Früher reichte es, Stellen zu inserieren, Bewerberströme schlau zu managen, Arbeitsverträge zu schließen und Seminare anzubieten – heute ist die Personalabteilung Dreh- und Angelpunkt der Unternehmensstrategie. Die Taktung in allen Aufgabengebieten hat rasant zugelegt und fordert die Personalteams. Human Ressources (HR) wird vom Verwalter zum Gestalter. Vorausgesetzt, die Firmenleitung stellt die nötigen Ressourcen bereit.
„Hier sind Freundschaften entstanden, die man draußen nicht gefunden hätte.“ „Wir gehören alle zusammen.“ „Momente der Ewigkeit passieren hier jeden Tag.“ Mitarbeiter des Universitätsklinikums Freiburg sprechen große Worte gelassen aus, derweil sie in schwindelnder Höhe auf einem Stahlträger über dem Klinikgelände balancieren. Der vierminütige Youtube-Spot lehnt sich an das berühmte Foto „Mittagspause auf einem Wolkenkratzer“ an, das 1932 während des Baus des Rockefeller Center in New York aufgenommen wurde. Kleiner Unterschied: Anders als die Arbeiter auf dem Original lassen die Ärzte, Pflegekräfte, Werkstatt- und Verwaltungsmitarbeiter ihre Beine nicht in den Abgrund, sondern in eine Videotapete baumeln – ganz ungefährlich. Der Spot läuft auf dem klinikeigenen Youtube-Kanal. Das Klinikum stellt sein Pflegepraxiszentrum vor, berichtet aus dem Alltag in der Notfallmedizin oder lässt 100 Mitarbeiter auf dem Stahlträger emotionale „Momente für die Ewigkeit“ schildern.
Jasmin Lay
»Zufriedene Mitarbeiter sind erforderlich, um den vielschichtigen Wandel und das Zusammenwachsen zu unterstützen«
Leiterin der Stabsstelle Strategische Personalentwicklung, Universitätsklinikum Freiburg
Der Kanal soll für gute Stimmung in der Belegschaft und Interesse bei Jobsuchern sorgen – und im Idealfall auch für Verständnis bei Patienten, die sich im hektischen Krankenhausbetrieb zurechtfinden müssen. „Am Universitätsklinikum Freiburg steht die Weiterentwicklung der qualitätszentrierten universitären Spitzenmedizin im Fokus. Um dieses Ziel zu unterstützen, gibt es zahlreiche interdisziplinäre und interprofessionelle Projekte, die die strategischen Schwerpunkte Mitarbeitendenorientierung, Digitalisierung sowie Nachhaltigkeit fördern“, sagt Jasmin Lay, die Leiterin der Stabsstelle Strategische Personalentwicklung. Zufriedene Mitarbeiter seien erforderlich, „um den vielschichtigen Wandel und das Zusammenwachsen zu unterstützen“. Lays fünfköpfige Stabsstelle ist direkt beim Vorstand des Klinikums angesiedelt und steuert Projekte zu Führung, betrieblichem Gesundheitsmanagement, Familienfreundlichkeit und Rekrutierung.
Über reines Recruiting hinausdenken
Personalthemen haben für die Unternehmen strategische Bedeutung, wie die Standortumfrage der IHKs in der Region im vergangenen Jahr zeigt (siehe WiS-Ausgabe 7/8-2023): Die Verfügbarkeit von Arbeitskräften ist mit einer Relevanz von 83 Prozent einer der wichtigsten Standortfaktoren. Die Unternehmen sehen hier allerdings große Defizite. Für die Verfügbarkeit von zum Beispiel technischen Fachkräften geben sie nur die Note 3,81, für potenzielle Azubis fällt die Einschätzung kaum besser aus. Über die Jahre ist die Arbeitskräfteversorgung in der Region immer diffiziler geworden. „Als eines der national führenden Industrie- und Exportländer hat Baden-Württemberg eine große Anziehungskraft für Bewerber – das bedeutet für kleine und mittelständische Unternehmen aber oft eine Konkurrenzsituation mit den ansässigen Big Playern“, sagt Ivana Baumann, Personalchefin des Beratungs- und Softwareanbieters „HRworks“ in Freiburg.
