Seit 2021 ist André Weltz Geschäftsführer des Badischen Winzerkellers. Dank Pandemie, Klimawandel und mauen Ernten eine komplexe Aufgabe in einer komplexen Zeit. Jetzt war der 52-Jährige mit RTL für einige Tage als Undercover Boss im eigenen Hause unterwegs. Eine für hiesige Verhältnisse ungewöhnliche Aktion – und eine Erfahrung, die Weltz jedem Unternehmer nur wärmstens empfiehlt.
Herr Weltz, könnten Sie die Undercover-Boss-Aktion noch mal kurz erklären, für alle, die sie nicht mitbekommen haben?
André Weltz: Gerne. Im August letzten Jahres wurden wir von RTL angesprochen, ob wir uns eine Teilnahme bei ihrem Format „Undercover Boss“ vorstellen könnten. Nach unserer Zusage wurde ein Drehbuch entwickelt, von Oktober bis Mitte November haben wir dann an 14 Tagen gedreht. Dafür wurde ich mit Brille, falschen Zähnen und blondierten Haaren in den Berliner Praktikanten Stefan verwandelt, der, so die offizielle Version unseren Mitarbeitern gegenüber, für ein anderes RTL-Format bei seinen Praktika dokumentarisch begleitet und begutachtet wird.
Auf diese Weise habe ich inkognito verschiedene Bereiche in unserem Unternehmen durchlaufen. Ich habe zum Beispiel Weinfässer gereinigt, bei unseren Winzern beim Herbsten geholfen, in der Alten Wache in Freiburg gekellnert, einen Fahrer bei der Auslieferung begleitet – und genau hingehört, was die Menschen, für die ich arbeite, bewegt.
Warum haben Sie da mitgemacht? Es ist ja schon ein ungewöhnliches Format für einen Vorstand.
Weil die Grundidee gut ist. Es geht darum, tiefer ins Unternehmen einzutauchen als es mir als Vorstand sonst möglich ist. Es geht um authentische Wahrheiten, die es mir erlauben zu beurteilen, wo wir aktuell stehen. Gibt es Verbesserungspotenzial? Was treibt die Menschen um und an? Und vor allem: Kommt das, was wir uns in der Führungsetage so ausdenken, bei den Mitarbeitern auch so an wie gedacht? Konnte ich die Werte, die mir wichtig sind – Fleiß, Identifikation, Miteinander – jedem vermitteln? Der Undercover-Boss-Einsatz wirkte wie ein großer Spiegel direkt an der Basis.
Und was wurde Ihnen gespiegelt?
Ich habe den Badischen Winzerkeller in unruhigen Zeiten übernommen, die Winzer haben ein bisschen das Vertrauen in uns verloren. Das möchte ich zurückgewinnen und ein positives Mindset bei allen Beteiligten kreieren. Im Rahmen des Formats habe ich dann Winzerinnen und Winzer getroffen, die mir – dem Praktikanten Stefan – reinen Wein eingeschenkt haben. Man traut mir – dem André Weltz – die Veränderung wohl irgendwie zu, aber die Erwartungshaltung ist hoch und ich muss abliefern, nicht sofort, aber in absehbarer Zeit. Das alles hat mir noch mal vor Augen geführt, wie viele Existenzen davon abhängen, dass wir beim Badischen Winzerkeller einen guten Job machen. Die Demut und der Respekt vor der Aufgabe sind nochmal um ein Stück gewachsen. Wenn man es so sagen will: Unsere Aufgabe hat damit ein Gesicht bekommen. Das ist eine Erfahrung, die ich jedem Unternehmer wünsche.
Jeder sollte also mal Undercover Boss werden?
Im Idealfall wartet man nicht, bis RTL um die Ecke kommt. Undercover ist auch gar nicht nötig. Hauptsache, man geht mal mitten rein in die Praxis, legt mit Hand an. Als Vorstand hat man die Aufgabe, sein Unternehmen und seine Mitarbeiter zu kennen. Warum sind die bei uns? Sind wir denen eine gute Heimat? Das erfahren Sie nicht mal eben auf dem Gang in der Vorstandsetage. Nehmen Sie das Heft des Handelns selbst in die Hand und gehen Sie raus! Mich hat das sehr bereichert – persönlich und fürs Unternehmen.
