So mancher Unternehmer wünscht sich vermutlich gerade, der Transformationsprozess hin zu einer CO2-neutralen, nachhaltigeren Welt sei schon abgeschlossen. Da dem aber nicht so ist, setzte die IHK ihren Schwerpunkt im Mai beim Thema „Nachhaltigkeit – Strategien für den eigenen Betrieb“. Auftaktveranstaltung zum Aktionsmonat war eine Veranstaltung im Forum Merzhausen mit dem Titel „Energiekrise – Was folgt danach?“
Hochkarätige Keynote-Speaker und Teilnehmer auf dem Podium sowie interessante Akteure bei den Power-Pitches zu den Themen „Betriebliche Energieeffizienz“ und „Erneuerbare Energien und nachhaltige Mobilität“ ermöglichten den rund 100 Gäste, tief ins Themenfeld Energie einzutauchen und die eigene Handlungsfähigkeit zu stärken.
Wie wichtig es ist, die Energiekrise als definitiv nicht beendet zu sehen – selbst wenn die Märkte sich wieder beruhigt haben –, dafür hielt Sebastian Bolay ein Plädoyer. Seine „Tour d’Horizon“ durch das Geschehen der vergangenen Monate begann er mit einem Ausblick, den er nicht als dystopisch deklariert sehen wollte: „Vor zwei Jahren hätte ich niemals geglaubt, dass wir solch eine Energiepreisexplosion erleben und dass eine Gaspipeline in die Luft gejagt wird, was einem terroristischen Anschlag auf die Infrastruktur Deutschlands gleichkommt.“ Warum sollte es also nicht vorstellbar sein, dass auch Länder wie Ungarn, Polen und die Tschechische Republik nicht länger mit russischem Gas versorgt würden? Träte dieser Fall ein, werde Deutschland aushelfen müssen. „Und das gilt auch für Frankreich, falls man dort bei anhaltender Trockenheit die Kernkraft nicht voll nutzen kann.“ Sein Fazit: Eine Gasmangellage im kommenden Winter ist realistisch.
Bolay, der als Vertreter des Mittelstands nach eigenen Worten bei der Verhandlung der Energiepreisbremse eine Art „Sherpa“ für das Rückgrat der deutschen Wirtschaft war, erlaubte einen Schulterblick ins energieverhandelnde politische Berlin mit einer deutlichen Sicht auf den Nachholbedarf der beteiligten Akteure: „Zu Beginn der Energiekrise dachte man wirklich, man könne die Wirtschaft einfach runterfahren und das, was fehlt, mal eben auf dem Weltmarkt einkaufen.“ Bolay habe bei den Verhandlungen tagelang erklärt, dass der Weltmarkt nicht alles hergebe, was die deutsche Wirtschaft brauche. Sein Fazit: „Ich verstehe die gegenwärtige Sorglosigkeit bei der Politik nicht, ich sehe den Heizungsstreit als Ablenkungsthema. Ihnen als Unternehmensverantwortlichen kann ich nur raten: Sparen Sie weiter Gas!“ Seine ganz klare Meinung: „Die Rechnung wird nicht aufgehen, wenn wir bis 2030 80 Prozent Strom aus regenerativen Quellen beziehen wollen und gleichzeitig der Strombedarf um 50 Prozent steigt.“
Das Tempo muss zulegen
Eine weniger dystopische, ja, sogar optimistische Position vertrat mit Hans-Martin Henning der Institutsleiter des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme in Freiburg: „Im Augenblick dominieren in Deutschland noch stoffliche Energieträger; der Strom spielt eine untergeordnete Rolle. Den können wir jedoch leicht aus erneuerbaren Energien herstellen“, zeigte er sich überzeugt. Deutschland müsse das Tempo dafür jedoch erhöhen und Räume, Verkehrswege und auch landwirtschaftliche Flächen zur Erzeugung erneuerbarer Energien nutzen: „Vor-Ort-Lösungen können wesentlich zur künftigen Versorgung beitragen und erhöhen die Resilienz für Verbraucher und das Gesamtsystem.“ Das bedeutet: Gerade Unternehmen sind angehalten, so viel wie möglich ihres benötigten Stroms selbst zu erzeugen.
Jetzt ins Handeln kommen
Die Podiumsdiskussion brachte mit Fabian Wildfang, Geschäftsführer von Neoperl in Müllheim, und dem Bundestagsabgeordneten Johannes Fechner (SPD) die unternehmerische und die politische Seite zusammen. Christoph Kost, Head of Group Energy Systems and Energy Economics beim Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme, Christoph Armbruster als Leiter Geschäftsfeld Ressourceneffizienz Industrie/Gewerbe bei Badenova Wärme Plus und Alena Richter, Ansprechpartnerin Baden-Württemberg beim Bürgerdialog Stromnetz, stellten die Energieexperten. André Olveira-Lenz, Leiter des Geschäftsbereichs Innovation und Umwelt bei der IHK, moderierte die Runde, als deren Fazit man ziehen könnte: Die Industrie hat noch viel vor der Brust, die Politik muss noch einiges an Hausaufgaben erledigen.
In ihren abschließenden Worten fassten André Olveira-Lenz und sein IHK-Kollege Patrick Bareiter, Referent für Klima und Ressourceneffizienz und KEFF+ Moderator, zusammen, was die Unternehmern mitnehmen sollten: Wirtschaft und Gesellschaft müssen sich resilient aufstellen, um die Arbeitsplätze zu erhalten. Der Transformationsprozess gehe nur zusammen mit den Unternehmern. Allerdings hätten ganz viele den Handlungsdruck noch nicht ausreichend gespürt. Olveira-Lenz gab den Gästen daher mit auf den Weg: „Warten Sie nicht, bis der Druck so groß wird, dass Sie sich nicht mehr bewegen können!“
dg
Bild: Auf dem Podium (v.l.) Fabian Wildfang, Christoph Kost, Johannes Fechner MdB, Christoph Armbruster, Alena Richter und André Olveira-Lenz.