Ivana Baumann
»Das Thema Fachkräftemangel ist und bleibt die Herausforderung Nr. 1«
Head of HR & Recruiting, HRworks, Freiburg
Doch die Herausforderungen für Unternehmen – und ihre Personalabteilungen – gehen darüber hinaus. Es geht nicht allein darum, Fachkräfte zu gewinnen. Vielmehr müssen Unternehmen – große wie kleine – grundlegende gesellschaftliche Entwicklungen in die Arbeitswelt übersetzen. Beispiele sind veränderte Lebensmodelle, die Beruf und Privates neu austarieren, die zunehmende kulturelle Diversität und die höhere Wechselbereitschaft der Beschäftigten. Hinzu kommen technologische Trends, etwa Digitalisierung, Big Data, künstliche Intelligenz oder Elektromobilität und die Energiewende, die ganze Industrien umkrempeln. Nicht zuletzt sorgen tarifpolitische Themen für Druck – demnächst zu beobachten bei einem Modellversuch zur Einführung der Vier-Tage-Woche in bundesweit rund 50 Unternehmen.
Oft herrscht noch ein falsches Bild
Wer stemmt die Transformation? Bei dieser Frage weisen viele Firmeninhaber auf ihre Personalabteilung – ohne sich bewusst zu sein, dass eine solche Rollenverteilung mehr Ressourcen für HR erfordert.
Gerade mal 39 Prozent der Personalleiter, die das Personalsoftware-Unternehmen Sage im vergangenen Jahr für eine Studie befragte, glauben, dass die Mitarbeiter tatsächlich wissen, was HR leistet.
Verwalter anstatt als Gestalter wahrgenommen“, bestätigt Ivana Baumann von HRworks. „Dabei kann eine starke und engagierte HR-Abteilung als treibende Kraft für positive Veränderungen fungieren und sicherstellen, dass Personalaspekte von Anfang an in die strategische Ausrichtung des Unternehmens einbezogen werden. Es ist an der Zeit, dass HR-Verantwortliche als strategische Partner anerkannt werden, die dazu beitragen, eine positive Arbeitskultur zu schaffen und das volle Potenzial der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auszuschöpfen“, fordert Ivana Baumann. „Denn zufriedene Mitarbeiter sind die Grundlage für langfristig erfolgreiche Unternehmen.“
Adrian Chadi
»Mentale Probleme im Zuge der Verschmelzung von Arbeits- und Privatleben nehmen zu – deshalb ist ein betriebliches Gesundheitsmanagement wichtig«
Juniorprofessor für Personalökonomie und -wirtschaft an der Universität Konstanz
Dass sich der Aufgabenbereich von Personalern in den vergangenen fünf Jahren bereits massiv verändert hat, darüber ist man sich einig. In der Sage-Studie „HR im Wandel – Ausblick auf 2024“ aus dem Jahr 2023 teilten 91 Prozent der befragten Personalleiter und 96 Prozent der Geschäftsführer – also nahezu alle – diese Einschätzung. Auf Schnelligkeit, Agilität und Anpassungsfähigkeit sei HR heute ausgerichtet, urteilte das Gros der Geschäftsführer und Personalleiter. Und immerhin 41 Prozent der Unternehmenschefs und auch jeder dritte Personaler erwarten in den nächsten fünf Jahren weiteren Wandel in der Rolle von HR für die Betriebe.
Generation Z gibt den Takt vor
Wie modernes Personalmanagement – in der Theorie – funktioniert, hat sich herumgesprochen. Trotzdem ist es gerade in kleinen und mittelständischen Unternehmen oft noch eine Baustelle. Der Umgang mit Social-Media-Kanälen ist holprig, Bewerbungsprozesse sind noch auf Masse angelegt oder Onboarding und New Work stecken in den Kinderschuhen. Das irritiert insbesondere jüngere Bewerber enorm. „Viele Unternehmen sind sich noch nicht über die zum Teil recht neuartigen Bedürfnisse der Generation Z im Klaren. Das betrifft besonders die Forderungen nach flexiblen Arbeitszeiten und freier Wahl des Arbeitsorts“, sagt Adrian Chadi, Juniorprofessor für Personalökonomik und Personalwirtschaft an der Universität Konstanz. Modalitäten, die in einem Unternehmen erstmal abgebildet und festgehalten werden wollen.
Gutes Personalmanagement bedeute in diesem Zusammenhang zudem, nicht nur Neues zu ermöglichen, sondern auch, die Mitarbeiter vor den Auswüchsen einer flexiblen Arbeitskultur zu schützen: „Gerne tauscht man im neuen Job direkt am ersten Tag seine private Handynummer mit allen aus, möchte dann aber eines Tages vielleicht doch mal abschalten können, was dann nicht mehr so einfach möglich ist, wie früher in einer Welt ohne Smartphone und permanente Erreichbarkeit.“
Monika Studinger
»Mehr und mehr Unternehmen öffnen sich, was den kulturellen Wandel hin zu New Work angeht«
Inhaberin New Work uffm Land, Studinger & Ilg Consulting GbR, Albbruck
Ivana Baumann von HRworks beobachtet ebenfalls einen „Generationswechsel auf dem Arbeitsmarkt“. Unternehmen seien gezwungen, die Rahmen- und Arbeitsbedingungen anzupassen: „Eine mitarbeiterzentrierte Kultur ist die Grundvoraussetzung, wenn man heute Mitarbeitende gewinnen und erfolgreich halten möchte. Flexible Arbeitszeitmodelle und Remote-Work-Regelungen sind mittlerweile Standard, hier haben sich hybride Arbeitsmodelle und Möglichkeiten wie Workation bewährt.“ Und eine HR-Abteilung – egal welcher Größe – ist dann gefordert, dies auch DSGVO- und arbeitsrechtskonform umzusetzen.
