Im Vorfeld der IHK-Vollversammlung Schwarzwald-Baar-Heuberg im März ging es um ein heißes Eisen: Wo stehen Landes- und Bundesregierung gerade in Sachen Bürokratieabbau? Wo geht’s hin? Und vor allem wie schnell?
Gibt es nun ein Zuviel an Bürokratie – oder reduziert die Ampelregierung Regelungen, Gesetze, Normen und Vorschriften nicht vielleicht doch? Während der Bundestag einen Antrag zum Bürokratieabbau Ende November 2023 abgelehnt und die Grünen darauf verwiesen haben, bereits 80 Regelungen abgeschafft zu haben, hat der nationale Normenkontrollrat in seinem Jahresbericht 2023 festgestellt: Zeitaufwand und Kosten durch neue Gesetze sind so hoch wie noch niemals zuvor. Ja, was denn nun…??
„Wir befinden uns hier im Epizentrum der Zerspanungstechnik mit 800 Mitgliedsunternehmen – und trotzdem finden wir bei der Politik kein Gehör. Warum befragt man seitens der Politik nicht den klassischen Mittelstand und das Handwerk zu Themen wie der Beschäftigung von Flüchtlingen.“
Ingo Hell, Vorstandsvorsitzender des Clusters Zerspanungstechnik in Tuttlingen
Die Frage lässt sich am besten beantworten, wenn man Betroffene hört. Informationen aus erster Hand hat es bei zwei Impulsvorträgen mit anschließender Diskussion im Rahmen der IHK-Vollversammlung Schwarzwald-Baar-Heuberg im Tuttlinger Aesculapium gegeben.
Produktkiller MDR
Andreas Hahn, im Vorstand der Aesculap AG unter anderem verantwortlich für die Bereiche Finanzen, Controlling, IT und Qualitätsmanagement, war Gastgeber an diesem Tag und hat seine Zuhörer abgeholt, indem er sie mitgenommen hat – und zwar in die Bürokratiehölle der Medizinprodukteverordnung der Europäischen Union: „Sie hat die Dokumentationspflicht so dramatisch erhöht, dass wir mittlerweile 50 Prozent unserer Mitarbeitenden damit beschäftigen“. Effekt? Die Produktion von manchen Instrumenten, die seit beinahe 100 Jahren im OP zur Grundausstattung gehören, wird eingestellt.
„Wir haben ein Monster in der Pipeline und das heißt Nachhaltigkeitsberichterstattung. Wir müssen als Bank hierfür 1.100 Datenpunkte befüllen – darunter Fragen, wie viele Schulungstage Männer, Frauen und Diverse bei uns im Jahr absolvieren. Ab 2025 müssen wir den CO2-Fußabdruck unseres Kreditportfolios übermitteln. Bei 150.000 Kunden wird das vermutlich ein echter Spaß für unsere Kreditnehmer.“
Arendt Gruben, Vorstandsvorsitzender Sparkasse Schwarzwald-Baar
Dies hat auch Thomas Butsch bestätigt, Vizepräsident der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg und Geschäftsführer der „HEBUmedical GmbH“. Er hat aus der aktuellen Bilanz der Hersteller von Medizinprodukten zu den Auswirkungen der jüngsten Bürokratisierungswelle zitiert: „Bei 53 Prozent aller Produktsortimente erfolgt eine mindestens teilweise Einstellung des Vertriebs in der EU. Bei 91 Prozent der eingestellten Produkte führten Zertifizierungskosten zur Unrentabilität. 90 Prozent der befragten Unternehmen berichten von Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit mit benannten Stellen“.
Andreas Hahn sieht die Lösung des Dilemmas pragmatisch: „Wir müssen zurückkommen ins Vertrauen. Der Staat muss an unsere Rechtschaffenheit und Expertise glauben – und wir an den Staat“. Wer in Krisenzeiten nur weitere Untergangsszenarien an die Wand male, komme nicht weiter. Tatkraft, Mut, Impulse und innovatives Unternehmertum könnten ihre Wirkung nur entfalten, wenn man daran glaube – und eben vertraue.
Birgit Hakenjos, Präsidentin der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg, hat eine allgemeine Beschreibung geliefert, die erst mit Bekanntgabe ihres Entstehungszeitpunktes schockiert hat: „Regulierungen und langwierige Verfahren liegen wie Mehltau auf der Wirtschaft und das Problem ist sicherlich nicht neu“. Birgit Hakenjos hat damit einen O-Ton des ehemaligen Wirtschaftsministers Wolfgang Clement zitiert. Aus dem Jahr 2004.
