Der Fachkräftemangel ist bereits heute eine zentrale Herausforderung für Unternehmen am südlichen Oberrhein: Schwierigkeiten bei der Neubesetzung von Stellen ziehen sich durch alle Branchen. Welche Megatrends es am Arbeitsmarkt gibt und welche Wege zur Fachkräftesicherung führen könnten, diskutierten Unternehmen bei einem Arbeitsmarktgespräch der IHK Südlicher Oberrhein mit Daniel Terzenbach, Vorstand Regionen der Bundesagentur für Arbeit.
Die Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt sind groß. „Im Herbst 2021 meldeten bereits 60 Prozent unserer Unternehmen am südlichen Oberrhein, dass sie offene Stellen nicht besetzen können. Aufgrund des Fachkräftemangels können mögliche Umsätze und Geschäfte an vielen Stellen nicht mehr getätigt werden“, skizzierte Eberhard Liebherr, Präsident der IHK Südlicher Oberrhein bei seiner Begrüßung die Lage in der Region. „Gerade jetzt ist es daher wichtig für uns, an all den Stellschrauben zu drehen, die einen Beitrag zur Bewältigung des Fachkräftemangels leisten können“, betonte Liebherr beim Arbeitsmarktgespräch der IHK in der Sensor Intelligence Academy von Sick in Waldkirch-Buchholz.
Corona verändert den Arbeitsmarkt dauerhaft
Daniel Terzenbach, Vorstand Regionen der Bundesagentur für Arbeit, erläuterte in seinem Vortrag zunächst die bundesweite Lage: „Deutschlandweit herrscht am Arbeitsmarkt eine Krise, die durch Corona weiter verstärkt wurde. An der Spitze der Epidemie im April 2020 befanden sich rund sechs Millionen Beschäftigte in Deutschland in Kurzarbeit.“ Das besondere bei Corona sei, dass es sich um eine transformative Krise handelt. Das heißt, dass der Arbeitsmarkt nicht in seinen ursprünglichen Zustand zurückkehren werde, wie es beispielsweise bei der Wirtschaftskrise 2008 der Fall war, sondern sich substanziell verändern werde, erklärte Terzenbach. Während es vor der Krise etwa zehn Prozent Onlinegeschäft im Einzelhandel gab, ist dieser Wert auf 30 Prozent gestiegen und wird auch nach der Krise nicht wieder sinken. „Die Krise wird dauerhafte Auswirkungen auf den stationären Handel in den Innenstädten, aber auch in anderen Bereichen des Arbeitsmarkts haben“, sagt Terzenbach. Für das Ausbildungsjahr 2020/2021 verzeichnete die Bundesagentur für Arbeit das 14. Jahr in Folge mehr unbesetzte Ausbildungsplätze als unvermittelte Bewerber. Terzenbach: „Auf 63.200 freie Ausbildungsplätze kamen nur 24.600 suchende Bewerber.“
Soziale und wirtschaftliche Standards auf dem Spiel
Drei Megatrends bestimmen derzeit die Entwicklung am Arbeitsmarkt: die Demografie, die Zuwanderung und die digitale Transformation. Die Bevölkerungszahlen in Deutschland nehmen langfristig ab, die Bevölkerung wird älter. Der demografische Wandel wird gravierende Auswirkungen auf Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und die sozialen Sicherungssysteme haben. „Kernfrage der nächsten fünf bis zehn Jahre wird es sein, wie wir unsere sozialen und wirtschaftlichen Standards halten können“, unterstrich der Experte. Die Zuwanderung spielt dabei eine entscheidende Rolle. „Wir sind auf Migration angewiesen. Ohne Zuwanderer wären die Engpässe am deutschen Arbeitsmarkt viel größer. Sogar bei einer Zuwanderung von 100.000 Personen bis 2035 würde das Erwerbspersonenpotenzial auf minus sechs Prozent sinken, das würde also nicht reichen, um unseren Arbeitskräftebedarf zu decken“, rechnete Terzenbach vor.
