Tuttlingen. Die Gründung und Leitung von Entwicklungsprojekten in Afrika, die nach unternehmerischen Gesichtspunkten organisiert sind, ist ein Anliegen von Michael Junginger (58), für das er viel Zeit aufwendet. Im Hauptberuf ist er Geschäftsführer der Firma C. Hilzinger-Thum, die mit 380 Mitarbeitern Schleif-, Polier- und Entgratwerkzeuge, Gummiwalzen, Kontaktscheiben sowie technische Bürsten herstellt und seit 1902 besteht. Der Jurist führt das Unternehmen zusammen mit Holger Hilzinger (47). Beide stammen aus Unternehmerfamilien. Junginger ist ein Enkel des Alno-Gründers Albert Nothdurft, Hilzinger ist die vierte Generation im Unternehmen. Beide sind stark im protestantischen Glauben verwurzelt und das wiederum erklärt die Engagements auf dem schwarzen Kontinent. Bei den Projekten geht es um Hilfe zur Selbsthilfe. Sie sollen sich nach einer Anlaufzeit selbst tragen und Gewinne abwerfen, die wiederum in weitere soziale Projekte fließen können. Die Anfangsfinanzierungen leisten Junginger und Hilzinger aus eigenem Vermögen, beziehungsweise aus einem kleinen Teil der Gewinne von Hilzinger-Thum sowie externen Spenden.
Unter dem Motto „Arbeitsplätze für Afrika“ ist während der vergangenen Jahre ein bislang gut laufendes Projekt in Gambia, einem der kleinsten und ärmsten Länder Afrikas, entstanden. Junginger, der hier die Federführung inne hat, kam 2012 das erste Mal nach Gambia, wo eine Freundin seiner Frau vor vielen Jahren ein Youth Hostel aufgebaut hat. Er konnte mit seinem eigenen Vorhaben auf ein gut ausgebautes Netzwerk der evangelischen Kirche Gambias (ECG) und der Organisation Weltweiter Einsatz für Christus (WEC) zurückgreifen. Sein Projekt „House of Skills“ ist eine Art Berufsschule mit Werkstätten, Wohn- und Schlafmöglichkeiten, Gästehaus, Unterrichtsräumen und Büros für junge Gambier. Diese können hier Maurer, Schreiner, Elektriker, Flaschner, Industrie- und Automechaniker, Maler und Bäcker sowie Industriekaufmann erlernen. Gelehrt und gelernt werden diese Berufe innerhalb von 24 Monaten, angelehnt an das deutsche Modell der dualen Ausbildung, also Praxis und Theorie. Die Ausbilder gehören WEC und „Christliche Fachkräfte international“ an und sind in den häufigsten Fällen junge Meister ihres Berufes. Sie stammen aus Österreich, der Schweiz sowie Deutschland und bleiben jeweils für einige Monate in Gambia. 2015 erwarb die ECG mit gespendeten Mitteln ein 21.000 Quadratmeter großes Grundstück in Tanje in der Nähe der gambischen Hauptstadt Banjul und errichtete dort unter anderem eine Bäckerei. Die ist ein besonders schönes Beispiel für Jungingers Modell. Hier arbeiten inzwischen acht Auszubildende (von 24 insgesamt im „House of Skills“) und stellen hochwertige Backwaren her. Das Gebäude haben andere Lehrlinge, die in den Bauberufen tätig sind, mit ihren Meistern errichtet. Die Maschinen hat die Stiftung „Brot gegen Not“ von Heiner Kamps zur Verfügung gestellt. Angeboten werden die Backwaren in einem Verkaufswagen, wie er auch bei uns auf Märkten zum Einsatz kommt, an immer gleichen Standorten, beispiesweise vor Hotels, vor der VIP-Lounge am Flughafen oder in besseren Wohngebieten. Renner sind Berliner und Croissants. Die Investition für die „Sunshine Bakery“ lag bislang bei 130.000 Euro und der Betrieb trägt sich selbst. Derzeit ist eine Kfz-Werkstatt im Aufbau. 30 Prozent der Geräte und Maschinen hat man dafür bereits, weitere Spenden und Hilfen nimmt Junginger gerne entgegen, er hofft Daimler-Benz mit ins Boot zu bekommen. Ziel ist auch hier, wie schon bei der Bäckerei: Das Kapital muss selbst erwirtschaftet werden. Auch kaufmännisch werden die Lehrlinge deshalb ausgebildet.
Am Anfang steht für Junginger immer die Ausbildung, dann die Einrichtung von Arbeitsplätzen, die wiederum Grundlage für profitable Unternehmen und diese ihrerseits Basis für die Realisierung weiterer Vorhaben wie beispielsweise Kindergärten oder Schulen sind. „Hungerlöhne zahlen wir keine“, sagt Junginger. Im Gegenteil, die Entlohnung muss auskömmlich sein, um die Einheimischen im Land zu halten. Das sehen Junginger und Hilzinger als bestes Mittel, um dem Migrationsdruck nach Europa entgegenzuwirken. Mit dieser Botschaft ist Junginger auch im deutschen Entwicklungshilfeministerium und als Aufsichtsrat der Deutschen Entwicklungsgesellschaft unterwegs.
Er ist überzeugt davon, dass Unternehmer oft die besseren Entwicklungshelfer sind. Dabei spielt der Beginn von Projekten eine große Rolle: Die Ausbildung. Zu ihr gehört zwingend das Erlernen von Eigen- und Ergebnisverantwortung. Dass dies außerordentlich wichtig ist, erfuhr Junginger mit einem anderen Projekt, einem großen, extra gebauten Fischerboot, für das er insgesamt drei Mannschaften anheuerte. Die erste wirtschaftete in die eigenen Taschen. Die zweite arbeitete erfolgreich, hörte allerdings nach 13 Tagen pro Monat mit der Arbeit auf, weil dann genügend verdient war. Als deren Kapitän sich von seiner Frau trennte, verfluchte diese ihn und das Boot vor aller Augen am Strand, worauf die Mannschaft nicht mehr auslaufen wollte. Die dritte Mannschaft wiederum zeigte die selben Gepflogenheiten wie die erste. Junginger gelang es nicht, europäisches unternehmerisches Denken – wie das Reinvestieren von zuvor verdienten Mitteln beispielsweise in weitere Boote, bessere Netze, neue Wohnhäuser – zu vermitteln. Er stellte das Projekt ein. Weitere Vorhaben aber beginnen derzeit ebenfalls zu laufen. So die Anpflanzung von Sisal, das zu Kordeln verarbeitet wird, in Gambia. Dazu hat Junginger Pflanzen aus Tansania eingeführt. Sie wachsen gut in Gambia. In Tansania wiederum hoffen er und Holger Hilzinger, eine große Sisalfarm übernehmen zu können. Dort entsteht bereits eine kleine Fabrikation von Sisal, das zuvor in kleinen bäuerlichen Betrieben angebaut wurde. Dieses Projekt soll auf Dauer 150 Mitarbeiter haben und an die 600 Menschen ernähren.
Der Aufwand, den Junginger rein zeitlich auf sich nimmt, ist beträchtlich. So reist er dreimal für eine Woche im Jahr nach Gambia, von seinem Einsatz in Deutschland einmal ganz abgesehen. Aber er und Hilzinger schwärmen von der erfüllenden Nebentätigkeit, von Erlebnissen, die sie in Deutschland nie haben könnten und von der Sinnhaftigkeit ihres Engagements.
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