„Viele Mittelständler und Handwerker sagen, dass sie es ihren Kindern nicht antun wollen, ihnen ihr Geschäft zu übergeben. Sie gehen nicht insolvent. Sie hören dann einfach auf.“
Klaus Schmid, Berater und Vorsitzender Arbeitskreis Informationstechnologie IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg
Insider berichten
Die Keynote-Speaker Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der DIHK, und Dieter Salomon, Hauptgeschäftsführer der IHK Südlicher Oberrhein und seit September 2023 Vorsitzender des baden-württembergischen Normenkontrollrats, haben von ihren Erfahrungen auf Bundes- und Länderebene berichtet. Die waren zumindest in der DIHK-Welt alles andere als berauschend: „Der im November 2023 verabschiedete Beschleunigungspakt ist in der öffentlichen Wahrnehmung zugunsten der Diskussion um die Flüchtlingszahlen untergegangen. Und auch die Umsetzung ist sehr viel komplizierter als wir uns dies wünschen“. Hebel wie eine Vereinfachung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes – hier sind bis zu fünf Ministerien eingebunden – wirkten nur langsam. Eine digitale Mittelstandsrunde sorge für Austausch auch mit anderen Verbänden, wobei es für Achim Dercks ganz klar ist: „Es geht nicht um große Politik, sondern um die Details“.
„Ich wäre ausnahmsweise für ein neues Gesetz. Nämlich das für gesunden Menschenverstand.“
Thomas Weisser, Geschäftsführer Weisser GmbH
Dieter Salomon hat die Anstrengungen des DIHK dann auch ausdrücklich gelobt und gleichzeitig auf die hohe Frustration in Wirtschaft und Bevölkerung ob der überbordenden Bürokratie verwiesen: „Das hat für mich den Ausschlag gegeben, den Vorsitz im Normenkontrollrat überhaupt anzunehmen – wovon mir Menschen, die es gut mit mir meinen, eigentlich abgeraten hatten.“ Ministerpräsident Winfried Kretschmann habe erkannt, dass er sich um dieses Thema kümmern müsse und habe in ihm wohl einen Umsetzer gesehen, wobei Salomon nach eigenen Angaben gegenüber Kretschmann gekontert hat: „Wie wäre es mir Regieren?“ Und einen Rat gab er dem Ministerpräsidenten nach eigener Aussage noch dazu: Sich nämlich am besten vom Mikromanagement der Grünen zu verabschieden.
Politik muss sich bewegen
Im anschließenden moderierten Austausch hat sich Salomon weiterhin als scharfer Kritiker gegenüber Landes- und Bundesregierung gezeigt und dabei an Andreas Hahn angeschlossen: „Es ist tatsächlich das Misstrauen zwischen Bürgern und Politik, das sich jahrelang hochgeschaukelt hat und nun eskaliert“. Salomons Kritik an der Politik hat Dercks mit nicht minder scharfen Worten untermauert: „Das negative Unternehmerbild ist nichts Neues und hängt mit der Kapitalismuskritik direkt zusammen. Es rührt aber auch daher, dass die wenigsten Politiker in einem Unternehmen gearbeitet haben wie etwa ein Franz Müntefering, der immerhin mal als Industriekaufmann tätig war“. Der stellvertretende DIHK-Geschäftsführer hat sich ganz klar eine Ermöglichungsverwaltung statt einer Risikominimierungsverwaltung gewünscht. Die sei allerdings wohl nur über das pathologische Lernen zu erwarten – vom Routine- in den Problem- und von dort in den Konfliktmodus.
Text: Doris Geiger
Bild: Adobe Stock/ Ulia Koltyrina
Jetzt Mitmachen bei der Bürokratie-Diät
Die Entlastungsallianz für Baden-Württemberg, zu der auch der BWIHK gehört, ruft Unternehmen und Verwaltung zur Meldung belastender Berichts- und Dokumentationspflichten auf. Ziel ist es, kritisch zu hinterfragen, ob die jeweiligen Vorgaben verzichtbar sind oder ob es zumindest Möglichkeiten zur Vereinfachung gibt. Unternehmen aus ganz Baden-Württemberg melden ihre Beispiele aus der eigenen Praxis, wo Bürokratie abgebaut werden muss. Der IHK-Bürokratiecheck ist zu finden unter www.ihk.de/stuttgart – 6089534
Von der vereinfachten Anmeldung von Photovoltaik-Anlagen bis hin zur Digitalisierung der Ausbildungsverwaltung:
Was aus den konkreten Vorschlägen geworden ist, die die DIHK 2023 bei einer Online-Abfrage zum Thema Bürokratieabbau beim Bundesjustizministerium eingereicht hatte, erfahren Sie hier.