Ob Haar-, Zahn-, Schuh- oder Industriebürsten: Seit 250 Jahren werden in der Schwarzwaldgemeinde Todtnau Bürsten gefertigt. Aus den Pionieren mit breitem Portfolio sind Spezialisten geworden. Auch die Bürstenmaschinen haben sich entsprechend gewandelt. Die Stadt wollte das Jubiläum am 27. September feiern. Wegen der Coronapandemie wurde das Fest verschoben. Wir nehmen das Jubiläum dennoch zum Anlass, einen Einblick in die Branche früher und heute zu geben.
Bürsten über Bürsten stapeln sich in den Hallen der Bürstenfabrik Keller in der Gemeinde Todtnau im Oberen Wiesental. Vor allem Haarbürsten in verschiedenen Formen und Arten, aber auch Tier- und Spülbürsten, allesamt aus Holz. Die Hölzer werden erst vor- und dann zugeschnitten, geschliffen, geölt oder lackiert. Anschließend werden die Löcher gebohrt und die Borsten eingesetzt – je nach Bürste an anderen Maschinen oder per Hand von den Mitarbeitern. Rund 1.200 verschiedene Produkte umfasst das Sortiment der Bürstenfabrik Keller inklusive der Marke Faller, bis zu 25.000 Bürsten verlassen das Unternehmen am Tag, etwa acht Millionen waren es 2019. Keller, nach eigenen Angaben einer der führenden europäischen Feinbürstenproduzenten, ist die älteste noch bestehende Bürstenfabrik Todtnaus in Familienhand: Andreas Keller führt den im Jahr 1869 gegründeten Betrieb mit seiner Frau Jasmin in fünfter Generation. Hier, in der im Tal zwischen Feldberg und Notschrei gelegenen Stadt mit ihren knapp 5.000 Einwohnern, finden sich heute vier Bürstenfabriken und drei Bürstenmaschinenhersteller – darunter der Weltmarktführer Zahoransky – sowie in nächster Nähe drei weitere Bürstenproduzenten. Sie beschäftigen zusammen rund 800 Mitarbeiter. Die Branche ist neben dem Tourismus der bedeutendste Wirtschaftszweig im Oberen Wiesental und neben der Textilbranche der älteste.
Eine der Wiegen der Branche
Bundesweit gibt es nach Schätzungen des Verbands der deutschen Pinsel- und Bürstenhersteller (VDPB) rund 140 meist mittelständische Bürsten- und Pinselhersteller mit circa 6.600 Beschäftigten, die zusammen etwa 1,1 Milliarden Euro im Jahr umsetzen. Laut VDPB-Geschäftsführer Thomas Holland-Letz ist Todtnau „eine der Wiegen der deutschen Bürstenindustrie und beherbergt bis heute führende, gut aufgestellte Hersteller und spezialisierte Maschinenbauer“.
Den Grundstein dafür legte der Müllerssohn Leodegar Thoma, der abends das Mehl zusammenfegen musste und dafür Schweinsborsten in länglichen Holzbrettchen befestigte. Später machte er sich in Todtnau mit dem Herstellen von Bürsten selbstständig und führte 1770 dabei die Arbeitsteilung ein. Dieses Jahr gilt als Beginn der Bürstenproduktion in Todtnau, obwohl auch schon davor Männer und Frauen in Heimarbeit Bürsten gefertigt hatten. Die Besonderheit des neuen Verfahrens war, „dass sich einer der Arbeiter nur mit dem Ordnen der Borsten beschäftigte, ein anderer mit der Herstellung der Bürstenhölzer und ein dritter übernahm das Einziehen der Borsten“. Dies schreibt der Spezialist für die Todtnauer Bürstengeschichte Benno Dörflinger, der selbst rund 50 Jahre für die Firma Zahoransky gearbeitet hat, in der Branchenzeitschrift Brush Scene (Ausgabe November/Dezember 2019). Leodegar Thomas Mitarbeiter seien in kurzer Zeit Spezialisten geworden und hätten ihre Produkte schneller und günstiger herstellen können als gewöhnliche Bürstenmacher.
