Die Medizinprodukteverordnung, die ab 26. Mai gilt, stellt Medizintechnikunternehmen vor bürokratische und finanzielle Herausforderungen. Hersteller von wiederverwendbaren chirurgischen Instrumenten mussten sogar befürchten, manche oder alle ihrer Produkte dann nicht mehr vertreiben zu können. Sie hätten neue Zertifikate gebraucht, die bis dahin aber gar nicht für alle Produkte ausgestellt werden können. Nun ist eine Übergangsfrist beschlossen worden.
Es ist eine Atempause vor allem für die Tuttlinger Medizintechnikunternehmen“, sagt Meinrad Kempf von der Medical Mountains GmbH über die Entscheidung des EU-Ausschusses vom 3. Dezember. Die Clusterorganisation, an der die IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg die Mehrheit hält, hatte zusammen mit anderen Branchenverbänden und auch Politikern aus der Region auf diese Fristverlängerung hingewirkt. Auch viele Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen werden aufgeatmet haben. Denn nach dem derzeitigen Stand wäre eine ausreichende Versorgung der Kliniken im Land mit wiederverwendbaren chirurgischen Instrumenten wie Scheren oder Klemmen ab dem 26. Mai nicht sichergestellt gewesen. Ab dann müssen all diese Produkte von einer sogenannten Benannten Stelle zertifiziert worden sein, bevor sie auf den Markt gebracht werden dürfen (siehe Kasten „Hintergrund“). Von diesen waren aber Anfang Dezember bei weitem noch nicht genügend für die Medizinprodukteverordnung (MDR) zugelassen, sodass wiederum alle nötigen Zulassungen bis Ende Mai gar nicht auf den Weg gebracht hätten werden können. Viele Unternehmen, die wiederverwendbare chirurgische Instrumente produzieren, mussten daher befürchten, diese ab dem 26. Mai nicht mehr ausliefern zu dürfen und bangten daher um ihre Existenz. Einige tun dies allerdings nach wie vor. Andere sind gut vorbereitet.
Wer Medizinprodukte auf den Markt bringt, musste diese schon immer mit dem CE-Kennzeichen zertifizieren lassen und auch diverse andere Anforderungen erfüllen. Wie hoch diese jeweils waren oder sind, hängt unter anderem davon ab, ob das Produkt wie eine Lesebrille oder ein Pflaster äußerlich, oder wie ein neues Hüftgelenk im Menschen verwendet wird. In der Medizinprodukteverordnung (MDR) wurde unter anderem der Dokumentationsaufwand für die Herstellung aller Medizinprodukte erhöht, die Unternehmen müssen beispielsweise ihre Prozesse und Verfahren genau beschreiben. Das gilt auch für Produkte, die bereits seit Jahren oder Jahrzehnten auf dem Markt sind. Für manche von ihnen werden nun klinische Bewertungen verlangt, was aufwendig sowie teuer ist und sich zum Teil für die Unternehmen nicht lohnt, wenn es sich um Produkte für seltene Krankheiten handelt, die folglich nur wenig nachgefragt werden. Viele Unternehmen müssen nun außerdem eine sogenannte Qualifizierte Person benennen oder einstellen, die über spezielle Fachkenntnisse verfügt und auf dem Markt nicht so leicht zu finden ist. Diese Person ist in etwa mit dem Datenschutzbeauftragten vergleichbar, der vor rund eineinhalb Jahren für viele Firmen mit dem Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) Pflicht wurde. Die MDR insgesamt ist mit der DS-GVO vergleichbar, mit dem Unterschied, dass sie nur für eine Branche gilt.
In Baden-Württemberg bestehen laut dem Branchenverband Biopro 838 Medizintechnologieunternehmen mit zusammen 50.430 Beschäftigten und einem Umsatz von 13,54 Milliarden Euro (kein Anspruch auf Vollständigkeit). Allein im Raum Tuttlingen gibt es laut Schätzungen von Medical Mountains mehr als 300 Medizintechnikunternehmen mit zusammen rund 12.000 Beschäftigten. Zu ihnen gehören die Großen wie Aesculap, Karl Storz und KLS Martin mit jeweils über 1.000 Mitarbeitern genauso wie mittlere Unternehmen mit mehreren 100 Beschäftigten und zahlreiche Klein- und Kleinstbetriebe mit weniger als 15 Mitarbeitern. Viele der Unternehmen sind vor 100 oder gar 150 Jahren entstanden. Die Besonderheit der Tuttlinger: Rund 92 Prozent von ihnen stellen chirurgische Instrumente her und/oder vertreiben diese. Das ist mehr als im Landesschnitt (65 Prozent). „Hier ist eines der Zentren weltweit für diese Produkte“, sagt Meinrad Kempf von Medical Mountains. Das Portfolio der übrigen Tuttlinger Medizintechnikunternehmen reicht (außerdem) von Implantaten über Endoskope bis hin zu Stents und Kathetersystemen.
