Während Mode- und Schuhhändler einen Umsatzeinbruch von rund 30 Prozent hinnehmen mussten, wuchs der Lebensmitteleinzelhandel um etwa neun Prozent, der Fahrradhandel sogar über 20 Prozent. So uneinheitlich entwickelte sich die Branche im ersten Halbjahr. Grund war der coronabedingte Lockdown.
Der baden-württembergische Einzelhandel verbuchte in den ersten sechs Monaten ein Umsatzplus von 1,7 Prozent. Das ist schlechter als in ganz Deutschland (plus 3,2 Prozent) und vor allem weniger als 2019. Zahlen für die Region gibt es nicht. Allerdings beklagen rund zwei Drittel der Mitglieder des Handelsverbands Südbaden eine Verschlechterung von Geschäftslage, Umsatz und Gewinn im ersten Halbjahr. Nur etwas mehr als 20 Prozent berichten von einer Verbesserung im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Das ist das Ergebnis einer Mitgliederbefragung des Handelsverbands Südbaden, an der im Spätsommer rund 200 Einzelhändler teilgenommen haben. Sie wurde im September der Presse vorgestellt. Hauptgrund für die Entwicklung ist der coronabedingte Shutdown, der am 18. März „quasi über Nacht“ kam, wie sich Verbandspräsident Philipp Frese erinnert, und für Geschäfte mit einer Verkaufsfläche bis zu 800 Quadratmetern am 24. April, für die größeren erst am 2. Mai endete.
Hohe Kosten, aber keine Kunden
Hans-Georg Meier, Inhaber der Meierfashion GmbH, die zwei Modehäuser in Rheinhausen sowie Ettenheim betreibt und 45 Mitarbeiter beschäftigt, berichtet von „katastrophalen Einbrüchen“. Der Shutdown sei für Modehändler zum ungünstigsten Zeitpunkt, den man sich vorstellen könne, gekommen: Die Lager waren frisch gefüllt mit der neuen Frühjahrsmode – und damit dem größten Wareneingang im ganzen Jahr. Wenig später folgten die Rechnungen – doch verkaufen konnte Meier nichts. Auf einmal hatte er Liquiditätsprobleme, was er niemals für möglich gehalten hatte. Nach dem Lockdown musste er die Ware „mehr oder weniger verschleudern“, sagt er. Da sei dann die Sommermode gefragt gewesen, mit der man geringere Umsätze mache. Insgesamt verzeichnete er – wie auch seine Mitbewerber – im ersten Halbjahr Umsatzrückgänge von etwa 30 Prozent.
Unsicherheit belastend
„Möbel waren nicht so betroffen wie der textile Bereich“, berichtet Christoph Heck, der zusammen mit seinem Bruder Carsten die Krämer Einrichtungen GmbH in Freiburg führt. Zwar hätten sie Mitte März die Verkaufsmitarbeiter nach Hause schicken müssen. Wegen der langen Lieferzeiten von etwa acht Wochen habe die Ausliefermannschaft aber durchgearbeitet. Dennoch betont er: „Die Unsicherheit, wie lange so etwas geht, war sehr belastend.“ Der Onlinehandel könne nicht über alles hinweghelfen. Ihn persönlich habe während des Shutdowns die Unsicherheit, wie es weitergeht, umgetrieben, berichtet auch Philipp Frese. „Wenn die Geschäfte stillstehen, geht die Liquidität schnell in den Keller – trotz Kurzarbeit.“ Die Frese GmbH betreibt zwei Einrichtungsgeschäfte und hat 20 Mitarbeiter. „Es hat sich angefühlt, als würde einem der Boden unter den Füßen weggezogen“, sagt er. Nach dem Shutdown seien die Geschäfte dagegen sofort wieder gelaufen als sei nichts gewesen. Viele Einzelhändler vor allem in Innenstädten, die während des Lockdowns schließen mussten, hätten dagegen erst wieder das Vertrauen ihrer Kunden aufbauen müssen, berichtet Frese.
Der Handel 2019
Die Wachstumsraten des Jahres 2019, die der Handelsverband wegen der Pandemie erst im September verkündete, lesen sich wie aus einer anderen Zeit. Es war das erste Jahr seit Längerem, in dem alle südbadischen Regionen im Vergleich zum Vorjahr beim Umsatz ordentlich zulegten: Freiburg, nach dem Ende der Großbaustellen, um 2,1 Prozent, der Hochrhein um 2,2 Prozent, südlicher Oberrhein und Schwarzwald jeweils um 2,8 Prozent, der Bodensee um 2,9, die Ortenau um 3,6 und der mittlere Oberrhein um 3,9 Prozent. Die gesamte Region verbuchte ein Plus von 3 Prozent.
