Die klassischen Mehrbranchenmessen für den Endverbraucher, früher oft die einzigen großen Marktveranstaltungen, haben langjährig betrachtet deutliche Besucherrückgänge verzeichnet. Welche Strategien verfolgen die betroffenen Messegesellschaften, um ihre Veranstaltungen erfolgreich für die Zukunft aufzustellen?
„Muba du wirsch für immer in unsere Härze sy“. Dieser emotionale Herzenseintrag als einer von vielen im Messegästebuch und erst recht der Ansturm von knapp einer viertel Millionen Abschied nehmende Besucher auf der Mitte Februar nach 102 Jahren letztmalig durchgeführten Muba (früher Schweizer Mustermesse Basel) zeigt die verbreitete persönliche Verbundenheit mit dem Messeereignis. Das gilt für die Muba ebenso wie für andere traditionelle Verbrauchermessen in der Region.
Dennoch ist die Zahl der Besucher in Basel von noch rund 450.000 Anfang der 1990er-Jahre auf 123.750 im Jahr 2018 gesunken. Die Oberrhein Messe in Offenburg verzeichnete 1991 über 130.100 Besucher. 2018 meldete sie 79.240 Besucher. Auf der benachbarten Europamesse/Foire Européenne in Straßburg ging die Besucherzahl im gleichen Zeitraum von 252.600 (1991) auf 163.000 Besucher zurück (2018), auf der Südwest Messe in Villingen-Schwenningen von 143.200 (1991) auf 104.000 Besucher (2018), auf der IBO in Friedrichshafen einschließlich ihrer heutigen Schwestermessen von 82.300 (1992) auf 71.200 Besucher (2018) und in Freiburg auf der publikumsstärksten Vorgängermesse Schawa (Schalten und Walten) der heutigen Baden Messe von rund 116.000 (1990) auf rund 73.000 Besucher (2017) sowie im vergangenen Jahr auf der Baden Messe mit Landwirtschaftsausstellung auf rund 60.400 Besucher. Die vergleichsweise jüngere Regio Messe in Lörrach meldete den Höchstwert 2015 mit 63.000 Besuchern und im vergangenen Jahr rund 57.000 Besucher (2018).
Mit Blick auf den jüngeren Zeitraum etwa ab 2014 blieben die Besucherzahlen der traditionellen Verbrauchermessen in Offenburg, Villingen-Schwenningen und Friedrichshafen bei leichten jährlichen Schwankungen auf dem jeweils eingetretenen Niveau mehr oder weniger konstant.
Konkurrenz durch verändertes Konsumverhalten
In Deutschland meist Anfang der 1950er-Jahre mit dem einsetzenden Wirtschaftswunder gegründet, waren die Mehrbranchen-Publikumsmessen für die Bevölkerung eine wesentliche Einkaufsquelle für ihre Haushaltsanschaffungen. Auf ihnen gab es erstmalig Neuheiten zu sehen, und attraktive Messerabatte lockten. Und während wegen der damaligen Ladenöffnungszeiten alle Geschäfte am Samstag um 14 Uhr schließen mussten, galt das für die Messen eben nicht. Heute dominieren den Handel teils riesige Einkaufszentren „auf der grünen Wiese“, auch mit Sonderangeboten über das ganze Jahr. Neuheiten finden sich am schnellsten sowie allgemein zugänglich im Internet. Ein Messetermin ist hierfür heute völlig zweitrangig. Längst kaufen immer mehr Konsumenten zum Nachteil der Publikumsmessen online ein. Und laut Konsumforschung verschiebt sich auch der Einzelhandel, also potenzielle Messeaussteller, immer mehr zum Onlinehandel hin.
Erlebnismessen und regionale Identität
Die veränderte Marktsituation verlangt neue zukunftsfähige Messekonzepte. In diesem Zusammenhang wird häufig der Wandel der Verbrauchermessen von reinen Verkaufs- hin zu Informations- und Erlebnismessen gefordert. Dazu sollen Sonderschauen und Unterhaltung dienen. Schließlich ist der grundsätzliche Vorteil der Messen für Aussteller wie für Besucher der direkte persönliche Austausch. Damit ist eine wieder stärkere regionale Messeidentität verbunden. Die Messen sind Schaufenster der regionalen Wirtschaft und deren Leistungsfähigkeit und müssen umgekehrt ihr Angebotsspektrum auf spezielle regionale Bedürfnisse und Themen ausrichten. Sonderschauen und Rahmenprogramme reichen hier bis zur regionalen Traditionspflege. Darüber können sich die regionalen Besucher mit „ihrer“ Messe als persönlichem Treffpunkt identifizieren. Und das grenzt die Verbrauichermessen auch von den meist überregional einheitlichen Einkaufszentren und Handelsketten ab. Entsprechend zeigen sich nach den obigen Statistiken gerade die Mehrbranchen-Publikumsmessen im ländlichen Raum mit breiterer regionaler Orientierung bei den Besucherzahlen robuster (etwa Offenburg und Villingen-Schwenningen) als die allgemeinen Publikumsmessen in den größeren Städten (etwa Basel und Straßburg).