Hintergrund
Grund für die MDR waren Skandale wie der um minderwertige Brustimplantate aus Industriesilikon eines französischen Herstellers im Jahr 2011. Die Implantate wurden Frauen in mehreren europäischen Ländern eingesetzt und lösten bei vielen von ihnen Krebs aus, einige starben sogar. Ziel der MDR ist es, derartige Fälle in Zukunft zu vermeiden, Medizinprodukte allgemein für die Patienten sicherer zu machen und zugleich Innovationen zu fördern. Europäisches Parlament und Europäischer Rat haben daher im April 2017 die Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation, MDR) beschlossen. Sie ist am 25. Mai 2017 in allen EU-Mitgliedstaaten in Kraft getreten. Angewendet werden muss sie nach einer dreijährigen Übergangsfrist, also ab dem 26. Mai 2020.
Medizinprodukte werden in drei Klassen eingeteilt, die zum Teil über verschiedene Stufen verfügen. Produkte der Klasse 1 haben das geringste, die der Klasse 3 das höchste Risiko für den Menschen. Zur niedrigsten zählen zum Beispiel Pflaster, zur höchsten Stents oder Herzkatheter. Für Produkte jeder Klasse gibt es bestimmte Anforderungen. Praktisch alle Anforderungen wurden erhöht, für jede Klasse aber auf andere Art. Gemeinsam ist ihnen der höhere Dokumentationsaufwand. Allerdings konnten für viele Bestandsprodukte die Zertifikate über den 24. Mai 2020 hinaus erstmal für drei Jahre verlängert werden. Einen Sonderfall stellen wiederverwendbare chirurgische Instrumente dar. Dazu zählen Klemmen und Scheren, die vor allem in Operationssälen zum Einsatz kommen. Sie wurden in der MDR von Klasse 1 in Klasse 1r hochgestuft. Laut MDR hätten alle solche Produkte ab dem 26. Mai 2020 ein Zertifikat einer sogenannten Benannten Stelle benötigt. Das steht seit drei Jahren fest und ist mit sehr viel Arbeit für diese Benannten Stellen – das können TÜV oder Dekra sein – verbunden. Das Problem: Anfang Dezember waren europaweit erst 8 der 50 für Medizinprodukte bestehenden Zertifizierungsstellen als Benannte Stelle zugelassen, also bei weitem nicht genügend, um die Zertifikate für alle wiederverwendbaren Medizinprodukte, die auf dem Markt sind, ausstellen zu können. Unternehmen, deren hochgestufte Produkte bis 26. Mai 2020 nicht von den Benannten Stellen hätten zertifiziert werden können, hätten diese Produkte nicht mehr verkaufen können, den Krankenhäusern hätten Versorgungsengpässe gedroht, da sie viele dieser Produkte benötigen und sie nicht beliebig oft wiederverwenden können.
Am 3. Dezember hat nun der Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit des Europäischen Parlaments die Übergangsfrist für alle Produkte, die von der Klasse 1 in die Klasse 1r hochgestuft worden sind, bis Mai 2024 verlängert. Der Beschluss muss noch weitere EU-Gremien passieren und im EU-Amtsblatt veröffentlicht werden. Es wird aber damit gerechnet, dass dies auch geschieht. Voraussetzung für die Fristverlängerung ist, dass die Produkte bereits auf dem Markt sind oder bis 25. Mai 2020 noch nach den alten Regeln auf den Markt gebracht werden.