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Fehlende Schweizer und Franzosen
Ganz anders hat Karsten Pabst, Geschäftsführer der Hieber‘s Frische Center KG mit Sitz in Binzen, den Lockdown erlebt. Das Unternehmen betreibt 14 Lebensmittelmärkte zwischen Bad Krozingen sowie Rheinfelden und beschäftigt rund 1.400 Mitarbeiter. Diese arbeiteten zum großen Teil während des kompletten Shutdowns, das Unternehmen selbst war systemrelevant und erlebte in der zweiten sowie dritten Märzwoche Hamsterkäufe vor allem von Klopapier, aber auch von Konserven, Mehl, Zucker und Hefe. Darauf habe man sich zumindest etwas einstellen können, sagt Pabst. Die größte Herausforderung seien die ständig neuen Informationen gewesen, die man an die Beschäftigten weitergeben musste. „Die Mitarbeiter waren verängstigt, aber sie haben uns Vertrauen geschenkt und sind gekommen“, so Pabst. Ihnen gelte ein Riesenkompliment. Die meisten der Hieber-Märkte legten, so wie auch die der Mitbewerber, im ersten Halbjahr um etwa neun Prozent zu. Die Standorte direkt an der Grenze wie der in Grenzach verzeichneten hingegen ein Drittel weniger Kunden. Hier sei Kurzarbeit nötig gewesen, sagt Pabst. Herausfordernd sei gewesen, trotzdem die normalen Öffnungszeiten von 8 bis 20 Uhr abzudecken.
Auch anderen Händlern fehlten und fehlen Kunden aus den Nachbarländern: Noch im Juli und August waren die Umsätze mit Schweizern laut der Umfrage des Handelsverbands bei 34 Prozent der Einzelhändler im Südwesten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zurückgegangen, bei weiteren 25 Prozent sogar deutlich. Von stark rückläufigen Umsätzen mit französischen Kunden in diesen Monaten berichteten knapp 20 Prozent, von einem Rückgang weitere knapp 30 Prozent. Utz Geiselhart, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Südbaden, geht davon aus, dass die Einzelhändler in den Grenzregionen am stärksten von der Coronapandemie betroffen sein werden, die bis Mitte Juni ganz ohne die Kunden aus den Nachbarländern auskommen mussten. „Eine erneute Grenzschließung wäre für unsere Region dramatisch“, sagt er.
Wie ist die aktuelle Lage? Inzwischen habe man sich an die neue Normalität mit Masken und Sicherheitsdienst gewöhnt, berichtet Karsten Pabst. Probleme mit Maskenverweigerern gebe es nur vereinzelt. Die Kunden würden aber seltener und kürzer kommen. „Es fehlen die Emotionen“, sagt er, darunter würden die Cafés und Backwarengeschäfte leiden. Hans-Georg Meier berichtet: „Uns fehlen die Events, um uns gegenüber dem Onlinehandel abzugrenzen.“ Er befürchtet daher: „Es wird uns weiter extrem beuteln.“ Die Masken würden das Geschäft zusätzlich erschweren. „Mode ist ohne Mimik und mit Abstand ganz schwer zu verkaufen“, sagt Meier. Auch Carsten Heck betont: „Das Zwischenmenschliche ist in der Beratung schwer geworden, da wir die Mimik nicht sehen.“ Außerdem sei es für die Mitarbeiter sehr belastend, die ganze Zeit Maske tragen und dabei reden zu müssen. Die Händler hoffen daher, dass sogenannte Face Shields künftig erlaubt werden. Bei Krämer Einrichtungen laufen die Geschäfte dennoch vergleichsweise gut: „Wir sind kurz davon, den Umsatz von 2019 wieder zu erreichen“, sagt Christoph Heck. Viele hätten in Möbel investiert, da sie nicht reisen konnten.
Weitere Rückgänge erwartet
Laut Umfrage des Handelsverbands Südbaden erwartet etwa die Hälfte der Einzelhändler für das zweite Halbjahr Umsatzrückgänge im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Von einer Umsatzsteigerung gehen nur 22 Prozent aus. Für das gesamte Jahr rechnen gut die Hälfte mit Umsätzen deutlich und etwa 18 Prozent leicht unter dem Vorjahr. Eine starke oder leichte Steigerung prognostizieren jeweils rund zehn Prozent. „Wenn die Erwartungen zutreffen, wird eine deutliche Bremsspur da sein“, sagt Philipp Frese.
Rückläufig sind auch die Investitionspläne der Einzelhändler. Wer Geld in die Hand nimmt, für den steht meist Marketing an erster Stelle. Hans-Georg Meier hat bisher das Erwirtschaftete gleich wieder investiert – das ist nun anders: „Die aktive Innovationslust, die ich hatte, wird mit Sicherheit in den nächsten Jahren nicht stattfinden können“, sagt er. Carsten Heck betont, der Shutdown habe ihn darin bestätigt, „die Tugend zu wahren, konservativ zu wirtschaften“. Karsten Pabst gewinnt dem Lockdown auch Positives ab: „Wir sind unkomplizierter geworden“, betont er. Innerhalb von zwei Wochen sei ein Lieferservice auf die Beine gestellt worden. Das hätte sonst viel länger gedauert. Außerdem hätten die Mitarbeiter und damit die Berufe wie Metzger und Verkäufer eine hohe Wertschätzung erfahren.
Text: mae
Bild: Thomas Kunz