Lottstetten. Das Rauschen der Fließbänder, die Kies aus der Abbaugrube ins Betonwerk bringen, dringt in das Büro von Lucia Rehm. Der Blick aus dem Fenster reicht von den Betonsilos und den Fördertürmen über die Felder bis in die rund zweieinhalb Kilometer entfernte Schweiz. Hier, im Kies- und Betonwerk Rehm am Rande von Lottstetten in der Nähe des Rheinfalls, wirkt Lucia Rehm seit über 30 Jahren. Zu Beginn ging sie ihrer Schwiegermutter am Wochenende bei der Buchhaltung zur Hand – ihre Schwiegereltern Walter und Rosemarie Rehm hatten das Unternehmen 1965 gegründet. Heute leitet die 53-Jährige mit ihrem Mann Urban und ihrem Schwager Markus die Unternehmensgruppe Rehm und führt die Geschäfte der dazugehörenden SEBA Sekundärbaustoff-GmbH.
Das Hauptgeschäft der Gruppe ist der Abbau von Moränenkies auf dem eigenen, rund zehn Hektar großen Grundstück sowie die Weiterverarbeitung von diesem sowie zugekauftem Kies zu Transportbeton. Diesen bringen die gelb-grünen Betonmischer des Unternehmens vor allem auf Baustellen in der Schweiz, die das Betriebsgelände auf drei Seiten umgibt. Irgendwann wird der Kies im Boden der Familie Rehm aufgebraucht sein. Neue Gruben zu erschließen, ist stets schwierig und aufwändig, berichtet Lucia Rehm. Vor diesem Hintergrund, dem Bedürfnis, die Umwelt zu schützen und auch, um etwas Eigenes auf die Beine stellen zu können, leitet sie seit 2004 die SEBA. Sie ist auf Baustoffrecycling spezialisiert, also das Aufbereiten von mineralischem Bauschutt. „Da hängt mein Herz daran, dass wir den Schritt vom Primär- zum Sekundärrohstoff schaffen“, sagt sie, strahlt und fügt energisch hinzu: „Es kann nicht sein, dass man geeignete, schadstofffreie Baustoffe auf die Deponie führt.“ Zurzeit recycelt die SEBA rund 100.000 Tonnen Baustoffe im Jahr, die dann wieder auf Baustellen verwendet werden.
Auf dem Bau ist Lucia Rehm daher öfters unterwegs. Mit dem rauen Ton, der dort häufig herrscht, kommt sie gut klar. Sich in einer Männerdomäne zu behaupten, hat sie früh gelernt: Nach dem Realschulabschluss absolvierte Lucia Rehm eine Lehre zur Bürokauffrau in einer Lkw-Reparaturwerkstatt. Dort lernte sie ihren späteren Mann kennen, der in dem Betrieb eine Ausbildung zum Lkw-Mechaniker machte. Nach der Lehre holte Lucia Rehm die Fachhochschulreife nach und studierte Betriebswirtschaft Fachrichtung Bau in Biberach. Am Wochenende und in den Semesterferien arbeitete sie im Kies- und Betonwerk mit, half in der Dispo aus, stieg in den 1990er-Jahren, so wie auch ihr Mann und Schwager, schließlich ganz ein und übernahm nach und nach weitere Aufgaben in der Verwaltung, bis sie den kaufmännischen Bereich leitete. Gemeinsam mit Mann und Schwager hat sie den Betrieb ausgebaut – aus den 30 sind rund 130 Mitarbeiter geworden. Die Entscheidungen fällen die drei gemeinsam, aber Lucia Rehm setzt sie meistens im Betrieb um. Zum Beispiel den Bau der Photovoltaikanlage vergangenes und des neuen Verwaltungsgebäudes dieses Jahr. Lucia Rehm ist selbstbewusst, forsch, – „manchmal etwas zu forsch“, wie sie sagt, teamfähig, auch mal etwas ungeduldig. Und sie ist überzeugt davon, dass die weibliche Note in der Führungsebene dem Familienunternehmen guttut. Dazu zählt für sie, Entscheidungen und sich selbst kritisch zu hinterfragen, auch wenn das manchmal anstrengend ist.
Kinder und Beruf vereinbaren zu können, war Lucia Rehm stets wichtig. Auch als ihre heute erwachsenen Söhne klein waren, hat sie weitergearbeitet. Das sei damals, als Kindergärten über Mittag geschlossen waren, nur in einem Familienbetrieb möglich gewesen, weil sie da ihre Arbeitszeiten selbst festlegen konnte. Damals wie heute ist ihr das gemeinsame Mittagessen mit der Familie wichtig – „ich versuche immer, mir Freiräume dafür zu schaffen“. Das ist gar nicht so einfach. Denn Lucia Rehm ist vielfach engagiert: als Aufsichtsrätin regionaler Unternehmen, als ehrenamtliche Handelsrichterin, im Industrieverband Steine und Erden Baden-Württemberg sowie in der Vollversammlung der IHK Hochrhein-Bodensee und dem Industrie- und Umweltausschuss der Kammer (vor der Fusion mit dem Industrieausschuss leitete sie fünf Jahre den Energie- und Umweltausschuss). „Ich finde es wichtig, dass man sich einbringt und sich auch sozial engagiert“, sagt Lucia Rehm. Das Ehrenamt ist für sie zudem eine Horizonterweiterung. „Außerdem möchte ich wissen, was auf mich zukommt und mitgestalten können.“
Eine weitere berufliche Herausforderung ist für sie immer wieder die Nähe zur Schweiz. Die meisten Mitarbeiter fahren durch das Nachbarland ins Kies- und Betonwerk, und Lkw sind ständig zu Baustellen in der Schweiz unterwegs. Beides war auf einmal nicht mehr möglich, als vergangenes Frühjahr coronabedingt die Grenzen geschlossen wurden. Ausnahmegenehmigungen mussten her. Schließlich durften die Lkw fahren, aber die langen Wartezeiten wurden zur Zerreißprobe, denn der frische Beton muss auf die Baustelle gelangen, bevor er hart wird. Auch wenn Lucia Rehm in Situationen wie diesen die Arbeit über den Kopf zu wachsen droht und sich eine senkrechte Falte auf ihrer Stirn bildet – ihre Fröhlichkeit, ihr ansteckendes Lachen und ihr Tatendrang prägen sie indes die meiste Zeit. Auszeiten holt sich Lucia Rehm beim Ski- und Radfahren, mit ihren Berner Sennenhunden, den vier Pferden und dem Pony, beim gemeinsamen Ausreiten oder bei Ausfahrten auf der Pferdekutsche mit ihrem Mann. Mit ihrer Familie auf einem Aussiedlerhof, naturnah und mit Pferden zu leben, war schon als Kind ihr Traum. Lucia Rehm hat ihn verwirklicht.
mae