Wir brauchen ihn! – Auf den Neujahrsempfängen der IHK Hochrhein-Bodensee in Schopfheim und Konstanz sorgte Sven Plöger als Gastredner für fröhliches Lachen, ernste Momente und ein bisschen Zuversicht. Der Meteorologe sprach engagiert über das Klima und wie es um dieses bestellt ist. Seine Botschaft: Es ist noch nicht zu spät, den Klimawandel zu verlangsamen. Aber dafür müssen alle mitmachen. Viele Unternehmen tun das bereits – aber es müssen mehr werden.
Herr Plöger, Sie betonen in Ihren Vorträgen zum Klimawandel, dass wir kein Wissens-, sondern ein Handlungsproblem haben. Was meinen Sie damit?
Sven Plöger: Unser Planet, der ja das Fundament für alles ist, was wir hier so erleben dürfen, ist eine sehr sehr komplexe Angelegenheit. Deshalb ist es wichtig, zu erfassen, wie alles zusammenhängt – geografisch, aber auch über die Zeitachse. Ich sehe mich als Übersetzer dieses schwierigen Themas. Denn nur wenn wir die Zusammenhänge nachvollziehen, verstehen wir auch, dass und wie wir mit unserem Verhalten Einfluss auf dieses weltumspannende System nehmen.
Den meisten Menschen ist das grundsätzlich auch klar. Der große Wissenschaftsjournalist Hoimar von Ditfurth hat bereits in den 1970er Jahren den Klimawandel skizziert. Das, was er damals beschrieben hat, tritt nun sukzessive ein. Und nach ihm folgten unzählige Wissenschaftler mit weiteren Erkenntnissen. Insofern kann niemand sagen, es fehle an Wissen um den Klimawandel. Es fehlt uns an Handlungen.
Was hält die Menschheit denn ab?
Das hat maßgeblich mit der Evolution zu tun. Die hat uns so erfunden, dass wir Energiesparer sind, wenn es um unsere eigenen Kräfte geht. Angefangen bei der Flucht vorm Säbelzahntiger ist der Mensch gemacht für kurzfristige, konkrete Bedrohungen. Und nun kommt plötzlich das Klimathema: Irgendwann passiert irgendjemandem irgendwo irgendetwas. Das ist so unkonkret, dass wir schlecht damit umgehen können – schließlich sind wir darauf gepolt, nicht zu frühzeitig eigene Kräfte zu verschwenden. Was darin mündet, dass wir einfach abwarten. Motto: Vielleicht bin ich selbst ja gar nicht konkret bedroht. Das Klima ist zu unbestimmt für die menschliche DNA.
Warum geraten wir nicht stärker in Panik?
Erwärmung wird von uns nicht unmittelbar als Bedrohung empfunden. Wärme verbinden wir mit Urlaub. In Wirklichkeit sind Hitzewellen die gewaltigsten Unwetter, die zehntausende Menschenleben kosten – sie sind aber eben nicht so visuell wie Stürme oder Überschwemmungen. Wenn der Klimawandel eine neue Eiszeit bringen würde, wären wir sicher schneller bei der Sache. Kalt will keiner.
Wie kommen wir aber nun ins Handeln?
Wir müssen zunächst mal die mentale Hürde zu nehmen, dass wir das, was wir tun, nicht sehen. Niemand steht morgens auf mit dem Vorsatz, heute verschmutze ich mal so richtig die Atmosphäre. Acht Milliarden Menschen leisten acht Milliarden Mal einen winzigen Impact – in beide Richtungen: Denn auch wer sehr klimafreundlich agiert, wird seinen Beitrag nie unmittelbar widergespiegelt sehen. Es ist also zunächst mal eine Frage der Haltung.
Sven Plöger
… ist Diplom-Meteorologe, Autor zahlreicher Bücher rund um Wetter und Klima
(aktuell: „Zieht euch warm an, es wird noch heißer“, Westend Verlag, 22 Euro (Print), 17.99 Euro (eBook)) sowie Radio- und Fernsehmoderator.
Seit inzwischen 25 Jahren moderiert Sven Plöger „Das Wetter im Ersten“ in der ARD. Seine jüngste Dokumentation „Wie extrem wird das Wetter, Sven Plöger? – Die Macht des El Niño“ lief am 15. April im Fernsehen, online zu finden in der ARD-Mediathek.
Wie kommen wir zu einer Haltung?
Wir verbrauchen jedes Jahr die nachwachsenden Ressourcen von 1,8 Erden. Man muss kein Mathematiker sein, um zu sehen, dass das nicht nachhaltig ist. Jeder muss für sich überlegen und entscheiden: Wie kann es anders gehen? Was will man den Kindern und Enkeln hinterlassen? Der Blick auf die nachfolgenden Generationen kann helfen, den eigenen inneren Schweinehund zu überwinden.
Und was machen wir mit unserer Haltung?
Nach vorne schauen. Es bringt nichts, in Dystopie und Apokalypse zu denken. Wir müssen ohne Schönreden die Situation analysieren, verstehen, wie alles zusammenhängt und schauen, was sich machen lässt. Nur zu konstatieren, dass die gesteckten Ziele eh nicht mehr zu erreichen sind, und deshalb nichts tun, ist zu billig.
