Klima- und Energiekrise, Inflation und Rezession, Rohstoffmangel und gestörte Lieferketten, Kriegstreiberei und Coronavirus – Wie bekommen wir eine Welt in den Griff, die längst aus der Balance geraten ist? Ein provokantes Gespräch mit dem Globalisierungsexperten Franz-Josef Radermacher.
Herr Radermacher, von Klimaerwärmung über Preisexplosion bis Energieknappheit: Die Probleme der Welt nehmen im Moment ein bisschen überhand. Werden wir das alles stemmen können?
Franz-Josef Radermacher: Im Sinne von „Erhalt unseres Wohlstandes und unserer Freiheit“? Da bin ich mir nicht sicher. Aber im Sinne von „das Leben geht weiter“? Das Leben geht immer weiter. Unter Umständen aber auf einem sehr viel niedrigeren Zivilisationsniveau und sehr viel ärmlicher.
Ein Problem ist, dass alles eilt. Die Natur der Themen lässt nicht zu, dass wir sie der Reihe nach angehen. Das Klima ist eine Sache von Jahrzehnten, ebenso wie der Umbau unserer Zivilisation.
Und ob wir unsere Energiepreise wieder in vernünftige Bahnen bekommen…? Ich denke, dafür müsste man schnell Frieden mit Russland schließen. Ohne Russland können wir auch das Klimaproblem nicht lösen. Dafür ist das Land zu groß.
Gespräche mit Russland sind für die meisten zurzeit aber gar nicht diskutabel. Und vielen kommt das auch zupass. Die meisten Akteure interessieren sich nämlich null fürs Klima. Es geht um Mandate, politische Macht und das Ausleben von Ideologien. Viele machen mit der Situation Politik und drängen zum Beispiel auf den Turbo-Ausbau der erneuerbaren Energien, mit dem Argument, wir müssten uns aus Abhängigkeiten lösen, egal was es kostet.
Franz-Josef Radermacher
… leitet das Forschungsinstitut für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung (FAW/n) an der Universität Ulm. Der Mathematiker, Wirtschaftswissenschaftler und Informatiker ist als Fachmann für Technologie, Globalisierungsgestaltung und nachhaltige Entwicklung international anerkannt. Er ist einer der Vordenker der „Global Marshall Plan Initiative“ und der zugrunde liegenden Zielvorstellung einer weltweiten Ökosozialen Marktwirtschaft. Der 72-Jährige ist unter anderem Mitglied des Club of Rome, Ehrenpräsident des Senats der Wirtschaft und Mitglied des UN-Council of Engineers on the Energy Transition.
Sind mehr erneuerbare Energien denn keine Lösung?
Zumindest nicht in der aktuell einseitig verfolgten Form. Windenergie und Photovoltaik allein lösen unser Problem nicht. Sie sind ausgesprochen volatil. Wir müssen offen bleiben für weitere Lösungen und Technologien.
Erneuerbare Energien sind zudem sehr teuer, wenn Stabilität der Versorgung das Ziel ist – aber das will niemand zugeben. Alle tun so, als sei das die preiswerteste Art der Energiegewinnung. An den Außengrenzen der EU versuchen wir nun per Klimazoll dem Rest der Welt, allen voran Afrika, unser teures System aufzuzwingen, ohne eine Kompensation zu bieten. Eigentlich dürfen diese Länder nach UN-Konsens ihre CO2 Emissionen noch weiter erhöhen. Aber das wollen wir jetzt bestrafen. Für uns hier soll alles weiter billig bleiben. – Das kann doch nicht die Lösung für weltweite Probleme sein.
Wie würde es Ihrer Meinung nach besser laufen?
Wir müssen auf weltweite Kooperation setzen und die richtigen Technologien nutzen. Das Problem ist doch: Unser Wohlstand setzt Energie voraus. Und 80 Prozent unserer weltweit eingesetzten Energie ist fossil. Fossil ist mit CO2 verbunden, was dem Klima nicht guttut. Wenn uns der Ausstieg aber zu teuer kommt – und die Erneuerbaren sind im Sinne von Total Cost of Ownership teuer –, bedeutet das Wohlstandsverlust – den keiner will. Ergo müssen wir auch an anderen Fronten arbeiten.
