Von Coronakrise über Rohstoffmangel bis Klimaveränderung und Kriege: Die globale Politik- und Wirtschaftslage mutet Unternehmen immer schwierigere Rahmenbedingungen zu. Die Risiken sind für Firmen zunehmend schwerer zu beherrschen. Wie viel davon lässt sich noch über Versicherungen auffangen? Welche Stellschrauben gibt es darüberhinaus? Ein Gespräch mit Florian Karle, dem geschäftsführenden Gesellschafter des Freiburger Versicherungsmaklers „SÜDVERS“.
Herr Karle, der Claim Ihres Unternehmens lautet „Zukunft sichern“. Wie sicher können sich Unternehmen angesichts der sich überlagernden globalen Krisen noch sein – oder wie sicher können sie sich die Zukunft machen?
Florian Karle: Auf Südvers bezogen kann ich sagen, wir haben einen guten Branchenmix und sehen die Zukunft als ziemlich sicher an. Und für unsere Kunden ist unser Anliegen, dass es ihnen gut geht und sie in ihrem Feld operieren und produzieren können. Aber wir sehen auch: In Krisenzeiten steigt der Beratungsbedarf massiv. Völlig egal, welche Krise – 9/11, Finanzkrise, die Blockade vom Suezkanal, Fukushima – jetzt der Krieg in der Ukraine.
Sichern Unternehmen heute mehr Risiken ab als vor 20 Jahren?
Es sind Risiken hinzugekommen. Statistisch lagen vor 20 Jahren Themen rund um Anlagevermögen auf Platz 1 der versicherten Risiken: Sachwerte entlang der Wertschöpfungskette. Das ist geblieben. Auf Platz 2 heute: das Thema Cybercrime. Das ist neu. Seit Corona arbeiten viele im Homeoffice, speichern Daten in Clouds, das ist hochförderlich für Cyber-
attacken. Denken Sie auch an neue Kriegsvarianten. Es ist heute möglich, gezielte
Attacken gegen ein ganzes Land zu fahren. Das gab es vor 20 Jahren nicht. Und es gibt für einige Risikolagen neue Lösungen im Markt, die es früher so nicht gab, etwa Warrenty & Indemnity-Produkte (kurz W&I-Versicherung, auch Gewährleistungsversicherung genannt), die bei Konsolidierungsgeschäften Kauf- und Verkaufsrisiken abdecken, die potenziell zu Vermögensschäden führen können.
Zur Person
Florian Karle (49) ist geschäftsführender Gesellschafter des Freiburger Familienkonzerns „SÜDVERS“. Südvers berät als international tätiger Versicherungs- und Risikoexperte in zweiter Generation Unternehmen aus Industrie, Handel und Mittelstand. Mit 590 Mitarbeitern an 19 Standorten in Deutschland, Österreich und der Schweiz wird ein Prämienvolumen von 630 Millionen Euro betreut. International ist Südvers Gründungsmitglied von WNB – Worldwide Broker Network.
Sie haben den Krieg in der Ukraine angesprochen. Können Versicherungen Unternehmen da eine Entlastung bieten?
Ich würde gern über Fakten sprechen: Krieg bedeutet den Ausschluss vom Versicherungsschutz. Es gibt die Kriegsklausel, welche alle kausalen Zusammenhänge mit und in dem Land Ukraine vom Schutz ausschließt. Auch Sanktionen, in diesem Fall gegen Russland, haben massive Folgen für Versicherungen und für Versicherungsnehmer. Wer mit Russland Geschäfte macht, ist vom Schutz ausgeschlossen – seit dem Tag, an dem die Sanktionen beschlossen wurden. Das wissen die wenigsten. Die Folge: Wer Geschäfte in Russland macht, kann nur noch dort vor Ort versichern.
Was bedeutet das für industrielle Betriebe, die Produktionsstätten, Vertriebsorganisationen oder Ähnliches in Russland haben?
Die haben von heute auf morgen ihren Versicherungsschutz erstmal verloren. Viele Firmen haben sich deshalb entschieden, ihr Geschäft an das lokale Management zu übertragen. In unserer Branche gab es das auch schon, zuletzt 1939. Die internationalen Versicherungsmakler haben damals gesagt, wir übertragen die Gesellschaften an das Management vor Ort. Aber um auf die Frage zurückzukommen: Wir versuchen mit viel Transparenz klarzustellen, was möglich ist. In den vom Krieg betroffenen Ländern derzeit so gut wie nichts.
