Was als Chipmangel in der Autoindustrie begann, machte sich schnell in allen Branchen breit und spitzte sich bis zum Jahresende noch zu: Lange Lieferzeiten für eine Vielzahl von Produkten und Rohstoffen, manches ist gar nicht mehr zu bekommen. Zeit für kreative Lösungen. Wir haben uns bei Unternehmen aus der Region umgehört, mit welchen Strategien sie den Problemen begegnen.
„Mittlerweile gibt es keinen Unternehmer mehr, der nicht von Einschränkungen berichtet“, fasst Uwe Böhm, Geschäftsführer für Internationales bei der IHK Hochrhein-Bodensee, die Treffen seines Außenwirtschaftsausschusses zusammen. „Die meisten bekommen ihre notwendigen Teile und Produkte irgendwie zusammen, aber über Termine und Preise sind die meisten schon hinweg.“ Alles dauere nicht Wochen länger, sondern Monate; Preise seien inzwischen eher zweitrangig, Hauptsache es gehe überhaupt irgendetwas.
Tatsächlich mangelt es der Wirtschaft längst nicht mehr nur an Halbleitern wie noch zu Beginn der Krise. Engpässe zeigen sich inzwischen bei den unglaublichsten Produkten, mit Folgen für viele Branchen und Unternehmen. Das reicht vom Teeladen, der seine umsatzstärksten Sorten noch in einem Container auf hoher See vermutet, bis zum Schuhgeschäft, das nicht mit genügend Winterschuhen für die Kleinsten dienen kann, weil wegen der Lockdowns Produktionen ausgefallen sind. Agenturen, die Aufträge nicht abrechnen können, weil das Papier für die Werbeflyer fehlt. Fahrradläden, denen Neuware und Ersatzteile ausgehen. Autohersteller wie BMW, die ihre Fahrzeuge aktuell nur mit einer abgespeckten Chipausstattung ausliefern. Bauunternehmer, die viel zu hochwertige Abwasserrohre verbauen, nur um Projekte überhaupt voranzubringen. Die traditionsreiche Freiburger Fahrzeugmesse „Automobil 2022“, eigentlich für Anfang März angesetzt, wurde Ende Oktober abgesagt, weil es für die Autohäuser angesichts der aktuellen Lieferzeiten wenig Sinn ergibt, Neuwagen zu präsentieren.
Die Erholung kam zu schnell
So vielfältig die Mangelsituationen, so bunt ist auch der Strauß an Ursachen. „Es ist eine Gemengelage aus vielen Faktoren“, stellt Martin Schmidt, stellvertretender Geschäftsbereichsleiter für die Standortpolitik bei der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg, fest. Das reiche von Produktionsausfällen und nicht geförderten Rohstoffen wegen der Coronalockdowns über überlastete Häfen und fehlende Speditionskapazitäten bis zur gestiegenen Nachfrage etwa durch Hamsterkäufe und der Verlagerung von Vertriebskapazitäten in Regionen, die sich schneller von Corona erholt hatten als Europa.
Ein Großteil des – ohnehin zu niedrigen – weltweiten Containerbestandes ist nach wie vor in den falschen Gewässern unterwegs. Project 44, eine Plattform für Logistikdienstleister, verzeichnet von 2019 auf 2021 neben weltweit längeren Transitzeiten auch eine deutliche Zunahme von sogenannten Container Rollovers, Frachtladungen, die aufgrund von Terminverzögerungen auf andere als die ursprünglich vorgesehenen Schiffe verladen werden müssen, und so den weltweiten Warenumschlag stören. Durch den eingeschränkten Personenreiseverkehr bleiben Flieger am Boden, und selbst die gestärkte Bahnverbindung von China nach Europa kann die fehlenden Schiffscontainerkapazitäten bei Weitem nicht ersetzen. „Die Erholung der Weltwirtschaft in diesem Umfang kam schneller als erwartet“, erklärt IHK-Experte Schmidt, „nun kommen die ohnehin auf Kante genähten Prozesse nicht hinterher.“
Aber egal, woran es im konkreten Fall letztlich liegt, Produzenten wie Händler stellen die Lieferengpässe seit Monaten vor handfeste Probleme. 88 Prozent der Unternehmen haben, so ergab eine DIHK-Umfrage im Frühherbst, mit höheren Einkaufspreisen zu kämpfen. Immerhin zwei Drittel versuchen, diese an ihre Kunden weiterzugeben. Fast ebenso viele suchen nach zusätzlichen Lieferanten. 43 Prozent der Firmen berichten von Umsatzausfällen, und ein Viertel musste die Produktion damals schon drosseln oder sogar stoppen.
