Bert Overlack musste Insolvenz anmelden. Eine schmerzhafte Erfahrung über die er heute offen spricht, um anderen Unternehmern einen gesunden Umgang mit Krisen zu ermöglichen.
„Overlack Furniere aus Rastatt meldet Insolvenz an“: Eine kleine Meldung in den Lokalnachrichten Anfang August 2011; das Ende einer Ära für Bert Overlack. Der heute 55-Jährige stieg 1997 in das Unternehmen seines Vaters ein, übernahm später die Geschäftsführung und internationalisierte erfolgreich. Aus einem 40-Mann-Betrieb mit rund zehn Millionen Euro Umsatz wurde ein mittelgroßes Unternehmen mit 350 Mitarbeitern, Kunden in über 40 Ländern und 30 Millionen Euro Umsatz. 2007 war das erfolgreichste Jahr in der Geschichte des Familienunternehmens, dann der Absturz: 2009 brach der Markt infolge der Finanzkrise ein. Overlack hatte, wie viele andere Mitbewerber auch, massive Umsatzeinbrüche zu verzeichnen. Nach zwei Jahren kräftezehrender Restrukturierung stieg eine Bank aus. Overlack musste Insolvenz anmelden. Betriebswirtschaftlich der richtige Schritt, emotional eine traumatische Erfahrung – über die er heute offensiv spricht, um anderen Menschen – vom Privatmann bis zum Manager – zu helfen, eigene Krisen zu überwinden.
Für das Familienunternehmen Insolvenz anmelden müssen, war sicher schwer?
Bert Overlack: Nach diesem ganzen Kampf war das erst mal ein Befreiungsschlag. Aber ein Familienunternehmen fortzuführen ist ein Herzensthema; ich war extra deswegen nach Rastatt zurückgekehrt. Das war ein großer Teil meiner Identität und den Betrieb schließen und Mitarbeiter entlassen zu müssen, hat mich in ein Riesenloch fallen lassen. Im Nachhinein muss ich sagen, dass ich da wohl eine Depression entwickelt habe. Keine tiefe klinische, ich funktionierte weiter. Aber gut ging es mir nicht.
War Ihnen bewusst, wie schlecht es um Sie stand?
Nein, diese Erkenntnis traf mich, als mein Sohn, damals zwölf Jahre alt, mit Neurodermitis bei einer Ärztin vorstellig wurde und die ihn sinngemäß fragte, was ihm ‚unter die Haut gehe‘. Er antwortete: „Mein Vater lacht gar nicht mehr.“ Das traf mich sehr. Ich hatte das Gefühl, ich sei ein weiteres Mal gescheitert – erst mit dem Unternehmen, dann mit der Art und Weise, wie ich versucht habe mit der Insolvenz fertig zu werden, und als Elternteil.
Was hat Ihnen geholfen?
Ich habe eingesehen, dass es keine gute Strategie ist, so eine Erfahrung mit sich selbst auszumachen. Mithilfe einer Psychologin habe ich schonungslos meine Entscheidungen als Unternehmer und mein Verhalten als Geschäftsführer analysiert und reflektiert. Vorher hatte ich nicht verstanden, dass der Satz ‚geteiltes Leid ist halbes Leid‘ wirklich stimmt. Ich bin durch meine Eltern geprägt, die im Nachkriegsdeutschland groß geworden sind. Wir wissen heute, dass ein wesentlicher Bestandteil der Verarbeitung des Kriegstraumas war, zu schweigen und zu verdrängen. Das wirkt sich auch auf meine Generation aus. Glücklicherweise ändert sich das gerade. Alles auszusprechen zwingt, Ordnung in unsere Gedanken zu bringen; die Schuldgefühle und den Verlust zu verarbeiten. Letztendlich ging es bei mir um das Wiedergewinnen von Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein, das natürlich erschüttert war.
Inzwischen halten Sie Vorträge auf Fuckup Nights, haben ein Buch zum Thema Scheitern geschrieben. Weshalb?
Das erste Mal öffentlich über meine Erfahrung ausgetauscht, habe ich mich 2015 bei einer EU-Konferenz zum Thema Second Chance Entrepreneurship. Dort kamen mehrere Unternehmer zusammen, die auf die eine oder andere Weise gescheitert sind. Das Ganze hat offiziell eine Stunde gedauert und ging dann auf dem Flur dreieinhalb Stunden mit angeregten Gesprächen weiter. Das zeigte mir, dass es ein ehrliches und nicht nur voyeuristisches Interesse und einen echten Bedarf an Austausch gibt. Und ich hatte die Erkenntnis, dass wir viel mehr über unsere Fehler, unsere Ängste und unser Scheitern reden sollten und nicht nur über Erfolge. Natürlich lernen wir auch aus Erfolgen. Wir können aber genauso viel aus unseren Fehlern lernen. Ich möchte eine Lanze für eine Anerkennung des Scheiterns als wertvolle Ressource für persönliche, berufliche und gesellschaftliche Weiterentwicklung brechen.
Sie reden sehr offen über Ihre eigene Krise. Stößt das immer auf Verständnis?
Ich bekomme viel positives Feedback, dennoch gibt schon auch Leute, die es nicht gut fanden, wie ich über die Insolvenz sprach. Aber: Ich kenne keinen einzigen Unternehmer 50 plus – und sei er oder sie noch so erfolgreich – der nicht irgendwann in seinem Leben mal eine ganz schwere Krise durchlebt hat. Das ist nicht ehrenrührig, sondern normal. Aber dennoch hört man davon kaum. Deswegen erzähle ich meine Geschichte: Nicht, weil die so großartig ist, sondern, weil ich versuche, durch Authentizität anderen zu ermöglichen mit ihrer Krisenerfahrung anzudocken. Über Scheiter-Erfahrungen muss viel mehr gesprochen werden. Und zwar nicht nur in der Start-up-Szene, sondern gerade auch bei ‚erwachsenen‘ Unternehmen.
Das Interview führte Daniela Becker
Bild: Oliver Hurst
Zur Person
Bert Overlack (55) ist heute selbstständiger Speaker, Coach, Sparringspartner und Beirat. Er arbeitet zu den Themen persönliche Transformation, Krisenbewältigung, Nachfolge und strategische Entwicklung. Mit seinem Buch „FuckUp. Das Scheitern von heute sind die Erfolge von morgen“ (Wiley Verlag, 2018, 256 Seiten, 19,95 Euro) hat er seine persönlichen Erfahrungen mit dem Scheitern verarbeitet und möchte andere Unternehmer befähigen, eine drohende Krise zu erkennen, abzuwenden oder zu verarbeiten.