Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt – doch wie können Unternehmen diese Transformation bewältigen?
Über neue Muster, Konzepte und Lösungsansätze haben auf Einladung der IHK Jutta Rump, Professorin für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Internationales Personalmanagement und Organisationsentwicklung an der Hochschule in Ludwigshafen am Rhein, und der „Übermorgen-Macher“ Stephan Grabmeier, Experte für New Work und Chief Innovation Officer beim Unternehmensberater Kienbaum, in der Alten Hofbibliothek in Donaueschingen gesprochen. Rund 100 Geschäftsführer und Personalverantwortliche waren gekommen, um mehr über neue Erkenntnisse zur Digitalisierung zu erfahren.
IHK-Hauptgeschäftsführer Thomas Albiez betonte, dass die Digitalisierung die Unternehmen massiv beschäftigen würde, zumal viele Unternehmer derzeit mit dessen Chancen und Risiken wenig anfangen könnten. In der digitalisierten Welt hätten die Unternehmer gelernt, aufgrund von Zahlen, Daten und Fakten zu entscheiden. Allerdings seien diese mitunter so widersprüchlich, dass eine Entscheidung aus dem Bauch heraus erfolgen müsse.
„Es sind zwei Seiten einer Medaille, eine gute Entscheidung aus den Daten, Zahlen und Fakten sowie dem Bauchgefühl von vielen zu treffen“, meinte Albiez, der damit ein Plädoyer für die Teamarbeit gab. Auch mit Blick auf die neue Datenschutzgrundverordnung der Europäischen Union, die erst unlängst in Kraft getreten ist, würde die Digitalisierung die Unternehmen noch für eine lange Zeit beschäftigen.
Vierte industrielle Revolution ist im vollen Gange
Rump blickte in Anbetracht des aktuellen Transformationsprozesses auf die Geschichte. Die vierte industrielle Revolution sei durch die Digitalisierung bereits in vollem Gang: „Und es kommt noch mehr auf uns zu“, sagte sie. Die vergangenen industriellen Revolutionen hätten zu einer extremen Polarisierung der Menschen geführt. Es sei daher entscheidend, wie man mit den Veränderungen umgehe und die Menschen auf der Reise mitnehme. Und das, obgleich die Unternehmer selbst noch gar nicht wüssten, wohin sie die Digitalisierung führen wird.
Nach dem Aufkommen der Industrialisierung in England und später auf dem europäischen Kontinent sei die Arbeitsteilung die zweite industrielle Revolution gewesen. Die dritte folgte durch die Computerisierung: „An manchen Stellen ist uns der Transformationsprozess gut gelungen.“ So habe etwa keine Sekretärin durch die Computerisierung etwas verloren. Daher forderte die Wissenschaftlerin, aus der Geschichte die richtigen Schlüsse zu ziehen und immer zu hinterfragen, was die Konsequenzen für die Menschen sind.
Über Grundeinkommen Nachdenken
In der vierten industriellen Revolution müsse es darum gehen, das Potenzial der Menschen zu heben: „Dass alle Gewinner sein werden, kann man leider nicht sagen. Es geht darum, so wenige Verlierer wie möglich zu haben“, sagte Rump und sprach sich dafür aus, über ein bedingungsloses Grundeinkommen nachzudenken, wenn die Technologie durch die zunehmende Automatisierung Menschen ersetze. Der demografische Wandel in Deutschland könne sich vor diesem Hintergrund „geradezu als Segen“ erweisen, wenn im Kollektiv viele Mitarbeiter in den Ruhestand eintreten würden.
Zukünftig werde es bei den Mitarbeitern nicht mehr nur um ihre Kompetenz gehen, sondern die „Soft Skills“ würden immer mehr an Bedeutung gewinnen. „Die Identifikation und Motivation bei den Mitarbeitern ist am wichtigsten.“ Es werde Veränderungen in der Kompetenzanforderung geben: Sie nannte die Zunahme von IT, die Geschwindigkeit und Komplexität in der Arbeitswelt oder das Selbstmanagement. Daher gehe es auch nicht darum, die Menschen aufgrund der zunehmenden Automatisierung freizusetzen, sondern in den Innovationsprozess einzubeziehen: „Wenn wir keine Routineaufgaben mehr machen müssen, wieviel Zeit bekommen wir dann geschenkt? Wir sitzen auf Diamanten“, sagte sie.
