In vielen Branchen und Berufsgruppen ist der Personalbedarf bereits jetzt schon so groß, dass sich die Wirtschaft ihre Fachkräfte am liebsten backen würde. In den kommenden Jahren wird sich die Lage noch verschärfen. Was sich deshalb für Mitarbeiterbindung und Personalbeschaffung tun lässt, darüber berichten Arbeitgeber aus der Region.
Ich denke, ehrlich gesagt, schon manchmal darüber nach, dass ich mich vor den Standorten anderer Arbeitgeber postiere, um dort Leute aktiv abzuwerben“, sagt Kai Schinkel, Geschäftsführer der Wireless GmbH in Rottweil. Das Unternehmen mit rund einem Dutzend Mitarbeiter, das zur Allnet-Gruppe mit Sitz in Germering bei München mit rund 400 Beschäftigten gehört, ist auf Richtfunk- und WLAN-Technik spezialisiert und sorgt damit für schnelle Internetverbindungen, wo kabelgebundene Lösungen nicht möglich oder nicht wirtschaftlich sind. „Wir brauchen vor allem zwei berufliche Qualifikationen in unserem Team“, erklärt Schinkel, der sich ehrenamtlich im Ausschuss für Informations- und Kommunikationstechnologie des DIHK engagiert, „nämlich Fachinformatiker für Systemintegration und IT-System-Elektroniker“.
Das Problem: Mitarbeiter mit entsprechenden Ausbildungen und optimalerweise einschlägiger Berufserfahrung sind, so Schinkels Erfahrung, auf dem Arbeitsmarkt in Südbaden derzeit schwer zu kriegen (mehr zu den Engpassberufen der Region hier.
Unterstützung & Information
- Welcome Center. Beratungsangebot der IHKs Hochrhein-Bodensee und Schwarzwald-Baar-Heuberg für KMU zur Gewinnung internationaler Fachkräfte. www.schwarzwald-baar-
heuberg.ihk.de 4628594 - Infos zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz. www.suedlicher-oberrhein.ihk.de – Fachkräfteeinwanderungsgesetz
- Broschüre zur Fachkräfteeinwanderung. www.fachkraefteallianz-suedwest.de/projekt/die-richtige-spur-finden
- Lehrgang zur Nachqualifizierung un- oder angelernter Mitarbeiter zu Fachkräften in ausgewählten Berufsbildern (Maschinen- und Anlagenführer, Chemikant, Fachkraft für Lagerlogistik) www.ihkakademie.com
- Web-Seminarreihe zur Fachkräftesicherung. Angebot der IHKs in Baden-Württemberg. Termine unter www.stuttgart.ihk24.de 4986630
- IHK-Fachkräftemonitor. Analyse von Fachkräfteangebot und -nachfrage in Baden-Württemberg, sowie in seinen Regionen und Branchen. www.fachkraeftemonitoring-bw.de
- Informationen für KMU zum Thema Inklusion von gehandicapten Mitarbeitern. www.inklusion-gelingt.de
- Unternehmen integrieren Flüchtlinge. Informationsnetzwerk zum Erfahrungsaustausch. www.unternehmen-integrieren-fluechtlinge.de
Knappheit herrscht an vielen Stellen
Viele Firmen hatten sich während der Pandemie in Sachen Personalbeschaffung eher zurückgehalten, drehen aber jetzt wieder auf. Die hiesigen IHK-Experten sind mit Erfahrungen, wie sie Kai Schinkel macht, deshalb vertraut – und bekommen in ihren Gesprächen mit Unternehmern davon in jüngerer Zeit wieder vermehrt mit. Da ist zum einen der Mangel an ausbildungswilligen Jugendlichen, zum anderen der an bereits qualifizierten Bewerbern für freie Stellen.
„Die Branchen sind da unterschiedlich stark betroffen, wenngleich die Nachfrage nach Fachkräften in der Breite stark ist und wohl weiter zunehmen wird“, erläutert Philipp Hilsenbek, Geschäftsbereichsleiter Standortpolitik bei der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg. „Wir beobachten besonders im Lebensmitteleinzelhandel, in der Gastronomie, bei Automobilzulieferern und teils auch in der Medizintechnik, die in unserem Bezirk eine große Rolle spielt, Engpässe bei der Fachkräfteversorgung“, so der IHK-Experte. Doch genaue Zahlen gebe es dazu nicht – nur Rückmeldungen aus den Unternehmen. „Tendenziell kann man sagen, dass es umso schwieriger für Arbeitgeber wird, je ländlicher ihr Standort ist“, sagt Hilsenbek.