Die Rolle der Händler
Eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Branche kam den Bürstenhändlern zu, die von den Todtnauer Herstellern gemeinsam bis nach Frankreich und Tirol geschickt wurden. „Ohne diese Händler hätte sich das Gewerbe nicht so entwickelt“, sagt Ralf Andreas Thoma, dessen Ururgroßvater im Jahr 1868 die Bürstenfabrik Carl Thoma (ab 1913 Vereinigte Bürstenfabriken, seit 1999 Interbros GmbH, siehe Seite 8) gegründet hatte. Ralf Andreas Thoma hat das Konzept für das Todtnauer Bürstenmuseum entwickelt, das diesen Herbst öffnen soll. Die Händler, so berichtet er, brachten von unterwegs Schweinsborsten in die Heimat, mit denen die Todtnauer wiederum neue Bürsten herstellen konnten. Das Gewerbe wuchs. „Holz war da, die Arbeit war knapp“, erklärt Benno Dörflinger. Der Bergbau sei zurückgegangen, ansonsten habe es in Todtnau nur die Landwirtschaft gegeben.
Im 19. Jahrhundert entstanden im Zuge der Industrialisierung an verschiedenen Orten in Deutschland nach und nach Bürstenfabriken. Die erste in Todtnau war laut Benno Dörflinger die 1823 gegründete Bürstenfabrik Ludwig Klingele. Von der weiß er aber nur, dass der spätere Inhaber zu jener Handvoll Todtnauer Unternehmern gehörte, die ihre Produkte 1873 gemeinsam auf der Weltausstellung in Wien präsentierten. Das gemeinsame Agieren beim Vertrieb der Produkte wie auf dieser Messe, so sagt Museumsmacher Ralf Andreas Thoma, sei eine Besonderheit der Todtnauer Bürstenunternehmer gewesen und auch ein Geheimnis ihres Erfolges. Zu den im 19. Jahrhundert gegründeten Bürstenmanufakturen zählen auch Firmen wie Wissler, Faller, Keller und Thoma (siehe Chronologie Seite 10). Die meisten von ihnen hatten zu Beginn ein breites Portfolio, produzierten viele Jahre Besen, Handfeger und weitere Haushaltsbürsten, manche auch Zahnbürsten. Die Branche wuchs stetig: „Bis Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in Todtnau wohl keine Familie, die nichts mit der Herstellung von Bürsten zu tun hatte“, schätzt Thoma.
Erste Maschinen aus Todtnau
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hielten nach und nach Maschinen Einzug in die Bürstenfabriken und übernahmen beispielsweise das Bohren der Löcher und das Einziehen der Borsten. Das Handhaben der modernen Maschinen war für die Unternehmen nicht immer einfach. Die Bürstenfabrik Faller holte sich daher im Jahr 1899 den Mechaniker Anton Zahoransky nach Todtnau, der bereits in Nürnberg Erfahrung mit Bürstenmaschinen gesammelt hatte. Zahoransky war nicht nur ein erfahrener, sondern auch ein findiger Mechaniker. Er entwickelte ein Verfahren, bei dem die Borsten mithilfe einer kleinen Drahtschlinge in den Bürsten befestigt wurden, sodass sie gut hielten, und gründete 1902 die Firma Zahoransky, heute Weltmarktführer für Bürstenmaschinen und größter Arbeitgeber Todtnaus. Drei weitere Bürstenmaschinenfabriken (Donat Laile, Gottlieb Ebser und Esto) folgten. Sie alle trieben Innovationen voran und machten gemeinsam mit den Bürstenproduzenten Todtnau zu einem wichtigen Standort der Bürstenindustrie in Deutschland.
Wechselvolle Entwicklung
Trotz aller Innovationen verlief die Geschichte der Todtnauer Bürstenbranche wechselvoll. Die beiden Weltkriege markierten ebenso Einschnitte wie die Weltwirtschaftskrise. Gleiches gilt für technologische Neuerungen wie die Einführung des Spritzgusses ab den 1950er-Jahren und die Globalisierung, in deren Zug in Fernost produzierte Billigprodukte großer Konzerne den Markt überschwemmten. Nicht immer fanden die Inhaber der Todtnauer Firmen Nachfolger für ihr Unternehmen. Mal wurden deshalb Fabriken stillgelegt oder verkauft, die einen mussten Insolvenz anmelden, die anderen verlegten ihren Standort. Wieder andere gibt es heute noch. Die 1980er- und 1990er-Jahre waren von der Spezialisierung geprägt, die die Branche auch heute noch ausmacht – und eines der Geheimnisse für ihren Fortbestand ist. Dazu kommen die vielen Innovationen der Schwarzwälder Tüftler sowohl an Maschinen als auch an Bürsten, die mittelständische Prägung der Unternehmen und die Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen: Man kennt sich, spricht auch mal Probleme an, kauft beieinander ein und kooperiert – zum Beispiel im Initiativkreis Oberes Wiesental. Aber natürlich sind die Bürsten(maschinen)hersteller zumindest in Teilen auch Konkurrenten und hüten ihre Innovationen. „Die Todtnauer haben immer mitgehalten“, sagt Benno Dörflinger und nennt Industrialisierung sowie Globalisierung als Beispiele. Auch wenn früher mehr Menschen als heute in diesem Wirtschaftszweig in Todtnau und direkter Umgebung beschäftigt waren, seien noch nie so viele Millionen Bürsten im Jahr produziert und solch hohe Umsätze erwirtschaftet worden.
