Freiburg. Als Ria Hinken 1986 als junge Unternehmerin ihre erste E-Mail verschickt, löst das beim Kölner Gerling-Konzern gleich eine handfeste Vorstandskrise aus. „Damals hatte noch so gut wie niemand eine eigene E-Mail-Adresse. Als ich dann auf einer Tagung die des damaligen Gerling-Justiziars bekam, war ich ganz begeistert, endlich mal jemandem mailen zu können und schrieb ihm ein herzliches Dankeschön für unser Zusammentreffen. Sein Vorstand war alles andere als erfreut und musste erstmal ausdiskutieren, wer im Unternehmen überhaupt eine E-Mail empfangen darf“, erinnert sich die 69-Jährige belustigt an die Anfänge von E-Mail, Internet & Co.
Ria Hinken war nicht nur dabei, als die moderne IT laufen lernte, sie hat ihr im Laufe der Jahre auch mit auf die Beine geholfen. Geprägt schon in der Jugend – „in den Schulferien habe ich im Unternehmen meines Vaters Lochkarten sortieren müssen“ – über die Geburtsstunde der programmierbaren Taschenrechner, Akustikkoppler und ersten „Schlepptops“ „hat mich die Faszination fürs Thema nie verlassen“, sagt sie. Trotzdem hebt sie erstmal als Flugbegleiterin international ab. Später gründet die gebürtige Nordbadenerin eine Zeitarbeitsfirma, unter anderem um sich selbst teuer als Managementassistentin zu verleihen. „Ich wollte als Frau nicht immer schlechter bezahlt sein. Und im Verleih konnte ich doppelt so viel für mich bekommen als Angestellte.“ Bei den Kunden kommt die Cleverness gut an.
Mit ihrem ersten Mann gründet Hinken schließlich in den 1980ern in Frankfurt ein Unternehmen für Datenverarbeitungsdienstleistung, das sie 13 Jahre als Geschäftsführerin leitet und das heute ihr Sohn führt. Nach der Scheidung entwickelt sich Ria Hinken als Kommunikationstrainerin weiter, schult etwa nach der Wende im Aufbau Ost Führungskräfte in Sachen Marktwirtschaft, arbeitet als Radiojournalistin, testet Motorräder und berät mit ihrer Agentur „Konzepte PR“ bis heute quer durch die Republik Firmen rund um Datenschutz und -sicherheit, digitale Transformation und Social-Media-Marketing. „Meiner Erfahrung nach haben viel zu wenig Unternehmen auf dem Schirm, welche digitalen Themen gerade wichtig sind.“
Nach Stippvisiten und Projekten rund um den Globus wohnt die leidenschaftliche Tischtennisspielerin seit 1998 in Freiburg und engagiert sich dort unter anderem im EKU-Ausschuss der IHK Südlicher Oberrhein, dem Ausschuss für Einpersonen- und Kleinstunternehmen.
Während die IT sie schon ihr ganzes Leben begleitet, kommt das zweite Herzensthema mit dem Alter: Smart Aging – die Digitalisierung der Generation 55+. Und die Art, wie Senioren in der Gesellschaft gesehen werden. „Das Problem sind unsere Altersbilder – in der Gesellschaft, in Unternehmen. Die zu verändern, daran liegt mir wirklich viel. Wir sind nicht mehr wie unsere Eltern und Großeltern. Wir sind eine attraktive Zielgruppe, wir sind ganz lange aktive Teilnehmer am gesellschaftlichen Leben und in der Wirtschaft.“ Und gehören nicht ausgeklammert, findet Ria Hinken. Aber: „Digitalisierung wird von jungen Leuten entwickelt. Die können – ohne Vorwurf – gar nicht verstehen, was für uns Ältere wichtig ist. Und so entsteht vieles, was für Senioren nichts taugt“, weiß sie und verweist auf unnötig hochgerüstete Apps, nicht zu Ende gedachte Smarthome-Lösungen und auf Onlinesprechstunden, die nicht wahrgenommen werden, „weil den Patienten, von denen noch viele im Windows-XP-Zeitalter stecken, neue Techniken ohne altersgerechte Einführung vorgesetzt werden.“ Sie hat sich extra zur „Digitalen Gesundheitsbotschafterin“ weitergebildet, um Anbieter und Anwender in ihren Digitalisierungskursen mitzunehmen und den Senioren Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten zu geben. Auch Ältere können noch Neues beginnen, so ihr Credo. Sie lernen nur eben anders.
Aus dem Ärger über aus der Zeit gefallene Altersbilder sind Vorträge für Jung und Alt entstanden. Auf ihrer Webseite „Forum Alterskompetenz.info“ informiert Ria Hinken seit 2014 über alltagsrelevante Digitalthemen – von Fake-News über den virtuellen Enkeltrick bis zum Alexa- und Siri-Test – und wirbt für mehr Austausch zwischen den Generationen. 2018, als sie auf der „re:publica“, dem renommierten Digitalfestival in Berlin, zum Thema „Digitalkompetenz bis ins hohe Alter sichern“ referiert, sind 80 Prozent der Zuhörer unter 30 – und in Sorge, ob sie das alles im Alter überhaupt noch schaffen.
Nach den Sommerferien geht eines ihrer jüngsten – und hart erkämpften – Babys in die nächste Runde: die Smartphone-Sprechstunde. Hinken hat dafür Schüler der Freiburger Max-Weber-Schule ausgebildet, die nun Senioren den Umgang mit ihren Telefonen beibringen. Sozialkompetenz für die einen, Technikverständnis für die anderen und für alle tieferes Verständnis füreinander. Weitere Schulen stehen in den Startlöchern.
Und trotzdem ist es noch ein weiter Weg, weiß Ria Hinken: „Ich versuche, das sportlich zu nehmen, wenn man Älteren nicht so viel zutraut. Wenn man in Hotlines komisch und herablassend behandelt wird. Da bräuchte es mehr Training, zum Beispiel in den Callcentern. Ich wäre bereit!“, sagt sie munter, bevor sie sich aufmacht zu ihrem Physiotherapeuten – um dem Mittdreißiger den Umgang mit seinem Tablet zu erklären.
uh