Ob alle Unternehmen dies am Ende überstehen werden, bleibt abzuwarten. Wer stark von einem einzigen Werkstoff, Zulieferer oder Abnehmer abhängig sei, könnte ernsthaft in Schieflage geraten, schätzt IHK-Experte Martin Schmidt. Kollege Uwe Böhm sieht die hiesige mittelständische Wirtschaft im Vorteil, die schon früher auf eine Mischkalkulation mit deutschen und asiatischen Lieferanten gesetzt hat: „Das kommt denen jetzt zugute.“
Not macht erfinderisch
Das Gros der betroffenen Unternehmen hat mittlerweile Mittel und Wege gefunden, sich zu behelfen. In den Testimonials stellen Unternehmen aus der Region quer durch alle Branchen und Größenklassen ihre Strategien vor.
Von einer wirklich schnellen Besserung der Lage geht indes niemand aus. „Es dauert mindestens sechs bis zwölf Monate, um eine Halbleiterfertigung aufzubauen, Chips zu produzieren und auszuliefern. Und damit wir in der zweiten Jahreshälfte eine Entlastung spüren, muss dabei alles glatt laufen“, kalkuliert zum Beispiel Moritz Ziegler, Leiter Globale Einkaufsstrategie und -steuerung beim Werkzeugmaschinenhersteller Trumpf. Mit einem langfristigen Ende der globalen Arbeitsteilung und Lieferketten rechnet im Gegenzug aber auch niemand, stellt IHK-Fachmann Böhm fest: „Manches bekommen Sie einfach nur in Asien günstig. Schon wegen der Preise wird sich an den Lieferketten nicht grundlegend und dauerhaft etwas ändern. Unterm Strich hat ja alles seine Daseinsberechtigung.“
Bis der Welthandel aber wieder in ruhigerem Fahrwasser unterwegs sein wird, wird noch einiges an Wasser den Rhein hinunterfließen. Einkäufer wird vorerst weiterhin nicht der entspannteste Job der Welt sein: „Die Umstände, unter denen wir arbeiten, waren tatsächlich noch nie schwieriger. Andererseits ist unser Beitrag zur Stabilität und zum Erfolg des Unternehmens auch noch nie größer gewesen“, meint Trumpf-Mitarbeiter Ziegler. Gut dran also, wer im Moment findige Einkäufer hat. Aber auch die sind schon seit einiger Zeit nicht leicht zu finden – im weitesten Sinne auch ein schwerer Fall von Rohstoffmangel.
