Bei ihrer Vollversammlung im November hat die IHK-Organisation unter der Überschrift „#GemeinsamBesseresSchaffen – jetzt!“ in einem Grundsatzbeschluss zehn Punkte formuliert, die eine Zeitenwende der deutschen Wirtschafts- und Standortpolitik einläuten sollen. Sie zeigen auf, wo angesetzt werden müsste – in Gesamtverantwortung für unser Land, das vor allem von Engagement, Verantwortung und Weltoffenheit unserer Gesellschaft lebt. Mit diesen Überlegungen der Wirtschaft im Rücken, werden die DIHK und die IHKs vor Ort das direkte Gespräch mit Entscheidern und Meinungsmachern suchen.
1. Entschlossen Deutschland – Tempo bei Planung und Genehmigung vorantreiben
Wachstum, Innovation und Veränderungsgeschwindigkeit in Deutschland werden durch die schier endlosen Planungs- und Genehmigungsverfahren ausgebremst. Das gilt für die schnelle Transformation der Industrie ebenso wie für den flächendeckenden Breitbandausbau, für eine attraktive Entwicklung der Städte und Gemeinden sowie für eine nachhaltige Verkehrswende. Wie Mehltau haben sich die unzähligen Regelungen auf das Land gelegt. Mit den LNG-Terminals und Ausnahmen für den Fuel-Switch hat die Politik in der Gaskrise den Mut bewiesen, wichtige Blockaden zu durchbrechen. Einige dieser Projekte konnten in Rekordzeit realisiert werden. Das kann und muss als Muster für einen umfassenden Befreiungsschlag von unnötiger Bürokratie dienen! Bund und Länder haben sich mit dem Beschleunigungspakt verpflichtet, diese Blockaden aufzulösen. Unternehmen brauchen weitreichende Ausnahmen etwa für Investitionen in den Klima- oder Umweltschutz, Erleichterungen wie zum Beispiel mehr Anzeige- statt Genehmigungspflichten, verbindliche Fristen- und Stichtagsregelung für alle Beteiligten sowie Stichprobenkontrollen statt flächendeckender zeitintensiver Überwachung. Daher müssen der Ankündigung des Pakts nun rasch gesetzgeberische Taten folgen. Wir brauchen einen Kulturwandel in den Behörden, die Maxime muss sein, Projekte zu ermöglichen, statt sie durch Risikominimierung und kleinteilige Vorgaben zu beeinträchtigen.
2. Energieangebot ausbauen, weniger abschalten
Die Energiepreiskrise hat die deutsche Wirtschaft absehbar weiter im Griff. Nachhaltig gelöst werden kann sie mittel- bis langfristig nur durch eine erhebliche Ausweitung des Energieangebots, vor allem im Bereich der erneuerbaren Energien. Mit der Strom-Partnerschaft schlägt die DIHK vor, über Investitionszuschüsse und eine Netzentgeltabsenkung für grüne Stromlieferverträge (PPA) den Ausbau zu beschleunigen. Zusätzlich müssen Anlagen schneller ans Stromnetz angeschlossen und die Weitergabe von Strom zum Beispiel in der Nachbarschaft erleichtert werden. Die angekündigte Senkung der Stromsteuer für das produzierende Gewerbe ist überfällig, sollte aber auf alle Unternehmen ausgeweitet werden. Neben einer Senkung der Stromsteuer würde eine dauerhafte Bezuschussung der Netzentgelte aus dem Bundeshaushalt finanziellen Freiraum für die Unternehmen schaffen. Neben Strom braucht die Wirtschaft auch große Mengen Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Preisen. Deutschland wird nur einen kleinen Teil selbst erzeugen können. Daher ist eine nachvollziehbare Importstrategie zentral. Wir brauchen rasch Klarheit über den Infrastrukturausbau, damit der Wasserstoff auch bei den Unternehmen ankommt. Zusätzlich sollte die Bundesregierung schnellstmöglich die Förderung von heimischem Schiefergas als Brücke sowie CCS (Carbon Capture and Storage) und CCU (Carbon Capture Utilization) in Deutschland erlauben. Wir brauchen mehr Energieoptionen am Standort Deutschland – auch jenseits von Wind und Sonne. Dazu gehören neben Geothermie und Biomasse auch Kohle und Schiefergas als heimische Energiequellen, um hohe Belastungen in der Energieversorgung – durch volatile erneuerbare Energien ebenso wie durch externe Schocks – abzufedern.