Professionelle Personalarbeit auch in kleinen Betrieben verankern
Das Universitätsklinikum Freiburg nutzt – nicht nur für die Nachwuchsgewinnung – innovative Recruiting-formate wie WhatsApp-Bewerbung, 60-Sekunden-Bewerbung oder Job-Speed-Dating. Der erste Kontakt findet oft virtuell statt. „Mit der Vielfalt an Angeboten wollen wir eine sehr einfache Bewerbung ermöglichen. Der Erfolg zeigt sich in der guten Bewerberlage in den meisten Bereichen“, sagt Personalentwicklerin Lay. Es geht aber nicht nur darum, möglichst viele Zuschriften einzusammeln. Professionelles Personalmanagement muss sich entlang der kompletten „Employee Journey“ beweisen, also von der Rekrutierung und Einarbeitung über die Karriereplanung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Das ist eine strategische und auch eine operative Herausforderung.
„Unsere Unternehmenskultur unterliegt einer stetigen Weiterentwicklung, aktuell etwa durch die Einführung eines Führungsleitbilds, durch die Förderung der Feedbackkultur, durch Mitarbeitendenbefragungen sowie durch gezielte Mitarbeiterentwicklung, etwa in Trainee-, Nachwuchsidentifikations- und Führungskräfteprogrammen“, sagt Lay. Das setzt Ressourcen voraus, und über die verfügen kleine und mittelständische Unternehmen oft (noch) nicht.
Doch auch in dieser Gewichtsklasse gibt es Bewegung. „Der Personalbereich in mittelständischen Unternehmen verändert sich: Hier braucht es fortan mehr Teilhabe und Kommunikation, um mehr Bedürfnisse wahrzunehmen und gute Arbeitsbedingungen zu schaffen“, beobachtet Monika Studinger, Mitinhaberin der Beratung „New Work uffm Land“ in Albbruck. „Diese Mitarbeitenden sind das Ohr in die Organisation und der Mittler zur Geschäftsleitung. Somit haben sie großen Einfluss auf die Unternehmenskultur. Und diese ist wichtiger denn je.“ Studinger sieht neben dem Fachkräftemangel die digitale Transformation als größte Herausforderung: „Hierfür braucht es strategische Personalmaßnahmen, einen Kulturwandel sowie mehr digitale und flexible Angebote.“
Jennifer Hetzel
»Die Einbindung in den erweiterten Führungskreis ermöglicht es dem Personalbereich, aktiv an strategischen Entwicklungen
teilzunehmen«
Teamleiterin Personal bei der Streit-Gruppe, Gengenbach
HR als Integrationsaufgabe
Die Kunst ist, die großen HR-Trends auf die Situation vor Ort herunterzubrechen – und die hält oft ganz eigene Herausforderungen bereit, etwa durch erfolgreiches Unternehmenswachstum, wie die „STREIT Service & Solution GmbH & Co. KG“ in Gengenbach berichtet. Das Familienunternehmen, das Dienstleistungen für Büroeinrichtung, -technik und -bedarf erbringt, hat in den vergangenen Jahren durch Zukäufe deutlich an Personal hinzugewonnen. „Neben den branchenübergreifenden Herausforderungen wie der Digitalisierung liegt unser Fokus auf der Harmonisierung der Unternehmenskultur innerhalb der Streit-Gruppe“, erläutert die Teamleiterin Personal Jennifer Hetzel. „Insbesondere nach der Integration der Betz Bürowelt aus Tübingen und Hief+Heinzmann in Karlsruhe ist es unsere Aufgabe, die unterschiedlichen Kulturen erfolgreich zu vereinen.“
Im Jahr 2023 hat das Unternehmen sein Social-Media-Recruiting verstärkt, vor allem auf Instagram und Facebook. Die Marketingkollegen leisteten Schützenhilfe. „Diese Maßnahme hat sich als erfolgreich erwiesen, indem wir nicht nur neue Teammitglieder gewinnen, sondern auch die Aufmerksamkeit für das Unternehmen steigern konnten. Ebenso haben sich sogenannte ‚SOUL-Teams‘ bewährt, die abteilungsübergreifend engagiert sind und aktiv an der Weiterentwicklung unserer ‚STREITkultur‘ sowie der Arbeitszufriedenheit mitarbeiten“, sagt Hetzel.
