Seit dem 1. September läuft das neue Ausbildungsjahr. Eine erste Zwischenbilanz der IHKs mit Blick auf die abgeschlossenen Verträge fällt ganz passabel aus. Trotzdem haben viele Unternehmen Stellen offen. Was sie jetzt noch tun können, um die Reihen zu schließen.
IHK-Lehrstellenbörse, Praktikumswochen, Boys‘- und Girls‘-Day, Last-Minute-Börse, Tag der beruflichen Orientierung, Ausbildungsbotschafter – Simon Gschwander hat in diesem Jahr ordentlich was ausprobiert. Die ganze breite Palette an Marketingmaßnahmen, die einem auf die Schnelle Kontakte mit der Zielgruppe bescheren können. „Und es war nicht nur ein tolles Erlebnis, sondern auch erfolgreich“, berichtet Gschwander, der seit 2022 im Familienunternehmen, der August Gschwander Transport GmbH in Teningen-Nimburg, tätig ist. Drei Lehrstellen zum Speditionskaufmann und eine zum Berufskraftfahrer sind ab Herbst vergeben, nur bei zwei weiteren freien Plätzen für Nachwuchsbrummifahrer hat es trotz spannender Gespräche letztlich doch nicht geklappt.
Hilfen fürs Recruiting
20. Oktober: KAZ – Kontakte, Ausbildung, Zukunft. Ausbildungsmesse für die Region Sulz. www.kaz-sulz.de
IHK-Lehrstellenbörse: Stellenbörse der IHKs, die bundesweit Angebote für Praktika, Ausbildung und duales Studium zusammenführt, auch als App. Unternehmen tragen offene Stellen kostenlos ein. in Infopool, der bei Jugendlichen bekannt ist und aus dem sich Ausbildungsberater bei Gesprächen mit Schülern und Eltern bedienen. www.ihk-lehrstellenboerse.de
FutureFinder: Neue deutsch-französische Praktika- und Ausbildungsplatzbörse. Unternehmen stellen ihre Angebote kostenlos ein. www.futurefinder.de
Praktikumswochen: Die landesweite Plattform bringt Jugendliche und Betriebe zu Tagespraktika zusammen. In 2023 können Unternehmen noch Termine in den Herbstferien und den beiden Wochen davor anbieten. Einfach auf der Webseite eintragen. www.praktikumswoche-bw.de
„Jetzt #könnenlernen“-Azubikampagne: Unternehmen, die kein eigenes Material fürs Azubimarketing haben, können das (individualisierbare) Werbematerial aus der IHK-Kampagne verwenden – von Print über Socialmedia bis Videoclips. Infos dazu bei der jeweiligen IHK.
Ausbildungsbotschafter: Initiative, bei der Unternehmen ihre Lehrlinge in Schulen schicken und von ihrer Ausbildung berichten lassen. Azubimarketing auf Augenhöhe. Die Träger der Initiative, unter anderem die IHKs, schulen vorab die Ausbildungsbotschafter. Infos bei allen IHKs oder unter www.gut-ausgebildet.de
IHK Ausbildungs-Guide: Übersicht von über 100 Unternehmen mit ihren Ausbildungs- und Studienangeboten in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg, gedruckt und digital. Zum Weiterreichen an interessierte Schüler. www.ausbildungsguide-sbh.de
IHK-Experten unterstützen Unternehmen bei der professionellen Gestaltung des Azubirecruitings. Ansprechpartner siehe unten.
Ausbildungsbegleiter der IHK: Quasi die Feuerwehr, wenn bei laufenden Ausbildungsverhältnissen etwas schief zu gehen droht. Die IHK-Ausbildungsbegleiter vermitteln zwischen Azubi und Betrieb und versuchen so, die Lehre zu retten. Infos dazu bei der jeweiligen IHK.
Die Ansprechpartner bei den IHKs
IHK Hochrhein-Bodensee: Alexandra Thoß
Telefon: 07531 2860-131 Mail: alexandra.thoss@konstanz.ihk.de
IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg: Miriam Kammerer
Telefon: 07721 922-512 Mail: kammerer@vs.ihk.de
IHK Südlicher Oberrhein: Simon Kaiser
Telefon: 0761 3858-150 Mail: simon.kaiser@freiburg.ihk.de
Noch nicht, ist Simon Gschwander sicher, denn er will auf diesem – für die Spedition noch eher neuen Weg – weitergehen.
