Vor einem Jahr wählte die Vollversammlung der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg Birgit Hakenjos-Boyd zur Präsidentin. Wie sie als erste Frau in dieser Position ihr erstes Amtsjahr erlebt hat, welche Erfahrungen sie gemacht hat und welche Themen sie aktuell beschäftigen, erzählt die Geschäftsführerin des Schwenninger Präzisionswerkzeugherstellers Hakos im Interview.

Sie sind jetzt seit einem Jahr IHK-Präsidentin. Was hat sich in diesem Jahr für Sie verändert, was für Ihr Unternehmen?
Meine Medienpräsenz ist deutlich größer geworden. Das hätte ich mir nicht so vorgestellt. Ich habe mich anfangs gewundert, wie viel ich in der Presse vorkam. Für meine Firma kann ich sagen – vor allem was die Mitarbeiterrekrutierung anbelangt – werden wir jetzt gleich gesehen wie die großen Firmen. Da hab ich jetzt durch die IHK-Präsidentschaft einen höheren Stellenwert auf dem Arbeitsmarkt bekommen. Wir sind ja nur 70 Mitarbeiter stark, da ist eine solche Situation im Moment Gold wert. Ich habe sehr schnell sämtliche Azubis verpflichtet, das ist schon toll.
Wie organisieren Sie sich jetzt mit Ihrem ehrenamtlichen Zusatzjob?
Ich mache viel am Wochenende: Alles, was ich vorbereiten kann und durchlesen sollte, weil ich dafür unter der Woche keine Luft habe. Ich habe festgestellt, dass das Hauptamt der IHK sehr gut organisiert ist. Dennoch kann ich meine Ideen problemlos einbringen. Aber das Tagesgeschäft läuft von allein, wie ein Zahnrad. Da brauche ich mich als Präsidentin gar nicht einmischen.
Welche Themen liegen Ihnen am Herzen?
Für mich sind die Standortentwicklung, die Fachkräftegewinnung und die Nachfolgeregelung ganz wichtig, daran möchte ich arbeiten. Momentan brennt mir auch das Thema Europa und Europawahl unter den Nägeln. Das ist ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit in diesem Jahr. Bei der Vollversammlung hat jedes Mitglied Plakate in die Hand gedrückt bekommen, die sie persönlich in ihren Unternehmen aufhängen und Gespräche mit ihren Mitarbeitern führen sollen, dass die einfach zur Wahl gehen. Denn es kann entscheidend sein, wie viele Wähler tatsächlich zur Urne gehen. Die Unzufriedenen gehen auf jeden Fall, deswegen müssen wir diejenigen mobilisieren, die zufrieden sind und die in Europa die Chance für den Erhalt unseres Wohlstands sehen. Ich wünsche mir, dass die Europawahl zugunsten Europas ausgeht, dass nicht der Populismus siegt.
In Europa steht aktuell nicht nur die Wahl auf der Agenda, sondern auch der Brexit.
Mein Mann ist Engländer, der Brexit ist bei uns natürlich allgegenwärtig. Er hat jetzt übrigens die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Im Spiegel stand: Die Briten werden von Pragmatikern zu Träumern, und das ist wirklich wahr. Die träumen vor sich hin. Natürlich ist Europa nicht perfekt, aber es ist das einzige System, das ich mir für die Zukunft des Kontinents vorstellen kann. Wir müssen daran arbeiten, dass es nicht auseinanderbricht.
Finden Sie die EU gerecht?
Es gibt kaum gerechte Systeme. Auch in Deutschland werden sicherlich nicht alle gleichberechtigt behandelt – das fängt ja schon beim Verhältnis zwischen Mann und Frau an. Da haben wir auch nach wie vor Handlungsbedarf. Ich finde aber, dass Europa das gerechteste System ist, das wir haben können. Natürlich gibt es Zahler und Nehmer. Deutschland ist zwar ein Zahler, aber wir profitieren dafür von den Exporten. Alle Volkswirtschaften in Europa müssten das eigentlich hinbekommen, auch Italien gebe ich noch lange nicht auf. Ich glaube an Europa, und ich finde es wert, dafür zu kämpfen. Das ist die einzige Zukunft, die ich sehe. Nur als Europa werden wir von den Großmächten China und USA wahrgenommen. Wenn wir nicht zusammenhalten, gehen wir komplett unter.