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Sie alle, so wie auch die anderen Medizintechnikunternehmen im Regierungsbezirk Freiburg, sind zurzeit dabei, die MDR umzusetzen. Soweit ihnen dies möglich ist. „Das Problem ist, dass die genaue Ausgestaltung in Teilen noch unklar ist“, sagt Meinrad Kempf von Medical Mountains. „Die Verordnung legt fest, was zu geschehen hat, aber nur sehr oberflächlich, wie es zu geschehen hat.“ Auch wenn Medical Mountains den Medizintechnikunternehmen Hilfestellungen anbietet, sei der Aufwand für diese sehr groß. Vor allem für kleine Unternehmen, wo dieser auf nur wenige Schultern verteilt werde, sei er oft nur schwer zu stemmen.
Kleinstunternehmen haben laut Meinrad Kempf zum einen die Sorgen, dass ihnen die Kunden wegbrechen, wenn sie die Kosten, die sie wegen der MDR haben, an diese weitergeben würden. Eigentlich müssten sie die Produkte um bis zu 30 Prozent verteuern. Dann hätten sie aber Probleme, mit den großen Anbietern mithalten zu können, die in größeren Mengen und daher meist zu günstigeren Preisen produzierten. Dies hätten viele der rund 50 Kleinstunternehmen berichtet, die Ende November an einer internen Informationsveranstaltung von Medical Mountains und der Stadt Tuttlingen teilgenommen haben, so Kempf. Zum anderen bereiteten diesen Firmen mit weniger als 15 Mitarbeitern viele ungeklärte rechtliche Fragen Kopfzerbrechen, und sie würden sich vor möglichen Konsequenzen fürchten. „Die technische Umsetzung ist den meisten klar“, betont er.
Auch wenn viele Betriebe nun eine Fristverlängerung für die Zulassung der höhergestuften Instrumente erhalten haben, rechnet Kempf damit, dass sich viele der Kleinen vom Markt zurückziehen werden, nur noch als Zulieferer arbeiten werden (dann müssen sie weniger Pflichten erfüllen), oder dass manche Inhaber, die kurz vor dem Rentenalter stehen, ihr Unternehmen verkaufen oder gar schließen. „Die MDR schüttelt die bestehenden, gewachsenen Strukturen in Tuttlingen durcheinander“, sagt Meinrad Kempf. Thomas Butsch, Geschäftsführer von Hebu Medical aus Tuttlingen und Vizepräsident der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg, rechnet damit, dass rund 20 bis 30 der kleineren Tuttlinger Medizintechnikunternehmen wegen der MDR bereits verkauft worden sind, noch verkauft werden oder sich mit anderen zusammenschließen. Dies geschehe vor allem, wenn die Inhaber um die 60 Jahre alt seien. „Das Resultat der MDR ist, dass die Großen größer werden und die Kleinen es schwerer haben werden.“
Im Gegensatz zu vielen kleinen und vor allem kleinsten Unternehmen sind die mittleren und großen von der MDR nicht in ihrer Existenz bedroht, gleichwohl herausgefordert. Das gilt auch für das größte Tuttlinger Unternehmen, die Aesculap AG, die hier rund 3.600 ihrer etwa 12.600 Mitarbeiter beschäftigt: „Rund die Hälfte aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Forschungs- und Entwicklungsabteilung widmet sich ausschließlich der MDR“, sagt der Vorstandsvorsitzende Joachim Schulz. Dass der Aufwand für Aesculap so hoch ist, liegt auch an dem umfangreichen Portfolio des Unternehmens, das rund 25.000 Produkte für Chirurgie und Orthopädie umfasst, die unter die MDR fallen, etwa 11.000 davon zählen zur Klasse 1 beziehungsweise 1r. Zu jedem einzelnen müssen die Mitarbeiter sämtliche Zulassungsdokumente und Unterlagen zur technischen Dokumentation sichten und überarbeiten. „Circa 5.500 Randprodukte wurden eingestellt, unser Kernportfolio betrifft dies aber nicht“, berichtet Schulz. Er ist davon überzeugt, dass Aesculap alle Anforderungen bis zum 26. Mai erfüllen kann. Gleichwohl erfordere die aufwendige Nachweisführung ein hohes Maß an Energie, das letztlich nicht in die Entwicklung neuer Produkte gesteckt werden könne. Im Gegensatz zu vielen anderen Unternehmen habe Aesculap jedoch die Möglichkeit, weiterhin Neuentwicklungen anzustoßen, so Schulz.