Lassen Sie uns lieber auf die Dinge schauen, die schon gut und erfolgreich funktionieren. Wir haben bereits einiges geleistet, nur reicht es eben noch nicht. Also sollten wir einfach an den Stellschrauben, die wir haben, weiterdrehen und möglichst einen Zahn zulegen. Eines müssen wir uns immer vor Augen halten: Der Planet braucht uns nicht, denn der Natur, quasi der Physik, sind wir vollkommen gleichgültig – sie ist für unsere Wünsche taub. Wir müssen das alles für uns selbst tun – oder eben lassen. Was aber weitaus weniger klug wäre. Und obendrein unfair für nachfolgende Generationen.
Warum ist es wichtig, dass Unternehmer sich des Themas annehmen?
Weil sie mit ihren Betrieben einen sehr großen Hebel bei Veränderungen haben.
Wie gehen die Firmen das an?
Man muss in das Thema reinwachsen. Von Natur aus neigt der Mensch dazu, allem erstmal aus dem Weg zu gehen, was Investitionen, Kosten und Anstrengungen erfordert. Und Produktionsprozesse oder Lieferketten zu verändern, bedeutet zunächst ja mal Aufwand.
Ich denke, es ist wichtig, sein Unternehmen genau unter die Lupe zu nehmen und zu schauen, was zielführend ist. Es bringt nichts, sich etwas vorzunehmen, was sich dann nicht umsetzen lässt. Das frustriert nur.
Zudem ist es essenziell, die Belegschaft im Boot zu haben. Man muss eine Begeisterung unter den Mitarbeitern auslösen – so dass diese Lust haben, sich zu engagieren. Dann bekommt das Ganze seinen eigenen Schwung. Andernfalls entsteht schnell eine Skepsis à la „Das klappt doch eh nicht“. Der Tipp klingt vielleicht banal, aber ich denke, eine gute Kommunikation ist entscheidend und wird oft vernachlässigt.
Kann sich Klima-Engagement unternehmerisch auszahlen?
Ein Beispiel: Ich kenne einen mittelständischen Automobilzulieferer, der beschlossen hat, seine Fertigung auf grünen Strom umzustellen – wohlwissend, dass er dafür umbauen muss und seine Produkte teurer werden, aber wohlwissend auch, dass seine Firma ein ganz anderes Image bekommt, gut fürs Recruiting. Menschen arbeiten viel lieber für einen sauberen Arbeitgeber. Zudem erkennt dieser Unternehmer, dass die Konzerne, denen er zuliefert, in Folge von Scope 3 und Co. selbst sauberer werden müssen – und ihn das dann im Spiel hält.
Viele Menschen führen in der Klimadebatte das Argument an, Deutschland sei nur für zwei Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Wir würden daher mit unseren Bestrebungen gar nicht das Weltklima retten können. Diese Argumentation regt Sie sehr auf. Warum?
Deutschland liegt mit diesen zwei Prozent auf Platz 7 aller CO2-Emittenten. Bei 195 Ländern auf der Welt, stoßen also 188 weniger CO2 aus. Damit wird klar, dass zwei Prozent nicht wenig sind, sondern viel.
Natürlich sind Länder nicht gleich groß, aber wenn Sie zum Beispiel die Emission nach Köpfen rechnen, sind Deutsche und Chinesen gleich auf. Und wenn man dann noch bedenkt, wie viele Waren für uns in China gefertigt werden und diese Produktion China angerechnet wird, wird die deutsche Pro-Kopf-Bilanz noch schlechter.
Wenn wir also sagen, „Wir emittieren doch nur zwei Prozent, damit können wir doch alleine die Welt nicht retten“, können die 188 Länder „hinter uns“ das erst recht sagen. Das nenne ich Additionsproblem, denn diese 189 Länder liegen in der Summe bei 40 Prozent des Treibhausgasausstoßes. Sprich: Globale Probleme kann man nur global lösen und muss die Emissionen addieren und zudem rettet man mit Platz 7 leider nicht die Welt, sondern ist einer der größeren Verursacher des Problems.
Warum fühlen wir uns mit dem Argument so wohl?
Dieser Satz ist ein Selbstschutzsatz. Wer ihn anwendet, kann das Klimaproblem anerkennen, aber sich darauf zurückziehen, dass man ohnehin nichts ausrichten kann. Damit hilft man sich selbst aus einer kognitiven Dissonanz. Wir Menschen sind so gestrickt, dass wir eine Sache nicht zugleich gut und schlecht finden können. In dem Moment aber, in dem wir den Klimawandel anerkennen, erkennen wir auch an, dass wir mit in der Verantwortung sind. Wenn wir trotzdem nicht tätig werden, können wir das schlecht aushalten. Deshalb – zurückkommend auf den Zwei-Prozent-Selbstschutzsatz: Wenn man ein großes Problem ist, kann man auf der anderen Seite aber auch viel zu einer positiven Veränderung beitragen!
Interview: Ulrike Heitze
Bild: Adobe Stock/ photoschmidt (oben)/Oliver Hanser (Porträt)