Was schwebt Ihnen da so vor?
Eine zentrale Technologie ist meiner Meinung nach „Carbon Capture Usage Storage“: CO2 einfangen, nutzen, verpressen.
Die zweite wäre „Nature Based Solutions“: Aufforsten, Humusbildung, Regenwaldschutz und alles was dazugehört.
Die dritte große Schiene sind synthetische Kraftstoffe, um den weltweiten Verkehr mit Pkw und Lkw klimaneutral zu stellen.
Aktuell versuchen wir aber in Deutschland ganz etwas anderes. Über das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wollen wir unsere ausländischen Partner wie etwa Afrika in die Elektromobilität zwingen. Aber das kann doch nicht funktionieren. Die haben riesige Strecken im Land und zum Teil nicht mal ein Stromnetz. Wie soll das dort funktionieren? Sollen wir Stromleitungen durch die Wüsten ziehen? Das ist eine absurde Vorstellung. Wir haben ja schon Probleme mit unserer eigenen Ladeinfrastruktur. Nein, das Mobilitätsthema kann weltweit nur über synthetische Kraftstoffe funktionieren.
Sie sprachen das Thema „Aufforsten“ an. Für viele hierzulande hat das was von „Freikaufen“.
Manche Kreise bezeichnen das Aufforsten in anderen Ländern tatsächlich als Ablasshandel unsererseits. Solch eine Sichtweise ist absurd. Sie hat aber den komfortablen Nebeneffekt, dass das Geld für Projekte im ohnehin reichen Deutschland bleibt und nicht im Ausland hilft. – Die Lösung liegt darin, das eine zu tun und das andere nicht zu lassen.
Sie haben eben das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz kritisiert. Grundsätzlich ist es aber doch nicht schlecht, wenn Unternehmen für eine saubere Lieferkette sorgen.
Es gibt auf internationaler Ebene ohnehin seit Jahren den Konsens, dass Kinderarbeit und Verstoß gegen die Menschenrechte tabu sind. Daran zu arbeiten ist völlig unstrittig. Aber mit den neuen Lieferkettengesetzen verkaufen wir dem Rest der Welt auch unsere Klima- und Wasserstofflogik als ultimative Lösung.
Damit greifen wir einen seit Jahrzehnten eingeübten und rechtlich fixierten Kompromiss in der Welthandelsordnung (WTO) an: Die armen Länder haben immer Wert daraufgelegt, dass die reichen ihnen ihre Standards nicht aufzwingen dürfen. Weil die Armen dann nämlich ihre Jobs verlieren.
Der Export der eigenen Ansprüche ist eine Methode, die ökonomische Entwicklung der armen Länder klein zu halten, und Arbeit in die reichen zurückzuholen. In Wirklichkeit werden damit also die eigenen Interessen gefördert – und nicht die Welt gerettet.
Wie sähe Ihre Alternative aus?
Ein fairer und ehrlicher Deal: Die westliche Welt will, dass die anderen höhere Standards einhalten – dann sollten wir auch dafür bezahlen. Aber davon sind wir weit entfernt, denn es soll ja hierzulande alles billig bleiben.
Sind wir hierzulande schon bereit, den Preis für echte Fairness in der Welt zu zahlen?
Nein. Wir sehen gerade eine Konfrontation zwischen reich und arm, wo sich der Reiche mit Moralin aufplustert und auch noch einredet, er sei der Gute, während es an sich alles zu Lasten des Armen geht. Letzterer bleibt dann arm. Natürlich hilft das dem Klima, aber in der Sache ist es nicht akzeptabel.
Wir werden nicht alle Probleme auf unserer Agenda lösen können? Welchen Tod werden wir sterben müssen?
Ich denke nicht, dass wir das Klimaproblem im Sinne des Zwei-Grad-Ziels lösen werden – wir werden mit den Folgen des Klimawandels leben lernen müssen. Und wir werden einen massiven Wohlstandsverlust erleben: Wir in Europa werden ärmer werden und die ärmeren Länder werden längst nicht den Wohlstandszuwachs erreichen, der bei klugem Vorgehen möglich wäre.
Interview: Ulrike Heitze
Bilder: Adobe Stock – Fox Dsign (oben); Südwest Presse Ulm, Volkmar Könneke