Im Südwesten lässt‘s sich gut leben. Kein Zweifel. Aber auch wirtschaften? Wie gut sind im Schwarzwald, an Hoch- und Oberrhein und am Bodensee die Rahmenbedingungen, die Unternehmen benötigen, um sich bestmöglich zu entwickeln? Wo braucht es noch Unterstützung? Und wo muss ganz dringend was passieren? Die drei IHKs der Region haben ihre Mitgliedsunternehmen gefragt. 1.200 Unternehmer aus der Region haben geantwortet.
„Vorgang abgebrochen. Keine Verbindung“ – Händler, die Anfang Juni auf einem Handwerkermarkt im Hotzenwald ihre Waren verkaufen wollten, brauchten beim bargeldlosen Kassieren einiges an Geduld und Zuversicht. Die modernen Kartengeräte ließen sich fürs Bezahlen einfach nicht lange genug ins labile Mobilfunknetz einwählen. Ein benachbartes Museum leistete schließlich Schützenhilfe und stellte das hauseigene WLAN zur Verfügung. Problem gelöst, Adrenalin hat es trotzdem gekostet.
Tatsächlich ist es in so einigen Teilen der Region um das Mobilfunknetz nicht gut bestellt. Selbst in der Großstadt Freiburg gibt es weiße Flecken auf der Kommunikationslandkarte und Geschäftsleute berichten von peinlichen Kundengesprächen, weil laufend die Verbindung abbricht. Kein Wunder also, dass es in der IHK-Standortbewertung für den Faktor „Leistungsfähiger Mobilfunk“ nur zu einer „gelben“ Zufriedenheitsnote von 3,19 gereicht hat – haarscharf vorbei an orange. Dabei liegt den Unternehmen verständlicherweise viel an einem guten Empfang, wie der Relevanzwert von 92 Prozent zeigt (siehe Tabelle rechts oben). Ohne geht es also fast gar nicht.
33 Faktoren aus fünf Kategorien standen zur Beurteilung bei der großen IHK-Standortumfrage – von schnellem Internet über Personalverfügbarkeit und Freizeitangebot bis zur Wirtschaftsfreundlichkeit der Verwaltung. Erstmals hatten alle drei IHKs aus dem Regierungsbezirk Freiburg ihre Mitgliedsunternehmen zur Onlinestimmabgabe aufgerufen. 1.201 Unternehmen haben sich zwischen April und Mai beteiligt, quer durch alle Branchen und Größen. So ist ein gutes Stimmungsbild über die Standortqualität der Region, über ihre Stärken und Schwächen entstanden.
Kompass für IHK-Arbeit und -Angebote
„Für uns als Industrie- und Handelskammern ist die Rückmeldung unserer Mitglieder ausgesprochen wichtig und hilfreich“, erklärt Alwin Wagner, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK Südlicher Oberrhein und Mitinitiator der Studie. „Einen herzlichen Dank deshalb an alle, die sich beteiligt haben. Die Ergebnisse dienen uns als Gradmesser und Richtungsgeber: Welche Themen brennen der Wirtschaft am meisten unter den Nägeln? Welche Engpässe sollten wir als Vertreter der Unternehmerschaft im Kontakt zu Bürgermeistern, Kommunen und der Politik noch stärker adressieren?“
Dass der Fachkräftemangel die ganze Region belaste, sei klar, aber darüber hinaus gebe es regionale Nuancen bei anderen Faktoren, „die wir durch die Studie nun näher benennen können und auch als Arbeitsauftrag an uns verstehen“, sagt er. Alexander Graf, Geschäftsführer der IHK Hochrhein-Bodensee, ergänzt: „Es haben sich zum Beispiel auch Aspekte gezeigt, die wir in dieser Relevanz nicht auf dem Schirm gehabt hätten, wie etwa die teilweise nicht optimale Wirtschaftsfreundlichkeit der Verwaltung und die Dauer von Antragsverfahren. Die Umfrage hat uns Erkenntnisse in einer ganz neuen Tiefe ermöglicht, wo wir uns sonst nur auf unser Bauchgefühl verlassen mussten.“
Den Ergebnissen entsprechend können so auch die Informations- und Dienstleistungsangebote der drei Kammern noch besser auf die regionalen Bedürfnisse der Betriebe ausgerichtet werden.
In der Umfrage hatten die Unternehmen auf einer Fünfer-Skala die Qualität der verschiedenen Faktoren an ihrem Standort zu benoten, sowie einzuschätzen, ob dieser Faktor für sie wichtig ist. Schließlich ist nicht alles, was zu kritisieren ist, auch gleich kriegsentscheidend.Herausgekommen ist ein sehr buntes Stimmungsbild mit deutlichen regionalen Unterschieden bei einzelnen Aspekten.
