Eine längere Auszeit nehmen – für Reisen, Weiterbildung, Familie. Und nicht ständig an die Firma denken müssen. Für viele Unternehmer ist das ein schöner Traum. Christian Pukelsheim, Chef eines mittelständischen Scherenherstellers in Solingen, hat sich seinen – eine Weltumseglung mit Kind und Kegel – erfüllt und den Familienbetrieb für ein Jahr in die Hände seiner Belegschaft gegeben. Im Interview erklären er und Michael Habighorst aus Schallstadt, der als Unternehmensberater die Mitarbeiter in dieser Zeit coachte, wie es eine spannende Reise für alle Beteiligten wurde – und eine erfolgreiche dazu.
Herr Pukelsheim, sie stellen in vierter Generation Scheren her und beschäftigen in ihrem Unternehmen Robuso 20 Mitarbeiter. Zur Zeit Ihrer Abreise hatten sie zudem gerade zwei weitere Betriebe frisch integriert. Wie kommt man da auf die Idee, für ein Jahr aussteigen zu wollen?
Christian Pukelsheim: Ich hatte 2016 ein Buch gelesen von einer Familie, die ein Jahr Auszeit genommen hat. Das hat etwas ausgelöst. Meine Frau ist Ärztin und auch sehr eingespannt. Die Idee hat uns einfach gepackt. Nur ein Jahr Pause, mehr nicht. Das wäre schon schön. Und dann haben wir beschlossen „Wir schaffen das“ – und uns ein Jahr lang einen Stolperstein nach dem anderen angeschaut und versucht, ihn kleiner zu machen.
Christian Pukelsheim (r.) und Michael Habighorst
haben über ihr gemeinsames „Aussteiger-Transformations-Projekt“ ein sehr lesenswertes Buch verfasst: „Radikal weg: Wenn der Chef ein Jahr Auszeit nimmt und das Unternehmen dennoch funktioniert“, 216 Seiten, Mentoren-Media-Verlag, 24,99 Euro (Print). In zwölf Kapiteln arbeiten die beiden die großen Themen und Herausforderungen während dieser Zeit auf, von Kommunikation über (Eigen-)Verantwortung bis Veränderung. Erst berichtet jeweils Pukelsheim aus der Sicht des Reisenden, dann Habighorst aus dem Innern des Unternehmens und abschließend ziehen beide gemeinsam Bilanz, was sich für die Zukunft lernen lässt.
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Mutig, mutig, werden da viele denken.
Pukelsheim: Das war schon mutig und es hat sich auch immer so angefühlt. – Nicht zuletzt, weil mich viele aus dem beruflichen Umfeld mit hochgezogenen Brauen eher schon für übermütig hielten.
Herr Habighorst, wie fanden Sie die Idee von Herrn Pukelsheim?
Michael Habighorst: Spannend. Ich hatte mir für eine Fahrradtour zum Nordkap auch schon mal eine Auszeit von meinem Beratungsunternehmen genommen. Ich fand die Idee deshalb gar nicht befremdlich.
Wann haben Sie Ihre Mitarbeiter informiert?
Pukelsheim: Etwa anderthalb Jahre vor der Reise – damit genug Zeit blieb, die nötigen Kompetenzen zu entwickeln. Zuvor hatte ich erst eine Weile allein und dann gut ein Jahr zusammen mit Michael Habighorst an der Umsetzung getüftelt.
Sie hätten einen Interimsmanager anheuern können. Haben das aber nicht getan…
Pukelsheim: Wir hatten bereits viel Zeit und Energie in die Kulturarbeit gesteckt und das wollte ich nicht aufs Spiel setzen. So habe ich meine drei Führungskräfte einzeln gefragt, ob sie diese Herausforderung, diese Verantwortung auf sich nehmen möchten. Sie haben sehr intensiv abgewogen, weil da ja natürlich auch die Haftung nach GmbH-Recht eingeschlossen ist. Das ist dann schon ein echtes Commitment. Aber alle drei haben zugesagt. Der nächste Schritt war dann die Prokura für sie und ein gründliches Einarbeiten in alle meine Bereiche.
Haben Sie geglaubt, dass das klappen kann, den Mitarbeitern die Verantwortung fürs Unternehmen zu überlassen?
Habighorst: Ja. Ich erlebe immer wieder, dass Mitarbeiter, wenn sie wirklich Verantwortung übernehmen dürfen, nach einer gewissen Einarbeitung und Rollenfindung dieser Aufgabe durchaus gewachsen sind. Es braucht Vertrauen auf beiden Seiten. Nicht alle Mitarbeiter haben dieses Vertrauen in sich. Aber es sind mehr, als wir Unternehmer uns vorstellen können.
Dieses Vertrauen aufrechtzuerhalten, war Ihre Aufgabe, richtig?
Habighorst: Ich war der kritische Sparringspartner für alle Beteiligten. Damit sie in ihre Rollen reinfinden und sie auch gut ausfüllen. Im Schnitt war ich zwei Tage im Monat vor Ort und sonst per Videokonferenz verfügbar. Ich war dafür da, zu helfen, in schwierigen Situationen zu Lösungen zu finden. Mein Job als Coach war es aber ausdrücklich nicht, Aufgaben zu übernehmen oder Entscheidungen zu treffen.