Durch die digitale und ökologische Transformation können künftig komplexere Tätigkeiten, beispielsweise in Fertigungs- oder Helferberufen automatisiert werden. „Befürchtungen vor massivem Beschäftigungsabbau sind an dieser Stelle jedoch unbegründet, vielmehr werden sich Inhalte der Berufe permanent wandeln, sodass wir mehr in Bildung und lebenslanges Lernen investieren müssen“, weiß Terzenbach.
Fachkräfteeinwanderung als ein Schlüssel
Ein wichtiger Hebel, um den Herausforderungen insgesamt zu begegnen, ist die Fachkräfteeinwanderung. Terzenbach: „Wir spüren, dass die Zuwanderung aus europäischen Ländern abebbt und müssen jetzt verstärkt nach Ländern suchen, die bereit sind, mit uns zu kooperieren. Hier kommen Länder wie Indonesien, Brasilien, Mexiko oder Marokko ins Spiel. Dabei stehen wir jedoch verstärkt im internationalen Wettbewerb um Arbeitsmigranten und müssen jetzt mehr investieren.“
Als mögliche Investitionen nennt der Experte die – auch finanzielle – Förderung der deutschen Sprache bereits im Herkunftsland, die Förderung der sozialen und gesellschaftlichen Integration in Deutschland und die Investition in eine vereinfachte Anerkennung von Bildungsstandards. „Zentrale Aufgabe wird es sein, starke, regionale Netzwerke zu erarbeiten, die gemeinsam, ohne Konkurrenzgedanken zwischen Unternehmen oder Behörden, lokale Strategien entwickeln, um die benötigte Migration in der Region voranzutreiben“, ist Terzenbach überzeugt.
Fachkräfteeinwanderungsgesetz mit Macken
In der abschließenden Diskussion stellte Dieter Salomon, Hauptgeschäftsführer der IHK Südlicher Oberrhein, die Frage, welche Rolle dabei das Fachkräfteeinwanderungsgesetz spielt, das im März vergangenen Jahres in Kraft getreten ist. „Das Gesetz funktioniert bisher nicht so richtig. Gerade der enge Zusammenhang zwischen formaler Anerkennung des ausländischen Berufsabschlusses einerseits und der Zuwanderungserlaubnis andererseits ist im Bereich dual ausgebildeter Fachkräfte ein Problem. Denn im Unterschied zum akademischen Bereich ist die Vergleichbarkeit von Berufsausbildungen aufgrund der starken Unterschiede der beruflichen Bildungssysteme weltweit nur selten gegeben“, kritisierte Salomon.
Sprachliche Hürden in der deutschen Ausbildung, an denen nicht nur internationale Migranten, sondern bereits Grenzgänger aus Frankreich straucheln, sowie die Herausforderung, erschwinglichen Wohnraum für Arbeitsmigranten beispielsweise im Freiburger Raum zu finden, wurden von Unternehmen in der Diskussion als weitere Probleme ergänzt. „Wir müssen helfen, erworbene Kompetenzen sichtbar zu machen und bürokratische Hürden weiter abzubauen. Regionale Netzwerke können vor Ort zusätzlich bei einigen Problemen unkompliziert konkrete Lösungen schaffen. Für das Problem des Wohnraums lassen sich zum Beispiel vielleicht gemeinsam Carsharing-Optionen auf den Weg bringen, sodass die Fachkräfte günstig wohnen und zum Arbeitsort pendeln können“, sagte Daniel Terzenbach.
Text: heo
Bild: Olga Heiland
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Mitte, von links: Daniel Terzenbach, Vorstand Regionen der Bundesagentur für Arbeit, Eberhard Liebherr, Präsident der IHK Südlicher Oberrhein und Dieter Salomon, Hauptgeschäftsführer der IHK.
Unten: Das Arbeitsmarktgespräch mit interessierten Unternehmern aus der Region fand in der Sensor Intelligence Academy der Sick AG in Waldkirch statt.