Text: Ulrike Heitze
Bild: Adobe Stock
Modehaus Fuchs
Mehr Hemden auf Lager
Normalerweise wird jedes weiße Herrenhemd, das Ingo Fuchs und seine Mitarbeiter im Modehaus Fuchs in Endingen verkaufen, automatisch nachbestellt und ist am nächsten Tag ersetzt. Denn Fuchs, der das Unternehmen in fünfter Generation führt, legt Wert darauf, dass er von Klassikern wie weißen Hemden oder dunklen Anzügen immer alle Größen vorrätig hat. Zurzeit gibt es aber immer wieder Nachschubprobleme. Denn während des ersten Coronajahrs brach die Nachfrage nach Kleidung, die zu Festen oder geschäftlichen Anlässen getragen wird, rapide ein – und die Hersteller fuhren die Produktion herunter und arbeiteten zum Teil kurz. Zuletzt stieg die Nachfrage wieder, doch die Produzenten kamen nicht hinterher. Fuchs rechnet damit, dass es noch ein paar Monate dauert, bis die Lieferketten wieder reibungslos funktionieren. Im Modehaus Fuchs, das Damen-, Herren- und junge Mode führt, merkt der Kunde davon aber nichts, denn Ingo Fuchs bestellt die Ware stets für etwa eine Woche auf Vorrat. Das ist zwar teurer – Fuchs benötigt mehr Liquidität –, aber für ihn ist es wichtiger, die Kundschaft immer bedienen zu können. Das klappt auch in anderen Bereichen, obwohl es immer wieder Lieferprobleme bei T-Shirts, Pullovern und Jeans bestimmter Marken und Farben gibt. „Da ist unser Vorteil, dass wir viele Marken führen und immer Alternativen bieten können“, sagt Fuchs. Ihm komme neben dem breiten Sortiment zugute, dass er mehrheitlich Stammkunden und langjährige Lieferanten habe und man sich gegenseitig auch in der Coronapandemie die Treue halte. Herausfordernd ist dies für ihn trotzdem. „Hätten wir nicht jahrzehntelang gut gewirtschaftet, hätten wir mehr Probleme“, sagt er. Glück im Unglück hatte Fuchs bei Winterjacken für Damen eines amerikanischen Herstellers. Dieser musste mehrere Wochen auf Reißverschlüsse aus Asien warten – und die Jacken kamen schließlich im September statt im Juli in Endingen an, aber immer noch rechtzeitig für die Wintersaison.
mae
Expert Villringer
Auch zu Alternativen beraten
Ob elektrische Zahnbürsten, Waschmaschinen, Smartphones oder PCs: „Es gibt seit dem Sommer in allen Bereichen Lieferengpässe“, sagt Bruno Hall, Geschäftsführer der Expert Villringer GmbH, die gleichnamige Elektrofachmärkte in Lörrach, Schopfheim, Rheinfelden und Bad Säckingen betreibt. Der promovierte Kaufmann rechnet damit, dass dies auch noch etwa ein halbes Jahr lang so bleibt. Deshalb haben Hall und seine Mitarbeiter die Art, Ware zu bestellen, geändert: „Wir kaufen nicht mehr nur den tatsächlichen Bedarf, sondern fast alles, was wir bekommen“, sagt er. „In manchen Produktbereichen haben wir unsere Warendispositionen verdreifacht.“ So hat er nicht nur genügend Ware in den Geschäften, sondern auch um etwa 20 Prozent höhere Lagerbestände, um für künftige Engpässe gerüstet zu sein. Hall ist froh, dass es dafür zurzeit günstige Kredite von der Kreditanstalt für Wiederaufbau gibt. Er arbeitet nun mit mehr Lieferanten als früher zusammen und bestellt auch neue Marken. Zum Beispiel Smartphones von asiatischen Anbietern, die in letzter Zeit auf den Markt gekommen sind, um so die Wartezeiten bei den etablierten Anbietern auszugleichen. Und auch zusätzliche Modelle von Waschmaschinen, damit immer genügend Geräte vorhanden sind – auch wenn es nicht immer die sind, die die Kunden zunächst im Auge hatten. „Unsere Aufgabe besteht dann darin, den Kunden zu erklären, warum das andere Modell die Anforderungen des Kunden in ähnlicher Weise erfüllt“, sagt Hall. „Da kommt uns unsere Beratungskompetenz zugute.“ Denn wessen Waschmaschine oder Smartphone kaputt sei, der brauche nunmal Ersatz. Wer lieber ein paar Wochen auf das neueste Modell wartet, der könne es vorbestellen. „Das machen wir viel mehr als früher“, sagt Hall. Eine weitere Herausforderung ist für ihn zurzeit die Papierknappheit, da das Unternehmen regelmäßig mit Werbebeilagen in der Presse auf seine Angebote hinweist: „Wir haben Probleme, unsere Beilagen erstellen zu lassen“, berichtet er. Daher setzt Hall nun mehr auf Onlinewerbung als er es bisher ohnehin schon getan hat. „Corona wirkt hier als Beschleuniger.“
mae
Testo
Redesign von Produkten
Ist Testo von Lieferengpässen betroffen?
