehlt daher, Auftragsspitzen mit Hilfe von Kooperationspartnern abzufedern oder Aufgaben outzusourcen und die entstehenden Kosten einzupreisen, um das Risiko einer finanziellen Schieflage zu minimieren.
„Bei uns gab es die Personalstelle schon vor den ersten Mitarbeitenden“, sagt Tabea Seibold und erinnert sich daran, dass dies für viel Verwunderung gesorgt habe. Gemeinsam mit ihrem Mann Michael Ebner-Seibold führt sie die Z24 GmbH, die hinter dem Onlineshop Zahnriemen24.de steht. Ebner-Seibold hat die Plattform 2009 als Student gegründet – mit 50 Euro Startkapital aus dem Elternhaus heraus. Seitdem ist viel passiert. 2021 setzte die Firma fast fünf Millionen Euro um und kann regelmäßig jährliche Wachstumsraten zwischen 30 und 50 Prozent für sich verbuchen. Wer glaubt, dass diese Zuwächse auf einem detaillierten Businessplan basieren, irrt. Den hatte das Unternehmerehepaar nie – ebensowenig wie konkrete Umsatz- oder Gewinnziele.
Mitarbeiter als Dreh- und Angelpunkt
„Wir wachsen organisch, weil wir uns konsequent damit beschäftigen, welche Charaktere wir brauchen und wie wir uns aufstellen müssen, um als Team mehr leisten zu können als jeder Einzelne“, sagt Seibold. Im Bewerbungsprozess zählen daher nachgewiesene Fähigkeiten mehr als der erlernte Ausbildungsberuf. Wenn ein Kandidat ins Puzzle passt, werden Stellen auch an dessen Potenziale angepasst, erklärt die Geschäftsführerin. Heute arbeiten rund 20 Menschen in Freiburg-Lehen daran, Industrietechnik online bereitzustellen. Die Hälfte davon kam in den Jahren 2020/2021 dazu. Zur Personalstrategie von Z24 zählt auch, dass Mitarbeiter sich durchschnittlich nur in der Hälfte ihrer Arbeitszeit mit dem Kerngeschäft befassen.
Die übrige Zeit fließt in Projektarbeit, um das Unternehmen gemeinsam weiterzuentwickeln. Zum Beispiel, indem sie die Chancen von Automatisierungsprozessen ausloten. Personal, das an seiner eigenen Abschaffung arbeitet? Keinesfalls, sagt Michael Ebner-Seibold: „Computergestützte Prozesse können Mitarbeitern stupide Wenn-Dann-Aufträge, wie die Rechnungskorrektur nach einer Retoure, abnehmen und auch schneller bearbeiten als Menschen. Das verschafft unserem Team Zeit, sich mit komplexen Themen zu beschäftigen und Verbesserungspotenziale zu erkennen.“ Um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen, sind bei Z24 zudem viele Prozesse standardisiert. Wissen und aktuelle Bearbeitungsstände werden dokumentiert, Aufträge personenunabhängig bearbeitet, sodass sie jeder fortführen kann. „Es ist nicht gut, wenn es Dinge gibt, die nur ich kann, weil ich der Chef bin. Im Gegenteil: Wir fördern Mitarbeitende, damit sie die Dinge besser machen als wir“, meint Michael Ebner-Seibold.
Wachstumshelfer
Die Gründungs- und Wachstumsberater der drei IHKs bieten persönliche Beratungsgespräche, Finanzierungssprechtage, Gründerseminare und Co.
Das Startercenter Südwest ist ein Verbund der drei hiesigen IHKs mit dem Ziel die Mitgliedsunternehmen gemeinsam von der Gründung, über die Sicherung bis zur Nachfolge zu unterstützen. www.startercenter-suedwest.de
Gründergarage der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg: Mehrmonatiges Coaching-Programm für Gründer. Nächste Runde startet im April, bewerben bis 24. März www.gruendergarage-sbh.de
IHK-Broschüre „Herausforderung Unternehmenssicherung“ www.ihk.de/freiburg – 3945186
Überblick über die finanziellen Gewerbeförderungen des Landes unter www.ihk.de/freiburg – 3316868
Von hierarchisch zu crossfunktional organisiert
Auch Peter Ziras plädiert dafür, auch und gerade in Wachstumsphasen unternehmerische Vorgänge genau zu beleuchten: „Ein gutes Bauchgefühl ist wichtig. Noch bedeutender ist aber, Kennzahlen abrufen zu können und zu wissen, wo man steht.“ Seinem Anspruch wird der Geschäftsführer der Freiburger Inxmail GmbH mit monatlichen Forecasts und Planspielen gerecht. Das 1999 gemeinsam mit Martin Bucher als Softwarehaus gegründete Unternehmen hat sich über die Jahre zum internationalen E-Mail-Marketing-Spezialisten entwickelt. Hauptsitz ist seit jeher Freiburg, 2009 kam eine Niederlassung in Frankreich hinzu. Nach eigenen Angaben betreut Inxmail heute rund 2.000 Kunden, arbeitet mit 200 Partnern zusammen und beschäftigt etwa 150 Mitarbeitende.