Die Konjunktur schwächelt etwas. Merken Sie das schon in Ihrem Unternehmen?
Die Nachfrage von unseren Kunden ist nach wie vor da, aber wir müssen mehr nachhaken, wir kämpfen mehr um Aufträge als noch vor einem halben Jahr. Aber insgesamt läuft es immer noch gut. Ich bin Optimistin, ich glaube nicht so richtig an eine Rezession. Allerdings sehen wir auch, dass uns ein Strukturwandel bevorsteht. Die Elektromobilität wird an Gewicht gewinnen, aber sie wird den Benziner nicht von heute auf morgen verdrängen. Ich halte auch die Dieseldebatte für komplett überzogen. Der Diesel hat seine Berechtigung genauso wie der Benziner, das Elektrofahrzeug und vielleicht auch die Brennstoffzelle. Ich glaube, es ist noch nicht entschieden, auf welche Mobilität wir uns einigen werden. Wir haben Kurzstrecken, wir haben Langstrecken. Wir müssen über alle Antriebssysteme nach wie vor nachdenken. Ich hoffe, dass diese teils üble Diskussion über die Mobilität, die bisher geführt wird, aufhört. Das gefällt mir gar nicht. Das ist zu wenig sachorientiert, und da hängen einfach zu viele Arbeitsplätze dran.
Zum Thema Standort, Stichwort ländlicher Raum. Den Begriff mögen Sie nicht …
Nein, der ist einfach abwertend, und er passt nicht zu uns. Wir haben eine der höchsten Industriedichten in Europa mit Perlen an Firmen auf dem Heuberg, der Baar und im Schwarzwald, die ihresgleichen suchen. Die vielen Hidden Champions und Marktführer haben hohe Exportquoten, ihre Produkte sind auf der ganzen Welt gefragt. Wenn man sagt, die sind im ländlichen Raum, dann werden sie nicht mit 5G berücksichtigt oder beim Breitbandausbau. Gäubahn ist auch so ein Thema. Das klingt nach Bummelbahn und Ausflugszielen. Wenn die Strecke Transit Stuttgart-Zürich hieße, würde sie ganz anders wahrgenommen.
Treibt Sie das Thema erst um, seit Sie IHK-Präsidentin sind, oder schon länger?
Das treibt mich eigentlich schon immer um, weil das ja auch mit der Fachkräftezuwanderung zu tun hat. Wenn einer in der Großstadt studiert, will der dann wirklich zurück in den sogenannten ländlichen Raum? Deswegen müssen wir uns Technologieraum nennen oder Hightech oder etwas ähnliches wie Silicon Valley. Das ist städtisch gesehen ja auch nicht das Mekka.
Beim Fachkräftenachwuchs sieht es doch gut aus. Die Messe Jobs for Future, die Sie kürzlich eröffnet haben, verzeichnete eine Rekordzahl an Besuchern.
Absolut. Und wir haben es geschafft, die Auszubildendenzahlen nochmal zu steigern.
Entscheiden sich auch mehr Mädchen für technische Berufe?
Das versuchen wir, sind aber noch weit von der Parität entfernt. Wenn man sich die Schulnoten anguckt, sind Mädchen sehr oft besser, egal ob in Mathe oder Physik. Aber sie trauen sich immer noch nicht zu, in MINT-Berufe einzusteigen. Schade.
Zur Person
Birgit Hakenjos-Boyd (53) ist seit 2018 Präsidentin der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg und seit 2002 Geschäftsführerin der Hakos GmbH in Schwenningen. Das 1910 gegründete Unternehmen fertigt Spritzgießwerkzeug-Komponenten für den Formenbau, Einzelteile im µ-Bereich für den Maschinenbau sowie Sondergewindebohrer. Es beschäftigt aktuell etwa 70 Mitarbeiter und setzte 2018 rund sieben Millionen Euro um.
Birgit Hakenjos-Boyd ist 1985 in den Familienbetrieb eingestiegen, nachdem sie Ausbildungen zur Feinwerkmechanikerin und zur Industriekauffrau abgeschlossen hatte. Die Unternehmerin ist in zweiter Ehe mit einem Briten verheiratet. Ihr 20-jähriger Sohn studiert Technische Volkswirtschaft am KIT in Karlsruhe.
