Künstliche Intelligenz (KI) ist nicht neu, aber durch ChatGPT ist ein neuer Hype ausgebrochen. Die Tools können rasend schnell immer mehr. Was bringen sie Unternehmen? Und kann man es sich künftig überhaupt leisten, auf sie zu verzichten? Ein Gespräch mit Experten darüber, wie Firmen die Entscheidung angehen.
Die Gretchenfrage mal vorweg: Kann es sich ein Unternehmen leisten, sich gar nicht mit Künstlicher Intelligenz zu beschäftigen?
Johannes Kern: Eigentlich nicht. Es gibt im Grunde kein Unternehmen für das KI nicht relevant ist. Bei allen Bedenken rund um ChatGPT und Co. – die zum Teil auch berechtigt sind –, ist KI zu mächtig, als dass man sie nicht nutzt. Zudem ist der Geist ohnehin schon aus der Flasche.
Was meinen Sie damit?
Kern: Sie können davon ausgehen, dass viele Mitarbeiter in Ihrem Unternehmen, sicherlich alle Jüngeren, ChatGPT bereits nutzen – ob Sie das gut finden oder nicht. Und dann stellt sich Ihnen nicht mehr die Frage ‚Nutzen wir das?‘, sondern ‚Wie nutzen wir das sinnvoll?‘ und ‚Wie moderieren wir das so, dass es rechtlich, ethisch et cetera korrekt ist, aber das Potenzial nicht abgewürgt wird?‘ Das wird die Herausforderung für die Firmen sein.Welche Potenziale haben KI und ChatGPT für Unternehmen?
Kern: Es gibt nicht DIE eine Künstliche Intelligenz. KI ist nur der Oberbegriff für viele Konzepte und lässt sich runterbrechen über das Machine Learning bis hin zur Generativen KI, zu der letztlich auch ChatGPT zählt. Daher sind die Einsatzbereiche und Potenziale sehr vielfältig. Jedes Unternehmen muss für sich analysieren, wo der Einsatz hilfreich sein kann. Ermutigend ist, dass Metastudien gezeigt haben, dass sich KI generell positiv auf Wachstum, Profitabilität und Wettbewerbsfähigkeit auswirkt. Prozesse werden effizienter und KI kann große Datenmengen und Muster schneller erkennen, als es ein Mensch kann. Außerdem lassen sich Routineaufgaben automatisieren, so dass sich Mitarbeiter auf wertschöpfendere – und für sie spannendere – Aufgaben konzentrieren können. Die Performance, aber auch die Freude am Arbeitsplatz steigen dadurch.
Für alle ChatGPT-Greenhorns: Was genau macht diese KI?
Michael Löffler: ChatGPT ist ein Tool der US-Firma OpenAI, mit dem Nutzer – in der Basisversion kostenfrei – durch Texteingaben oder Sprachbefehle neue Inhalte generieren können. Aus einem dem Programm antrainierten und ständig wachsenden Wissenspool aus aller Welt entstehen mit ChatGPT Texte und Programmcodes, mit anderen KI-Tools Bilder, Präsentationen, Musik, Video et cetera.
Für wen ist das nützlich?
Löffler: Ich würde sagen, für jedes Unternehmen, auch für kleine. Ein Gastronom, Handwerker oder Einzelhändler, der möglicherweise nicht so oft mit größeren Texten zu hantieren hat, kann sich darüber einen ersten Entwurf für Stellenanzeigen, Angebotsflyer oder Speisekarten machen lassen und zur Inspiration nutzen, um ihn weiterzuentwickeln.
Emmanuel Beule: Für die eigene Kreativität ist das ein tolles Tool – wenn man damit umzugehen weiß. Den gut Qualifizierten ihres Faches, die dann auch noch mit KI – und ihren Grenzen – umzugehen wissen, wird es sehr gut helfen können. Ein Jurist, der sich sein Plädoyer von KI vorbereiten lässt und es dann mit Hilfe seines Wissens und seiner Erfahrung überarbeitet, wird produktiver sein können.
Schwierig wird es, wenn jemand fachlich nicht sattelfest ist. Der wird die Ergebnisse von ChatGPT nicht einschätzen können – und wir lesen ja täglich von Fakes, die das Programm produziert. Ich kann deshalb nur davor warnen, im Umgang mit KI das kritische Denken einzustellen, denn das Tool erzeugt auch Falschinformationen, die nicht danach klingen. Wir Menschen neigen dazu, uns mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus das Leben einfacher zu machen, im Fachjargon Heuristiken genannt. Diese mentalen Abkürzungen führen dazu, dass wir falsche Entscheidungen treffen.