Bei der IHK Hochrhein-Bodensee wirkt sich laut Alexander Graf, dort Geschäftsführer für den Bereich Standortpolitik, die Grenzlage besonders deutlich aus: „Schweizer Unternehmen zahlen ihren Fachkräften deutlich höhere Löhne, im Schnitt 30 Prozent. Das ist für viele Arbeitnehmer natürlich attraktiv. Deutsche Unternehmen können bei diesem Niveau nicht mithalten.“ In seinem Bezirk sei die Nachfrage nach Fachkräften besonders im Dienstleistungssektor sehr groß und übersteige das Angebot. „Über 50 Prozent der Unternehmen aus diesen Branchen haben in den letzten Konjunkturumfragen angegeben, dass der Fachkräftemangel das größte Problem darstellt und ihnen Sorgen bereitet, sehr viel mehr als beispielsweise im Handel oder in der Industrie“, so Graf.
Für die weitere Zukunft rechnen die Vertreter aller drei Kammern tendenziell mit einer Verschärfung der Lage für viele Berufsgruppen. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von der Demografie bis zum anhaltenden Trend zum Studium, der am tatsächlichen Bedarf des Arbeitsmarktes in vielen Fällen vorbeigeht. Das ist auch aus Sicht von Philipp Hilsenbek ein ganz entscheidender Faktor: „Wir setzen uns sehr dafür ein, dass der Stellenwert der dualen Ausbildung ausgebaut wird: bei Eltern, Lehrern, Jugendlichen und Politikern. Sie vermittelt Qualifikationen, die für die Leistungserbringung der Unternehmen von elementarer Wichtigkeit sind.“
Zudem sei in manchen Branchen ein merklich steigender Bedarf insgesamt an Fachkräften zu beobachten, merkt Simon Kaiser an, Geschäftsführer für den Bereich Aus- und Weiterbildung bei der IHK Südlicher Oberrhein: „Das gilt etwa in der Logistik, in den IT-Berufen oder im Bereich der Elektrotechnik.“
Wie groß dann jeweils der Wettbewerb um qualifizierte Kräfte sein wird, dafür spielen regionale Besonderheiten, etwa Branchenschwerpunkte in einzelnen Kreisen und Regionen, sowie die schon erwähnte Konkurrenz durch Arbeitgeber aus der Schweiz eine Rolle.
„Wichtig ist, dass man die Thematik nicht immer nur unter negativen Vorzeichen sieht“, hebt Philipp Hilsenbek hervor – und betont damit die Möglichkeiten der Betriebe, auf die Situation zu reagieren. „Schließlich steckt dahinter ja letztlich eine positive Entwicklung“, so der IHK-Experte. Wachstum bedingt eben auch eine stärkere Nachfrage nach qualifizierten Kräften. Den Ausdruck Fachkräftebedarf ziehe er darum dem Schlagwort Fachkräftemangel vor.
Ausbildung holt Mitarbeiter schon frühzeitig ab
Aus Hilsenbeks Sicht ist ein Königsweg zur Fachkräftegewinnung die Ausbildung im eigenen Unternehmen – sei es über eine klassische Lehre, ein duales Studium oder eine zielgerichtete Fortbildung. Das sieht man bei der Anton Häring KG in Bubsheim aus eigener, 60-jähriger Erfahrung ebenso. „Wir würden anderen Arbeitgebern ans Herz legen, was wir bereits seit der Unternehmensgründung aktiv vorantreiben, die Ausbildung der Fach- und Führungskräfte im eigenen Haus“, erklärt Miriam Häring, Geschäftsführerin des Fertigungsspezialisten für Präzisionsteile mit mittlerweile rund 4.000 Beschäftigten weltweit.
„Wir können es nur empfehlen, sich intensiv mit dem Thema Ausbildung zu beschäftigen, attraktive Projekte während der Ausbildungszeit anzubieten, Einblicke und Zusatzqualifikationen zu ermöglichen und auch nach Ende der Lehrzeit mit einer fairen Übernahmechance und attraktiven Jobangeboten die jungen Fachkräfte im Unternehmen zu halten und weiter auf ihrer Karriereleiter zu begleiten“, so Miriam Häring.
