Wie gelingt den Automotive-Unternehmen der Region der Absprung von der Verbrennertechnologie und der Sprung in die Zukunft? Hanno Kempermann, Geschäftsführer der IW Consult in Köln und Branchenexperte, sprach dazu im Februar auf der IHK-Onlineveranstaltung „Zukunft der Automotive-Region Schwarzwald-Baar-Heuberg“ und schätzt im WiS-Interview die Optionen der Unternehmen ein.
Herr Kempermann, in rund zehn Jahren wird es hierzulande keine Verbrennermotoren mehr geben, so der Plan. Wie weit sind die betroffenen Unternehmen darauf schon eingestellt?
Hanno Kempermann: Ich gehe davon aus, dass es kein Unternehmen gibt, das sich nicht bereits überlegt, wie es sich in den kommenden zehn Jahren positionieren soll, selbst wenn es jetzt noch Teile für den traditionellen Antriebsstrang fertigt.
Wir beobachten, dass sich viele der großen Direktzulieferer wie Conti, Bosch und Schaeffler stark in Richtung Digitalisierung, Elektrifizierung und Vernetzung bewegen. Und die verlangen ihrerseits von ihren Zulieferern eine Menge passende F&E. Insofern kommt so gut wie keiner drumherum, sich zu bewegen, sonst ist er raus aus dem Geschäft.
Besteht nicht die Gefahr, dass jetzt alle die gleiche Richtung einschlagen?
Letztlich muss jedes Unternehmen für sich und anhand seiner Anwendungsarten überlegen, wo die Reise hingehen kann. Ganz individuell. Ein Betrieb, der noch nie mit Software zu tun hatte, wird sich schwer tun, in den nächsten zehn Jahren ein Softwarehaus zu werden.
Wohin entwickeln sich die Automobiler denn weiter?
Wir beobachten verschiedene Varianten: Zum Beispiel die Evolution innerhalb der Autobranche, indem Firmen bestimmte ihrer Kompetenzen ausbauen und so zukunftsträchtige Themen wie Leichtbau, Thermomanagement oder Vernetzung stärker besetzen. Oder es gibt die Variante, aus der Autoecke herauszuwachsen und seine Produkte auch in anderen Branchen zu platzieren. Leichtbau ist auch ein Thema für Lastenräder, Schläuche werden auch in der Medizintechnik gebraucht. Möglichkeiten gibt es da viele.
Können Unternehmen die Transformation alleine stemmen?
Es wäre hilfreich, mit anderen zu kooperieren. Um gemeinsam Lerneffekte zu generieren und auch, um die limitierten Ressourcen insbesondere von KMU sinnvoll einzusetzen. Das können Kooperationen mit anderen Unternehmen sein, aber auch mit Hochschulen, etwa den Steinbeis-Transferzentren oder anwendungsorientierten Fraunhofertöchtern. Ein Unternehmen muss anhand seiner Kernkompetenzen eruieren, in welche Richtung es sich entwickeln will – die Firmen kennen ihr Business und das Potenzial ihrer Mitarbeiter ja aus dem Effeff – und dann entsprechende Partner suchen.
Hanno Kempermann
Hanno Kempermann ist Geschäftsführer der IW Consult GmbH, einer Tochter des IW Köln. 2021 hat sein Unternehmen die Automobilregionen innerhalb Deutschlands analysiert. Einige Ergebnisse für die Automotiveregion Schwarzwald-Baar-Heuberg finden Sie in der Infobox unten.
Wie finden Unternehmen Partner?
Die Großen der Branche werden ihrer Kooperationen vielleicht noch alleine hinbekommen – die kennen die relevanten Ansprechpartner und haben ausreichend Manpower.