Die Osypka AG mit Sitz in Rheinfelden-Herten hat dagegen die Entwicklung ihres Baby-Stents für Neugeborene, die an einer Einengung der Hauptschlagader (Aortenisthmusstenose) leiden, vorerst „geparkt“, wie Geschäftsführerin Nicola Osypka berichtet. Beträge im siebenstelligen Bereich seien bereits dafür investiert und eine erfolgreiche klinische Studie sei durchgeführt worden. „Aber jetzt müssen wir mit den anderen Zulassungen kämpfen“, sagt sie. Die Entscheidung sei ihr nicht leicht gefallen, da es auf dem Markt kein alternatives Produkt gebe. „Wir haben schon immer eine Nische belegt, aber in einer Bandbreite wie weltweit kein anderer Anbieter“, sagt Nicola Osypka, die das 1977 gegründete Unternehmen in zweiter Generation führt. In Rheinfelden sind 200 Mitarbeiter beschäftigt, in Tschechien 80 und 20 in Colorado (USA). Die Osypka AG ist auf Elektroden für die Herzstimulation (zum Beispiel für Herzschrittmacher) sowie verschiedene Katheter für Herzrhythmusstörungen bei Kindern und Erwachsenen spezialisiert. Viele Produkte sind seit Beginn im Portfolio, werden für seltene Operationen verwendet und entsprechend wenig nachgefragt. Alle Produkte fallen unter die Klasse 3 mit den höchsten Anforderungen. Regelmäßig (re)zertifiziert werden mussten sie schon immer. „Jetzt sollen wir aber zusätzlich klinische Daten zu Produkten liefern, die seit über 30 Jahren erfolgreich am Markt sind“, klagt die Firmenchefin. Das koste mehrere hunderttausend Euro pro Studie, zusätzlich zu den anderen Kosten für eine Rezertifizierung und damit 30 bis 60 Mal so viel wie bisher.
„Die MDR kostet uns Zeit, Nerven und vor allem viel Geld“, sagt Nicola Osypka, die das Ansinnen hinter der Verordnung unterstützt. Sie hält es für „gut und sinnvoll, dass man die Patienten schützen will“. Es sei aber versäumt worden, in der MDR eine sinnvolle Regelung für die Bestandsprodukte zu finden. Von den 20 Produktgruppen, die die Osypka AG anbietet, hat das Unternehmen bereits fünf vom Markt genommen. Das sind vor allem Spezialprodukte für Babys, Kinder und Erwachsene, die zum Teil die Osypka AG als einziges Unternehmen weltweit angeboten hat. „Umsatz- und gewinntechnisch waren diese Produkte nie attraktiv“, sagt Nicola Osypka. „Aber wir wussten, dass jedes dieser Produkte das Leben des Patienten verbessert, indem zum Beispiel eine schonendere Operation durchgeführt werden kann als mit herkömmlichen Produkten.“ Die Ärzte hätten sich darauf verlassen, dass die Osypka AG diese Produkte liefere und im Sinne des Patienten agiere. „Hier entsteht leider ein Rückschritt in der medizinischen Behandlung, den die MDR zu verantworten hat“, so Osypka. „Kardiologen, Herzchirurgen und Kinderkardiologen, denen wir die Einstellung dieser Produkte verkünden müssen, sind entsetzt über diese Entwicklung, und wir sind es auch.“
Hilfestellung
Die Medical Mountains GmbH ist eine Clusterinitiative für Medizintechnikunternehmen in Tuttlingen. Sie hilft beispielsweise bei Kooperationen, aber auch bei Fragen wie zur Medizinprodukteverordnung und vertritt die Interessen der Branche nach außen. Auch Medizintechnikunternehmen außerhalb Tuttlingens können sich an die Mitarbeiter wenden. Hauptgesellschafter ist die IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg (51 Prozent), gefolgt vom Landkreis Tuttlingen (14 Prozent) sowie der Handwerkskammer Konstanz, der Landesinnung Chirurgiemechanik BW, der Stadt Tuttlingen, dem Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut der Universität Tübingen (NMI) sowie der Hahn-Schickard-Gesellschaft für angewandte Forschung (jeweils sieben Prozent).
