Seit 50 Jahren schafft die Internationale Bodensee-Konferenz (IBK) einen einzigartigen Rahmen für die grenzüberschreitende Verständigung. Sie ist die gemeinsame Plattform der Regierungen der Länder und Kantone Baden-Württemberg, Schaffhausen, Zürich, Thurgau, Sankt Gallen, Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, Fürstentum Liechtenstein, Vorarlberg und Bayern. Auch die IHK arbeitet in zahlreichen Gremien mit. Im Interview spricht Christian Bücheler, Vorsitzender des IHK-Aussenwirtschaftsausschusses und Geschäftsführer des Logistikunternehmens Transco, über das Netzwerk und den Wirtschaftsraum Bodensee.
Herr Bücheler, welche Bedeutung hat die IBK für die Bodenseeregion?
Christian Bücheler: Die internationale Bodenseekonferenz ist ein wichtiges Dialogformat und für unsere Bodenseeregion eine wichtige Interessenvertretung. Ihr erklärtes Ziel ist es, das Zusammenspiel aller Partner rund um den Bodensee zu verbessern und gemeinsame Anliegen in die nationale und EU-Politik zu tragen. Die IBK entwickelt Konzepte, die auf die besonderen Gegebenheiten in der Region eingehen, die sonst eher untergehen. Dieses Engagement unterstützen wir als IHK ausdrücklich. Viele unsere Mitgliedsunternehmen sind in der Schweiz aktiv, haben enge Wirtschafts- und Handelsbeziehungen.
Auch die hier lebenden Menschen sind miteinander aufgewachsen, es gibt persönliche Beziehungen ohne Blick auf Staatsgrenzen. Während der Pandemie haben wir erlebt, was es heißt, wenn Grenzen wieder eine Rolle spielen. Die IBK-Regierungschefs haben deshalb ein Konzept für eine grenzüberschreitende Pandemieplanung beziehungsweise ein grenzüberschreitendes koordiniertes Vorgehen im Pandemiefall in der Bodenseeregion vorgeschlagen.
Gerade vor dem Hintergrund des gescheiterten Rahmenabkommens zwischen der EU und der Schweiz und dem Auslaufen bisheriger bilateraler Abkommen kommt der IBK eine ganz neue Bedeutung zu. Jetzt geht es darum, wieder einen Dialog und eine Annährung herzustellen, sonst waren die vielen Jahrzehnte der wachsenden Integration völlig umsonst.
Gibt es noch weitere Wirtschaftskooperationen im Bodenseeraum?
Die grenzüberschreitenden Kooperationen der Wirtschaft sind vielseitig und sehr intensiv. Auch die Vereinigung der Bodensee-Industrie- und Handelskammern (B-IHK) ist ein wichtiges Netzwerk. Ihre Ziele sind vor allem die Identifikation der gemeinsamen Interessen der Wirtschaftsregion und deren Vertretung gegenüber den Bodenseeanrainerstaaten. Zudem soll die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Unternehmen rund um den Bodensee intensiviert werden. Wir arbeiten kontinuierlich an der Überwindung rechtlicher, steuerlicher und politischer Barrieren, die sich für die Unternehmen dieses Wirtschaftsraums aus dem Nebeneinander dreier Nationalstaaten mit unterschiedlichen Integrationsniveaus ergeben. Gerade weil die Schweiz nicht in der EU ist und Liechtenstein nur im EWR, sind Netzwerke wie die B-IHK und die IBK von so großer Bedeutung.
Wie eng sind die wirtschaftlichen Beziehungen über die Grenzen hinweg?
Durch die zahlreichen Abkommen wurden die wirtschaftlichen Beziehungen über Jahrzehnte immer enger. Mittlerweile sind die Anrainerstaaten so eng miteinander verflochten, dass es manchmal ökonomisch sinnlos ist, von unterschiedlichen Volkswirtschaften zu sprechen. Auch für die Menschen haben die Grenzen nur noch eine marginale Bedeutung. Es ist heute in unserer Region völlig normal, dass man in einem Land wohnt und in einem anderen arbeitet. Allein aus Deutschland pendeln rund 21.000 Beschäftigte in die Schweizer Bodenseeregion, nach Vorarlberg sind es rund 3.000 deutsche Grenzgänger.
Wie hinderlich ist es, dass die Schweiz nicht in der EU ist?
Wichtig ist, dass die wirtschaftlichen Beziehungen klar durch Verträge geregelt sind. Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und der Schweiz wurden bislang durch viele Einzelverträge geregelt. Doch viele dieser Einzelabkommen stellen sich im Alltag als ungenügend heraus.
Ein Rahmenabkommen sollte Hindernisse wie diese abbauen, die bis dato bestehenden bilateralen Abkommen unter einem Dach bündeln und ihre Fortentwicklung im Gleichklang mit dem Europäischen Recht dynamisieren. Doch im vergangenen Jahr hat der Schweizer Bundesrat nach sieben Jahren die Verhandlungen abgebrochen.
Die ersten Auswirkungen sind bereits heute zu spüren. Die EU hatte für den Fall eines Scheiterns bereits angekündigt, keine neuen Marktzugangsabkommen mit der Schweiz zu schließen und bestehende Abkommen nicht zu aktualisieren. Mit der Folge, dass Produkte dann nicht mehr automatisch in den anderen Ländern freien Marktzugang haben. Von dem wissenschaftlichen Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe wurde die Schweiz praktisch schon ausgeschlossen. Sollten sich die EU und die Schweiz nicht bald auf neue Regeln verständigen, wird das auf die Wirtschaft in der Region erhebliche negative Auswirkungen haben. Im Wettbewerb mit anderen Wirtschaftsräumen kann die Bodenseeregion nur dann erfolgreich bestehen, wenn alle Anrainerstaaten systematisch am Ausbau der vorhandenen Stärken arbeiten und gleichzeitig die noch vorhandenen Standortschwächen versuchen zu überwinden.
Welche Bedeutung hat der Wirtschaftsraum Bodensee für Süddeutschland?
Die Bodenseeregion liegt im Herzen Europas und ist Standort von Unternehmen, die im regionalen Umfeld, im europäischen Binnenmarkt und auf den Weltmärkten überdurchschnittlich erfolgreich sind. Die Wirtschaftsstruktur ist ein breit gefächerter industrieller Branchenmix mit leistungsstarken, exportorientierten mittelständischen Unternehmen, wobei der Maschinen-, Anlagen- und Fahrzeugkomponentenbau mit seinen zahlreichen Zulieferbetrieben, die Elektrotechnik, die Metallindustrie sowie das Ernährungsgewerbe besondere Schwerpunkte bilden. Die Bodenseeregion ist nicht nur ein wichtiger Wirtschaftsraum in Süddeutschland, sondern in Europa.
Mehr über das Netzwerk unter www.bodenseekonferenz.org
Die Wirtschaftskraft der Region
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Bodenseeregion umfasste 2021 272 Milliarden Euro beziehungsweise 314 Milliarden Schweizer Franken. Es machte damit gut sechs Prozent des gesamten BIP der vier beteiligten Nationalstaaten aus und ist vergleichbar mit dem nationalen BIP Finnlands (2018: 277 Milliarden Euro).