Als Bestandteil des Green Deal sieht die „EU-Taxonomie-Verordnung“ einen einheitlichen Klassifizierungsrahmen für die Bewertung nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten vor. Welche Auswirkungen diese Verordnung für Unternehmen mit sich bringt, erklärt DIHK-Experte Julian Schorpp.
Herr Schorpp, ganz allgemein: Was ist die Taxonomie-Verordnung?
Julian Schorpp: Die Taxonomie-Verordnung ist ein EU-Gesetz, das im Juli 2020 in Kraft getreten ist. Es schafft einen Rahmen für die Einstufung der Nachhaltigkeit von wirtschaftlichen Tätigkeiten. Konkret geht es um sehr präzise und anspruchsvolle Kriterien, anhand derer bewertet werden soll, ob ein Unternehmen mit seinen Produkten zum Klima- und Umweltschutz beiträgt oder eben nicht. Die Kriterien für den Beitrag zum Klimaschutz wurden in großen Teilen bereits verabschiedet, für die Umweltschutzziele sind sie noch in Arbeit.
Ab wann gilt die Verordnung? Und welche Unternehmen sind betroffen?
Erste Anwendungspflichten greifen bereits ab diesem Jahr und betreffen sowohl die Finanz- als auch die Realwirtschaft. Man muss wissen: Die Grundidee der Taxonomie ist, Finanzmarktakteuren eine Richtschnur für die Nachhaltigkeitsbewertung an die Hand zu geben. Zukünftig sollen Anbieter „grüner“ Finanzprodukte angeben, inwiefern die investierten Finanzmittel in Unternehmen fließen, deren Wirtschaftstätigkeiten die Nachhaltigkeitskriterien der EU-Taxonomie erfüllen. Heutzutage sind die Maßstäbe noch unterschiedlich, die beispielsweise bei der Auflage eines „grünen“ Investmentfonds angewandt werden.
In einem ersten Schritt sind also zunächst Banken und andere Finanzmarktakteure betroffen. Was ist mit der Realwirtschaft? Reichen Finanzunternehmen die Berichtspflichten letztlich einfach weiter?
Finanzmarktakteure wie Banken und Investoren werden offenlegen müssen, wie hoch der Anteil ihres Finanzierungsportfolios beziehungsweise ihrer Investitionen ist, der in solche Tätigkeiten fließt, die den Kriterien der Taxonomie entsprechen. Die Bank gibt also jedes Jahr an, wieviel Prozent der eigenen Finanzierungen „konform“ sind mit den Nachhaltigkeitsanforderungen der Taxonomie. Um diese Kennzahlen überhaupt berechnen zu können, bedarf es jedoch der entsprechenden Angaben der Bankkunden. In vielen Fällen werden diese daher entsprechende Daten über ihre eigene Taxonomie-Konformität liefern müssen. Das ist ein hochkomplexes Unterfangen – und hat natürlich perspektivisch Auswirkungen auf die Kreditvergabe.
Ab 2022 sind zunächst große Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern betroffen; was ist mit dem Mittelstand? Welche Auswirkungen kommen für kleine und mittelgroße Unternehmen?
Die explizite Offenlegungspflicht laut Taxonomie-Verordnung betrifft Unternehmen, die laut EU-Recht über ihre Nachhaltigkeit Bericht erstatten müssen. Dies sind laut aktueller Rechtslage in der Tat vor allem größere, kapitalmarktnahe Unternehmen. Die Europäische Kommission hat jedoch im vergangenen Frühjahr vorgeschlagen, die Berichtspflichten auszuweiten. Dadurch würden viel mehr Unternehmen über ihre Nachhaltigkeit und damit auch ihre Taxonomie-Konformität berichten müssen. Darunter befänden sich vermehrt kleine und mittlere Unternehmen.
Praktisch kommt aber hinzu: Die aktuell bereits berichtspflichtigen Unternehmen reichen die an sie gestellten Anforderungen auch an ihre Zulieferer weiter. Denn um die eigene Taxonomie-Konformität umfassend beurteilen zu können, brauchen sie natürlich diese Daten. Dazu kommen noch die konkreten Auswirkungen der Berichtspflicht der Banken. Die können ihre Kennzahlen nur berechnen, wenn sie wissen, ob die Unternehmenskredite für wirtschaftliche Tätigkeiten genutzt werden, welche die Taxonomie-Kriterien einhalten. Der Kreditnehmer muss also genau dies offenlegen.
Zur Person
Julian Schorpp ist Referatsleiter Europäische Energie- und Klimapolitik bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) in Brüssel.
Was raten Sie diesen kleinen und mittelgroßen Unternehmen?
Die Taxonomie wird viel weitreichendere Folgen haben als gemeinhin behauptet, weil auch kleine und mittlere Unternehmen wie erläutert über die Einbindung in eine Wertschöpfungskette oder aufgrund der Anforderungen der Finanzinstitute oder Kapitalgeber immer öfter Daten zur eigenen Nachhaltigkeit vorlegen werden müssen. Es ist deshalb wichtig, sich möglichst frühzeitig mit der eigenen Klima- und Umweltbilanz zu beschäftigen. Auch die Verbesserung dieser sollte in den Fokus rücken, denn perspektivisch ist zu erwarten, dass der Zugang zu Finanzierungen und die Konditionen davon abhängen werden. Erklärtes Ziel der Taxonomie ist neben der Schaffung von Transparenz, Kapital in als nachhaltig definierte Wirtschaftsbereiche umzulenken.
Ist der EU mit der Taxonomie-Verordnung tatsächlich der große Wurf gelungen, oder kommt ein neues Bürokratiemonster auf uns zu?
Mit der Taxonomie kommt auf Unternehmen aller Größenkategorien viel Aufwand zu. Es ist zugleich fraglich, inwieweit sich damit die angestrebten klima- und umweltpolitischen Effekte erreichen lassen. Denn in der Praxis lässt sich wirtschaftliche Tätigkeit oft nicht trennscharf in nachhaltig und nicht nachhaltig einteilen, wie sich viele das vorgestellt haben: Unternehmen, die heute beispielsweise noch viel CO2 emittieren, machen sich nun auf den Weg, ihre Produktionsverfahren und Energieversorgung umzustellen. Dieser Wandel hin zur Klimaneutralität sollte nicht ausgebremst werden, indem der Zugang zu Finanzierungen für den Wandel erschwert wird.
Zudem gilt: Viele heute noch emissionsintensive Branchen tragen mit ihren Waren zur Herstellung von Klimaschutztechnologien bei. So werden in jeder Windkraftanlage große Mengen Stahl oder Kupfer verbaut.
Zudem scheiden sich bei manchen Aktivitäten die Geister. So ist noch nicht klar, ob Investitionen in Gaskraftwerke als nachhaltig gelten können. Deutschland wird hierauf aber in den nächsten Jahren angewiesen sein, um durch Atom- und Kohleausstieg wegfallende Kraftwerkskapazitäten zu ersetzen. Im schlechtesten Fall könnte die Taxonomie die deutsche Energiewende ausbremsen und verteuern.
Zuletzt ist die Taxonomie ein lebendiges Regelwerk, das ständig weiterentwickelt und ausgeweitet werden soll. Die Komplexität nimmt also tendenziell zu. Zudem zeigt sich bereits, dass die Taxonomie nicht wie ursprünglich geplant nur für den Finanzmarkt als Richtschur gelten wird. Bei staatlichen Förderregeln werden bereits Verweise auf die Taxonomie erwogen.
Das Interview erschien zunächst in „Wirtschaft in Mainfranken“, dem Magazin der IHK Würzburg-Schweinfurt.