Die Stärken der Region*
(Von den Firmen als relevant und gut bewertet)
- Lebens- und Aufenthaltsqualität
- Erreichbarkeit für Kunden, Mitarbeiter und Lieferverkehr
- Medizinische Versorgung
- Einzelhandelsangebot und Nahversorgung
- Kultur-, Sport- und Freizeitangebot
* Die Top-Five über alle Stadt-/Landkreise
Topnoten für Lebensqualität
Durchschnittsnoten im Einserbereich erhielt nur ein einziger – dafür aber wichtiger – Faktor: die Lebens- und Aufenthaltsqualität. In sieben von zehn Kreisen wurde mit 1,8 bis 1,99 gewertet. Im Schnitt über alle ergab sich damit die beste Note in der Umfrage, eine 2,0. Am wenigsten zufrieden – mit einem Durchschnittsergebnis von 3,93 – waren die Unternehmen mit der Verfügbarkeit von Wohnimmobilien, wobei die Teilnehmer aus dem Stadtkreis Freiburg mit einer 4,43 die schlechteste Bewertung überhaupt in der gesamten Studie vergaben.
Die drei übergreifenden Fragen zur allgemeinen Zufriedenheit mit den Rahmenbedingungen am eigenen Standort beantworteten die 1.201 Unternehmen wie folgt: Die aktuelle Lage bewerteten sie im Schnitt mit einer 2,88, während sie die Zukunftsfähigkeit ihres Standortes leicht besser sahen (2,81). Bei der Einschätzung zur Entwicklung in den letzten fünf Jahren – einer 3,18 – zeigt sich IHK-Geschäftsführer Alexander Graf allerdings alarmiert: „Da müssen wir alle miteinander schauen, dass das nicht weiter kippt.“
Die Zusammenarbeit mit den IHKs wird positiv bewertet. „Das ist natürlich auch ein Auftrag für uns, dran zu bleiben“, bekräftigt Philipp Hilsenbek, Geschäftsbereichsleiter Standortpolitik bei der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg.
Ebenfalls in der Summe gute Noten gab es für die Verkehrsinfrastruktur von Autobahn bis ÖPNV – allerdings mit regionalen Besonderheiten dort, wo etwa ICE-Haltepunkte fehlen oder ein direkter Autobahnzugang. „Das Gezerre um die Gäubahn und die Taktung unseres ÖPNV sind schon ein echtes Armutszeugnis“, ergänzt etwa Thomas Brugger, Geschäftsführer von Brugger Magnetsysteme mit Sitz in Hardt, und erinnert sich frisch an eine „Reise“ aus dem Landkreis Rottweil nach Stuttgart. „Es darf nicht sein, dass man aufs Auto zurückgreift, nur weil alles andere so aufwendig ist.“
Selbst sind die Unternehmen
Mehrheitlich gute Noten quer durch alle Regionen erhielten Standortfaktoren zum Thema Lebensqualität. Es lebt sich gut im Südwesten. Lediglich die medizinische Versorgung landete teilweise und das Betreuungsangebot für (Klein-)Kinder fast überwiegend im Dreierbereich. Da wäre aus Sicht der Unternehmen noch gut Luft nach oben.
Aufhorchen lassen deshalb von engagierten Betrieben selbst initiierte Projekte wie die „W-Ki“, eine Betriebs- und Gemeindekindertagesstätte in Waldmössingen, für den sich nicht nur sechs Firmen aus dem Gewerbegebiet Interkom Waldmössingen-Seedorf zusammengetan haben, sondern auch zwei Kommunen – Schramberg und Dunningen – mit im Boot sitzen. „Unsere Region ist attraktiv für junge Familien, das Gewerbegebiet wächst, Fachkräfte sind gefragt – und doch gibt es zu wenig qualifizierte Betreuungsplätze für den Nachwuchs mit sinnvollen Öffnungszeiten für die Eltern“, erklärt Karin Eichenlaub, Chefin des Garagen- und Lagerparks Magazin17 und Vorsitzende des Fördervereins, ihrer aller Engagement. Nach zwei Jahren Vorarbeit soll nach den Ferien nun Spatenstich sein, 2024 will man mit zunächst drei Gruppen starten. Die beteiligten Unternehmen haben auf die nächsten fünf Jahre die Abnahme von rund zwei Dutzend Plätzen zugesichert. „Weitere Betriebe sind herzlich eingeladen“, sagt Karin Eichenlaub.