Damaris Götz
»Unsere Mitarbeiterinnen im Bereich Recruiting haben sich zu reinsten Vertriebsexperten entwickelt«
Leitung Personal bei der Christian Funk Holding, Offenburg
Wie man Personalmanagement im Mittelstand zukunftsgerichtet aufstellt, dafür ist auch die Christian Funk Holding in Offenburg ein gutes Beispiel. Die Unternehmensgruppe ist in diversen Geschäftsfeldern unterwegs, von Energie über Bauen, Wohnen und Reisen bis zu Medien, Marketing und Hospitality. Innerhalb der Holding betreuen sieben HR-Fachkräfte rund 500 Mitarbeiter an mehreren Standorten. Der Bereich hat unter anderem eine intelligente HR-Software eingeführt und beschreitet neue Wege der Personalgewinnung. „Mit Social Recruiting sprechen wir vor allem passiv Suchende individuell und attraktiv an, also Personen, die nicht direkt auf Jobsuche sind“, berichtet Personalleiterin Damaris Götz. „Dies ermöglicht es uns, auf einen bis zu 80 Prozent größeren Pool an potenziellen Bewerbern zuzugreifen und diese für unsere Unternehmen zu begeistern.“ Der Service steht inzwischen über die Kesselhaus GmbH als „Jobkessel“ auch externen Kunden zur Verfügung.
Personalarbeit in der Spitze
Es reicht nicht, HR-Themen als entscheidend zu bezeichnen – sie müssen institutionalisiert werden. „Aufgrund der aktuellen Schwierigkeiten wie Generationswechsel oder Fachkräftemangel lohnt es sich, dem Thema Personal mehr Bedeutung beizumessen, als dies vielfach der Fall ist“, sagt Olaf Rank, Direktor des Instituts für Wirtschaftswissenschaften der Universität Freiburg. „Hierfür bietet sich die Position eines Arbeitsdirektors – der natürlich auch anders heißen kann – als Mitglied der Unternehmensleitung an, weil so sichergestellt wird, dass das Thema Personal in allen strategischen Entscheidungen des Unternehmens berücksichtigt wird.“
Olaf Rank
»Jüngere Branchen wie ITK tun sich leichter mit neuen Wegen im Bereich Personal«
Direktor des Instituts für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Freiburg
Genauso wichtig, wie schlichte Manpower zu schaffen, ist es, Kompetenzen innerhalb der Personalabteilung auf- oder auszubauen. Laut einer Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz benötigen Personaler vor allem ein ganzheitliches Verständnis von Geschäftsprozessen, außerdem Wissen über Digitalisierung. Der souveräne Umgang mit HR-Software und Data Analytics gehört ebenfalls dazu. Der Fachbegriff lautet „Data Savvyness“, wobei „savvy“ für klug oder clever steht. Eine von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Lörrach und der Frankfurter Unternehmensberatung „hkp///group“ durchgeführte Studie kommt zu ähnlichen Ergebnissen.
Bedeutet: Talentmanagement ist eine Aufgabe, die HR nicht nur für andere Funktionen im Unternehmen zu erbringen hat. Talentmanagement muss auch in der Personalabteilung selbst gefördert werden, durch interne Weiterbildung oder durch das Anwerben von Experten auf dem externen Jobmarkt. Immer vorausgesetzt, die Firmenleitung bewilligt die entsprechenden Mittel – damit HR wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden kann.
Text: Christoph Stehr
Bild ganz oben: Adobe Stock/deagreez, Bearbeitung: Freiburger Druck
Weiterbildung für Personaler
Bildungsangebote der IHK Hochrhein-Bodensee: www.ihk.de/konstanz – Veranstaltungen und Weiterbildungen. Leitung: Ulrike Fröhlich, Telefon: 07622 3907-231, Mail: ulrike.froehlich@konstanz.ihk.de
IHK Akademie Schwarzwald-Baar-Heuberg: www.ihkakademie-sbh.de/weiterbildung/gesamtangebot Themenbereich Personalmanagement. Leitung: Annett Auer-Thoß, Telefon: 07721 922-153 Mail: auer-thoss@vs.ihk.de
IHK-Akademie Südlicher Oberrhein: www.ihkakademie.com/programm/personal-fuehrung. Leitung: Andreas Klöble, Telefon: 0761 2026-501 Mail: andreas.kloeble@freiburg.ihk.de