Agieren statt reagieren – Dieses Credo hat sich das Unternehmen für die Zukunft auf die Fahnen geschrieben. „Wir sind seit langem Ausbildungsbetrieb und möchten das auch gerne bleiben“, schildert Gschwander die Ausgangslage. „Aber wir stellen einfach fest, dass im kaufmännischen und mehr noch im gewerblichen Bereich die Bewerbungseingänge dramatisch nachlassen.“ Das liege zum einen an der Demografie, zum anderen aber auch am verkannten Image mancher Berufsbilder wie etwa dem Berufskraftfahrer. „Für manche Jobs ist es schlicht schwer, die New-Work-Konditionen zu ermöglichen, die andere Berufe einfacher bieten können.“ Um mit den hauseigenen Vorteilen wie Betriebsklima, Stabilität, Karrierechancen und Familienunternehmen punkten zu können, reicht es nicht mehr, Anzeigen zu schalten und auf Bewerbungseingänge zu warten. Man müsse näher an die jungen Leute ran und erlebbar werden, so die Erkenntnis.
Rausgehen, Leute treffen
Gesagt, getan. Gschwander führt intensive Gespräche mit der eigenen Personalabteilung, den Ausbildungsexperten der IHK und der Agentur für Arbeit und setzt schließlich die ganze Maschinerie in Gang. „Ich war mir sicher, dass es da draußen junge Leute gibt, die zu uns wollen und die zu uns passen.“ Und er findet spannende Kandidaten zum Beispiel bei den Praktikumswochen und der Last-Minute-Börse. „Die ist ideal, weil man dort die trifft, die noch nicht das gefunden haben, was ihnen zusagt. Oder die, die von anderen Arbeitgebern übersehen wurden,“ stellt Gschwander fest.
Den Schwenk von reaktiv auf aktiv will das Teninger Unternehmen bei der Bewerberakquise auch künftig beibehalten, aber eine eher individuelle und direkte Ansprache soll es bleiben. „Wir können und wollen kein breit ausgerolltes Arbeitgebermarketing wie die Industrie lostreten.“ Das ist dem 260-Mitarbeiter-Unternehmen zu unpersönlich.
Sehr wohl aber macht man sich bereits in einschlägigen Fahrergruppen auf Facebook bekannt und will auch andere Socialmediakanäle austesten. Und dafür ganz bewusst Inhousekompetenzen aufbauen: „Personalmarketing und Recruiting werden in den nächsten Jahren eine der wichtigsten Kernkompetenzen sein“, ist Simon Gschwander sicher. „Sowas sollte man nicht Dienstleistern überlassen.“
Passable Zwischenstände
Für die Praktikumswochen im Herbst hat die Spedition bereits wieder Plätze am Start. Eine Kandidatin hat schon Interesse an einem Tagespraktikum als Berufskraftfahrerin signalisiert. „Wir haben das Ausbildungsjahr für uns noch nicht abgeschlossen,“ erklärt Simon Gschwander bestimmt. Damit spricht er auch den Ausbildungsexperten der drei IHKs in der Region aus der Seele, die zu Ende August ein erstes Zwischenfazit des Ausbildungsjahres ziehen und Ausbildungsbetriebe ermuntern, auch jetzt noch dranzubleiben.
Ein „Es sieht sehr gut aus“ gibt Simon Kaiser, Geschäftsführer Aus- und Weiterbildung bei der IHK Südlicher Oberrhein, für seinen Bezirk durch. Zum Stichtag 31. August sind bei ihm 10,5 Prozent mehr Verträge eingegangen als im Vorjahr. „Wenn wir das bis ins Finale retten können, dann wäre die Coronadelle kompensiert.“ Die deutlichste Erholung zeigt sich bei den Hoga-Berufen, aktuell wurden dort 168 Verträge mehr als im Vorjahr geschlossen, ein Plus von knapp 48 Prozent. Erfreulich findet Kaiser auch die Erholung bei den für die Region so wichtigen Metallberufen (+ 15 Prozent) und bei den Industriekaufleuten (+ 12,5 Prozent), auch wenn es trotzdem noch Einträge braucht, um den Vorjahresstand zu erreichen.