Bei Häring hat man das gemeinsam mit anderen Industrieunternehmen aus der Region Heuberg-Donautal, der Erwin-Teufel-Schule Spaichingen, der Hochschule Furtwangen, dem Förderverein Hochschulcampus Tuttlingen und der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg so weit getrieben, dass man mit dem „Industriestudium“ sogar eine eigene, neuartige Ausbildungsform geschaffen hat. Dabei können junge Leute in viereinhalb Jahren einen Bachelor-Studiengang mit integriertem IHK-Ausbildungsabschluss durchlaufen und Industriemodule in verschiedenen Unternehmen belegen – akademischer Grad plus viel Praxisbezug.
Wireless-Geschäftsführer Kai Schinkel hat bei der Suche nach IT-Fachkräften auf das Thema Quereinsteiger gesetzt, um über Umschulungen passende Mitarbeiter in seinen Betrieb nach Rottweil zu bekommen. Er muss aber ernüchtert feststellen: „Wir haben es achtmal versucht – ohne bleibenden Erfolg.“ Etwas besser lief es mit der Integration von Fachkräften aus dem Ausland. Da sei der Verwaltungsaufwand etwas größer, aber immerhin seien einzelne gute Kräfte im Betrieb geblieben. „Andere, die wirklich auch gut waren, darunter ein Nachrichtentechnikfachmann aus dem Irak, haben leider nicht die nötigen Aufenthaltsberechtigungen bekommen“, erinnert sich Schinkel. „Schade.“
Vielleicht geht das Anwerben von Arbeitskräften aus dem Ausland perspektivisch leichter von der Hand. Dieses Ziel hat sich zumindest die viel diskutierte „The Länd“-Kampagne der Landesregierung auf die Fahne geschrieben, die Ende Oktober an den Start ging.
Aber es gibt noch andere Quellen, die sich fürs Rekrutieren anzapfen lassen. So weiß zum Beispiel Philipp Klemenz, Referent für Umwelt und Technologie bei der IHK Südlicher Oberrhein, von einem IT-Unternehmen aus der Ortenau, das mindestens einmal schon seinen Fachkräftebedarf aus dem Kreis ehemaliger Berufssoldaten der Bundeswehr gedeckt hat. Not macht erfinderisch. Fantasie ebenso.
An der eigenen Anziehungskraft arbeiten
„Viele Unternehmen haben das Problem früh erkannt und bereits Maßnahmen ergriffen, um Mitarbeiter zu halten und neue zu gewinnen. Dabei geht es in erster Linie darum, die Arbeitgeberattraktivität zu steigern“, stellt Alexander Graf von der IHK Hochrhein-Bodensee fest. Das beginnt ganz banal bei der Bezahlung. „Wir haben in den letzten Jahren das Monatsgehalt um mehrere hundert Euro angehoben“, sagt etwa Kai Schinkel – um die Leute zu halten. Natürlich gebe es da Grenzen, weil man ja wettbewerbsfähig bleiben müsse.
Doch die Ansätze, sich als Arbeitgeber aufzuwerten, sind vielfältig. So hat die Transco-Logistik-Gruppe in Singen mit nun 700 Beschäftigten, eigentlich auf motorisierten Verkehr spezialisiert, flächendeckend das Jobrad als zusätzlichen Mitarbeiterbenefit eingeführt. In diese Kategorie fallen bei Transco auch die kostenlos angebotenen Äpfel und freien Getränke wie Wasser oder Kaffee sowie Gratissportkurse und die Nutzung eines Fitnessraums in der Zentrale in Singen. Auch besonders umfassende Führungskräfteweiterbildung soll die Arbeitgeberattraktivität erhöhen. „Für die weitere positive Entwicklung benötigen wir hochqualifiziertes Personal“, sagt Transco-Geschäftsführer Christian Bücheler – daher seien die Maßnahmen wichtig.
Bei der Burger Group in Schonach, einem Komplettanbieter für kundenspezifische Antriebstechnik mit rund 1.000 Beschäftigten, bietet man seit Jahrzehnten der Belegschaft zu attraktiven Konditionen mehrere Dutzend Werkswohnungen an, welche den Beschäftigten das Unterkommen erleichtert.