Peter Kräuter, Vorstandsmitglied (CTO): Auch wir, in der Branche für Messtechnik und Sensorik, sind von Lieferengpässen und -ausfällen von elektronischen Bauteilen direkt betroffen – aktuell bei mehr als 40 unserer Produkte. Das verursacht enorme Aufwände. Die Situation ist zudem so dynamisch, dass jederzeit weitere Produkte hinzukommen könnten, was eine langfristige Planung schwer möglich macht.
Was fehlt?
Stark von den Lieferengpässen belastet ist das Produktgeschäft mit Messgeräten samt allen produktionsnahen Fachbereichen des Supply Chain Managements. Es fehlen vornehmlich aktive Komponenten wie Controller, digitale Wandler, Speicher oder auch Spannungsregler. Insbesondere Microcontroller bereiten uns aktuell große Sorgen, da diese das Herzstück jedes Testo-Messgerätes sind. Grund für die Engpässe bei diesen elektronischen Zulieferteilen ist ein Zusammenspiel aus der weltweit stark erhöhten Nachfrage aufgrund der Digitalisierung und dem schnellen Hochfahren von Industrie und Handel nach dem Covid-19-bedingten Konjunkturabschwung.
Wie stark beeinträchtigt Sie das?
Derzeit ist auf Lieferbestätigungen von Zulieferern kein Verlass, und es herrscht große Unsicherheit hinsichtlich kurzfristiger Absagen von Herstellern. Die Verfügbarkeit von Zweitlieferanten für ähnliche Bauteile ist ebenfalls stark eingeschränkt. Aufgrund des globalen Ausmaßes und dem zu beobachtenden Konfliktpotential auf dem Halbleitermarkt droht in diesem Jahr ein hohes Risiko an Umsatzausfällen. Daher ist für uns aktuell die Versorgungsabsicherung hinsichtlich Qualität und Menge, mit Blick auf unsere Produkte und die dafür benötigten Zulieferteile, eine der größten Herausforderungen.
Mit welchen Strategien arbeiten Sie dagegen an?
Bisher wurden hohe Mehrausgaben getätigt, um den Materialvorrat im Lager zu erhöhen und die Lieferfähigkeit unserer Produkte abzusichern. Bei Produkten, wo definitiv keine Komponenten – auch nicht durch erhöhte Preise – verfügbar sind, wurden umfangreiche Redesigns von elektronischen Schaltungen und Firmwareanpassungen getätigt und werden zukünftig auch weiterhin erforderlich sein.
Mit welcher „Durststrecke“ rechnen Sie?
Perspektivisch wird uns diese Krise voraussichtlich bis 2023 begleiten. Wobei Dauer und Ausmaß schwer zu prognostizieren sind, da viele Faktoren zusammenkommen und sich laufend verändern. Durch die genannten Maßnahmen und einen intensiven Dialog mit den Herstellern versuchen wir, auch in den kommenden Jahren die Lieferfähigkeit unserer Produkte aufrechtzuerhalten.
Interview: uh
Zweirad Joos
Schritt ins Risiko
Fahrräder, wohin man schaut. Die Verkaufshalle steht voll, auch die Zubehörregale weisen keine erkennbaren Lücken auf. Wer bei Zweirad Joos in der Radolfzeller Schützenstraße gähnende Leere zu sehen glaubt, vermutet das Problem an der falschen Stelle. Denn egal ob mit oder ohne elektrische Unterstützung: Fahrräder gibt es genug. Schwierig wird’s bei individuellen und kurzfristigen Kundenwünschen. Das liegt vor allem an Verzögerungen in den internationalen Lieferketten. „Besonders knapp sind Fahrradkomponenten und Ersatzteile von Shimano“, erläutert Andreas Joos, seit 1997 Chef des Familienunternehmens. „Während wir im Sommer im See gebadet haben, gingen in Asien einige Länder in den Lockdown, was zu vorübergehenden Schließungen der Produktionsfabriken führte“, so der 55-Jährige. Als Konsequenz entstanden weltweite Verzögerungen in den Auslieferungen, Containerrouten wurden umgeplant, Frachtkosten explodierten.
