Tourismusberater Richard Bauer macht einen Trend zu naturnahen Urlaubsformen aus. Pluspunkt für den Schwarzwald. Gleichzeitig ticken Reisende heute ganz anders als früher. Wie man sich darauf einstellt, erklärt er im Interview.
Herr Bauer, warum muss sich der Schwarzwald akut Gedanken um seinen Tourismus machen?
Richard Bauer: Weil sich die Welt aktuell stark verändert. Wegen des Krieges und all der anderen Unsicherheiten wird die Reisewelt kleiner. Die Sehnsucht nach Urlaub und naturnahen Urlaubsformen ist sehr hoch, gleichzeitig sitzt das Geld insbesondere für Zweit- und Dritturlaube nicht mehr so locker und die Menschen suchen sorgfältiger aus. Das bietet Chancen, aber auch Herausforderungen. In jedem Fall nimmt der Wettbewerb auf diesem beschränkten Raum zu. Deshalb muss man sich jetzt vorbereiten, um im neuen Wettbewerbsumfeld gut aufgestellt zu sein. Und viele Maßnahmen brauchen auch einfach ihre Zeit.
Die Regionalkonferenz brachte Teilnehmer aus dem ganzen Schwarzwald zusammen. Warum braucht der Tourismus eine konzertierte Aktion?
Weil es in der Gedankenwelt eines Besuchers keine Ortsgrenzen gibt. Er nimmt nur den Schwarzwald wahr – und auch das eher als diffuses Gebilde. Für sein Urteil wirft er alles in einen Topf. Das kann sogar so weit gehen, dass er die Region länderübergreifend sieht. Gäste entscheiden sich nicht für einen einzelnen Ort. Sie kommen nicht wegen eines bestimmten Hotels. Deshalb ist es wichtig, die Strahlkraft des Schwarzwaldes als Ganzes auszubauen.
Wer muss sich für die Attraktivität des Schwarzwaldes zuständig fühlen?
Für einen Gast – egal ob Urlauber, Durchreisender oder Anwohner – ist immer der letzte persönliche Eindruck der wichtigste. Den nimmt er mit, der bleibt in Erinnerung. Und das macht es problematisch: Sie können ihren Tourismusbetrieb und ihr Personal zwar optimieren, sind aber darauf angewiesen, dass die Nachbarn mitziehen. Denn der letzte Eindruck lässt sich nicht steuern. Ein unfreundlicher Busfahrer, eine desinteressierte Verkäuferin – das bleibt hängen. Daher müssen alle gut drauf sein, damit die ganze Region positiv wahrgenommen wird. Standortattraktivität geht somit alle an.
Richard Bauer
… ist Inhaber der gleichnamigen Tourismusberatung mit Sitz in Wien. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit Zukunftsfragen der Tourismus- und Freizeitwirtschaft. Er berät führende Hotels, bedeutende Sehenswürdigkeiten und Kulturbetriebe sowie Tourismusorganisationen auf Bundes-, Landes- und Regionsebene in Österreich, Deutschland und Südtirol. Daneben ist Richard Bauer Vortragsredner, Buchautor und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Hotellerie und Fremdenverkehrseinrichtungen.
Freundlichkeit ist also ausschlaggebend?
Ja, gerade für die qualitativ anspruchsvollen, nicht preissensiblen Gäste – und die sind für den Schwarzwald prädestiniert wie keine anderen – ist die Freundlichkeit mit Abstand der wichtigste Faktor. Sie wird erinnert und weitererzählt. Zudem legen diese Gäste sehr viel Wert auf Qualität – und zwar durchgehend, nicht nur in einem Betrieb – und auf Netzwerkleistungen: Alles ist aufeinander abgestimmt, nichts ist kompliziert. Man möchte convenient durch den Urlaub geführt werden. Und die Menschen bringen ihre Messlatte von daheim mit, aus einem meist urbanen und gut ausgestatteten Umfeld. Schlechter möchten sie es im Urlaub nicht erwischen. Deshalb wird der Schwarzwald vielerorts noch eine Schippe drauflegen müssen. Hier wird es besonders darauf ankommen, nicht den einzelnen Anbieter weiterzuentwickeln, sondern ein Netzwerk zu schaffen.
Wo liegen die Chancen des Schwarzwaldes in einer kleineren Reisewelt?
Die Lage des Schwarzwaldes ist ideal: In unsicheren Zeiten fährt man nicht mehr gerne so weit weg. Aus den Metropolen Deutschlands und des nahen Auslandes ist die Region gut zu erreichen, man muss keine Alpen oder andere Pässe überqueren. Die spannende Zielgruppe fängt dabei schon ab der Familiengründung an und geht bis ins hohe Alter.
Mit welchen konkreten Angeboten könnte die Region punkten?
Das größte Potenzial des Schwarzwaldes ist wohl, Vielfalt zu bieten und Anlässe zu schaffen, zu denen man Menschen hierherbringt: Etwa zum Entschleunigen aus einem beschleunigten Alltag. Zum frische Luft tanken während eines heißen Sommers in der Großstadt. Oder zum Winterurlaub ohne Sport. Es gibt Millionen deutscher Gäste, die nicht mehr am Skifahren interessiert sind, die aber sehr wohl Urlaub machen wollen – mit Angeboten von Winterwandern über Lesungen bis Konzerte.
Es wird hier weniger darum gehen, noch mehr Angebot aufzubauen, sondern eher das bestehende besser zu vernetzen und entsprechend zu kommunizieren. Und eine große Chance könnten auch Long-Stay-Aufenthalte sein.