Zur Person: André Weltz
Seit gut einem Jahr ist André Weltz Vorstandsvorsitzender des Badischen Winzerkellers eG (BWK) in Breisach. Nach Stationen bei verschiedenen Getränkeherstellern von Bier über Fruchsaft bis Wein übernahm der studierte Betriebswirt 2019 als Geschäftsführer die zu Bitburger gehörende Wernesgrüner Brauerei, bevor der heute 52-Jährige im Januar 2021 zum BWK stieß und den von seinem Vorgänger angestoßenen Transformationsprozess übernahm.
Der BWK ist Badens größte Weinkellerei und eine der größten Erzeugergemeinschaften in Deutschland. Er beschäftigt rund 170 Mitarbeiter. Sie verarbeiten die Trauben, die 49 Winzergenossenschaften – mit rund 4.000 Winzern – von Tauberfranken bis zum Bodensee auf rund 1.600 Hektar Reben anbauen, zu etwa 500 verschiedenen Weinen und vertreiben sie im Groß- und Einzelhandel, im Direktvertrieb und in der Gastronomie. Zahlen dazu, wie das abgelaufene Weinjahr trotz der eher schlechten Witterungsbedingungen gelaufen ist, veröffentlicht der BWK im Sommer zur Generalversammlung.
uh
Wie ist Ihre Aktion in der Belegschaft angekommen?
Ich habe den Eindruck, dass die, die ich als Stefan getroffen habe, das letztlich gut fanden und dass uns nun ein gemeinsames Erlebnis verbindet. Ob von den anderen jeder restlos begeistert war, kann ich nicht sagen. Aber ich denke, die Aktion hat das Zusammenrücken im eigenen Unternehmen schon forciert. Und vielleicht konnte ich mit der Aktion allen auch ein bisschen vermitteln, dass ich meine Aufgabe sehr sehr ernst nehme. Immerhin bin ich dafür tagelang mit schlechtsitzenden falschen Zähnen durch die Firma gelaufen.
Was machen Sie aus Ihren Erkenntnissen?
Undercover Boss war jetzt nicht der Startschuss für Erkenntnisgewinne und Veränderungen, wir arbeiten schon länger und intensiver an Maßnahmen. Aber die Aktion hat mir nochmal einiges verdeutlicht. So habe ich zum Beispiel Menschen getroffen, die ihre Qualifikationen und Fähigkeiten vielleicht an anderer Stelle noch besser einbringen könnten. Das zu erkennen, ist Aufgabe unserer Führungskräfte. Ich möchte, dass wir an einer Wahrnehmungskultur arbeiten, die über das Daily Business hinausreicht.
Sie bei der Lese, beim Keltern, beim Kellnern – das Ganze war schon auch eine ordentliche Unternehmenswerbung, oder?
Ja, mit voller Absicht. Meine Idee war, Baden damit ein bisschen zu porträtieren, die badische Weinwirtschaft und auch die Genossenschaftsidee. In Lübeck oder Rostock weiß keiner, was genau hinter badischen Weinen steckt. Jetzt hat man eine Idee. Und man weiß, dass Wein kein Retortenprodukt ist, sondern das der mal an einer Rebe hing, von Menschen abgepflückt und mit viel Hingabe und Enthusiasmus verarbeitet wurde. Dass sowohl Produkt wie auch die Macher dahinter Wertschätzung verdienen. Ich habe mir die Demokratisierung unseres Produktes vorgenommen: die Hemmschwelle zu senken, so dass auch Leute den Zugang zu Wein finden, die sich da bislang nicht rantrauten.
Ich denke, das hat mit der Aktion ganz gut geklappt. Früher hat sich kein Mensch für mich interessiert, und jetzt gebe ich ein Interview nach dem anderen. Selbst die Mitteldeutsche Zeitung hat eine ganze Seite über den Winzerkeller gebracht – wenn das nicht gute Werbung ist…
Interview: uh
Bilder: Adobe Stock/BWK/RTL