Egal, ob Krieg, Klima oder Pandemie: Daraus resultieren oft auch indirekt Produktionsausfälle. Und schon einen kleinen Betrieb kann bereits eine Stunde Ausfall mehrere tausend Euro kosten. Lässt sich da was absichern?
Es kommt auf die Ursache an. Wenn wir den Krieg mal als Beispiel nehmen: Russland ist jetzt Sperrgebiet. Man muss große Umwege nehmen, wodurch Transportkosten steigen. Lieferketten sind unterbrochen, Teile fehlen und Container für den Seeweg sind Mangelware. Das hat mit Versicherung aber nichts zu tun. Denn: Versichert wird immer das unvorhersehbare Ereignis, das eine Gesamtgemeinschaft trägt. Dieses Risiko wird dann mit Wahrscheinlichkeiten kalkuliert. Bei berechenbaren Risiken, bei denen man weiß, da fällt was aus und es dauert länger, bleibt der Versicherer außen vor.
Kriegsbedingte Risiken sind nicht versichert, gleichzeitig werden viele Policen immer teurer. Wie passt das zusammen?
Was selten in der Presse vorkommt: Die Bücher der Versicherer waren – auch durch die vermehrten Krisen und Schadenfälle in der Welt – in den letzten Jahren eher defizitär. Deshalb müssen sie schauen, dass die Ausgaben nicht die Einnahmen übersteigen. Unterm Strich bedeutet das steigende Prämien für Unternehmen. Trotzdem gibt es aus meiner Sicht keine Alternative. Versicherungen sichern die Existenz von Unternehmen ab, sofern es um kalkulierbare Risiken geht. Trotz gestiegener Preise gibt es immerhin die Kapazitäten. Bedeutet: Wenn ein Kunde elementare Risiken für sich versichern will, bekommt er national oder auf dem Weltmarkt genügend Versicherungsschutz. Und klar ist auch, dass ein Versicherer für Makroereignisse wie Kriege oder Pandemien nicht aufkommen kann.
Was können Unternehmen weiterhin tun, um für Risiken und Schadenfälle gewappnet zu sein?
Einmal pro Jahr sollten Unternehmen ihre Versicherungssummen prüfen. Werte wie etwa Immobilien oder Inventar sind am Schadentag zum Neuwert versichert. Deswegen sollten die Versicherungssummen regelmäßig an die Wertentwicklung angepasst werden. Das ist für viele Betriebe mit viel Aufwand verbunden. Versicherungen sind ein fachlich hochdezidiertes Geschäft. Wir reden über drei Seiten Versicherungsschutz und 57 Seiten Ausschlusskatalog. Viele Unternehmen scheuen es, sich damit zu befassen.
Sie sprachen das Thema Cyberkriminalität an. Ist in den Chefetagen ein Bewusstsein für dieses Risiko bereits ausreichend vorhanden?
Es gibt zwei Gruppen, diejenigen, die sagen, „Passiert uns eh nicht“, und diejenigen, die Angst haben. Die entscheidende Frage ist daher: Verfallen sie in eine Schockstarre, oder folgt eine Handlung? Digitale Angriffe können weltweit statistisch irgendwann Platz eins der Risiken einnehmen. Wir haben regelmäßig Cyberschäden in sieben- und achtstelliger Größenordnung zu regulieren, also Millionenbeträge. Versicherungen bringen zwar das Kapital zurück, wenn die Attacke da war. Der viel größere Schaden ist aber neben dem Reputationsschaden der Ausfall während der Zeit des Stillstands.
Ihre Empfehlung also an die Unternehmen?
Der Investitionsnachholbedarf bezüglich Cybersicherheit ist immens. Ob man mag oder nicht: Wir sind in einer globalen Welt unterwegs, das macht uns angreifbarer. Versicherungen helfen in Teilaspekten, sicher auch als Fels in der Brandung. Sie lösen die eigentlichen Kundenthemen aber nicht. Wichtig wird es für viele Betriebe, den intellektuellen Spagat hinzubekommen, aus dem Mikrokosmos heraus, etwa der Region, in der man verwurzelt ist, die globalen Risiken zu sehen. Diese Adaptionsfähigkeit an Veränderungen ist entscheidend. Das gilt erst recht in Krisenzeiten.
Text: bb
Bild (oben): Adobe Stock/Orlando Florin Rosu