Welche Regeln haben Sie sich für die Zeit Ihrer Reise selbst auferlegt?
Pukelsheim: Ich rufe nicht an, ich schreibe keine Mails, ich bekomme einmal im Monat einen One-Pager von allen drei Führungskräften mit den wichtigsten Informationen zum Unternehmen. Das wars. Ich hätte mich nur im absoluten Notfall eingeschaltet.
Wie schwer ist es Ihnen gefallen, so gar nichts von der Firma zu sehen und zu hören?
Pukelsheim: Sehr. Das hält man wirklich nur aus, wenn eine größere Idee, eine Vision dahintersteht. Bei uns war es die Weltumseglung mit den Kindern. Dann wird das Aushalten Mittel zum Zweck – was es aber nicht weniger anstrengend macht. Man muss sich immer wieder sagen, nein, ich rufe nicht an, ich maile nicht. Denn wir alle wollten ja lernen, ich das Loslassen und die Mitarbeitenden das Verantwortungübernehmen. Also musste ich mit der Ungewissheit leben.
Ist es für Chefs kleinerer oder größerer Unternehmen leichter auszusteigen?
Habighorst: Ich denke, in größeren Betrieben ist es einfacher, weil es fürs Operative eigene Strukturen und Mitarbeiter gibt. In Kleineren arbeitet der Chef im Tagesgeschäft mit und diese Ressource muss dann auch noch ersetzt werden, nicht nur der Kopf für die strategischen Entscheidungen.
Sie sind nun wieder da. Geht es dem Unternehmen gut?
Pukelsheim: Ja. Absolut. Das Jahr ist finanziell besser gelaufen als die Jahre vorher. Das ist doch eine tolle Botschaft, mit der wir rausgehen können. Ich denke, alle Mitarbeiter haben sich ganz krass ins Zeug gelegt, weil sie ihren Beitrag zu dieser abgefahrenen Geschichte leisten wollten. Die wollten das rocken und mir auch zeigen, wozu sie ohne mich fähig sind.
Und wie lief Ihre „Wiedereingliederung“? Sie konnten den Kollegen ja nicht einfach den Spielraum wieder wegnehmen.
Pukelsheim: Nein, natürlich nicht. Allen war von Anfang an klar, dass ich im Anschluss eine neue Rolle brauche und nicht in die alte zurückkehre. Das wollte ich auch gar nicht. So zumindest die Theorie.
Die Erfahrung zeigt, dass es viel einfacher ist, Verantwortung zu übernehmen, wenn der andere nicht da ist. Nach meiner Rückkehr wurde das viel schwieriger. Um es allen leichter zu machen, haben wir deshalb vereinbart, dass ich in den ersten drei, vier Monaten keine operativen Entscheidungen treffe, sondern einfach nur durch mein Unternehmen gehe und zuhöre, was die Zeit ohne mich mit den Mitarbeitern gemacht hat.
Und jetzt?
Pukelsheim: Ich habe festgestellt, dass ich mehr Unternehmer und weniger Geschäftsführer sein möchte. Das heißt, die drei Kollegen haben weiterhin die Verantwortung für den operativen Teil und ich bin strategischer, perspektivischer unterwegs und längst nicht mehr jeden Tag im Betrieb. Aber ich muss nach wie vor lernen, mich zurückzuhalten.
Wir haben alle verinnerlicht, wenn der Chef im Raum ist, entscheidet der Chef. Bei uns ist es dummerweise nun so, dass ich da bin, aber trotzdem nicht entscheide. Ich bin nicht mehr der mit der größten Kompetenz. Das irritiert manche Mitarbeiter. – Und schwupps, stecken wir im nächsten Transformationsprozess und definieren Rollen neu. Ich weiß, dass ich damit viel von meinen Mitarbeitern verlange.
Was ist aus der Reisezeit geblieben?
Pukelsheim: Die monatlichen One-Pager. Meine Führungsspitze hat sie für sich als gutes Instrument zur eigenen Standortbestimmung entdeckt. Mal einen Schritt zurücktreten, Pause machen, sacken lassen. Insgesamt arbeiten wir jetzt strukturierter, weniger auf Zuruf, weniger schnell, schnell. Das tut uns gut.
Sie beide sind mit Ihren Erfahrungen mittlerweile bundesweit auf Vortragstour durch die Unternehmerschaft. Warum?
Pukelsheim: Wir wollen einfach Vorbild sein. Es gibt nicht viele Informationen zu dem Thema, dafür umso mehr Unternehmer, die den Wunsch hegen, ihn aber nicht öffentlich machen, aus Angst, dass er gleich wieder zerredet wird.
Was würden Sie sich wünschen, wie die Menschen mit Ihrer Story umgehen?
Habighorst: Wenn sich irgendwann mal eine Unternehmerin oder ein Unternehmer bei uns meldet und sagt „Ich habe mir euch als Vorbild genommen und das selbst ausprobiert und geschafft“ – das wäre so das größte Kompliment, was wir bekommen könnten. Das würde mich sehr freuen.
Können Interessierte Sie kontaktieren?
Pukelsheim: Auf jeden Fall. Gerne. Unsere Kontaktdaten finden sie auf unseren Webseiten
www.christianpukelsheim.de und www.habighorst-consulting.de.
Das Gespräch führte Ulrike Heitze
Bild: Adobe Stock/Marco Martins
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