Ich liebe Wiederholungen. Sie verwandeln die Zeit in einen Ort“ (Karl Ove Knausgård). Wer kennt sie nicht – diese wunderbaren Wiederholungen, zum Beispiel jeden Sommer für eine Woche an den Bodensee? Der Mensch braucht soziale Rituale, die ihm Orientierung bieten und sein Leben freudvoll strukturieren. Der Sommerurlaub ist so ein Ritual, wohl eines der schönsten im Jahr. Doch wie wird der Sommer 2021 aussehen? Und wie werden wir überhaupt in nächster Zukunft verreisen?
Angesichts des bislang frustrierenden Impftempos (und der Zunahme von Virusmutationen) bleibt die Lage wohl die nächsten Monate weiterhin sehr volatil – eine wirkliche Entspannung sehe ich erst im Laufe des dritten Quartals. Bis dahin sind wir noch in einer pandemischen Pufferzone, die touristische Erwartungshaltung bleibt gedämpft. Reisen wird mühsamer, aufwendiger: Tests und digitaler Impfpass werden alsbald zur Grundausstattung – und künftig vor allem bei interkontinentalen Flügen eine Voraussetzung.
Dabei werden wir erneut unterschiedliche Situationen in Europa erleben: Länder mit niedrigen Inzidenzen und solche mit hohen, die einen sind touristisch geschlossen, die anderen geöffnet. Mallorca zum Beispiel gilt seit Mitte März nicht mehr als Risikogebiet, ein Urlaub auf der Insel ist dort wieder ohne Quarantäne nach der Rückkehr möglich.
Revenge Travel
Der Kampf um den Sommergast hat freilich schon begonnen. Und er wird gnadenlos geführt. Schließlich ist dieser (reise-)hungrig und hat immensen Nachholbedarf – er wird reisen und konsumieren, was die gesetzlichen Bestimmungen hergeben. Ganz oben auf seiner Liste für „nachher“ stehen Restaurantbesuch, Verwandte/Freunde treffen und Reisen. Abgesehen von den Vorsorgesparern wussten viele Menschen während der Lockdowns nicht, wofür sie ihr Geld ausgeben sollten. Keine Reisen, keine geöffneten Shops oder Lokale, keine Events, bei denen man sich im neuen Outfit hätte zeigen können. Entsprechend stieg auch die Sparquote: in Deutschland auf immerhin 16,3 Prozent im vergangenen Jahr (2019: 10,9 Prozent). Die Deutsche Bank rechnet in einem (konservativen) Basisszenario damit, dass 2021 rund 30 Prozent dieser zusätzlichen Ersparnisse in den privaten Konsum zurückfließen.
Für den Tourismus (und auch den Einzelhandel) erwarte ich daher nach der Öffnung ein interessantes Phänomen: Revenge Travel. Die Menschen holen sich das zurück, was ihnen das Schicksal lange vorenthalten hat. Es wird mehr Geld in Premiumreisen fließen, aber auch in teurere Produkte wie zum Beispiel E-Bikes oder hochwertige Gartenmöbel.
Die Wiederauferstehung
Bis zur Trendwende (hohe Durchimpfungsrate) im Spätsommer 2021 steht der naturnahe Binnenurlaub im Fokus der Touristen. Remote Work und eine digitale Ermüdung verstärken die Sehnsucht der Menschen nach Natur. 90 Prozent der Bevölkerung macht es „glücklich, in der Natur zu sein“. Weiche, naturnahe Aktivitäten wie Radfahren und Wandern werden noch stärker als bisher nachgefragt (so wie letzten Winter nordische Aktivitäten und Skitouren). Retroformate wie Ferienapartments, Ferienhäuser, Camping und Caravan (Sicherheit auf vier Rädern) boomen.
