Ist man im Landkreis Konstanz auf Straßen in Baustellennähe unterwegs, so mag einem vielleicht Julien Catediano vom Führerhaus eines lilafarbenen Lkw entgegenblicken. Nichts erscheint daran ungewöhnlich oder überraschend, er wirkt wie jeder andere Berufskraftfahrer. Was man dabei jedoch nicht sieht und bis auf ein leichtes Humpeln kaum auffällt, wenn er aussteigt und über die Baustelle läuft: Catediano hat eine Unterschenkelprothese. Der 29-Jährige erlitt 2015 einen schweren Autounfall, infolgedessen sein linker Unterschenkel amputiert und durch eine Prothese ersetzt wurde. Da er zuvor keine Berufsausbildung abgeschlossen hatte, fühlte sich die Rentenversicherung nicht für seinen Fall zuständig. Der zweifache Vater stand plötzlich ohne alles da.
Meinrad Joos und Bianca Auer vom Fuhrunternehmen Joos GmbH, bei dem Catediano zuvor als ungelernter Bauhelfer tätig war, wollten ihn nicht hängen lassen. Sie boten ihm einen Ausbildungsplatz zum Berufskraftfahrer an. Dies war der erste Ausbildungsplatz in dem Unternehmen überhaupt. Die Branche ist momentan stark am Wachsen, ein Großteil der Lkw-Fahrer in Deutschland ist jedoch über 50 Jahre alt, und bereits jetzt besteht Nachwuchsmangel. In der Baubranche sind Lehrlinge aber schwer zu finden.
Unterstützung fanden die Beteiligten bei Elmar Häusler, dem damaligen stellvertretenden Leiter der Ausbildung bei der IHK Hochrhein-Bodensee, und der Bundesagentur für Arbeit. Gemeinsam schmiedeten sie einen Ausbildungsplan für Catediano. Durch ein neues Qualifizierungsprogramm der Bundesagentur für Arbeit erhielt er während seiner Ausbildung einen Zuschuss und somit dasselbe Gehalt, welches er vorher als Bauhelfer bekommen hatte. So konnte er für seine Familie sorgen und sich zugleich weiterbilden. Um die Überwindung von bürokratischen und organisatorischen Hürden in der Ausbildung kümmerte sich Häusler. Er führte Diskussionen bis in die Ministerien, um Catediano trotz Handicap die Ausbildung zu ermöglichen. Häusler erzählt zum Beispiel von Konflikten mit dem TÜV. So wurde Catediano verpflichtet nachzuweisen, dass er einen großen Lastwagen mit nur einem gesunden Bein fahren kann. „Er musste für den TÜV-Prüfer mehrfach ein- und aussteigen, um zu zeigen, dass er das ohne fremde Hilfe kann“, erinnert sich Häusler. Der Kraftverkehrsmeister und Catedianos Ausbilder Samuel Roth unterstützte den jungen Mann stark in Sachen Berufsschule. „Julien war schon zehn Jahre von der Schule weg. Er musste beim Lernen bei null anfangen“, sagt er. Da er für die Ausbildung nur zwei statt drei Jahre Zeit hatte, war die Herausforderung noch größer, doch gemeinsam wurde sie überwunden.
Sie alle konnten den Weg nur ebnen, gehen musste Catediano ihn jedoch selbst. Und das machte er. „Inzwischen ist es für mich einfacher, mit einem Lkw einzuparken als mit meinem eigenen Auto“, sagt der junge Mann stolz, der im Sommer 2019 seine Ausbildung bei der Joos GmbH mit einem sehr guten Ergebnis abgeschlossen hat und übernommen wurde. Für Geschäftsführer Meinrad Joos ist Catediano heute als gelernter Berufskraftfahrer ein besonders wertvoller Mitarbeiter mit Perspektive. „Er kann eine Batterie selbst warten, er kann einen Kundendienst am Lkw durchführen, er kennt alle Schaltpläne. Wenn man Berufskraftfahrer hört, denkt man gar nicht, was da alles dahintersteckt.“ Für die Zukunft wünscht er sich, noch mehr junge Menschen in seinem Unternehmen ausbilden zu können und wird auch im nächsten Jahr einen Ausbildungsplatz ausschreiben.
Benjamin Weißenhorn, Nachfolger Häuslers als Ausbildungsberater für gewerblich-technische Berufe bei der IHK, spricht sich für mehr Individuallösungen in der dualen Ausbildung aus: „Ich würde mir wünschen, dass so mancher Unternehmer die Chance nutzt und neue Wege einschlägt. Es ist wichtig, Menschen mit körperlichen Einschränkungen oder kurvenreichen Lebensläufen eine Chance zu geben. Besonders in Zeiten des Fachkräftemangels.“ Die IHK unterstützt ihre Mitgliedsunternehmen gerne dabei.
doe
Benjamin Weißenhorn
Telefon: 07531 2860-119
Mail: benjamin.weissenhorn@konstanz.ihk.de