Die Auswirkungen erklärt Joos am Beispiel eines neuen Mountainbikes: „Wenn ich 40 Räder geordert habe, bekomme ich 20, und ein Drittel hiervon ist schon von Kunden bestellt.“ Als sich die Entwicklung abzeichnete, hat der Firmenchef seine jährliche Vor-Order verdoppelt. Ein Schritt ins Risiko, aber: „Wenn etwa für eine Reparatur das Bremsöl fehlt, ist das ein Misserfolg auf der ganzen Linie“, sagt Joos. Verfügbarkeit gewinnt an Bedeutung zu Lasten rein betriebswirtschaftlicher Argumente. Verständlich bei 16.000 Reparaturen, die sein Unternehmen jährlich umsetzt. Mitunter spielt die Branche verkehrte Welt: So berichtet Joos von Mitbewerbern, die – um nicht auf dem Trockenen zu sitzen – Zahnkränze bei ihm zum Verkaufspreis bestellt haben statt beim Hersteller zum Einkaufspreis.
Joos hat deshalb nicht nur seine Bestellmengen, sondern auch den Lieferantenpool erweitert – etwa um ein Drittel im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit. „Jeder Kanal wird genutzt“, sagt Joos. Das gilt für den Einkauf – und den Vertrieb: Der 2007 gegründete Onlineshop ermöglicht vieles. Individuelle Video-Beratung, Automatisierung und Versand wie Click & Collect-Optionen. Hier findet der Kunde sein Wunschrad, nur dauert es jetzt länger, bis er es fahren kann. Deshalb empfiehlt Joos mit seinen 165 Mitarbeitern: „Frühzeitig bestellen!“
bb
IMS Gear
Mit Kunden zusammenarbeiten
Von Lieferengpässen vor allem bei sogenannten High-Performance-Kunststoffen, die im Automotive-Sektor zum Einsatz kommen, aber auch bei einigen Stahlsorten, berichtet Kai Konieczny, Vice President Purchasing bei der IMS Gear SE & Co. KGaA mit Sitz in Donaueschingen. Das Unternehmen ist ein auf Zahnrad- und Getriebetechnik spezialisierter Automobilzulieferer mit weltweit rund 3.100 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von circa 440 Millionen Euro (2020). Preissteigerungen spürt IMS Gear ebenfalls. Konieczny berichtet beispielsweise, dass bestimmte Kunststoff- und Stahlsorten vergangenes Jahr bis zu 30 Prozent mehr gekostet haben als 2020. Er rechnet mit „teils dramatisch weiter steigenden Preisen“ 2022 – aufgrund der Energiekostenzuschläge sowie der im Aufbau begriffenen CO2-freien Produktion von Stahl. Zudem geht er davon aus, dass auch die Rohstoffengpässe noch bis weit in das Jahr 2022 hinein anhalten werden.
Was kann man bei IMS Gear dagegen tun? „Die Möglichkeiten, den Lieferengpässen und Preissteigerungen entgegenzuwirken, sind – vorsichtig ausgedrückt – sehr begrenzt“, sagt Konieczny. Im Automotivebereich seien aktuell, abhängig vom jeweiligen Rohstoff, lediglich Lieferverträge mit einer Dauer von einem bis maximal sechs Monaten realistisch machbar. Auf längerfristige Verträge lasse sich derzeit kein Anbieter ein, dazu sei die Marktlage zu volatil. Die überwiegende Mehrzahl der Lieferanten habe die zu erwartenden Engpässe bei Liefermengen und -fristen frühzeitig angekündigt. So konnte sich IMS Gear laut Konieczny darauf „flexibel einstellen“. Beispielsweise veränderte das Unternehmen die Produktionsmengen entsprechend. „Zudem nutzen wir die Möglichkeit, zusammen mit unseren Kunden auf gemeinsame Beschaffungsquellen zuzugreifen“, sagt Konieczny. Gänzlich vermeiden ließen sich temporäre Lieferengpässe allerdings nicht.