Die Natur wurde in der Pandemie zum Sehnsuchtsraum, zur eskapistischen Heile-Welt. Draußen sein wird zum neuen Lifestyle. Friluftsliv nennen die Norweger diesen aktiven Lebensstil, der Natur und Bewegung, Lebensfreude und Gesundheit verbindet und somit ein Glücksversprechen für Urlauber ist. Neue Beherbergungsformate im Freien entstehen: Übernachtungsplätze im Wald, Schlafen unter freiem Himmel, Survivalcamps, Übernachten zum Beispiel in Lodges, Cubes und Glampingzelten. Kleine Abenteuer im Freien. Urlaub ist motivpsychologisch immer auch „wiedergegebene Zeit“ (Valentin Groebner) – man holt sich das zurück, was einem der Alltag vorenthält: Freiheit, Serotonin.
Der Sommer der Kleinstädte
Für diesen Sommer erwarte ich zudem eine Renaissance der Kleinstädte. Lebendige Quartiere, die eine „Intensivierung des Lebensgefühls“ (Tristan Garcia) versprechen, überschaubare, immersive Erfahrungen in städtischen Mikrowelten: Kultur, kleine Manufakturen, regionale Kulinarik. Innerstädtische Orte werden diverser, multifunktionaler und laden sich mit neuer Bedeutung auf. Die Erfolgsformel für Innenstädte lässt sich auf die drei Ks Konsum, Kultur und Kommunikation reduzieren. Shopping ist dabei ein Teil im städtischen Erlebnispuzzle, muss aber künftig stärker in multisensuelle, inspirierende Stadtwelten eingebettet werden. Die Werte der Post-Millennials haben sich deutlich vom Haben zum Erleben verschoben, zu verbindenden sozialen Ritualen – die nach der Pandemie wieder aufleben werden.
Hygiene, Sicherheit und kontaktlose Dienstleistungen werden – über Corona hinaus – noch stärker zu Basisfaktoren. Intelligente Besucherlenkung wird zur zentralen Managementaufgabe von Destinationen – stark frequentierte Orte (Museen, Restaurants, Event-Locations et cetera) können künftig nur noch mit Reservierung oder innerhalb bestimmter Timeslots aufgesucht werden. Der Massentourismus (ja, der kommt wieder) wird personalisiert, kleinteiliger, die Individualisierung wird über Algorithmen skaliert.
Während sich der Ferientourismus bis Jahresende wieder gut erholt, schmilzt der Businesstravel mittelfristig ab (Prognosen liegen zwischen 30 bis 50 Prozent), viele Unternehmen werden dank Video-Calls ihre Travel Budgets reduzieren. Diese Entwicklung zwingt insbesondere einen Teil der Stadthotellerie zur Transformation. Der Tagungs- und Kongresstourismus hingegen wird mit kreativen (kleinteiligen) Formaten bis zum Winter wieder kraftvoll zurück auf der Bühne sein – Menschen brauchen Begegnungen mehr denn je, der kognitive und emotionale Gewinn realer Begegnungen ist durch nichts zu ersetzen.
Nachhaltig urlauben eher exotisch
Und Nachhaltigkeit – wird diese tatsächlich zu einem Treiber des Tourismus, wie vielfach postuliert wird? Nur bedingt. Ich sehe dieses Thema eher von Destinationsseite (DMOs) und von einzelnen Betrieben getrieben als durch die Masse der Kunden. Zwar glauben laut einer IPK-Studie im Auftrag der Deutschen Zentrale für Tourismus 80 Prozent aller Befragten in Deutschland, dass Covid-19 zu mehr Nachhaltigkeit im Tourismus führt. In der Realität aber ist Nachhaltigkeit noch immer kein breites Reisemotiv. So etwas nennen Soziologen „kognitive Dissonanz“.
Ein Umschwung freilich erfolgt durch die jungen Post-Millennials. Die Generation Greta weiß: Nur wenn wir achtsam mit unseren Ressourcen umgehen, klimafreundlich wirtschaften und gesunde Lebensbedingungen schaffen, verhindern wir künftig drohende „grüne Schwäne“ (Pandemien, Natur- und Klimakatastrophen et cetera). Die Generation Z erwartet von Unternehmen und Politik verantwortliches Handeln und eine klare Haltung (Purpose), sieht sich aber genauso selbst in der Verantwortung für das bereiste Ziel – Engagement Travel wird ein wichtiger Wert im Motiveset der jungen Touristen.