Das Internat in St. Blasien ist Kaderschmiede für künftige Unternehmer. Wie kommt das? Wir waren beim Direktor und haben uns Nachhilfe geben lassen.

Wer erfahren möchte, wo ein guter Teil von Deutschlands Unternehmernachwuchs herangezogen wird, darf sich tief in den Südschwarzwald begeben. Eingebettet in waldbewachsene Hänge liegt St. Blasien. Kleines Städtchen mit großer Vergangenheit. Mittelpunkt des Orts: ein Kloster mit gewaltigem Dom, dessen riesige Kuppel eine der größten Europas ist, und mit einer Internatsschule, deren Bekanntheit bis nach China reicht. Alfred Oetker ist hier zur Schule gegangen, Schriftsteller Ferdinand von Schirach, Regisseur Uli Edel, Journalist Nikolaus Brender, Unternehmer wie Wolfgang Grupp Senior, Caroline von St. Ange und Johannes von Bodman, aber auch Politiker wie Heiner Geißler, Ivo Gönner und Norbert Nothhelfer.
20 000 Quadratmeter Nutzfläche
Hinein geht es durch ein großes Portal, es folgen Flure mit Marmorböden und Stuck an Decken und Wänden, eine säulenbestandene Bibliothek und ein Lesesaal, bei dem gefühlt jeden Moment Harry Potter um die Ecke kommen könnte. Nur der brutalistische Schultrakt mit jeder Menge Sichtbeton und Ziegelstein-Wänden erinnert an eine durchschnittliche Schule. Das Kolleg ist ein Labyrinth aus 20 000 Quadratmetern Nutzfläche auf vier Etagen. Vereinzelt schlappen an diesem Dienstagnachmittag Schüler durch die Flure und irgendwo wird gesungen.
Seit 1934 betreiben die Jesuiten das Gymnasium mit Internat in St. Blasien, nur während des Zweiten Weltkriegs gab es bis 1946 eine Unterbrechung. Dem weltweit verzweigten Orden gehört heute das Kloster, der Dom dem Land. Anfangs war das Kolleg ein reines Jungeninternat, später durften zusätzlich externe Schüler die Schule besuchen, noch später auch Schülerinnen. 1989 öffnete das Mädcheninternat.

Großer Arbeitgeber in St. Blasien
Heute wohnen im Internat etwa 220 Mädchen und Jungen zusammen, aufgeteilt in Gruppen nach Alter (beginnend ab der 7. Klasse) und Geschlecht. Die restlichen etwas mehr als 600 Schüler der Privatschule kommen aus der Umgebung. Klosteranlage und Kolleg gehören mit rund 200 Mitarbeitern zu den größten Arbeitgebern St. Blasiens.
Fragt man den Kollegsdirektor, Pater Hans-Martin Rieder, nach der ungewöhnlichen Häufung großer Namen in der Schüler-Ehemaligenliste des Kollegs, so erklärt er das mit Traditionen. Der Pater begrüßt in seinem Büro. Schwarzes Sakko, weißer Priesterkragen, freundlicher Blick hinter randloser Brille, bayerisch gefärbte Aussprache. Der 44-Jährige könnte kaum besser an die Schule passen. Während seiner Arbeit im Bankenwesen entschied sich der Finanz- und Wirtschaftsmathematiker dazu, Priester zu werden. 2020 übernahm er die Leitung des Jesuitenkollegs. Vom Banker zum Pater, vom Unternehmen an die Schule für Unternehmerkinder. Verschmitztes Lächeln: „Die Krisendynamiken unterscheiden sich nicht so sehr.“
Traditionell schicken viele, die einmal am Kolleg waren, später ihre Kinder hin, erklärt Pater Rieder. Und sind Mama oder Papa erfolgreiche Unternehmer, sind es die Kinder häufig auch. So kommen Generationen von Unternehmerkindern nach St. Blasien. Außerdem Kinder von Familien, die Wert auf eine Ausbildung legen, die über das normale Maß hinausgeht. „Es gibt hier eine Lernumgebung, die gewisse Vorzüge hat.“ Denn am Campus geht einiges zusätzlich zum Unterricht nach Lehrplan: Es gibt Sportverein, Musikschule, Kunstwerkstatt, Kulturverein, Kollegsfernsehen, Debattierclub, Erneuerbare-Energien-AG. Nur ein paar Beispiele, die Liste ist lang. Privilegiert sei, wer sich ausprobieren und entwickeln könne, wie es am Kolleg St. Blasien möglich sei, sagt der Direktor. Und das mache später oft erfolgreich. „Wer mit so einem Fundament startet, kann sicherlich viel draus machen.“
Leben, lernen, zusammenraufen
Hinzu kommt die Internationalität, die diese Schule von vielen anderen unterscheidet. Schüler aus über 35 Nationen kommen am Kolleg in St. Blasien zusammen. Die Schüler leben, lernen, teils raufen sie sich zusammen und nehmen so aus ihrer Schulzeit nicht nur Wissen mit, sondern auch Weltoffenheit und die Erkenntnis, dass es trotz unterschiedlicher Kulturen und Wirtschaftssysteme, verschiedener Sprachen und Denkweisen möglich ist, gemeinsam Lösungen zu finden. Davon profitieren sie dort, wo sie später Verantwortung tragen und das sei tendenziell in verantwortungsvollen Positionen in der Gesellschaft, sagt Rieder.