Solche überbetrieblichen und vor allem interkommunalen Ansätze sieht Philipp Hilsenbeck auch als mögliche Handhabe für andere Standortfaktoren, die eine schlechte Bewertung erhalten haben und Unterstützung benötigen, wie etwa die weiter zunehmende Konkurrenz der Flächenwünsche. „Von Wohnen und Erholung über Windkraft- und Solarstandorte bis zu Landwirtschaft, Infrastruktur und Gewerbegebiete – für all das wird Raum benötigt,“ stellt der IHK-Standortexperte fest. Das wird eine Kommune alleine nicht sinnvoll lösen können. „Hier sehe ich eine Aufgabe für uns IHKs, den übergreifenden Ansatz zu fördern. Zusammen lassen sich bessere Lösungen finden.“
der größte Handlungsbedarf*
(Von den Firmen als relevant und schlecht bewertet)
- Höhe der Energiekosten
- Verfügbarkeit von Arbeitskräften
- Bearbeitungsdauer von Genehmigungs- und Antragsverfahren bei der Verwaltung
- Verfügbarkeit von qualifizierten kaufmännischen Fachkräften
- Verfügbarkeit von qualifizierten technischen Fachkräften
* Die Top-Five über alle Stadt-/Landkreise
Thomas Brugger, der als Gemeinderat und Unternehmer beide Seiten kennt und interkommunale Absprachen gut findet, sieht aber auch seine Kollegen in der Pflicht: „Wo zum Beispiel eine landwirtschaftliche Fläche für Gewerbe frei gemacht wird, muss nicht gleich alles versiegelt werden. Auch Unternehmen können bei sich für Versickerungsflächen und ökologisch rücksichtsvolle Bebauung sorgen.“
Ein Stück weit Entwarnung möchte Marina Stiegeler vom Schönauer Netzbetreiber Stiegeler beim Problempunkt „Versorgung mit schnellem Breitband“ geben. Baden-Württemberg sei in Sachen Glasfaser schon recht weit, insbesondere die Landkreise Schwarzwald-Baar, Waldshut und Lörrach lägen weit vorne. „Es wird!“, sagt die Geschäftsführerin bestimmt. „Neue Gewerbegebiete ohne Glasfaser gibt es längst nicht mehr. Das war vor fünf Jahren noch ganz anders.“ Und überall, wo Glasfaser angedacht werde, würden die Unternehmen priorisiert. „Es sind so viele Fördermittel und große Player im Einsatz, da passiert gerade eine ganze Menge. Selbst wir als regionaler Anbieter investieren 50 Millionen Euro, um die Breitbandstruktur hier in der Region auszubauen.“ Besserung ist also auch dort in Sicht, wo man sich im Moment tendenziell noch schlecht versorgt fühlt.
Schwächen mit Stärken schlagen
Den größten Handlungsbedarf – von den Unternehmen als relevant und schlecht bewertet – sehen die Betriebe unter anderem bei den hohen Energiekosten. „Daraus lese ich für uns als IHKs den Auftrag, auf energiepolitischer Ebene dafür zu sorgen, dass unsere Region angebunden bleibt, etwa beim Thema Wasserstoff“, sagt Hilsenbek. Zudem gehe es darum, noch intensiver auf die Beratungsangebote der IHKs in Sachen Effizienzsteigerung bei Abläufen und Prozessen hinzuweisen und den Betrieben von dieser Seite beim Energiesparen zu helfen, ergänzt Alwin Wagner.
Bleibt noch die Dauerbaustelle Fachkräfte- oder inzwischen schon Arbeitskräftemangel: Drei der fünf Punkte mit dem größten Handlungsbedarf drehen sich um dieses Thema. „Bei uns am Hochrhein schlagen sich sowohl die Schweiz mit den Grenzpendlern als auch die fehlende Hochschullandschaft für die Versorgung mit Absolventen massiv in Form schlechter Bewertungen nieder“, stellt Alexander Graf fest. Aber auch anderswo sieht es nicht besser aus. Die Angst vor einem Mangel an Azubis schafft es auf Platz 2 der meistgenannten Risikofaktoren für die Zukunft.
Was also tun? Die Stärken der Region – von den Unternehmen als relevant und gut bewertet – intensiver ausspielen, schlägt Alwin Wagner als eine Möglichkeit vor. „Unsere Region ist für Urlaub bekannt, für guten Wein, intakte Natur, Wissenschaft. Aber gemeinhin nicht als der starke Wirtschaftsstandort, der wir tatsächlich sind. Das müssen wir deutlicher kommunizieren. Unser Regionalmarketing muss also weit über den Tourismus hinausgehen.“
Und: Die exorbitant guten Noten für Lebens- und Aufenthaltsqualität, für Freizeitangebote und Angebote der Nahversorgung sind grundsätzlich genau die Punkte, mit denen sich bei Arbeitskräften punkten lässt. Vorausgesetzt, die Botschaft kommt bei den potenziellen Bewerbern an.