Aber gerade die Kleineren brauchen Ideen von außen, wen sie kontaktieren können. Es gibt unglaublich viele Unternehmen, die nicht wissen, wer da bei ihnen um die Ecke arbeitet. Für die Kleineren braucht es die IHKs oder andere Wirtschaftsförderer, um ein Matchmaking hinzubekommen. Ich sehe sie da in einer Türöffnerfunktion. Die IHKs kennen viele Player und können die Türen von passenden Partnern öffnen und Leute gezielt miteinander ins Gespräch bringen.
Transformation ist auch eine Frage der Mitarbeiterentwicklung. Müssen Automotive-Unternehmen ihre Belegschaft jetzt von rechts auf links drehen?
Grundsätzlich arbeitet ja nur ein Teil der Belegschaft im Bereich des traditionellen Antriebsstranges. Dieser Teil muss sich tatsächlich weiterentwickeln. Aber sein Engineering-Know-how wird ja weiterhin dringend benötigt. Nur dass die bediente Maschine dann nicht länger Zylinderköpfe herstellt, sondern etwas anderes. Diesen Wissenstransfer müssen die Beschäftigten leisten.
Zudem birgt die Transformation für viele Mitarbeiter auch große Chancen. In einem autonom fahrenden Auto wird zum Beispiel Licht viel wichtiger. Und wer sich jetzt schon mit Leichtbau auskennt oder mit Vernetzung …
Welche Zukunft hat ein Unternehmen, das sich jetzt nicht auf den Weg macht oder nicht schnell genug vorankommt?
Es wird schwierig, aber nicht unmöglich. Irgendwo auf der Welt wird es auch nach 2035 weiterhin Verbrenner geben. In Südamerika, Afrika, vielleicht auch China. Man könnte versuchen, als deutsches Unternehmen hier einen Fuß in die Tür zu bekommen und eine Nischenstrategie zu fahren. Zumal in diesem Markt ja dann die Konkurrenz nachlässt.
Ist der Zug nicht ohnehin längst abgefahren? Der deutschen Automobilindustrie wird oft vorgeworfen, die Entwicklungen wie etwa eMobilität verschlafen zu haben.
Tatsächlich hatten wir in früheren Studien auch den Eindruck, dass es die deutschen Hersteller im Vergleich zu Tesla & Co nicht hinbekommen. Keine Batteriekompetenzen et cetera. Aber das stimmt so nicht mehr. Bei den Erstzulassungen von Elektrofahrzeugen finden wir jetzt die deutschen Marken vorne. Das autonome Fahren geht hierzulande mit großen Schritten voran. Und die bestehenden Werke werden gerade mit großer Macht und viel Kapital umgerüstet und neue kommen hinzu. Das sind ermutigende Zeichen.
Interview: uh
Bilder: Adobe Stock, stockphoto-graf/IW Consult Köln
Hintergrund
118 Regionen in Deutschland sind besonders geprägt durch die Automobilindustrie. In 40 davon ist man verstärkt entlang des konventionellen Antriebsstranges tätig und somit eher von der automobilen Transformation betroffen. Der Landkreis Rottweil und der Bodenseekreis gehören dazu.
Im Landkreis Rottweil arbeiteten 2,7 Prozent der Beschäftigten im Jahr 2021 im Bereich traditioneller Kfz-Antriebe, im Bodenseekreis 2,6 Prozent.
Die Region Schwarzwald-Baar-Heuberg (SBH) verzeichnet 25.400 Arbeitsplätze in der Automobilwirtschaft, davon 11.900 rund um die Produktion von Automobilen.
Von diesen 11.900 arbeiten 31 Prozent am traditionellen Antriebsstrang, gegenüber 14 Prozent in Chancenfeldern wie dem Elektroantrieb.
Die Automobilindustrie in SBH trägt zu fast zehn Prozent zur Bruttowertschöpfung der Region bei.
Quelle: IW Consult, Hanno Kempermann 2021/22
Save the Date: Automotive-Gipfel der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg und des WVIB am 14. Juli, Donaueschingen
www.schwarzwald-baar-heuberg.ihk.de – 5208488