Text: Susanne Maerz
Die Branche in Todtnau heute
Drei Maschinenbauer, sieben Bürstenproduzenten
Das größte und weltweit bedeutendste Unternehmen Todtnaus ist die Zahoransky AG, die in dritter Generation geführt wird, vergangenes Jahr 140 Millionen Euro umgesetzt hat und weltweit rund 900 Mitarbeiter an zehn Standorten beschäftigt. 340 von ihnen arbeiten am Stammsitz in Todtnau. Etwa jede zweite Bürste rund um den Globus wird auf einer Maschine des Unternehmens gefertigt, die unter anderem auf Spritzgießsysteme allen voran für Zahnbürsten spezialisiert ist. Neben dem Gründer Anton Zahoransky prägten beziehungsweise prägen dessen Sohn Heinz und Enkel Ulrich Zahoransky das Unternehmen, die Stadt und die Branche.
Die im Jahr 1920 gegründete Gottlieb Ebser Maschinenfabrik wird seit 2008 von Thomas Schmidt unter dem Namen Ebser Mechanical Engineering geführt. Zwölf Mitarbeiter sind beschäftigt. Produziert werden Maschinen zur Herstellung von Haushalts- und Kosmetikbürsten oder auch für technische Bürsten. Die Kunden sind seit 100 Jahren Unternehmen der Bürstenindustrie weltweit.
Der jüngste Bürstenmaschinenhersteller Todtnaus ist die im Juli 2013 gegründete V-AIR Machines GmbH. Die Hälfte der Anteile hält die belgische Boucherie-Borghi-Gruppe, der größte Konkurrent von Zahoransky. Geschäftsführer Christoph Schubnell, der zuvor bei der inzwischen geschlossenen Schönauer Zahnbürstenfirma Frisetta gearbeitet hatte, und seine sieben Mitarbeiter haben sich auf ankerlose Zahnbürstenmaschinen spezialisiert.
Ebenfalls in Schönau hat die Interbros GmbH ihren Sitz, der größte der aus Todtnau stammenden Bürstenhersteller. Im Jahr 1996 zog das Unternehmen aus Platzgründen in die Nachbargemeinde. Seit 2011 gehört es zum japanischen Familienunternehmen Sunstar. 175 Mitarbeiter sind beschäftigt. Die wichtigste Innovation des Unternehmens ist laut dem kaufmännischen Leiter Michael Schneider der drahtlose Interdentalreiniger, den es seit 2004 gibt (zweites Bild von oben). Er wird hauptsächlich unter der Marke GUM vertrieben, rund 2,3 Milliarden Stück werden jährlich in Schönau produziert. Dazu kommen zwischen 32 und 35 Millionen Zahnbürsten, die unter anderem bei Aldi, DM und Müller vertrieben werden.
Die Bürstenfabrik Keller verkauft ihre Produkte etwa zur einen Hälfte an Drogeriemärkte, zur anderen an Marktbeschicker. Seit der Übernahme der Bürstensparte der Marke Faller im Jahr 2006 ist der Familienbetrieb rasant gewachsen: von damals 47 auf heute 120 Mitarbeiter. Eines hat sich nicht geändert, wie Geschäftsführerin Jasmin Keller betont: „Die Naturverbundenheit, das Arbeiten mit Holz, das ist uns wichtig, und das ist unsere Kernkompetenz.“
Die Sättele GmbH & Co. KG ist auf technische Bürsten spezialisiert. „Den Hauptumsatz machen wir mit verschiedensten Bürsten, die in der Industrie, in Maschinenbau-, Automobil-, Druck- und Papier-, Textilindustrie et cetera ihre Anwendungszwecke finden“, sagt Katrin Sättele, die das 1915 gegründete Familienunternehmen mit ihrem Mann Michael Sättele seit 2015 führt. 20 Mitarbeiter sind beschäftigt.
Die Huber Bürsten GmbH in Todtnau stellt Interdental-, Maskara-, medizinische und industrielle Bürsten her – rund drei Millionen Stück im Jahr. 22 Frauen und Männer arbeiten dort. Rudi Huber, der zuvor bei Zahoransky als Mechaniker gearbeitet hatte, gründete die Firma 1991, heute führt sie sein Sohn Ingo Huber.