mae
Trumpf
Einer für alle
Und täglich grüßt das Murmeltier. Seit Anfang September beginnen Moritz Zieglers Tage immer auf dieselbe Weise: 7.30 Uhr, weltweiter Videocall mit den Einkaufsleitern aller Trumpf-Standorte samt den Vorständen fürs operative Geschäft, zur Bestandsaufnahme. Wo gehen wichtige Teile zur Neige? Wo rund um den Globus ließe sich Nachschub auftreiben? „Wir haben zwar schon im Herbst 2020, als sich die ersten coronabedingten Lieferprobleme abzeichneten, begonnen, Engpasslagen über die gesamte Gruppe zu monitoren“, berichtet Ziegler, der bei dem Ditzinger Werkzeugmaschinenhersteller Trumpf mit hiesigen Töchtern in Freiburg, Teningen und Schramberg die konzernübergreifende „Task Force Beschaffung“ leitet. „Damals schien es uns angemessen, Transparenz zu schaffen, sich alle 14 Tage zu treffen und sich bei Bedarf untereinander auszuhelfen.“ Seitdem habe sich der Mangel an Teilen und Rohstoffen rasant zugespitzt. „Dieser neuen Intensität seit Herbst begegnen wir mit täglichen Calls und vor allem, indem wir Aufgaben bündeln, um die einzelnen Tochtergesellschaften zu entlasten. Diese müssen vor allem technische Alternativen in kürzester Zeit qualifizieren“, erklärt Moritz Ziegler. So geht beispielsweise sein Team für alle Trumpf-Standorte auf die weltweite Chipsuche „und hat sich so in dem Thema eine hohe Expertise erarbeitet“ – von der gelegentlich auch Unterlieferanten mit nicht so guten Zugängen zum Brokermarkt profitieren. Droht tatsächlich irgendwo ein Bauteil auszugehen, wird konzernweit recherchiert, wer noch alternative Beziehungen hat und sich einschalten kann.
uh
Straub-Verpackungen
Maximal flexibel
„Es wäre übertrieben zu sagen, dass wir aus Klopapier und Küchenrolle Verpackungen machen“, schmunzelt Steffen Würth, Geschäftsführer des Bräunlinger Verpackungsspezialisten Straub, um gleich wieder ernst zu werden: „Aber aktuell versuchen wir tatsächlich, alles an Materialien, was uns zur Verfügung steht, so sinnvoll wie unter diesen Umständen möglich einzusetzen, um die Balance zwischen Kundenansprüchen und Rentabilität zu halten.“ Die Verpackungsindustrie sieht sich seit Monaten doppelt herausgefordert: Erhöhte Nachfrage dank Hamsterkäufen und Onlinebestellboom trifft auf Engpässe von der Papierfaser über Kleber bis zu Transportkapazitäten. „Wir produzieren unterschiedlichste Wellpappprodukte für gewöhnlich höchst optimiert. Wenn Papierlieferungen aber einfach zwei, drei Wochen später eintreffen, ist das Gift für jede Optimierung. Dann wird man zwangsläufig jeden Tag aufs Neue kreativ und vor allem flexibel“, stellt Würth fest. Dann werden eben auch mal Aufträge vorgezogen, bei denen die Fasermischung gerade besser passt, oder man steuert notgedrungen einen höheren Anteil von teuren Primärfasern bei, wenn Recyclingmaterial partout nicht zu bekommen ist. „Immerhin schweißt es das Team noch enger zusammen“, versucht er dem täglichen Improvisieren etwas Gutes abzugewinnen. Alle müssten sich intensiver absprechen. Trotzdem wünscht sich Würth bald mal wieder eine Zeit – vielleicht im zweiten Halbjahr – zum Durchschnaufen, wo sich alles beruhigen kann.
uh
Verlag Herder
Standardmaterialien nutzen
Wie ist Herder vom Rohstoffmangel und den Lieferengpässen betroffen?