Telefon: 07461 9697-210
Mail: info@medicalmountains.de
www.medicalmountains.de
IHK-Ansprechpartner
IHK Hochrhein Bodensee:
Sunita Patel
Telefon: 07531 2860-126
Mail: sunita.patel@konstanz.ihk.de
IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg:
Wolf-Dieter Bauer
Telefon: 07721 922-168
Mail: bauer@vs.ihk.de
IHK Südlicher Oberrhein:
Philipp Klemenz
Telefon: 0761 3858-269
Mail: philipp.klemenz@freiburg.ihk.de
Checkliste
Eine Checkliste für Unternehmen zur Vorbereitung auf die Medizinprodukteverordnung gibt es unter www.gesundheitswirtschaft.ihk.de Dokumentennummer 3811240.
Thomas Butsch, der die Tuttlinger Hebu Medical GmbH in vierter Generation führt, hat wegen der MDR etwa fünf Prozent der Artikel aus dem Programm genommen. „Ich bin unser Produktportfolio durchgegangen, was ich schon früher hätte tun sollen“, sagt er. Von den über 400 verschiedenen Arten von Arterienklemmen, die Hebu Medical produziert, wurde die Produktion derer eingestellt, von denen nur noch eine Handvoll im Jahr verkauft werden, da es neue OP-Methoden oder Alternativen gibt. „Das hat auf den Umsatz keine Auswirkung“, sagt Thomas Butsch. Die MDR hat ihm vor allem viel Arbeit und höhere Personalkosten beschert. Beschäftigte er früher eine Teilzeitkraft mit 30 Stunden pro Woche in der Qualitätssicherung, sind es wegen der MDR heute vier Vollzeitkräfte. „Für uns ist das machbar, aber einem Kleineren tut das weh“, sagt Butsch.
Hebu Medical beschäftigt insgesamt rund 200 Mitarbeiter, davon 45 in Tuttlingen, die anderen in Ungarn, Polen und Bulgarien. Das Unternehmen ruht auf den vier Säulen chirurgische Instrumente, Gipssägen, Hochfrequenz-Elektrochirurgie und Sterilisationscontainer. Mit den chirurgischen Instrumenten wie Scheren und Arterienklemmen macht Hebu Medical etwa 70 Prozent des Umsatzes. Sie alle werden nun von Klasse 1 in Klasse 1r hochgestuft – und müssen von Benannten Stellen zertifiziert werden.
Thomas Butsch arbeitet dafür bereits mit einer Benannten Stelle zusammen, der deutschlandweit ersten, die im Mai zugelassen wurde. Mit dieser Einrichtung kooperiert er schon länger, und zwar zur Zertifizierung seiner Klasse-2-Produkte. So konnte er dort bereits die Unterlagen für all seine Produkte, die nun hochgestuft wurden, einreichen und ist zuversichtlich, dass sie bis 26. Mai gemäß der MDR zugelassen werden. „Das ist aber Glück“, sagt Thomas Butsch. „Das Problem ist, dass keine Chancengleichheit bestand.“ Nun hofft er, dass die dreijährige Übergangsfrist dazu führt. Als IHK-Vizepräsident gehörte er zu denen, die sich in Brüssel für eine Übergangsfrist für die hochgestuften Produkte eingesetzt haben und ist froh, dass sie nun beschlossen wurde. Dennoch ärgern ihn viele der neuen Vorschriften: „Produkte, die seit rund 100 Jahren nahezu unverändert eingesetzt werden, sind nun hochgestuft. Das ist eine absolute Ausuferung der Bürokratie“, sagt er. Die Patientensicherheit sei ihm, so wie jedem anderen Medizintechnikunternehmen auch, wichtig. „Aber die MDR schießt total am Ziel vorbei.“
Eine Gruppe, die von der neuen Übergangsfrist nicht profitiert, sind Start-ups: Wer demnächst neue Produkte auf den Markt bringen will, hat nach wie vor das Problem, dass es noch zu wenige Benannte Stellen dafür gibt. Denn die Fristverlängerung gilt nur für Produkte, die bereits auf dem Markt sind und über ein Zertifikat verfügen. Auch die Innovationen von etablierten Unternehmen können betroffen sein. Sunita Patel, die bei der IHK Hochrhein-Bodensee den Bereich Innovation und Umwelt verantwortet, befürchtet daher als Folge der MDR: „Die Produktvielfalt wird sich verringern und Innovationen werden zurückgehen.“
Susanne Maerz
Bilder: Intpro/Visual Generation