Deshalb benötigen wir alle – von der Führungskraft über die Mitarbeiter bis zu den Azubis und in den Schulen – mehr Befähigung, um mit diesen Werkzeugen und ihren Einschränkungen umzugehen.
Kern: A Fool with a tool is still a fool. – Tatsächlich werden Weiterbildung und Reskilling die ganz entscheidenden Faktoren in den nächsten Jahren sein. Nach einer Studie des World Economic Forums müssen weltweit die Hälfte aller Mitarbeiter neue Fähigkeiten lernen. Ein Zehntel sogar mit einem Lernbedarf von mehr als einem Jahr.
Wie holt man sich KI-Kompetenz ins Haus?
Kern: Beispielsweise über externe Weiterbildung. An der DHBW bieten wir einen neuen Bachelor „Data Science und Künstliche Intelligenz“ an. Bilden Sie ein, zwei Nachwuchskräfte entsprechend aus und holen Sie sich so Wissen rein.
Mein erstes Mal mit Chat GPT
war ein recht kurzes Vergnügen. Auf meinen Prompt – so heißen die Anfragen an den Chatbot – „Wie hoch war die Arbeitslosigkeit im Regierungsbezirk Freiburg in 1973?“ erschien die höfliche Absage: „Es tut mir leid, aber ich habe nur Zugriff auf Wissen bis zum Jahr 2021.“ Stimmt, vergessen. Die Datensammlung reicht (noch) nicht sehr weit zurück.
Die Tipps der KI, wo ich diese Zahl bekommen kann, klangen plausibel, aber als Journalistin weiß ich es dann doch noch besser. Ich war nur zu faul bei Statistik BW zu suchen.
Der nächste künstlich-intelligente Versuch wurde ein lustiger: Wir wissen nicht, ob Waldhaus (S. 38) mit unserer eigenen Kreation glücklicher ist, aber sie werden dennoch mordsfroh sein, dass es nicht der Überschriftenvorschlag von ChatGPT geworden ist: „Lustig gebraut: In dieser Brauerei fließen Bier und Witze im Überfluss“. Humor kann nicht jeder.
Das Brainstorming zu Bildideen für die Titelgeschichte (Prompt: „Lustige Bildidee zum Thema Standortfaktor“) war da schon inspirierender. So ein Thema ist abstrakt und vielschichtig. Schnell verkopft man bei der Motivsuche. Von den vorgeschlagenen Schnecken im Stau oder lachenden Fabriken hat letztlich zwar keine das Rennen gemacht, aber der kleine Schwatz mit der KI hat die Fantasie wieder angekurbelt. Die Kuh auf dem Cover ist übrigens – Zufall – auch eine KI-Kuh. Sie hat nie eine echte Wiese gesehen.
Mit dem nächsten Prompt wurde es interessant: „Wie verbessere ich meine Google-Bewertungen? Bitte die besten 20 Tipps“ – Warum schreibe ich eigentlich „bitte“? Das ist eine Maschine! Egal. – ChatGPT spuckt eine Liste mit 20 Punkten aus. Spannende Ansätze. Auf so einige wäre ich selbst wohl nicht gekommen (Wen die Ergebnisse interessieren: Link siehe unten). Der Prompt „Bitte ein bisschen detaillierter, technisch feiner. Zehn Tipps reichen“ macht die Aufstellung noch praxisnäher. Aber: Wüsste ich nicht, dass es die DSGVO und Co. gibt, die bei so etwas einzuhalten sind, würde ich im schlimmsten Fall jetzt mit diesen Tipps losziehen und möglicherweise teuren Schaden anrichten. Die Erkenntnis dieser Recherche: Egal wie gefällig die Antwort, niemals das Hirn ausschalten.
Ulrike Heitze
Löffler: Es können auch KI-Anwendungen in die Ausbildung eingebaut werden. Man lässt Azubis einen Sachverhalt mit ChatGPT vorbereiten und sie prüfen das Ergebnis anschließend auf Herz und Nieren. So zeigt man die Möglichkeiten und die Grenzen der Tools auf und trainiert den verantwortungsvollen und unternehmenskonformen Umgang.
Beule: Die IHKs bieten mit diversen Formaten Orientierung, vor allem für die Führungsebene. Denn wichtig ist, dass sich auch die Unternehmensspitze entsprechend informiert und fortbildet. Das Management muss verstehen, wo KI dem Betrieb helfen kann und wo nicht. Diese Einschätzung darf den Chefinnen und Chefs niemand abnehmen.