3. Zuwanderung: Verfahren vereinfachen und beschleunigen
Erleichterungen der Fachkräfteeinwanderung sind angesichts des Fachkräftemangels wichtig. Die neuen Regelungen sind jedoch im Detail weiterhin zu komplex und überfordern KMU sowie die Umsetzungsbehörden vielfach. Sie sollten daher nicht als in Stein gemeißelt gelten, sondern parallel zur Umsetzung ständig auf dem Prüfstand stehen. Warum können Unternehmen nicht vor allem selbst entscheiden, wer als Fachkraft in Frage kommt? – Menschen mit Berufserfahrung sollten daher auch mit Arbeitsvertrag und einem Jahreseinkommen von 30.000 Euro zu uns kommen können. Sinnvoll ist zudem eine bundesweite Clearingstelle mit ausreichend Kompetenzen und Kapazitäten, an die sich Unternehmen bei praktischen Problemen wenden können. Insgesamt müssen die Verwaltungsprozesse deutlich schneller werden – vor allem über eine stärkere Digitalisierung. Mehr Zusammenarbeit und Partnerschaft zwischen Staat und Wirtschaft sind auch Teil der Lösung. Jetzt können AHKs mit Auslandsvertretungen Vereinbarungen schließen, die eine schnellere Bearbeitung von Geschäftsreisevisa ermöglichen – dies sollte auf die Fachkräfteeinwanderung ausgedehnt werden. Im Inland sollten Länder und Kommunen die IHKs als Selbstverwaltung der Wirtschaft stärker als Kooperationspartner ihrer Ausländerbehörden sehen. Daneben sollte die Einrichtung zentraler Ausländerbehörden in den Ländern weitergehen, um kompetente Ansprechpartner auch für Betriebe zu bieten.
4. Investitionsbremsen in der Besteuerung lösen
Die Bewältigung der aktuellen Krisen, die Digitalisierung und die Transformation der Wirtschaft zur Klimaneutralität erfordern herausragende Investitionsbedingungen am Standort Deutschland. Die Steuerpolitik sollte daher stärker als Instrument einer aktiven wirtschaftspolitischen Standortpolitik und Investitionsförderung verstanden werden. Denn mittel- und langfristig werden wir nur auf Basis erfolgreicher Unternehmen und einer wachsenden Wirtschaft nachhaltig steigende Steuereinnahmen des Staates sichern. Eine echte Unternehmenssteuerreform muss daher Kernbestandteil einer ambitionierten Zukunftspolitik sein. Es gilt, vorrangig die Investitionskraft der Unternehmen zu stärken. Denn gerade in Zeiten der Transformation in Richtung Klimaneutralität brauchen wir deutlich mehr private Investitionen – auf diesen erfolgskritischen Aspekt wird bis heute viel zu wenig geachtet. Die nominale Steuerbelastung sollte daher jetzt rechtsformunabhängig von derzeit in der Regel über 30 Prozent auf ein wettbewerbsfähiges Niveau reduziert werden. Denn das Belastungsniveau in anderen Industriestaaten liegt in vielen Fällen nicht höher als 25 Prozent. Stabile kommunale Steuereinnahmen sind ohne Frage wichtig. Dazu sollte die Gewerbesteuer perspektivisch durch eine gewinnabhängige Kommunalsteuer mit einem eigenen Hebesatzrecht ersetzt werden. Gleichzeitig sollte eine systemfremde und investitionsfeindliche Besteuerung von Kosten unterbleiben – das betrifft insbesondere die Hinzurechnungen bei der Gewerbesteuer. Eine unterschiedliche Finanzierung – entweder über Eigen- oder Fremdkapital – darf nicht mehr zu einer diskriminierenden Besteuerung führen – denn auch das wirkt negativ auf Investitionen. Der „Mittelstandsbauch“ im Einkommensteuertarif bremst das wirtschaftliche Engagement von Unternehmern wie Beschäftigten – er sollte abgeflacht und der Solidaritätszuschlag komplett abgeschafft werden. Beides würde die Investitionskraft der Unternehmen erhöhen. Höhere oder neue Steuern auf die Substanz von Unternehmen, wie zum Beispiel bei der Erbschaftsteuer oder der Vermögensteuer, verbieten sich im Gegenzug.