Roman Holletschek, Leiter Einkauf und Board-Mitglied: Wir spüren die Rohstoffverknappung und Produktionsengpässe in allen Bereichen. Angefangen von den Materialen und den Zusatzstoffen bei der Produktion, bis zu den fehlenden Europaletten und Seefracht-Containern bei der Logistik. Die Papierhersteller haben schon vor längerer Zeit auf den boomenden Onlinehandel reagiert und ihre Maschinen von grafischem Papier auf rentablere Verpackungspapiere umgestellt. Dieser Veränderungsprozess hat bereits vor Corona begonnen und wurde durch die Krise beschleunigt.
Welche Lösungen haben Sie dafür?
Wir arbeiten sehr agil und in Teams. Die nötigen Entscheidungen, welche Titel vorrangig produziert werden, welches Material eingesetzt wird und wo gedruckt wird, können wir so schnell fällen. Wichtig dabei ist immer, das Risiko von langen Lieferzeiten zu minimieren und flexibel sowie nach Verfügbarkeit Standardmaterialien einzusetzen. Wir halten nicht mehr Bücher vorsorglich auf Lager und wir produzieren so weit wie möglich nach dem Bedarf unserer Käuferinnen und Käufer.
Welche zeitliche Durststrecke erwarten Sie?
Eine Tendenz zur Beruhigung der globalen Marktsituation ist für mich heute noch nicht absehbar, die Durststrecke wird sich vermutlich im Jahr 2022 weiter fortsetzen. Ich denke, wir müssen uns längerfristig auf höhere Preise und Engpässe, insbesondere bei Nicht-Standardpapieren, einstellen. Mittelfristig sehe ich keine Veränderung im Beschaffungsmarkt.
Interview: mae
Spiel + Freizeit Swars
Im Verbund einkaufen
Ihre Produkte für das Weihnachtsgeschäft hat Sonja Uhl, Inhaberin des Radolfzeller Spielwarengeschäfts Spiel + Freizeit Swars, wie immer im Februar geordert. „Normalerweise erhalten wir die Ware Ende Oktober. Aktuell sind wir aber über jedes Teil dankbar, das uns noch erreicht“, sagt die Unternehmerin im Dezember. Die Lieferprobleme beträfen die gesamte Palette – von Holzspielzeug über Kunststofftiere bis zur Modelleisenbahn. Uhl bestellt ihre Artikel bei zwei, drei Großhändlern und über den Branchenverband Idee und Spiel. Letzterer bietet den Vorteil, dass sich kleine Händler zusammentun und so größere Mengen abnehmen. „Das ist wichtig, da Importeure den Platz in ihren Containern meistbietend vergeben. Einzelne Produkte benötige ich aber meist nur in kleiner Stückzahl und habe daher das Nachsehen im Vergleich zu großen Onlineversandhändlern, die gerne mehr als das Hundertfache von mir ordern“, erklärt sie. Diese Konkurrenz bleibe selbst bei größeren Bestellmengen wie für das Weihnachtsgeschäft bestehen. „Da ich in Vorkasse gehen muss, kann ich auch nicht das 20-fache meines Bedarfs bestellen. Zumal mir die Lagerkapazitäten fehlen“, sagt Sonja Uhl, die ihren Kunden eine flexible Wunschliste gegen leere Gabentische unter dem Weihnachtsbaum empfohlen hat.
ks
Unterstützung & Information
- Kontaktstelle Lieferketten: Die zentrale Anlaufstelle für Unternehmen aus Baden-Württemberg ist die IHK Region Stuttgart. www.stuttgart.ihk24.de – 4792398
- Blitzumfrage Lieferengpässe der DIHK: www.dihk.de – Lieferengpässe
- Kostenloses Web-Seminar Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz: 2. Februar, 15.30-17 Uhr, Anmeldung: www.suedlicher-oberrhein.ihk.de Veranstaltungen
- Infos zum Lieferkettengesetz: www.konstanz.ihk.de – 5195636