Von Urheberrecht über Datenschutz bis zu Betriebsgeheimnissen, rund um ChatGPT gibt es noch viele offene Fragen und Kritik …
Beule: Ich würde auch noch die ethische Komponente hinzunehmen. Wie viel wollen und dürfen wir uns von KI abnehmen lassen? Ich würde beispielsweise nie von ChatGPT ein Zeugnis schreiben lassen, weil die Beurteilung für den Mitarbeiter lebensbestimmend sein kann. Das wäre verantwortungslos. Die Diskussion zu diesen Punkten müssen wir führen – und zwar auf allen Ebenen, im Unternehmen wie in der Gesellschaft. Firmen müssen sich bewusst Regeln geben, wie und wann KI zum Einsatz kommt und womit sie gefüttert werden darf. Und wenn das geregelt ist, dann muss es auch in Ordnung sein, dass man ChatGPT benutzt. Kein Naserümpfen mehr.
Wie nähert man sich als ChatGPT-Anfänger dem Ganzen konkret?
Löffler: Einfach anfangen. Die App herunterladen, anmelden und ausprobieren. Stellen Sie dem Tool vielleicht eine Aufgabe, die Sie in letzter Zeit beschäftigt hat, in einem Bereich, in dem Sie sich gut auskennen, um die Ergebnisse beurteilen zu können. Und dann über ergänzende Fragen nachbohren, nachschärfen. Man muss die Ergebnisse ja nicht 1:1 übernehmen. Aber es bleibt immer etwas hängen, was sich nutzen lässt. Und sei es nur zur Inspiriation. Das Entscheidende ist, sich auf den Weg zu machen.
Ihr Fazit?
Kern: Ich bin sicher, mittelfristig wird KI unsere Erwartungshaltung an Arbeit völlig verändern. Der Einsatz von KI wird zur Normalität. Dann leistet ChatGPT die Vorarbeit und erst im Anschluss setzt die eigentliche Denk- und Wissensarbeit an, die dann aber sehr viel anspruchsvoller und hochwertiger sein wird. Das wird sehr schnell an den Punkt führen, dass man produktiv nicht wird mithalten können, wenn man auf ihren Einsatz verzichtet.
Löffler: In jedem Fall ist es keine gute Idee, das Thema aussitzen zu wollen. Der akute Hype flaut vielleicht etwas ab, aber KI wird nicht einfach wieder weg gehen. Mein Tipp: Austauschen. Mit Kollegen aus anderen Branchen. Mit Kunden oder Lieferanten. So entstehen Ideen, welche Prozesse sich mit KI effizienter gestalten lassen könnten.
Beule: Die Unternehmen stehen aktuell vor einer Vielzahl von Herausforderungen. Ich nenne mal nur die Stichworte Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Fachkräftemangel, neue Anforderungen an Führung und die Suche nach Antworten auf die Energie- und Lieferengpässe. Wir müssen neue Lösungen für die Spannungsfelder in unserer Arbeitswelt finden – und KI kann ein Bestandteil davon sein.
Interview: Ulrike Heitze
Bilder: Adobe Stock – Barriography (ganz oben)
Auf den Porträtbildern sind zu sehen: Michael Löffler (oben), Emmanuel Beule (Mitte), Johannes Kern (unten)
- Hilfreiche Tools, Tipps und Tricks rund um KI und Chatbots in der Arbeitswelt www.impulsnetzwerk.ihk.de – 5842562
- Kurs „Elements of AI“: mehrteiliger, kostenfreier Onlinekurs über die Grundzüge Künstlicher Intelligenz von der Universität Helsinki, dem Onlinekursanbieter MinnaLearn und der DIHK course.elementsofai.com/de
- IHK-Impulsnetzwerk: Regional übergreifende IHK-Plattform mit Infos, Angeboten und Terminen rund um Digitalisierung, inklusive der Ansprechpartner der drei IHKs der Region zum Thema www.impulsnetzwerk.ihk.de
- Studiengang Data Science und Künstliche Intelligenz (in Akkreditierung) an der Dualen Hochschule BW Lörrach www.dhbw-loerrach.de/data-science
- Ergebnisse der WiS-Recherche mit ChatGPT zum Thema „Wie verbessere ich meine Google-Bewertungen?“ https://www.wirtschaft-im-suedwesten.de/downloads/ChatGPT-Recherche
- DIHK-Leitfaden „Was Unternehmen beim Umgang mit generativen KI-Anwendungen beachten sollten“ am Beispiel von ChatGPT.