5. Berufliche Bildung wertschätzen, Berufsschulpakt starten
Der Fachkräftemangel spitzt sich vor allem im Bereich der beruflich Qualifizierten zu. Unternehmen finden immer weniger Ausbildungsbewerber. Wer aber heute als Azubi fehlt, der fehlt in den Betrieben morgen als qualifizierte Fachkraft. Wir müssen daher gemeinsam daran arbeiten, dass die duale Ausbildung die gesellschaftliche Anerkennung erhält, die sie verdient. Wir wollen ihr Erfolgsrezept, die enge Verbindung von Theorie und Praxis sowie die hervorragenden beruflichen Perspektiven bekannter machen. Bundesregierung und Länder sollten den im Koalitionsvertrag angekündigten Berufsschulpakt und die hierzu notwendigen Investitionen in den Berufsschulen in Angriff nehmen. Denn ohne gute Berufsschulen steht die duale Ausbildung auf einem Bein schlecht. Außerdem gilt in Zeiten des Fachkräftemangels: Außerbetriebliche Ausbildung sollte die absolute Ausnahme bleiben. Eine erfolgreiche Ausbildung fängt bereits in der Schule an. Wir brauchen daher eine verpflichtende und ausgewogene Berufsorientierung als Kernaufgabe aller Schulformen. Nur so können Schulabgänger flächendeckend ihre individuell beste Berufswahl treffen. Auch Gymnasien müssen gleichermaßen über die vielfältigen Chancen einer Ausbildung informieren – und nicht nur über das Studium. Politik und Wirtschaft sollten sich gemeinsam dafür einsetzen, möglichst viele Potenziale für Ausbildung zu nutzen, die von Leistungsstarken ebenso wie die von jungen Menschen mit Startschwierigkeiten oder Fluchtgeschichte. Dazu helfen eine konsequentere Nutzung von Einstiegsqualifizierung, Assistierter Ausbildung und ehrenamtlicher Begleitung durch Mentoren.
6. Innovationen ermöglichen – von AI bis zu Zukunftstechnologien
Die Innovationstätigkeit der Unternehmen hierzulande ist auf einem historischen Tiefststand. Zu oft werden Forschung und Innovation in Deutschland durch komplizierte und bürokratische Regeln ausgebremst. Notwendige Innovationen für die Transformation der Wirtschaft werden so nicht getätigt. Wir brauchen einfachere Verfahren, technologieoffene Förderprogramme und mehr Digitalisierung gerade auch in der Forschungspolitik. Die Politik sollte kurzfristig das Reallabore-Gesetz auf den Weg bringen. Denn Reallabore und Experimentierklauseln sind eine niedrigschwellige Möglichkeit für Betriebe, Innovationen im Rahmen eines gelockerten Regulierungsrahmens voranzutreiben – und damit neue Produkte, Verfahren oder Dienstleistungen voranzutreiben. Viele Unternehmen haben zwar bereits Maßnahmen zur Digitalisierung ergriffen, die Potenziale sind allerdings längt noch nicht ausgeschöpft. Hinzu kommen die vielfältigen Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz. Wir brauchen hierfür gute Bedingungen, damit Unternehmen in Deutschland KI-Modelle entwickeln, weiterverwenden und nutzen können. Dazu gehören einheitliche Normen und Standards, mehr Rechtssicherheit und weniger Bürokratie, damit das KI-Potenzial nicht ungenutzt bleibt. Die Bundesregierung ist gefragt, schnell Klarheit bei der Umsetzung des AI-Acts zu schaffen. Start-ups müssen durch den erleichterten Zugang zu Daten, Rechenleistung und Kapital unterstützt werden.
7. Wirtschaftliche Offenheit bewahren – Internationale Kooperation stärken
Jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland hängt direkt oder indirekt am Exportgeschäft, in der Industrie sogar jeder zweite. Die deutschen Unternehmen leben vom globalen Wettbewerb. Gleichzeitig profitieren deutsche Konsumenten von dem breiteren und günstigen Warenangebot, das durch den internationalen Handel möglich wird. Vor dem Hintergrund eines zunehmenden Protektionismus, gestiegenen geopolitischen Risiken und einer geringeren Wettbewerbsfähigkeit benötigen wir eine kluge EU-Handelspolitik und eine ambitionierte EU-Wettbewerbsagenda. Dabei müssen wir unseren Partnern auf Augenhöhe begegnen. Zum Abbau von Handelshemmnissen und der Sicherung und Diversifizierung von Lieferketten brauchen wir den raschen Abschluss von Handelsabkommen mit Mercosur, Indonesien und Indien sowie weiteren Zukunftsmärkten sowie verlässliche transatlantische Handelsbeziehungen. In Zeiten einer sich abzeichnenden Fragmentierung der Weltwirtschaft kommt einer Reform der Welthandelsorganisation (WTO) als Hüterin multilateraler Handelsregeln eine immer höhere Bedeutung zu. Für die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft sind internationale Kooperationen unerlässlich: Statt eines Subventionswettlaufs und komplexer unilateraler Instrumente wie der CO2-Grenzausgleichmechanismus CBAM brauchen wir einen internationalen Klimaclub. Damit die notwendige Diversifizierung gelingen kann, brauchen die Unternehmen praxisnahe Regeln.