Viele Branchen seien aufgrund der Digitalisierung bereits im Wandel begriffen. So seien laut Rump im vergangenen Weihnachtsgeschäft ein Drittel der Geschenke ausschließlich online bestellt worden. Beim zweiten Drittel habe es eine Mischung aus online und dem Handel vor Ort gegeben. Nur ein Drittel der Geschenke seien ausschließlich in den Geschäften besorgt worden: „Die Branche ist extrem unter Druck und muss sich neu erfinden“, so die Professorin. Ähnlich sei es auch bei Banken und Versicherungen der Fall, die Medien hätten die Transformation größtenteils hinter sich.
Im Change-Management gebe es vier verschiedene Ebenen, die sich verändern würden. Auf der Mikro-Ebene betreffe dies etwa den Arbeitsplatz, die Arbeitsmittel und -bedingungen sowie die Wertschöpfungskette, auf der Meso-Ebene die betrieblichen Bedingungen und die Führungsverantwortung. In der Volkswirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt, der dritten Ebene, gehe es um die Frage, welche Berufsfelder es zukünftig noch geben wird. Auf der vierten Ebene, der Meta-Ebene, müsste die Politik die rechtlichen Rahmenbedingungen anpassen und mit der Gesellschaft Mindeststandards und Kollektivregeln erarbeiten.
Die Intelligenz ist im System
„Wenn wir neue Dinge lernen wollen, dann stehen uns die zuvor gelernten Dinge oft im Weg“, sagte Stephan Grabmeier. Es müsse daher Raum geschaffen werden für neue Servicedienstleistungen und Transformationsmaschinerien. Den Transformationsprozess zu verstehen bedeute, sich die Frage zu stellen, wie die Welt im Jahr 2030 aussehen wird. Es gehe darum, Trends frühzeitig zu erkennen, die Erkenntnisse zu bewerten und dann schnell umzusetzen. Dabei sei es wichtig, die Menschen einzubeziehen: „Die Intelligenz ist im System. Zu Hause bekommen die Leute alles hin, und im Unternehmen braucht man für Kleinigkeiten fünf Unterschriften“, so Grabmeier. Daher sollten die Leute besser direkt gefragt werden, anstatt 60 Experten an eine Sache zu setzen, um dann noch eine Mitarbeiterbefragung anzuschließen.
Ein Weg hin zu neuen Wegen seien dabei Ideenwerkstätten, sogenannte Innovation Labs. 200 von ihnen gibt es laut Grabmeier inzwischen allein in Berlin. Früher habe es geheißen, Übung macht den Meister, heute gehe es in den Innovation Labs darum, dass in agilen Strukturen das Experimentieren den Meister macht: „Wir müssen ausprobieren, wegschmeißen und wieder neu probieren“, so Grabmeier. Dabei müsse man mit dem Kunden in Kontakt treten und gemeinsam zur Lösung kommen.
In agilen Strukturen sei man im Gegensatz zu komplexen Strukturen flexibler und würde zudem nicht „so viel Geld verbraten“. Der Fokus in den Innovation Labs laute: „Wir kosten die Firma viel Geld, aber wir retten die Firma in ein paar Jahren mit Innovationen. Daran muss man sich messen lassen.“ Daher forderte er die Unternehmen auf, Experimentierräume zu schaffen, sich für Experimente zu öffnen und die Komfortzone zu verlassen.
Und das, so informierte Jutta Rump, müsse zunächst gar nicht viel Geld kosten, da das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Einrichtung von Innovation Labs fördern würde. „Das ist eine interessante Möglichkeit, risikolos zu experimentieren“, sagte sie. Allerdings müssten bei einer Förderung die gemachten Erfahrungen der Öffentlichkeit mitgeteilt werden.
VG
Information: Simone Mader, Fachbereich Innovation | Umwelt Tel: 07721 922 204, mader@vs.ihk.de
Bilder: Kristian Streich