Sie als IHK-Präsidentin könnten da eine Vorbildrolle einnehmen, zumal Sie selbst eine technische Ausbildung absolviert haben. Wollen Sie das?
Würde ich schon gerne. Man sieht ja auch, dass es möglich ist mit einer Ausbildung – oder in meinem Fall zwei – Karriere zu machen. Das darf ruhig Ansporn sein.
Nachfolge ist Ihr drittes großes Thema. Angesichts des guten Arbeitsmarktes lässt der Gründungswille aktuell nach …
Natürlich würde ich mir mehr Gründungen wünschen. Gründung bedeutet auch gleichzeitig mehr Innovationen, neue Ideen, jüngere Leute und dass Absolventen der Hochschule Furtwangen hierbleiben und sich niederlassen. Genügend Nachfolgemöglichkeiten gäbe es. Ich kenne 80-jährige Unternehmer, die immer noch arbeiten. Die sollten sich helfen lassen, damit jüngere Chancensucher ihre Möglichkeiten bekommen.
Sie sind vor einem Jahr in der IHK von Null auf Hundert gestartet, waren davor nicht mal Vollversammlungsmitglied. War Ihnen damals bewusst, wofür die IHK steht?
Nein, ich war überwältigt von der Fülle der IHK-Aufgaben. Deshalb habe ich am Anfang auch überlegt, ob ich das schaffen kann vom Pensum her. Weil die IHK so eine Tiefe anbietet, Unterstützung für Unternehmen in allen erdenklichen Lebenslagen – ob im Ausland über die AHKs oder in Berlin als Interessenvertretung für unsere Mitgliedsunternehmen. Das habe ich ja jetzt gesehen: Beim DIHK im Berliner Haus der Wirtschaft gehen die Politiker jeden Tag ein und aus. Das ist spannend, und die Kollegen vom DIHK machen wirklich einen guten Job. Sie versuchen, alle möglichen Leute an einen Tisch zu kriegen. Was für einen Einfluss die IHKs haben, war mir so nicht bewusst. Wenn man sich da reinkniet, kann man wirklich was tun.
Wenn Sie die IHK gar nicht so gut kannten – was hat Sie dann zur Kandidatur für die Vollversammlung bewogen?
Meine Unternehmerkollegin Bettina Schuler-Kargoll. Sie hat gesagt: Du machst das. Bettina und ich treffen uns mit noch zwei weiteren Damen einmal im Monat zum sogenannten Frauen-Power-Mittagessen. Und irgendwann hat sie mich gefragt, ob ich Lust hätte und mir das vorstellen könnte. Ich hörte da gerade als Beirat beim WVIB auf, weil dieses Amt auf zwölf Jahre begrenzt ist. Und mein Sohn ist ausgezogen. Deshalb habe ich gedacht, ich habe mehr Zeit und kann in die Vollversammlung gehen. So hat es angefangen. Und dann kam’s ja nochmal anders.
Als IHK-Präsidentin sind Sie nun auch Mitglied der DIHK-Vollversammlung in Berlin. Wie haben Sie Ihre bislang zwei Sitzungen erlebt? Haben Sie die neun anderen Präsidentinnen kennengelernt?
Ich wurde ganz toll aufgenommen. Aber ich habe natürlich noch lange nicht alle kennengelernt. In Berlin hatten wir extra einen Präsidentinnentisch. Ich fühle mich dort sehr wohl, die Gespräche sind super interessant.
Ihr Fazit nach einem Jahr IHK-Präsidentschaft – mehr Lust oder mehr Last?
Mehr Lust. Weil ich echt tolle Leute kennenlerne. Die Themen, von denen ich denke, die sind für die Region wichtig, mache ich gern, wenn ich persönlich etwas dazu beitragen kann. Da bin ich immer noch Feuer und Flamme, das macht mir Spaß. Wir sind noch lange nicht am Ende mit unserem Programm. Es ist wichtig, dass wir die Themen gebündelt anpacken, dass die Leute wissen, an welchen Strängen sie ziehen sollen, dass nicht alle in unterschiedliche Richtungen ziehen. Es wird auch immer wieder neue Themen geben wie jetzt die Europapolitik. Wer weiß, was nächstes Jahr kommt.
Interview: kat/bk