Was sind Long-Stay-Angebote?
Gäste mieten sich gleich für mehrere Wochen in einer Ferienwohnung ein, egal zu welcher Jahreszeit – um mal auszusteigen. Vielleicht kommen erst die Großeltern, dann die Kinder mit den Enkeln. Wenn das WLAN stimmt, lässt sich von dort aus sogar gut arbeiten.
Sie stellen bei Ihren Tourismustrends fest: Der Gast der Zukunft kommt aus der Stadt. Vorteil oder Nachteil?
Beides. Der große Vorteil: Je kontrastreicher das Urlaubsangebot zum städtischen Alltag ist, desto attraktiver ist es. Ruhe, frische Luft, Kühle, grüne Wiesen, Entschleunigung – das kann der Schwarzwald leicht vermitteln. Aber: Die Erwartungen eines Städters an die Infrastruktur vor Ort müssen erfüllt sein – daran geht kein Weg vorbei. Und die Messlatte liegt hoch.
Das Alltagsleben bestimmt die Erwartungen an das Urlaubsleben – es muss besser sein und nicht schlechter. Und während der Coronazeit hatten die Leute viel Zeit ihr Leben zu pimpen. Ihre Wohnungen, ihre Autos, ihre digitale Vernetzung, ihre Mobilität. Daserwarten sie jetzt auch im Urlaub.
Sie sagen, dass Urlaubsentscheidungen heute anders fallen als früher. Inwiefern?
Die Meinungsbildung findet jetzt auf Mikroebene statt. In Zeiten der Informationsüberflutung verlassen die Menschen sich auf das Urteil von Personen, denen sie vertrauen. Gerade bei so etwas Emotionalem wie dem Urlaub. Bewertungsplattformen dienen deshalb nur noch zur ersten Orientierung. Am Ende entscheidet das Urteil die Vertrauensperson. Und damit sind keine Influencer gemeint, sondern jemand, der dem eigenen Mindset nahe ist, der beurteilen kann, ob einem das gefallen kann.
Überzeugend sind deshalb auch einfache, reduzierte, kuratierte Angebote, die wenig Entscheidungen erfordern, und auch solche, bei denen man in die Region eintauchen kann, in denen es menschelt und in denen es um sinnliche Erfahrungen geht. Nach sowas suchen die Menschen zurzeit. Und damit stehen Sie dann auch außerhalb des Preiswettbewerbs.
Wir haben jetzt viel von einer gemeinsamen Marken- und Angebotsbildung und vom Vernetzen gesprochen. Wie stellt man das konkret an?
Es braucht eine Netzwerkplattform, auf der man sich gemeinsam auf ein Ziel einigt und jeder bringt dann seine Teilleistung in seinem Bereich ein. Wichtig für den Prozess ist, dass alle hinter den Zielen stehen und dass alle darauf vertrauen und vertrauen können, dass alle mitziehen und ihren Beitrag leisten.
Kann das funktionieren?
Ja, aber es ist ein langfristiger Prozess. Das geht nicht von heut auf morgen. Man findet Ziele, erreicht Meilensteine und setzt sich regelmäßig zusammen, um zu schauen, wie es vorangeht. Und da macht es überhaupt nichts, wenn noch 80 Prozent offen sind. Das Ganze dauert ohnehin. Hauptsache, man hat einen gemeinsamen Weg, den man beschreitet.
Die Regionalkonferenz Schwarzwald war dafür ein guter Auftakt. Es ist gut, sich erstmal zehn Teilbereiche zu definieren und darin Prioritäten zu setzen, die man zuerst angeht. Da kann man jedes Jahr monitoren, wie weit man jeweils ist und nachsteuern.
Der Trick ist, mit einfachen Dingen anzufangen, damit man schon mal etwas Vorzeigbares hat, das motiviert.
Freundlichkeit, Mobilität, Innenmarketing, Ausbildung – damit lässt sich sofort beginnen. Wenn man sich gleich auf Breitbandausbau und Glasfaser fokussiert, wird es zäh.
Warum ist der Tourismus überhaupt wichtig für die Region?
Lassen Sie uns mal das Gedankenexperiment machen, dass erst weniger und dann gar keine Gäste mehr in den Schwarzwald kämen. Die Spirale geht relativ schnell: Zuerst merken es die Lieferanten. Getränkemärkte, Brauereien, Winzer, Bäcker, Wäschereien. Und natürlich die Institutionen, wo Gäste direkt einkaufen und konsumieren. Es folgen Bau, Handwerk, Architekten – weil keiner mehr investiert, keiner mehr erweitert. Auch den Mobilitätsbereich trifft es hart: von Tankstellen über Fahrrad- und Bootsverleiher bis zur Bahn. Dann deren Zulieferer und Dienstleister. Das Angebot schrumpft mangels Nachfrage. Sukzessive wird die Region insgesamt unattraktiv, die Infrastruktur leidet, vom Radweg bis zum Freizeitangebot. Das finden dann auch Einheimische bald nicht mehr spannend. Sie ziehen weg oder zumindest nicht mehr zu. Das bedeutet weniger Schulen, Kindergärten et cetera. Ein Problem für die noch verbleibenden Unternehmen und deren potenzielle Fachkräfte. – Sie sehen, alle müssen ein Interesse an einem starken Tourismus im Schwarzwald haben.
Das Gespräch führte Ulrike Heitze.