An dieser Stelle setzt zum Beispiel das Offenburger Start-up Famigo an: Es bietet digitale Standortmarketing-Tools, mit denen Unternehmen, Kommunen und Regionen interessierten Kandidaten die Vorzüge ihres Standortes in Echtzeit zeigen können. Von der Zahl der Kitaplätze über Ärzte bis zu Veranstaltungen und Sportvereinen – alles, was hilft, dem Standort ein für Bewerber relevantes Gesicht zu geben (Bild). Unternehmen in der Region Freiburg und in der Ortenau steht eine Basisversion kostenlos zur Verfügung (Infos bei den Wirtschaftsförderungen). Weitere Partner sind in der Pipeline. Auch die Region Schwarzwald-Baar-Heuberg ist involviert (Infos bei Philipp Hilsenbek).
„Unterm Strich“, so schließt Alwin Wagner die Betrachtungen zur Studie, „hat uns die Standortumfrage mit erstklassigen Informationen ausgestattet, die uns helfen, die Rahmenbedingungen für die hiesige Wirtschaft im Schulterschluss mit der Politik und den Kommunen weiter zu verbessern. Was wollen wir mehr?“
Ulrike Heitze
Infos und Termine
- Die regionalen Umfrageergebnisse für die zehn Stadt- und Landkreise als PDF unter www.wirtschaft-im-suedwesten.de/rubrik/downloads/standortumfrage2023
- Detaillierte Auswertungen und Einschätzungen aus den drei IHK-Bezirken finden sich auf den Webseiten der Kammern www.ihk.de/konstanz www.ihk.de/sbh und www.ihk.de/freiburg
- Noch bis zum 29. September können sich Unternehmen und Kommunen für Fördermittel aus dem Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum (ELR) bewerben. Unterstützt werden zum Beispiel Gebäudesanierung und -umnutzung im Ortskernbereich, Sicherung der Grundversorgung mit Waren und Dienstleistungen und Schaffung von Arbeitsplätzen. Infos unter www.rp.baden-wuerttemberg.de/themen/land/elr.
- Bedarfsabfrage des Landes zur Infrastrukturplanung zum Thema Wasserstoff bis Mitte August. Informationsveranstaltung der IHK Hochrhein-Bodensee am 27. Juli, Termin der IHK Südlicher Oberrhein noch offen. Den eigenen Wasserstoffbedarf melden sowie alle Termine unter www.plattform-h2bw.de/h2-bedarf
- Eine Übersicht über den Versorgungsgrad mit leistungsfähigem Mobilfunk im Regierungsbezirk gibt der Mobilfunkatlas der drei IHKs unter www.ihk.de/sbh – 5283344
- App der Bundesnetzagentur zur Breitbandmessung und zum Melden von Funklöchern. Infos unter www.breitbandmessung.de/mobil-testen
Unter www.findyourland.de entsteht die neue zentrale Flächendatenbank der Landesagentur Baden-Württemberg International (BW_i), an der auch die IHKs mitarbeiten. Die Plattform für Gewerbe- und Immobilienflächen richtet sich an Unternehmen, die sich in Baden-Württemberg ansiedeln wollen. - Das Land hat im Mai die Eckpunkte für die „Aktive Ansiedlungsstrategie“ beschlossen. Die Strategie zielt darauf, Baden-Württemberg im weltweiten Standortwettbewerb zu positionieren. Das Land soll für Unternehmen und Start-ups aus Zukunftsbranchen attraktiv gemacht werden. Zudem sollen ansässige Firmen bei ihrer Weiterentwicklung unterstützt werden. Die Landesagentur Baden-Württemberg International (BW_i, www.bw-i.de) wird zu einer „One-Stop-Agency“ für alle Ansiedlungsinteressierten ausgebaut.
uh
IHK Hochrhein-Bodensee:
Alexander Graf
Telefon: 07622 3907-213
Mail: alexander.graf@konstanz.ihk.de
IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg:
Philipp Hilsenbek
Telefon: 07721 922-126
Mail: hilsenbek@vs.ihk.de
IHK Südlicher Oberrhein:
Alwin Wagner
Telefon: 0761 3858-107
Mail: alwin.wagner@freiburg.ihk.de