Vielfalt der Nationen
Diese Vielfalt der Nationen bringe das Jesuitenschulen-Netzwerk mit sich, mit seinen um die 1000 Gymnasien weltweit und deren Austausch untereinander. Besonders nach China gebe es enge Verbindungen und auch zwei Partnerschulen. Seit 1996 wird am Kolleg sogar Chinesisch unterrichtet, das damit Pionier war. Das Internat ist gut vernetzt mit Firmen und Entscheidungsträgern weltweit, was den Absolventen wiederum interessante Perspektiven bietet. Aber auch allein die Lage des Kollegs im Dreiländereck ist von Vorteil.
Doch trotz oder gerade wegen der vielen verschiedenen Muttersprachler: Am Kolleg St. Blasien wird nicht auf Englisch, sondern auf Deutsch gelehrt und geprüft. Für seine speziellen Deutschlernklassen ist das Internat mittlerweile weltweit bekannt und gilt als eine der ersten Adressen fürs Deutschlernen. Für viele ausländische Schüler und ihre Familien ist das ein Grund, warum sie die Privatschule überhaupt ausgewählt haben. Sie haben dann entsprechende familiäre Wurzeln oder einen unternehmerischen Background mit Deutschland oder dem deutschsprachigen Raum als Wirtschaftspartner, sagt der Pater. Vielleicht wurde die Saat für den Erfolg des Kollegs aber auch schon viel früher gelegt. In einer Zeit, als es im ländlichen Raum oft die einzige Bildungsmöglichkeit war, auf ein weit entferntes Internat zu gehen. Insbesondere im katholischen Schulwesen hätten die Pfarrer traditionell mit Stipendien die Begabten an die Schulen geholt und gefördert, sagt Rieder. Heute gibt es am Kolleg einen Solidarfonds, gedacht für Stipendien und Ermäßigungen für interne und externe Schüler.
Doch die meisten Familien müssen es sich schlicht leisten können, ihre Kinder aufs Kolleg zu schicken. Etwa 2500 Euro monatlich kostet das Internat, etwa 160 Euro pro Monat der Schulbesuch für Externe. Doch wo an staatlichen Schulen häufig das Geld knapp ist, kann die Privatschule in St. Blasien durch das Schulgeld außergewöhnliche Lehr- und Lernbedingungen schaffen. Das beginnt schon bei der Schulleitung, die über mehr Deputat verfügt, um Lehrkräfte von unterrichtsfernen Verwaltungsaufgaben zu entlasten und die „Lehrer Lehrer sein“ zu lassen. Das Erzbistum Freiburg wiederum unterstützt bei Investitionen. Ganz aktuell beim Bau des neuen Naturwissenschaftlichen Zentrums östlich des Hauptgebäudes, durch das Naturwissenschaft und Technik am Kolleg mehr Raum bekommen sollen – auch mit Blick auf Fachkräftemangel und künftige Arbeitgeber. Die Kosten von 15 Millionen Euro übernimmt größtenteils das Bistum, hinzu kommen Zuschüsse vom Jesuitenorden, vom Land und drei Millionen über Fundraising. Im Oktober soll das Nawi-Zentrum eingeweiht werden.
Susanne Ehmann