8. Kreislaufwirtschaft für Rohstoffunabhängigkeit und Klimaschutz nutzen
Zirkuläres Wirtschaften und ressourcenschonende Technologien werden in der Transformation immer wichtiger. Deutschland und Europa sollten hier neue Wertschöpfungs- und Beschäftigungspotenziale er schließen. Das kann zugleich ein Beitrag zum Abbau von Rohstoffabhängigkeiten sein. Eine größere Rohstoffunabhängigkeit verlangt aber auch das stärkere Erschließen eigener Rohstofflager. Überregulierungen durch Normen zum Beispiel in Bezug auf Produkteigenschaften und Recyclingfähigkeit reduzieren jedoch bislang die Chancen in diesem Bereich. Wir haben in Deutschland bereits relativ hohe Recyclingquoten und industrielles Know-how bei zirkulären Produktionsprozessen. Diesen guten Ausgangspunkt müssen wir in Marktchancen ummünzen und nutzen für eine technische Vorreiterrolle, die auch dem Klimaschutz zugutekommt. Reallabore fördern hierzu Innovationen für zirkuläres Wirtschaften und stärken regionale Wirtschaftskreisläufe.
9. EU-Regulierungslast und Bürokratie reduzieren
Der Großteil der wirtschaftsrelevanten Gesetze entsteht mittlerweile in Brüssel. Die Bundesregierung muss sich daher auf europäischer Ebene für wirtschaftlich vernünftige Regeln mit Augenmaß sowie für einen Abbau der Bürokratielast einsetzen. Gleichzeitig ist sie verantwortlich für eine schlanke und praxisorientierte Implementierung der EU-Regulierungen in Deutschland. Viele bestehende EU-Gesetze wie die Datenschutzgrundverordnung, die Regelungen zur Mitarbeiterentsendung und die Chemikalienregulierung sind unverhältnismäßig bürokratisch gestaltet und umgesetzt. Neue Regulierungen wie die Nachhaltigkeitsberichterstattung, das EU-Lieferkettengesetz, aber auch industriepolitische Initiativen schaffen neue Berichts- und Offenlegungspflichten und stehen damit dem formulierten Ziel einer Senkung von Berichtspflichten diametral entgegen. Daher ist ein Dreiklang nötig: Erstens keine neuen Gesetze, die die Unternehmen zusätzlich belasten. Initiativen wie das EU-Lieferkettengesetz müssen deshalb dringend ausgesetzt werden. Zweitens: Bestehende Bürokratie konsequent abbauen – und zwar noch vor den Europawahlen. Und drittens: Bessere Methoden und Prozesse für eine praxisorientierte Rechtsetzung, die die Umsetzbarkeit der Vorschriften im Betriebsablauf berücksichtigt und den Aufbau neuer Bürokratie von vornherein verhindert.
10. Infrastrukturdefizite beheben von Breitband bis Wasserstraßen
Weite Teile der Infrastruktur weisen erhebliche Defizite auf. Das belastet den betrieblichen Alltag massiv. Es gibt Engpässe, veraltete und teilweise marode Infrastruktur sowie eine Anfälligkeit für Sabotage. Die Geschwindigkeit bei Erneuerung und Ausbau wird den Anforderungen der Wirtschaft derzeit nicht gerecht. Die Gründe reichen von langen Umsetzungszeiträumen durch eine Vielzahl von Problemen zwischen Bedarfsfeststellung und Inbetriebnahme über Fragen der Wirtschaftlichkeit bei privatwirtschaftlicher Bereitstellung bis hin zu Grenzen der öffentlichen Haushalte bei der Finanzierung. Die Sicherheit der Infrastrukturen gewinnt zudem vor dem Hintergrund der aktuellen geopolitischen Herausforderungen an Bedeutung. Es bedarf daher Sanierung ebenso wie Ausbau: Elek-tromobilität benötigt eine ausreichende Ladeinfrastruktur, der Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur muss schnell angegangen werden und die allseits bekannten Engpässe in der Verkehrsinfrastruktur, ob Straße, Schiene oder Wasserstraße, müssen beseitigt werden. Eine erfolgreiche Wirtschaft benötigt zudem flächendeckend Glasfaser- und Mobilfunknetze. Den Ausbau der Glasfaser- und Mobilfunknetze gilt es in erster Linie eigenwirtschaftlich voranzutreiben. Öffentliche Fördermittel braucht es nur dort, wo der Markt in der Fläche keine gleichwertige Versorgung gewährleistet. Gleichwohl muss die Bundesregierung den Ausbau der Netze gemeinsam mit Ländern, Kommunen und ausbauenden Unternehmen vorantreiben und orchestrieren.
Text: DIHK
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