Der intensive Blick ins Unternehmen hat dem Diplom-Informatiker geholfen, die passende Organisationsstruktur für Inxmail zu finden und effizienter zu arbeiten. „Mit etwa 30 Mitarbeitenden hatten wir einen natürlichen Informationsfluss. Durch zunehmendes Wachstum mussten wir uns räumlich vergrößern. Dies hatte zur Folge, dass wir neue Meeting-Formate und Informationskanäle einführen mussten, um teamübergreifend für Transparenz zu sorgen und über wichtige Aktionen sowie Themen zu informieren“, skizziert der Unternehmer die Problemlage. Er stellte sich zwei zentrale Fragen: Wie sorgen wir für einen einheitlichen Wissensstand? Wie strukturieren wir unsere Teams und Prozesse so, dass die betroffenen Personen alle wichtigen Informationen erhalten?
Sein Lösungsansatz: Weg vom hierarchisch geprägten Organisationsmodell, hin zu Kreisstrukturen nach dem sogenannten Holakratie-Prinzip und eigenverantwortlich handelnden Gruppen und crossfunktionalen Teams. „Wir haben die Regeln des agilen Organisationskonzeptes auf unsere Bedürfnisse angepasst und mit Elementen von Scrum verknüpft, nach dem unsere Entwicklung bereits arbeitete“, erklärt Ziras.
Um die damit verbundenen Vorteile synergieorientierten Arbeitens voll auszuschöpfen, hat Inxmail Verantwortungsgebiete auf fachlicher und disziplinarischer Ebene definiert, Mitarbeitern darin verschiedene Rollen zugewiesen und abteilungsübergreifende Teams gebildet. „Voneinander lernen, miteinander lernen“ lautet seither die Devise.
Um diesen kollaborativen Ansatz in die einzelnen Teams zu tragen und einen professionellen Standard aufzubauen, bildet das Unternehmen alle Führungskräfte und Product Owner zum Industrial Business Coach weiter. „Sie lernen, andere darin zu bestärken, eigenständig zu arbeiten und Entscheidungen zu treffen“, sagt Peter Ziras. Dies seien wichtige Eigenschaften auf dem Weg, die Wachstumsziele von jährlich zehn bis 15 Prozent zu erreichen.
IHK als Lotse und Impulsgeber
Um die für sich passende Wachstumsstrategie zu finden, rät Maik Schirling, Referent Unternehmensförderung bei der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg, neben der aktuellen Lage immer auch die nächsten drei, vier Schritte zu planen. Wer möchte, auch mit Unterstützung der IHK-Experten. „Im Einzelgespräch analysieren wir die aktuelle Situation und skizzieren, welche Maßnahmen in Zukunft ratsam sind“, sagt Schirling. „Wir haben zwar kein Patentrezept in der Schublade, klären aber umfassend über Förderprogramme auf, verweisen bei Spezialfragen an Kollegen anderer Fachabteilungen und empfehlen passende IHK-Angebote.“ Auch eine Option ist das umfangreiche Infomaterial auf den Webseiten der Kammern.
Text: ks
Bild: Adobe Stock, Steve Cukrov
IHK Hochrhein-Bodensee:
Alexander Vatovac
Telefon: 07531 2860-135
Mail: alexander.vatovac@konstanz.ihk.de
IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg:
Maik Schirling
Telefon: 07721 922-349
Mail: maik.schirling@vs.ihk.de
IHK Südlicher Oberrhein:
Christian Müller
Telefon: 07821 2703-641
Mail: christian.mueller@freiburg.ihk.de