1865 gründete der Mechaniker Albert-Pierre Raymond in Grenoble eine Fabrik zur Herstellung von Befestigungselementen für die Textilindustrie. Aus dem einstigen Ein-Mann-Betrieb ist einer der weltweit führenden Automobilzulieferer erwachsen, der in diesem Jahr sein 125-jähriges Bestehen in Deutschland feiert. Über 1.700 Mitarbeiter zählt das südbadische Unternehmen ARaymond aktuell.
Lörrach. Albert-Pierre Raymond war leidenschaftlicher Tüftler. Davon zeugen zahlreiche Entwicklungen und Patente. So sind in seiner Werkstatt am Fuße der französischen Alpen nicht nur die ersten Handschuhklammern und Haken für Schnürschuhe entstanden. Der Mechaniker ist vor allem als Erfinder des Druckknopfs in die Geschichte eingegangen. 1886 gelang ihm die bahnbrechende Entwicklung, die fortan zusammenhielt, was zuvor geschnürt werden musste – ob Mieder, Handschuhe oder Schuhe. Für diese Erfindung ist er 14 Jahre später im Rahmen der berühmten Weltausstellung in Paris mit der Goldmedaille ausgezeichnet worden – drei Jahre, bevor der Deutsche Hans Prym seinen Kronenfeder-Druckknopf auf den Markt brachte.
Chnopfi mit drei Standorten in der Region
Um auch auf dem wichtigen deutschen Markt Fuß fassen zu können, kam Raymond 1898 nach Lörrach, damals aufstrebende Grenzstadt mit florierender Textilindustrie und guter Bahnanbindung. Die neu erbaute Fabrik an der Teichstraße wuchs schnell von anfangs 19 Arbeitskräften auf 100 im Jahr 1914. Liebevoll gaben die Lörracher ihrer Druckknopf-Fabrik den Namen Chnopfi [χnopfi] – und das ist bis heute so geblieben, auch wenn ARaymond längst nicht mehr bloße Druckknöpfe für die Textilindustrie produziert. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg führte man erste Aufträge der Autoindustrie aus. Druckknöpfe und Steckklammern zur Befestigung von Kühlerhauben, Schonbezügen sowie Seitenverkleidungen bildeten den Grundstock für den späteren Erfolg.
deutschland auf die Autoindustrie: Opel, Mercedes, VW und Auto Union zählten zu den wichtigen Kunden. Zuerst in Lizenz aus den USA stellte ARaymond Befestigungselemente aus Metall her, engagierte aber schnell Werkzeugmacher und Ingenieure für eigene Entwicklungen. Mit der Einführung von Kunststoffen gelang ab 1957 der Durchbruch – mit Schnellbefestigungen aus Metall und Kunststoff, die mit einem Klick halten, ganz ohne Schrauben oder Werkzeug. Das Fabrikgelände wurde größer und größer und auch der Umsatz stieg: von 44.000 D-Mark 1949 auf rund 20 Millionen D-Mark 1974. Inzwischen arbeiteten über 300 Mitarbeiter bei ARaymond in Lörrach.
1987 nahm ARaymond in Weil am Rhein einen zweiten deutschen Standort in Betrieb. Entwicklung und Fertigung Metall sowie Verwaltung verblieben in Lörrach. Zum 100-jährigen Firmenjubiläum 1998 wurde der Weiler Sitz erweitert, rund 900 Menschen, die Hälfte davon in Lörrach, waren mittlerweile Teil der Chnopfi-Familie. Der Umsatz lag bei fast 250 Millionen D-Mark, über 6.000 verschiedene Artikel gehörten zum Portfolio.
Die Schnellkupplungen wurden ausgelagert und so entstand 2012 ein dritter Standort in Eschbach-Bremgarten, der seit 2018 als selbstständige Tochtergesellschaft firmiert. Ab 2015 entstand in Weil für mehr als 42 Millionen Euro ein modernes Fabrikgebäude, in das Produktionsprozesse ausgelagert wurden. In Lörrach blieben die Unternehmensleitung, die Verwaltung, der Vertrieb und die Entwicklung Metall.
Und die Expansion geht weiter: Aktuell baut der Automobilzulieferer seinen Unternehmensitz in Lörrach für 40 Millionen Euro komplett um. Die gesamte Verwaltung mit Vertrieb, Entwicklungsabteilungen, das Ausbildungszentrum, die IT-Servicegesellschaft sowie weitere Einheiten bekommen auf dem bestehenden Areal eine Heimat, in der auch Platz für weitere Mitarbeiter geschaffen wird. Das Gründungshaus wird erhalten und soll künftig als ARaymond-Museum eingerichtet werden.
In sechster Generation familiengeführt
Im vergangenen Jahr haben die rund 1.700 Mitarbeiter an den drei deutschen Standorten einen Umsatz von rund 31 Millionen Euro erzielt. Die Firmenzentrale befindet sich nach wie vor in Grenoble, bereits in sechster Generation ist das Unternehmen familiengeführt. Aktuell sind über 2.000 aktive Patente aus dem Hause ARaymond angemeldet. Das international arbeitende Netzwerk ist mit 29 Produktionsstandorten in 25 Ländern weltweit vertreten und gehört heute zu den weltweit führenden Unternehmen in der Befestigungstechnik mit Metall und Kunststoff. Jährlich werden Milliarden von Produkten für die globale Automobilindustrie, deren Zulieferanten und andere Branchen produziert. Die meisten Fahrzeuge weltweit enthalten durchschnittlich 500 ARaymond-Teile – vom Airbagclip über Befestigungen für Haltegriffe, Sonnenblenden oder Kabel bis hin zu Reinigungssystemen für Scheiben, Kameras und Sensoren.
Der Transformation der Automobilindustrie sieht Jürgen Trefzer, seit 2012 Geschäftsführer der ARaymond GmbH & Co. KG., gelassen entgegen: „Unser angestammtes Kerngeschäft Befestigungen wird auch in Elektrofahrzeugen benötigt. Die Transformation hin zum elektrischen Antrieb und auch zum autonomen Fahren bietet uns zahlreiche Chancen für innovative neue Produkte und Lösungen.“ Dabei setzt er auf eine nachhaltige Unternehmenspolitik mit sinnvollen Produktlösungen: So beschäftigt man sich bei der Entwicklung der Produkte mit deren gesamten Lebenszyklus im Fahrzeug, also nicht nur mit der effizienten Montage, sondern auch der effizienten Demontage am Lebensende des Produkts. Das Engagement seiner Belegschaft ist für Jürgen Trefzer von größter Bedeutung: „Mit dem Know-how und der Kreativität unserer Mitarbeiter bringen wir seit mehr als 150 Jahren Innovationen hervor.”
Daniela Santo
Bilder: Der Unternehmenssitz in Lörrach wird derzeit neu gebaut: So soll er einmal aussehen. (oben)
Die meisten Fahrzeuge weltweit enthalten im Schnitt 500 ARaymond-Teile (Mitte, hier einige blau markiert).
Firmengründer Albert-Pierre Raymond (unten)