Ein über die Monate durchgängig leichtes Plus meldet Miriam Kammerer, stellvertretende Geschäftsbereichsleiterin Bildung und Prüfung, für die IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg: „Wir erzielen mit bis dato 1.720 eingetragenen Verträgen ein minimales Plus von 0,6 Prozent“ und sind gespannt auf die Entwicklung in den kommenden Monaten. Kammerer beobachtet, dass Bewerbungsprocedere und Zusage mittlerweile immer schneller gehen: „Viele Betriebe haben die Verträge zum Vorstellungsgespräch schon unterschriftsreif vorbereitet.“
Auch Kollegin Alexandra Thoß, Leiterin Ausbildung bei der IHK Hochrhein-Bodensee, ist mit den Vertragsabschlüssen „bis jetzt recht zufrieden“, lag man doch in allen Monaten bislang leicht über dem jeweiligen Vorjahreswert. Sehr schön sei, dass die Metall- und Elektroberufe wieder deutlich im Plus lägen und sich offenbar berappelt hätten. „Alles in allem scheinen wir das Coronaloch, in dem sich viele Schüler nicht entscheiden konnten oder wollten, hinter uns zu lassen.“
Was sich noch tun lässt
Insgesamt wurden den drei IHKs im Regierungsbezirk zum 31. August 2023 rund 7.400 neue Ausbildungsverträge von den Unternehmen zur Eintragung übermittelt. Keine schlechte Zwischenbilanz. Um die Finalzahlen vom Vorjahr zu erreichen, muss allerdings noch ein bisschen was kommen: Zu Ende Oktober 2022 waren es knapp 8.300. Trotzdem sind die Ausbildungsexperten der drei IHKs zuversichtlich. Der Trend, dass Verträge immer später abgeschlossen werden, ist schon in den Vorcoronajahren beobachtet worden. Deshalb erwarten die IHKs noch bis weit in den Herbst hinein Abschlüsse und messen der aktuellen Zwischenbilanz daher nur eine begrenzte Aussagekraft bei.
Tatsächlich besteht nach dem Berufsbildungsgesetz das ganze Jahr über die Möglichkeit, eine Ausbildung zu beginnen, betont Miriam Kammerer. Azubis, die in den nächsten ein, zwei Monaten starten, könnten meist problemlos noch in die Berufsschule einsteigen. „Es ist auf jeden Fall ratsam, Kontakt mit den Bildungsberatern aufzunehmen, wenn Azubis erst im Spätherbst in die Ausbildung starten.“ Aus diesem Grund brauchen Unternehmen das aktuelle Ausbildungsjahr auch noch nicht abzuschreiben. Die große Hürde, die sie allerdings nehmen müssen: ausbildungswillige Jugendliche auftreiben. Was lässt sich da jetzt noch tun?
Einige Anregungen:
- Medial aus allen Rohren feuern. Das kann das Banner am Firmentor genauso sein wie die Anzeige im Gemeindeblatt, die sozialen Medien ebenso wie der Spot im lokalen Kino. Kreative Ideen sind gefragt. Mobilisieren Sie Ihre Belegschaft. Viel hilft viel.
- Die Kanäle der Jugendlichen bespielen: Youtube, Instagram, Tiktok und Co. Es muss vielleicht gar nicht der Chef persönlich sein, womöglich hat der hauseigene Nachwuchs Lust, Testimonial zu sein und Programm zu machen. Wer keine Kapazitäten für eigene News hat, kann die Inhalte der IHK-Azubi-Kampagne kostenlos nutzen.
- Sich zeigen, informieren, vor Ort sichtbar werden: Diverse Umfragen unter Jugendlichen zeigen, dass sie sich ziemlich uninformiert fühlen und viel mehr berufliche Orientierung wünschen. Da können Firmen Abhilfe schaffen. Alles, was Jugendlichen zeigt, was hinter bestimmten Jobs steckt, hilft – dem Nachwuchs und den Unternehmen.
- Praktika und Co anbieten: Betriebe können auch jetzt noch offensiv Praktika und Ferien- oder Nebenjobs offerieren – um Berufsbilder zu vermitteln und Kontakte zu knüpfen. Ulrike Heitze