Die Firma Braunform in Bahlingen im Landkreis Emmendingen, Anbieter von Dienstleistungen und Lösungen für die kunststoffverarbeitende Industrie samt Präzisionsformenbau mit 380 Beschäftigten, leistete sich im vergangenen Jahr bereits zum dritten Mal die Zertifizierung zum „Top-Arbeitgeber“. Dahinter steckt ein Arbeitgeberwettbewerb, bei dem Mitarbeiter nach ihrer Meinung zum Brötchengeber befragt werden. Zu den Benefits für die Belegschaft gehören dort unter anderem verschiedene Leistungen für die Gesundheitsvorsorge: Sportveranstaltungen, Mitgliedschaft im Fitnessnetzwerk Hansefit sowie Vorsorgeuntersuchungen wie Vitalchecks und Hautkrebsscreenings.
Auch andere Arbeitgebersiegel von „Top-Job“ über „Fair Company“ und „Great Place to Work“ bis zum „Audit Beruf und Familie“ können für die Profilierung bei Bewerbern hilfreich sein. Die Teilnahme ist in der Regel aber mit – mal mehr, mal weniger hohen – Kosten und Arbeit verbunden. Ob der Einsatz lohnt, muss jedes Unternehmen für sich analysieren.
Von recht großer Bedeutung ist es aber mittlerweile, die eigenen Profile bei Arbeitgeberbewertungsportalen wie etwa Kununu und Glassdoor aktiv zu pflegen.
Interview mit Jörg Dattler (49)
Geschäftsführer des Schlossbergrestaurants Dattler in Freiburg und Leiter der Fachgruppe Berufsbildung beim Dehoga-Kreisverband Freiburg
Wie beurteilen Sie die Personalsituation im Gastgewerbe in Südbaden?
Jörg Dattler: Die Lage ist dramatisch. So deutlich muss man es sagen. Nach allem, was ich von Kollegen höre, und auch mit Blick auf meine eigenen Erfahrungen gibt es quasi keine Stellenneubesetzung mehr, die unproblematisch läuft. … zum ganzen Interview
Berufe aufwerten, Arbeitsbedingungen verbessern
Während es in manchen Berufsgruppen oder Branchen „ausreicht“, sich nur wirkungsvoll genug vom Wettbewerber abzuheben, sehen sich andere Arbeitgeber der Aufgabe gegenüber, das Arbeiten in ihrer Branche überhaupt anpreisen zu müssen. Schichtdienst, Wochenendarbeit oder Abendeinsätze wie etwa in Hotellerie und Gastronomie, im Speditionswesen oder in der Pflege machen es Unternehmen nicht leicht, Bewerber zu motivieren und erfahrene Kräfte zu halten, wenn es in anderen Branchen immer mehr einfachere Alternativen für sie gibt.
Ideen, wie man gegensteuern kann, haben zum Beispiel Jörg Dattler vom Schlossbergrestaurant Dattler in Freiburg (siehe Interview rechts) und das Hotel Ritter Durbach. Das Vier-Sterne-Haus an der Badischen Weinstraße hat sein Personalkonzept jüngst neu aufgestellt und bietet Mitarbeitern neben übertariflichen Gehältern auch ein Mitarbeiterferienhaus am Bodensee und einen eigenen Conciergeservice, der Erledigungen für die Kollegen übernimmt. Vor allem aber verspricht es mit einer Vier-Tage-Woche eine Lösung für die nicht immer ganz so leicht mit der Work-Life-Balance zu vereinbarenden Arbeitszeiten in der Hotellerie.
Unterm Strich kann als Erfolgsfaktor für die Fachkräftewerbung und -bindung wohl gelten: Viel hilft viel. „Man sollte die Stärken des Unternehmens herausstellen und dabei aus allen Rohren schießen“, rät Simon Kaiser von der IHK Südlicher Oberrhein. „Es gilt, alle verfügbaren Hebel zu nutzen, die ich als Arbeitgeber habe, um potenzielle Bewerber anzusprechen – etwa auch eigene Mitarbeiter als Multiplikatoren einzusetzen.“
Text: Holger Schindler
Bild Lebkuchenmann: Adobe Stock – rustamank
IHK Hochrhein-Bodensee:
Alexander Graf
Telefon: 07622 3907-213
Mail: alexander.graf@konstanz.ihk.de
IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg:
Philipp Hilsenbek
Telefon: 07721 922-126
Mail: hilsenbek@vs.ihk.de
IHK Südlicher Oberrhein:
Simon Kaiser
Telefon: 0761 3858-150
Mail: simon.kaiser@freiburg.ihk.de