Die traditionellen Publikumsmessen der Region bekennen sich zu Regionalität. Laut den Pressemitteilungen verstehen sie sich beispielsweise als „Treffpunkt der Region“ (Südwest Messe Villingen-Schwenningen) oder als „stabiler Anker für Tradition und regionale Identität“ (Oberrhein Messe Offenburg). In der praktischen Umsetzung reicht das von Bauernmärkten mit regionalen Spezialitäten vom Direktvermarkter über Schwarzwaldhalle und Kunstausstellung „Kosmos Schwarzwald“ (Oberrhein Messe) bis zum Messethema „Natürlich Regional“ mit Produkten, Dienstleistungen und regionalen Kulturinstitutionen (Baden Messe Freiburg) oder „Land und Leute – Ein Tag mit der Landwirtschaft“ (Südwest Messe).
Nachhaltiger Mehrwert
Neben erlebbarer Regionalität müssen die Messen die insgesamt angebotenen Produkte physisch wie emotional erlebbar präsentieren. Es gilt, immer mehr auf die Erfahrungswelt der Sinne zu setzen. Und das mit allem, was Livekommunikation zu bieten hat, von VR-Dome, Drohnenshows, interaktiven Installationen bis Liveevents. Im Mittelpunkt stehen Produkttrends und Neuheiten bis Lifestyle zum Anfassen und praktischen Ausprobieren für jedes Besucheralter, aber stets an die Bedürfnisse der jeweiligen Branche angepasst. So behaupten sich die Publikumsmessen kurzum als analoges Erlebnis in einer immer digitaleren Welt. In dieser Form schaffen sie für Besucher wie Aussteller einen nachhaltigen Erkennungs-, Erinnerungs- und schließlich auch geldwerten Mehrwert.
Die produktbezogenen Inhalte der hiesigen Publikumsmessen stellen neben bewährten Artikeln tatsächlich deutlich auf Neuheiten ab, dabei unter dem Aspekt des emotionalen Erlebnisses laut der Südwest Messe „nicht nur zum Ansehen, sondern gleich zum Ausprobieren“. Die Baden Messe in Freiburg setzt verstärkt auf interaktive Mitmachaktionen etwa im Gesundheitsbereich. Die IBO in Friedrichshafen sieht sich mit vielen Neuheiten/Premieren „nicht ganz, aber fast neu erfunden“. Das reicht von der wieder neu aufgelegten legendären IBO-Modenschau bis zur Vermittlung von Onlineerlebnissen im ersten digitalen Zukunftsraum der Messe.
Produktvielfalt versus Fachausstellungen
Zur besseren spezifischen Zielgruppenansprache geht an vielen Messeorten der Trend zur Ausgliederung einzelner Themen aus den großen Mehrbranchen-Publikumsmessen als Fachausstellungen, so genannten Special-Interest-Publikumsmessen. Oft zitierte erfolgreiche Beispiele sind die 1973 erstmals außerhalb der Muba durchgeführte Uhren- und Schmuckmesse, heute die nach wie vor weltweit führende „Baselworld“, oder die „Art Basel“, die wichtigste Kunstmesse der Welt. In Freiburg sind mehrere Verbraucherthemen der Baden Messe fast komplett in zeitlich separaten Special-Interest-Messen in Form von Eigen- oder ständigen Gastmessen aufgegangen. Dazu gehören die heutigen „Freizeitmessen Freiburg“, „Gebäude.Energie.Technik (Getec)“, „Gartenträume“, „Automobil“, „Plaza Culinaria“ (gastronomische Spezialitäten) oder die „Regio Agrar Baden“ mit zum Teil bisher in der Baden Messe angesiedelten landwirtschaftlichen Themen. Für das ganze Jahr bedeutet das für den Messestandort Freiburg unter dem Strich deutlich mehr Aussteller, Besucher und entsprechend mehr Umsatz. Indem aber für die Spezialmessen andere Durchführungstermine gewählt werden, etwa aus Kapazitätsgründen zur Organisation eines breiteren Angebots, verlieren die ursprünglichen Messen angesichts ausgedünnter Produktvielfalt erfahrungsgemäß an Attraktivität.
Um diese dennoch weiter zu gewährleisten, halten die hiesigen Publikumsmessen überwiegend an einem breiten Produktspektrum fest. Das zeigt sich in Friedrichshafen an den Verbrauchsgüter-Themenwelten der Frühjahrsmesse IBO zusammen mit, wohlgemerkt zeitgleichen, Special-Interest-Publikumsmessen „Garten & Ambiente Bodensee“, „Neues BauEn“, und „Urlaub Freizeit Reisen“. Der in Villingen-Schwenningen im Jahr alleinige „Mega-Marktplatz“ Südwest Messe vereint stets vor der Sommerpause verschiedene inhaltliche Messesektoren und Sonderschauen weiterhin unter einem Dach, womit man „rundum zufrieden“ ist. Gleiches verfolgt die Regio Messe in Lörrach mit oft regional bezogener Themenvielfalt. Die Herbstmesse Oberrhein Messe in Offenburg präsentiert sich mit mehreren Themenwelten einschließlich übergreifendem saisonbezogenen „Herbstzauber“ als „riesiges Shopping-Center mit Messe-Angeboten“. Die Offenburger Special-Interest-Publikumsmessen „Bauen Wohnen Garten“ und „Balance“ (Gesundheit) finden zeitlich weit entfernt im Frühjahr statt. In Freiburg zielt das aktuell veränderte neue Messekonzept der Baden Messe anstelle für die ganze Familie jetzt speziell auf das Lebensgefühl der mittleren Generation ab, und das mit einem weiterhin breiten, dabei passenden Produkt- und Leistungsspektrum von Gesundheit, Ernährung, Hauswirtschaft bis Mode und Freizeit/Reisen von ausgesuchten qualitativen Ausstellern.
epm