Das jüngste Todtnauer Unternehmen der Branche ist die auf Bürsten- und Kunststofftechnik spezialisierte Waldkraft GmbH. David und Nina Muschelknautz haben im Jahr 2017 den Bürstenhersteller Knotz samt dessen zwölf Mitarbeitern übernommen, umbenannt und sind aus Platzgründen nach Todtnau-Aftersteg gezogen. Inzwischen beschäftigen sie doppelt so viele Mitarbeiter und produzierten zuletzt zweieinhalb Millionen Bürsten im Jahr.
In einer Todtnauer Bürstenfabrik arbeitete einst auch der Urgroßvater von Stefan Ganzmann, dem Geschäftsführer der Frank Bürsten GmbH in Schönau. Als dieser, so wie viele seiner Kollegen, in den 1920er-Jahren im Zuge der Weltwirtschaftskrise entlassen wurde, gründete er in Präg eine eigene Manufaktur und fertigte Straßenbesen, Schuh-, Vieh- und Zahnbürsten. Heute ist Frank Bürsten europaweit führend mit Bürsten für die Leder- und Schuhpflege. Acht Millionen Stück produziert das Unternehmen im Jahr. Die Kunden sind Pflegemittelhersteller wie Erdal und Schuhketten wie Deichmann. 40 Mitarbeiter sind beschäftigt.
Die Spülbürsten, Besen oder Handfeger, die die Maier Haushaltspflege GmbH unter der Marke „Peggy Perfect“ herstellt, sind in rund 1.800 Baumärkten und circa 2.000 Lebensmitteleinzelhandels- und Drogeriemärkten zu finden. Bestseller sind die hölzernen Spülbürsten mit einer Stückzahl von rund vier Millionen im Jahr. In Murg (Verwaltung und Logistik) arbeiten rund 70 Mitarbeiter, in Todtmoos 24. Hier wurde das Unternehmen 1873 gegründet, und hier ist „das Herz unserer Firma“, so Geschäftsführer Winfried Maier.
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Chronologie
1770: Der Müllerssohn Leodegar Thoma führt die Arbeitsteilung bei der Herstellung von Bürsten ein und legt damit den Grundstein für einen neuen Industriezweig.
1772: Thoma erhält seinen ersten Großauftrag von einem in Freiburg stationierten österreichischen Reiterregiment und stellt die ersten Mitarbeiter ein.
1800: Um dieses Jahr verkaufen 13 Bürstenhändler die Produkte aus Todtnau in Baden, der Schweiz und dem Elsass.
1836: Das Bezirksamt Schönau stellt fast 200 Hausierscheine vor allem für Bürstenhändler aus Todtnau und Umgebung aus.
1823: Vermutlich Gründung der Firma Ludwig Klingele, der wohl ältesten Bürstenfabrik Todtnaus.
1840: Fridolin Wissler gründet seine Bürstenfabrik; auch der Fabrikant Franz Josef Faller beginnt um diese Zeit mit der Produktion von Bürsten.
1850: Die Zahl der Bürstenhändler ist auf 66 gestiegen.
1853: Rund 250 Menschen arbeiten in Todtnau in der Bürstenproduktion, circa 350 weitere in den umliegenden Orten.
1871: Etwa 1.000 Menschen sind in Todtnau in dem Wirtschaftszweig beschäftigt – in Heimarbeit oder den Fabriken. Sie stellen rund drei Millionen Bürsten im Jahr her.
1876: Ein großer Brand zerstört in Todtnau 149 Gebäude, darunter mehrere Fabriken.
1880er: Die ersten Zahnbürsten werden in Todtnau hergestellt, 1899 startet deren Produktion in großem Umfang, die Firma Faller ist führend in diesem Bereich.
1902: Gründung der Firma Zahoransky.
1951: Das Spritzgussverfahren hält Einzug in die Bürstenproduktion, immer mehr Bürstenkörper sind aus Plastik; Nylon und Perlon ersetzen häufig die Naturbürsten.
1977: Die erste Interbrush, die weltweit führende Fachmesse der Bürsten- und Pinselindustrie, findet in Freiburg statt.
1988: 25 Prozent der arbeitenden Todtnauer Bevölkerung sind in der Bürstenindustrie beschäftigt.
2020: 250 Jahre Bürstenindustrie. Die Feier und der für den 27. September geplante Naturparkmarkt wurden wegen der Coronapandemie verschoben. Das Bürstenmuseum soll aber noch im Herbst öffnen. Die ursprünglich für Mai geplante Messe Interbrush wurde auf den 4. bis 6. Mai 2022 verlegt.
Quellen: Benno Dörflinger/Brush Scene, Badische Zeitung